Zentralasien: Sojus über dem Aralsee

Land mit einer eigenen Dimension: Im Kosmodrom bei Baikonur starten russische Raketen und Kosmonauten ins All.
Land mit einer eigenen Dimension: Im Kosmodrom bei Baikonur starten russische Raketen und Kosmonauten ins All.(c) imago/ITAR-TASS (Yuri Smityuk)
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Raketen starten in der kasachischen Steppe. Und die Fische kommen zurück.

Genau hier, wo der Fuß durch eine dünne Kruste aus Salz in den Sand bricht, pflügten Welse einst den Grund um. Und Brassen flüchteten ängstlich, wenn der unheilvolle Schatten eines Zanders auftauchte. Denn genau hier schwappte noch vor 50, 60Jahren ein gewaltiges Meer, das leicht salzig schmeckte und etwa so groß wie Bayern war: der Aralsee. Wo 1930 noch Wasser war, erstreckt sich jetzt Steppe. Damals hat man begonnen, aus den beiden Flüssen, die ihn speisen, immer mehr Wasser auf die neu angelegten Baumwollplantagen umzuleiten. Der See begann zu schrumpfen. Nur zwei Reststücke blieben übrig, deren Flächen zusammen nur noch ein Zehntel der einstigen Größe umfassen.

Über die Steppe fegt heute der Boran, eisiger Wind aus Nordost. Er lässt das Gras erzittern und treibt lose Kameldornbüsche um die durchgerosteten Schiffswracks am Rand des Kleinen Aralsees. Ein Kleinbus parkt daneben, vier Männer in speckigen Overalls sitzen darin. Hobbyfischer seien sie, sagt einer – „Illegale“, raunt unser Fahrer. Ob es denn wieder Fisch im See gebe? „Aber sicher“, sagt einer und deklamiert beinahe poetisch: „Goldene Fische. Armlange Zander. Fette Karpfen. Dollars, Dollars, Dollars – dank des Damms.“ Der Kokaraldamm wurde 2005 fertiggestellt und verhindert, dass Wasser aus dem Fluss gleich an anderer Stelle wieder abfließt. Nach seiner Fertigstellung stieg der Wasserspiegel, der Salzgehalt normalisierte sich, Fische kehrten zurück.

Ein paar Kilometer weiter liegt Neu-Akespe direkt am See, eine Reihe wie mit dem Lineal ausgerichteter Häuser mit Blechdächern. Malina, die Englischlehrerin der Schule, lädt zum Imbiss. Es gibt Bratfisch. Ihr Mann ist Fischer, wie alle Männer des Dorfs. Grundsätzlich seien sie in den vergangenen Jahren mit der Ausbeute zufrieden. Im Dorf steht sogar eine kleine Gefrierstation, sodass der Fang nicht täglich abtransportiert werden muss.

Auch Aralsk hat wieder Hoffnung. Die Stadt im Nordosten war einst das Oberzentrum des Sees – mit Seefahrtsschule, Theater, Reparaturwerft und Fischfabriken. Heute ist der Hafen ein Schatten seiner selbst: Um ein schlammiges Becken verfallen Hallen, die stählernen Gerippe der Ladekräne zeugen von der untergegangenen Zeit. Doch dieses Heute sei eigentlich schon wieder ein Gestern, verkündet Aina Baymahanova, Vorsitzende der Hilfsorganisation Aral Tenizi. 23Fischarten tummeln sich wieder im Wasser, 2000Fischer haben eine Lizenz. „In fünf Jahren wird das Wasser, das jetzt noch 35Kilometer entfernt ist, wieder den Hafen füllen.“

Im Weltraumbahnhof

Wer in Kasachstan unterwegs ist, muss mit Gegensätzen zurechtkommen. Verzweiflung und Hoffnung, Vergangenheit und Zukunft gehen oft unmittelbar ineinander über. Da sind alte Städte wie Turkistan mit der unvollendeten Riesenmoschee, die Ende des 14. Jahrhunderts als Riesengrab für Hodscha Ahmed Jassawi gebaut wurde, den wahren Nachfolger Mohammeds. In Shimkent dagegen reihen sich blutrote Bauten mit Spiegelglasfassaden an maurische Schlösschen und Tempel mit griechischen Säulen – Saltanat Saray heißen die protzigen Paläste, in denen jedes Wochenende Hundertschaften Hochzeiten feiern. Die Innenstadt von Almaty wiederum wirkt wie ein Bilderbuch sowjetischer Architektur. Über den Filialen internationaler Modemarken erheben sich die alten Fassaden mit runden Ecken, wellenförmigen Balkonen und Ornamenten.

Und dann ist da Baikonur, der Weltraumbahnhof, den Russland bis 2050 gepachtet hat. „Back in the USSR“: Die 70.000-Einwohner-Stadt erinnert an ein Freilichtmuseum. Zwischen Spital, Stadion, Hotels und Kunstzentrum im Sowjetstil dreht sich alles ums All. Im Zentrum ist eine Sojus-Rakete zur Ansicht aufgebockt, ein paar Straßen weiter eine grüne SS-17-Atomrakete. Das Juri-Gagarin-Monument zeigt einen jungen Mann, der im Anzug fast verschwindet – der Kopf ist beim Aufstellen kaputtgegangen und durch einen zu kleinen ersetzt worden.

In dieser Nacht steht der Start einer bemannten Sojus-Rakete an. Klein wie ein Pfeil strahlt sie in einem Kilometer Entfernung im Dunkeln. Auf einer Leinwand werden Bilder aus dem Inneren der Kapsel übertragen, wo Astronauten in Liegesesseln ihre Instrumente überprüfen. Noch neun Minuten, noch drei, noch eine – urplötzlich explodiert die Nacht in einem Ausbruch von Feuer und Donner und Wucht. Die Luft vibriert, ungeheure Kraft bricht sich Bahn in einem brüllenden Feuerball. Aber noch verharrt der Pfeil sekundenlang – ehe der Schub ihn dann doch aus der Verankerung hebt und immer schneller in den Himmel treibt, gefolgt von einem rot glühenden Schweif. Und endlich zeigt ein Rauchwölkchen, dass die Triebwerke der ersten Stufe erfolgreich abgesprengt wurden. Sojus-FG mit der bemannten Mission 53S hat wie geplant um 2.20Uhrihre sechsstündige Reise zur Raumkapsel ISS angetreten.

STEPPE UND RAKETEN

Die beschriebene zehntägige Reise von Intrepid Travel findet im September und Oktober statt. Der australische Veranstalter erwartet von Teilnehmern eine gewisse Selbstständigkeit (An- und Abreise auf eigene Faust, nicht alle Mahlzeiten inklusive). Führungen in Englisch. Meist mit Öffis und in kleineren Hotels unterwegs. www.intrepidtravel.at

Baikonur: Heuer gibt es noch drei Starts: 13.9., 26.10., 27.12.

Infos:www.visitkazakhstan.kz

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2017)

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