USA/Utah: Pilger, Hipster, Bierbrauer

Bryce Canyon
Bryce CanyonReuters
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Die Klischees, die über Salt Lake City verbreitet werden, stimmen bestenfalls zur Hälfte. Am besten, man macht sich einen Tag lang selbst ein Bild – und pilgert anschließend in die großartigen Nationalparks des Steppenstaates.

American Airlines-Stewardess Marilyn dürfte schon länger nicht mehr in der First Class serviert haben. Denn auf die Frage nach den alten Gerüchten, wonach auf Flügen über Utah kein Alkohol serviert werden darf, beginnt sie zu erzählen. Nein, nein, in der Luft sei das kein Thema, aber am Boden in Salt Lake City sei es ihnen an Bord untersagt. Was immer wieder ein Thema in der First Class sei, wenn jemand vor dem Start nach einem Glas Wein frage. Salt Lake City sei wunderschön, aber das mit dem Alkohol sei halt „wirklich ein „Riesenproblem.“ Ihre Schwester habe eine Weile dort gelebt, sie habe den Aufwand, ein Bier oder ein Glas Wein zum Abendessen im Restaurant zu bekommen, hautnah miterlebt. Aber es gäbe kleine Alkohol-Läden neben den großen Restaurants und sogenannte „Corcage Fees“ – österreichisch: Stoppelgeld –, mit dem man den mitgebrachten Wein konsumieren dürfe.

Bier mit 3,2 Volumsprozenten

Nun, nicht nur Marilyns Zeiten in der First Class dürften schon ein Weilchen her sein, auch ihre Schwester scheint schon länger nicht mehr im Mormonen-Staat zu leben. Denn während man sich im Landeanflug zwischen dem großartigen Bergpanorama und dem in allen Farben glitzernden Salzsee noch denkt, dass eine Gegend wie diese auch nüchtern zu ertragen sein dürfte, sieht die Wirklichkeit in der Stadt der Olympischen Winterspiele 2002 inzwischen anders aus. Anlässlich Olympia wurden die einst strengen Regeln gelockert – und als die Stadt am Salzsee darüber nicht im Rausch versank, hatten jene Kräfte Oberwasser, die sich schon lange für eine Anpassung stark gemacht hatten. Spätestens seit 2009 ist Utah nun nicht mehr weit von den Regeln anderer US-Staaten weg: Zwar ist der Alkoholgehalt im Bier mit 3,2 Prozent etwas geringer als anderswo; in manchen Restaurants bekommt man, je nach Lizenz des Inhabers, Alkohol nur in Verbindung mit einer Mahlzeit und auch ein Vormittagsrausch ist schwer zu realisieren, da in den meisten Lokalen vor zwölf Uhr mittags kein Alkohol ausgeschenkt werden darf. Von den vorolympische Zeiten sind diese Einschränkungen allerdings weit entfernt.

Schöne Klischees

Aber Utah mit seinen durch die Kultur der Mormonen geprägten Besonderheiten bietet sich für Klischees aller Art perfekt an. Das Bild des alkoholfreien Staates voller frömmelnder Missionare mit vielen Frauen und noch mehr Kindern ist genauso hartnäckig wie das Image Österreichs als Lederhosen- und Lipizzaner-Republik. Dabei sind Ehen mit mehreren Frauen schon seit 1890 verboten, führen zur Exkommunizierung und werden immer offensiver verfolgt. Was nicht heißt, dass die Mitglieder und Regeln der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“, so der volle Name, das Leben und das Stadtbild in Utah und Salt Lake City nicht maßgeblich mitbestimmen. Rund 70 Prozent der Bewohner Utahs sind Mormonen, entsprechend hoch ist ihr Anteil in politischen Ämtern und Regierungsberufen, aber auch in der überdurchschnittlich erfolgreichen Wirtschaft des Bundesstaates.
Oder im Stadtbild. Die Anzahl von Männern in dunklen Anzügen und Frauen in Kleidern, die deutlich über das Knie reichen, ist überproportional hoch; vor allem rund um den Tempelbezirk scheint auch an einem Donnerstag Nachmittag jeder Zweite in Sonntagsornat unterwegs zu sein. Was sich auch auf seltsame Weise dem Ort angemessen anfühlt. Denn der vier Blocks große Tempelbezirk strahlt diese besondere Atmosphäre aus, die man häufiger an Orten findet, auf denen Menschen ihre Heiligtümer errichtet haben.

Hier ist alles blitzsauber, das Grün perfekt manikürt, das Wasser des Teiches spiegelglatt, die Menschen betont freundlich – und der massive Tempel sieht aus, als hätten sich Ludwig XIV. und Walt Disney einen gemeinsamen Traum erfüllt. Dieses heilige Gebäude und Pilgerziel der, nach Kirchenangaben, mehr als 14 Millionen Mormonen weltweit, beeindruckt mit seinen sechs bis zu 68 Meter hohen Türmen, seinen knapp fünf Metern dicken Grundmauern, dem mehr als vier Meter großen, goldglänzenden Moroni-Engel auf der Spitze des höchsten Turmes und strahlt würdevolle Macht aus.
Rund um den Tempel und die anderen Gebäude des heiligen Bezirkes sprechen mild lächelnde ältere Herren in schwarzen Anzügen die Touristen und Pilger aus aller Welt mit einer Freundlichkeit an, der man sich kaum entziehen kann. Alle Fragen rund um die Gebäude, die Rituale und die Geschichte der Mormonen werden im Rahmen von bis zu 40-minütigen, kostenlosen Führungen oder einem fünfminütigen Frage- und Antwortspiel beantwortet.

Wer lieber allein den Tempelbezirk erkunden möchte, kann Bräute und Taufkinder beobachten, die sich vor dem Heiligen Haus fotografieren lassen, oder Jugendliche, die wie bestellt auf der Wiese vor dem Tempel malerisch Ball spielen. Statuen, Wasserspiele aller Art und die extrem gut erhaltenen Gebäude zeugen davon, dass diese religiöse Gemeinschaft, die an Familienverbände über den Tod hinaus glaubt, wirtschaftlich ohne Sorgen dasteht und es sich leisten kann, die Zeugnisse ihrer Geschichte zu erhalten.

Vienna Märzen

Was Utah aber zu keinem rückwärts orientierten Staat macht. Neben aller Tradition hat Utah auch eine moderne, grüne und unkonventionelle Seite. Schon seit mehr als 30 Jahren werden auf dem Sundance Film Festival unabhängige Filme gezeigt, und mit den Kletterern und Snowboardern kam eine neue junge Klientel in den Staat. Die Jungen haben hier ähnlich wie in anderen „green states“, etwa Oregon oder Colorado, eine lebhafte Micro-Brewery-Scene hervorgebracht, in der coole, tätowierte und gepiercte Hipster zu guter Musik das andere Utah verkörpern. Stewardess Marilyn wird es kaum glauben können, aber in der Hauptstadt der Mormonen laden jede Menge Brauhäuser mit einer großen Anzahl an eigenen, lokalen und internationalen Bieren zu Beisltouren ein, die Teilen der Innenstadt abends das Flair belebter italienischer Piazze verleiht – zumindest in den warmen Monaten.

Eine der bekanntesten Privatbrauereien ist das „Squatters“, dessen Getränkekarte und die Namen auf den Zapfhähnen signalisieren, wie entspannt, gut sortiert und auch humorvoll mit dem Thema umgegangen wird. An der Bar fällt der Zapfhahn des „Polygamy Porter“ ins Auge, auf der Karte finden sich neben dem „Vienna Märzen“ und dem „American Wheat Hefeweizen“ auch „Provo Girl Pilsner“ und das „Full Suspension Pale Ale“, das sich mit seinem Logo eines waghalsigen Mountainbikers über den Gipfeln Utahs an die neue, grüne Zielgruppe richtet.

Zion und Bryce Canyon

Salt Lake City ist für viele Touristen vor allem das Tor zu den großen Nationalparks des Bundesstaates, etwa zum Zion und dem Bryce Canyon, zwei der beliebtesten Ziele der klassischen Südwest-Rundreise. Die weitläufigen Skigebiete Utahs sind zudem Top-Winterdestinationen der USA. Wer sich mehr Zeit nimmt, kann nach dem Pflichttag in Salt Lake City den „Road Trip“ antreten und ein anderes, ruhiges, weniger spektakuläres, dafür aber auch weniger touristisches Utah erleben. Bei einem Tagesausflug zum großen Salzsee, dem die Stadt ihren Namen verdankt, fährt man über den sieben Meilen langen, gelsenverseuchten Damm – nicht aussteigen! – auf die Antelope-Halbinsel und gerät in eine ganz andere Welt. Hier grasen Bisonherden und Antilopen, sorgen die Spiegelungen der Wasserflächen für immer neue, spektakuläre Anblicke. Und zuletzt scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, wenn man bis ganz zum Ende fährt, um die Fielding Garr Ranch zu besuchen. Hier zeigt sich die sanftere Seite der Natur des Mormonenstaates. Zeit genug, um sich dann in die großen Naturwunder Utahs zu stürzen, ist am nächsten Tag immer noch.

Die Stadt der Mormonen und ihrer Brauereien

Anreise: Flüge nach Salt Lake City gibt es von Wien aus mit Austrian in Kombination mit United Airlines und Verbindungen über Chicago und Toronto. KLM, Delta und Air France bieten 1-Stopp-Verbindungen über Amsterdam und Paris an. Preise: rund 750 Euro.

Unterkünfte: Gediegen logiert man im „Hotel Monaco Salt Lake City“. Das 2013 aufwändig renovierte Vier-Sterne-Hotel der Kimpton-Kette liegt mitten in Downtown, zum Tempel-Palast sind es zehn Fußminuten. Zimmer ab 189 Dollar (rund 170 Euro) pro Nacht. www.monaco-saltlakecity.com

Günstiger, aber ebenfalls zentral gelegen ist das in Präriestil eingerichtete Peery Hotel in Downtown, ein Boutiquehotel für alle, die Bars und Restaurants in Gehweite schätzen. Zimmer ab 93 Dollar (rund 84 Euro), www.peeryhotel.com

Essen und Trinken: Die Mikrobrauereien zu verpassen, ist eine Sünde, zumal die meisten auch gute, amerikanische Hausmannskost mit modernem Touch servieren. Drei von vielen sind: Squatters, 147 West Broadway 300 South, www.squatters.com

Red Rock Brewing Company, 254 200 West, redrockbrewing.com

Desert Egde Brewery, 273 Trolley Square, desertedgebrewery.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 1.7.2017)

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