Kolumbien: Am Abend drängt alles nach draußen

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The Colonial town of Villa de Leyva Colombia South America PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyrig(c) imago/robertharding
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Architektur wie zur Zeit der spanischen Vizekönige, feines, mildes Klima und Rummel nur am Wochenende: In Villa de Leyva und Barichara, zwei Kolonialstädten im Hochland, schlägt man gern Wurzeln.

Es ist Freitagabend, 20 Uhr, und die weiß gekalkten Gebäude rund um die Plaza Mayor sind teils dezent angestrahlt, teils hell erleuchtet. Zwei Stunden davor ist es, nahezu schlagartig, dunkel geworden. Nun beginnt in Villa de Leyva, einem der schönsten Orte Kolumbiens, die Ausgehzeit. Das Licht der Lampen, die an den Kolonialgebäuden angebracht sind, wird vom Kopfsteinpflaster des quadratischen Platzes reflektiert. Auf Stufen an der Südostseite des Platzes, er ist einer der größten in Südamerika, sitzen vor Säulenarkaden kleine Gruppen von Erwachsenen und Jugendlichen, die von Hunden neugierig beäugt werden – und zuweilen fast schon bedrängt. Ein weißer Hund, dessen rechte Hinterpfote lahmt, schaut flehend und hofft auf etwas Futter.

Nicht weit von den Stufen, die an lauen Abenden zum Treffpunkt werden, und nur wenige Meter von der Iglesia de Nuestra Señora del Rosario entfernt, erklingt aus einer offenen Tür deutschsprachige Volksmusik der eher penetranten Sorte. Ihre Quelle: Der Fernsehbildschirm in einer kleinen Bar. Die Gaststätte, sie trägt den Namen „Dorfkneipe“, gehörte lange einem gelernten Werkzeugmacher und ehemaligen Taxiunternehmer aus Heilbronn, der sich nach einem kurzen Aufenthalt 1999 spontan dazu entschlossen hat, in Kolumbien zu bleiben. „Nach zehn Tagen sagte ich mir, du fliegst nicht mehr zurück – und ich war tatsächlich erst neun Jahre später wieder in Deutschland zu Besuch. Hier ist alles viel schöner und viel einfacher“, schwärmt Manfred, der das Lokal mittlerweile seinem Schwager übergeben hat. Peter, ein in Stuttgart geborener Molkereiexperte, der regelmäßig in der „Dorfkneipe“ vorbeikommt, schließt sich dem Lob auf Villa de Leyva an: „Hier hat man Kolonialarchitektur und gleichzeitig viel junges Volk.“

Villa de Leyva ist während der Woche eine beschauliche kleine Stadt, an den Wochenenden jedoch, vor allem an den langen, strömen viele Besucher aus der 170 Kilometer entfernten Millionenmetropole Bogotá hierher. Denn es ist ruhiger hier – und zudem wärmer als in der Hauptstadt, die den Beinamen „la nevera“ trägt, der Kühlschrank.

Bummeln in Filmkulisse

Obwohl Villa de Leyva einer der meistbesuchten Kolonialorte Kolumbiens ist, scheint hier die Zeit stehen geblieben zu sein. Die im Jahr 1576 gegründete Stadt, deren Bau auf eine Idee des Spaniers Andrés Díaz Venero de Leyva zurückging, wurde 1954 zum Nationalen Monument erklärt und damit unter Denkmalschutz gestellt. Werner Herzog drehte hier 1987 Teile des Films „Cobra Verde“, der sich mit der Sklaverei in Brasilien befasst, und viele Häuser im Zentrum wirken, als stammten sie fast aus der Zeit, in der die spanischen Vizekönige regelmäßig zu Besuch kamen. Wer die gepflasterten Straßen entlangbummelt, etwa die Calle 12, der spürt in seiner Nase den Duft von Süßgebäck, das in kleinen Konditoreien gerade aus dem Ofen gezogen wird, daneben finden sich Souvenirgeschäfte, Hotels und kleine Ateliers.

Wie umfassend das touristische Angebot ist, erschließt sich oft erst auf den zweiten Blick. Bei einem Spaziergang durch die Haupteinkaufsstraße des Ortes, die Calle Caliente, die auch als Carrera 9 in Stadtplänen geführt wird, sieht man anfangs nur die schmalen Fassaden der Häuser, die nicht ahnen lassen, dass sich in den langen Hinterhöfen der Kolonialgebäude noch so manche Bar und manches Restaurant verbirgt.

Dass die Zeit stehen geblieben ist, das stimmt in und um Villa de Leyva auch noch in einem anderen Sinne: Kaum an einem anderen Ort in Kolumbien blieben so viele Fossilien erhalten wie hier. Wer einen Eindruck davon bekommen will, welch vielfältigen Lebensformen existierten, als Villa de Leyva noch vom Meer überspült war, findet im Centro de Investigaciones Paleontológicas (CIP) wenige Kilometer außerhalb der Stadt beeindruckende Fossilien: zum Beispiel Versteinerungen der längst ausgestorbenen Plesiosaurier, eine Reptilienart, die bis zu 15 Meter lang werden konnte, oder versteinerte Ichthyosaurier, eine Tierart, die vor 93 Millionen Jahren ausgestorben ist.

Früchte und Kunsthandwerk

In Villa de Leyva gibt es günstige Hostels, meist etwas außerhalb des historischen Zentrums, und charmante Hotels im Kolonialstil wie die traditionsreiche und viel gelobte Posada de San Antonio, die jedoch aufgrund der historischen Bausubstanz nicht unbedingt barrierefrei gestaltet ist. Wer Komfort und Ambiente verbinden möchte, findet im Hotel Campanario de la Villa historischen Stil, aber mit moderner Wellness. Das 2015 eröffnete Haus verfügt sogar über ein eigenes Observatorium. Sollte übrigens die Obstauswahl am Frühstücksbuffet im Hotel nicht ausreichen – dann steht ein Marktbesuch am Samstag an: Dort gibt es so exotisches wie Lulos, Grenadillen und Guayabas, verschiedene Sorten Kochbananen, Baumtomaten, Mangostina oder Feijoa. Bei dem Bummel über den Markt haben wir schnell einen Begleiter – den hinkenden weißen Hund mit den treu blickenden Augen, der uns bereits auf der Plaza Mayor begegnet ist. In einem 4000-Einwohner-Ort läuft man sich eben leicht zweimal über den Weg.

Für Georg Rubin, einen Deutschen, der in Kolumbien aufgewachsen ist, das Land regelmäßig bereist und hier Individualrundreisen organisiert, ist Villa de Leyva zwar eine wunderschöne Kolonialstadt, aber nicht der schönste Ort Kolumbiens. Der Kenner schwärmt für eine koloniale Kleinstadt, die noch weiter von Bogotá entfernt liegt – und deshalb an den Wochenenden deutlich weniger überlaufen ist. Wobei auch in Barichara in der Provinz Santander dann mehr Gäste eintreffen als unter der Woche. Sie kommen vor allem aus der Stadt Bucaramanga.

Barichara ist der perfekte Ort zum Rückzug. Obwohl die Stadt klein ist, tut sich kulturell viel – von Barock- bis zu Jazzkonzerten. Etliche der europäischen Auswanderer, die hier schon länger Wurzeln geschlagen haben, betätigen sich künstlerisch und handwerklich, bauen Mobiles, schöpfen Papier, gestalten Textilbilder, Molas, wie die Kuna-Indios sie nennen. Hinter den Türmen und der Kuppel der Kathedrale erheben sich grüne Hügel und Berge. Das Klima ist angenehm – maximal 28 Grad warm, nie kühler als 18 Grad. Verglichen mit dem auf über 2100 Metern Höhe gelegenen Villa de Leyva ist es in Barichara, das auf rund 1300 Metern liegt, deutlich wärmer.

Problemlos ist das Leben hier trotzdem nicht, denn von November bis März ist es in dem 3000-Einwohner-Ort und in seiner Umgebung meist staubtrocken, und dann fehlt es oft an Wasser. Vor wenigen Jahren musste die Stadt mehr als zwei Monate lang mit Tankwagen versorgt werden. Dabei gäbe es Wasser, nur fehlt es an Pumpen, an Stromversorgung und Leitungen. So aber haben viele Häuser im Ort in manchen Monaten nur zwei Stunden pro Tag fließendes Wasser und sorgen deshalb mit Tanks vor.

Dass der Tourismus wächst, aber auch die Wirtschaft insgesamt, zeigt die Zahl der Motorradtaxis in der Stadt – 2010 gab es erst ein einziges, inzwischen sind es mehr als 20. Doch in Barichara begegnen einem keineswegs nur motorisierte Fortbewegungsmittel, etliche Einheimische, vor allem aus der Landwirtschaft, sind auch mit genau einem PS unterwegs: auf dem Rücken eines Pferdes. Während das Kopfsteinpflaster in Villa de Leyva aus eher kleinen, unebenen Steinen besteht, sind es in Barichara größere abgeflachte, behauene Quader, aus denen die Straßen gebaut sind.

Riesenameisen – geröstet

Und diese Quader durchziehen die Stadt im Schachbrettmuster. Entlang dieser Straßen ducken sich weiße Häuser, meist aus dem 18. Jahrhundert, mit bunten, hölzernen Fensterläden. Das beeindruckendste Gebäude der Stadt, die Catedral de la Inmaculada Concepcion, die auch El Templo Matriz genannt wird, ist aus Buntsandsteinen gebaut. Sie befindet sich direkt am Hauptplatz der Stadt, dem Parque Principal. Vergleicht man diesen mit der Plaza Mayor in Villa de Leyva, wirkt er sehr überschaubar. Am Abend treffen sich die Einheimischen hier dennoch, denn ein paar kleine Lokale bieten günstige Getränke und kleine Snacks.

Die Hauptspezialität des Ortes freilich findet man in diesen Bars selten, sondern eher in den kleinen Lebensmittelläden: die Hormigas Culonas, geröstete Riesenameisen, die wegen ihres Proteingehalts und ihres großen Hinterteils geschätzt werden. Nachdem die Flügel und Beine der Ameisen weitgehend entfernt sind, kommen die Ameisen in ein Salzwasserbad und werden dann in Fett geröstet. Doch keine Angst, in Barichara gibt es Restaurants, die gegrilltes Fleisch – Asado – im Angebot haben, oder Maisfladen, die in Kolumbien Arepas heißen. Auch Ameisenverweigerer werden also satt. Wer dann noch gut zu Fuß ist, für den empfiehlt sich eine Wanderung auf dem Camino Real ins neun Kilometer entfernte Dorf Guane. Dort lassen sich im Museum wieder Fossilien bewundern, vor allem Ammoniten – wie könnte es anders sein.

IN DEN KOLUMBIANISCHEN ANDEN

Anreise: Mit KLM (www.klm.com) bzw. Air France (www.airfrance.com) von Wien über Amsterdam oder Paris nach Bogotá, von dort per Auto oder per Bus weiter durch das kolumbianische Hochland. Nach Villa de Leyva ist man von Bogotá aus etwa dreieinhalb Stunden unterwegs, nach Barichara dauert die Fahrt fünf Stunden.

Übernachten: in Villa de Leyva:

Posada de San Antonio, www.hotellaposadadesanantonio.com

Hotel Campanario de la Villa, www.hotelcampanariodelavilla.com;

in Barichara: Posada Sueños de Antonio, www.suenosdeantonio.com,

Hostal Mision Santa Barbara, http://hostalmisionsantabarbara.com

Reisezeit/Klima: Hauptreisezeit sind Dezember bis März, doch ein Aufenthalt ist das ganze Jahr über angenehm. Im Hochland ist es ganzjährig frühlingshaft warm. März/April und Oktober/November regnet es häufiger als sonst.

Informationen: Procolombia, www.colombia.travel, www.villadeleyva-boyaca.gov.co, www.barichara-santander.gov.co.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2017)

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