Japanische Cafélese: Von Eulen und Betten

Eulen streicheln. Im Ikefukuro kacken die putzigen Tiere den Gästen auch auf den Kopf.
Eulen streicheln. Im Ikefukuro kacken die putzigen Tiere den Gästen auch auf den Kopf.(c) Lena Schnabl
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Katzencafés gibt’s ja auch schon in Europa. Im Ursprungsland des Trends ist man längst weiter: mit einem Eulen-, einem Mittagsschlaf- und einem Musikcafé in Tokio.

Um 14 Uhr an einem Dienstag kackt eine Waldohreule namens Ellen einer Arbeitssuchenden in Tokio auf den Kopf. Die Angekackte nennt sich Johan K., ist 32 Jahre alt und hat dafür zwölf Euro bezahlt. „Hier riecht es doch nach Scheiße“, sagt sie. Hastig eilt eine Angestellte mit einem Taschentuch herbei und hilft beim Saubermachen. Ellen wird fürs Erste auf eine Stange gesetzt. Dann stelzt Christa, eine Südamerikanerin mit fluffigem Federkleid, auf Johans Arm. Ein Raum mit geschlossenen Rollläden, in der Mitte ein paar gepolsterte Hocker, auf die sich kaum einer der 15 Besucher setzt. 13 Eulen hocken zunächst aufgereiht auf Stangen an den Wänden, dann auf Armen und Köpfen der Besucher. Pianomusik dudelt. Es riecht nach Tier. In einer Ecke steht ein Tischchen mit zwei Stühlen. Ein Paar sitzt dort und tätschelt eine kleine Halsbandeule. Getränke in Plastikflaschen gibt’s aus einem kleinen Kühlschrank. Doch es trinkt niemand, die Besucher laden sich Vogel um Vogel auf und schießen Fotos. Willkommen im „Ikefukuro“, einem Eulencafé im Norden Tokios. Neben Katzen-, Ziegen- und Kaninchencafés erleben sie derzeit einen regelrechten Boom in Japan.

Fast wie im Zoo. Die Besitzerin, Mari Asaka, hat ihr Hobby im August 2014 zum Beruf gemacht. Sie arbeitete in einem Schönheitssalon und kaufte sich eine Eule. Dann noch eine, dann noch eine. „War fast wie im Zoo bei mir zu Hause“, sagt sie. Und: „Es ist doch besser, wenn jemand diese Cafés betreibt, der sich mit den Tieren auskennt.“ Also machte sie mit bei dem Hype. Asaka möchte einen Begegnungsort für Eulenfreunde schaffen, eine Eulen-Community. Sie sagt, die kuriosen Cafés seien in Japan so beliebt, weil Japaner viel arbeiten und sich so eine Auszeit gönnen. Dabei besteht die Klientel im Eulencafé nicht aus gestressten Büroangestellten. Johan K. und ihre Freundin Kyrie, 24, die in einer Spielhalle jobbt, haben die Tiercafés zu ihrem Hobby gemacht. Alle paar Wochen probieren sie ein neues aus. Takashi Madayama, 23, jobbt auf dem Bau. Er ist einer der wenigen Männer hier und wurde von seiner Freundin mitgeschleppt. Riko Kobayashi, 20, sucht wie Johan K. Arbeit. Gerade redet sie beruhigend auf eine Kaninchen-Eule ein. „So ist es gut, ich tu dir nichts. Hier ist mein Finger. Siehst du?“ Einmal in der Woche geht sie ins Eulencafé. „Ich vermisse sie sonst, so süß sind die“, sagt sie. Das Eulencafé wirkt wie ein Auffangbecken für Japaner, die nicht in die Norm passen, und das einstündige Eulenstreicheln wie ihre Therapiesitzung. Aber es gibt ja noch viele andere kuriose Cafés in Japan, in die man nicht zum Kaffeetrinken geht. Was soll das eigentlich?

Eigene Musik hören. Ins Musikcafé Lion bringen Japaner ihre Schallplatten mit.
Eigene Musik hören. Ins Musikcafé Lion bringen Japaner ihre Schallplatten mit. (c) Lena Schnabl

Sprechen verboten. Um die japanische Cafékultur zu verstehen, muss man zurück zu ihren Anfängen: ins Café „Lion“ im Stadtviertel Shibuya, spezialisiert auf klassische Musik. Sprechen ist hier verboten. Ein Café wie eine Kirche. Die weinroten Samtsitze sind alle auf den raumhohen Lautsprecher ausgerichtet. Dort steht Keiko Ishihara zwischen ihren zehntausend Schallplatten. Sie ist eine kleine Frau mit sanfter Stimme und bedächtigen Bewegungen und sagt, sie sei „genauso alt wie seine Majestät, der Kaiser“, 81 Jahre. 1926 eröffnete ihr Schwager das Café. Wegen des Drecks der nicht asphaltierten Straßen siedelte er es auf einem Hügel unweit des Bahnhofs an. Man betrieb vier Etagen, vom Keller, wo sich Studentengruppen zum Debattieren trafen, bis zum zweiten Stock. Die Gegend war schon damals belebt, es gab Kabarett, Tanz und Theater. 1945 brannte das Gebäude beim großen Luftangriff auf Tokio nieder, fünf Jahre später wurde es originalgetreu wieder aufgebaut.

Doch die Stadt veränderte sich. Zuerst wurden die Straßen asphaltiert, dann übernahmen Fast-Food-Ketten und Karaokeläden das Viertel. Anstelle der Theater findet man dort jetzt Stundenhotels. Die Gegend um das Café heißt wegen ihrer Dichte auch „Lovehotel Mountain“. Ishihara sagt: „Es war ein Viertel für Erwachsene, jetzt ist es eines für Teenager.“ Früher gab es viele dieser Musikcafés in Tokio. Plattenspieler und Lautsprecher waren den meisten zu teuer. Eingewickelt in Tücher brachten sie ihre Platten ins Lion. Es ist eines der wenigen Musikcafés, die überlebt haben. Auch wenn mittlerweile nur noch Erdgeschoß und erster Stock betrieben werden. Ein handbetriebener Aufzug bringt die Getränke in den ersten Stock, wo der Klang am vollsten sein soll. Dort sitzt ein Bauarbeiter und schläft zu Bach, in der hinteren Ecke sitzt ein Anzugträger und tippt auf einen Taschenrechner ein. Eine junge Frau hat sich ihre Kapuze über den Kopf gezogen und macht Notizen. Jeder ist mit sich beschäftigt. „Manche bleiben den ganzen Tag“, sagt Ishihara. Sie bringen auch heute noch ihre Platten mit – oder CDs. Ein paar Stunden später läuft dann vielleicht die eigene Wunschmusik. Auch der Tenno, der japanische Kaiser, mache das so. „Er sitzt immer hier in der Ecke im Erdgeschoß. Ein schwarzer Wagen wartet vor der Tür, bis er fertig ist“, sagt Ishihara. Daneben kommen Schriftsteller, die an ihren Werken arbeiten. Um nicht aus der Zeit zu fallen, hat Ishihara Steckdosen installieren lassen. Später soll Ishiharas Sohn, ein Elektriker, das Café übernehmen.

Zielgruppen. Die nächsten Gäste? Auf den Straßen von Shibuja.
Zielgruppen. Die nächsten Gäste? Auf den Straßen von Shibuja. (c) Lena Schnabl

Extreme Hobbys. Die Musikcafés waren der Beginn der spezialisierten Cafés. „Japaner haben oft ein ganz extremes Hobby“, sagt Peter Pörtner, Professor für Japanologie an der LMU München und Experte für japanische Populärkultur. Wer bergsteigt, hat vom Hut bis zur Notfalllampe die komplette Ausrüstung parat und kennt auch alle Gipfel der europäischen Alpen auswendig, ohne jemals dort gewesen zu sein. Pörtner sagt, Japaner fühlten sich allein schnell „sabishii“, was einsam oder ungenügend bedeutet. Die Cafés sind also auch Orte, an denen sich Gleichgesinnte treffen, um gemeinsam weniger einsam zu sein.

Den Musikcafés folgten Manga- und Katzencafés. Sie schaffen private Räume im Öffentlichen, andere Welten und Alltagsfluchten. Oft sind sie klar abgegrenzt von der Außenwelt. Im Keller oder mit finsteren Scheiben. In sich gekehrt, wie die Besucher. Auch die amerikanische Anthropologin Merry White nennt die japanischen Kaffeehäuser in ihrem Buch „Coffee Life in Japan“ Oasen, in denen die Gäste im Öffentlichen privat sein können. Und sie geht noch weiter. Sie schreibt, Cafés böten den Besuchern den Freiraum, anders zu sein als im routinierten Alltag. In den Cafés könne man nicht zuletzt eine andere Seite der eigenen Persönlichkeit ausprobieren.

Ist das auch in einem Café der Fall, in dem hauptsächlich geschlafen werden soll? Das „Corne“ befindet sich nahe des Tokioter Bahnhofs im Geschäftsviertel Jimbocho, in dem viele Verlage sitzen. Im Corne stehen acht Betten in einem abgedunkelten Raum, jeweils mit Baldachinen abgetrennt. Ein Diffuseur verbreitet den Duft von Aromaöl.  Es ist ein Café, das sich an gestresste Businessfrauen richtet. Sie können an einem Tresen auf einem Massagestuhl Platz nehmen und mittagessen, sich einen Schlafanzug und ein Kuscheltier ausleihen und sich dann hinlegen. Zehn Minuten kosten 1,20 Euro, wer etliche Stunden schlafen will, bekommt einen Sondertarif. „Das größte Problem sind Schnarcherinnen“, sagt Sakiko Tsukashima, die Chefin hier, „das stört die anderen Schläferinnen“. Tsukashima arbeitete seit 2006 für einen Schlafblog. Durch ihre Umfragen per Blog hat sie herausgefunden, dass japanische Frauen im Schnitt sieben Stunden täglich schlafen. Für viele zu wenig. Und: „Die Leute hat das beschäftigt, das Schlafen.“ Auf dem Weblog klagten auch Frauen, dass es keine Orte gebe, um einmal auszuspannen und ein Nickerchen zu machen. „Manche legten sich in der Mittagspause auf Zeitungspapier ins Treppenhaus der Firma oder schliefen im Sitzen vor dem Computer.“ Ende 2013 eröffnete Tsuka­shima ihr Schlafcafé. Im Corne können die Frauen zwischen verschiedenen Kissentypen wählen und sich nach dem Schlafen im Make-up-Bereich frisch machen.

Gedrängt. Ein Schläfchen halten gestresste Japanerinnen im Corne.
Gedrängt. Ein Schläfchen halten gestresste Japanerinnen im Corne. (c) Lena Schnabl

Halboffizielle Trinkgelage. Eine Verlagsangestellte Mitte 30 kommt aus dem Schlafzimmer, der verwischte Blick deutet an, dass sie noch nicht ganz angekommen ist in der Wachwelt. Sie komme immer hierher, wenn sie abends Überstunden machen müsse, um einen Abgabetermin einzuhalten. Nach einem Schlummer könne sie viel effektiver arbeiten, sagt sie. Ein-, zweimal im Monat verbringe sie eineinhalb Stunden im Corne. Ein leichter Snack, eine Augenmaske, eine Stunde die Füße hochlegen.

Im Gästebuch bedankt sich eine Yogalehrerin, weil sie zwischen zwei Unterrichtsstunden entspannen konnte, eine Büroangestellte, weil sie die halboffiziellen Trinkgelage nach der Arbeit nicht ohne das Schlafcafé durchstehen könnte, und eine Touristin aus Kyoto, weil sie zwischen Sightseeing und Shopping kurz durchatmen konnte. „Ein schöner Schlafanzug und ein gemütliches Kissen. Ich konnte alles andere vergessen. Solche Cafés, es müsste sie überall in Bahnhofsnähe geben.“

Die japanische Cafékultur reagiert nicht zuletzt auf Mängel der japanischen Gesellschaft. Weil man in den dünnwandigen Holzhäusern keine laute Musik hören kann, entwickelten sich Cafés wie das Lion. Weil nicht jeder eine Eule zu Hause in der kleinen Mietwohnung halten kann, Orte wie das Ikefukuro; und weil Frauen zwischendurch in Ruhe schlafen können sollen, das Corne. Daneben kann man in speziellen Cafés Reptilien füttern, sich die Ohren putzen oder von Butlern bedienen lassen. Für jeden Tick ist etwas dabei. Nur Kaffee trinken und quatschen mit Freunden kann man in den kuriosen Cafés in Tokio eher nicht.

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