Rund um die ganze Arktis

2019 gehen die neuen Expeditionsschiffe von Hapag-Lloyd, die Hanseatic nature und Hanseatic inspiration, auf große Fahrt. Absolutes Highlight im Expeditionsprogramm ist die Umrundung der Arktis mit der Bremen 2020.
2019 gehen die neuen Expeditionsschiffe von Hapag-Lloyd, die Hanseatic nature und Hanseatic inspiration, auf große Fahrt. Absolutes Highlight im Expeditionsprogramm ist die Umrundung der Arktis mit der Bremen 2020.(C) HL-Cruises (2) S. Friedhuber/iStock
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Weltpremiere. Hapag-Lloyd Expedition Cruises plant jedes Jahr neue Routen. Für 2020 hat man das „heftigste Expeditionsprogramm“ ever vorbereitet: Es geht erstmals nicht nur in, sondern auch rund um die ganze Arktis.

Hapag-Lloyd Cruises steht für Expeditionskreuzfahrten mit zwei kleinen, aber komfortablen Hochseeschiffen der höchsten Eisklasse mit geringem Tiefgang, der es erlaubt, auch flache Küstengebiete wie im kanadischen Eismeer und Flüsse wie den Amazonas zu befahren. Expeditionskreuzfahrten sind Touren mit Studienreisecharakter. Die Ziele sind entlegene Regionen, die Arktis, Antarktis, die Südsee, eher unbekannte Inseln wie etwa vor Japan oder den Philippinen, die Aleuten, Alaska oder Kamtschatka, kleine Häfen, abgelegene Ziele, wo die Gäste mit Zodiacs anlanden können. Jedes Jahr sind neue Routen im Programm, die vom „Produktteam“ von Hapag-Lloyd Expedition Cruises erarbeitet werden. Die Vorbereitung wird Scouting genannt und kann Jahre dauern kann. Für die Nordostpassage, eine Strecke von 5500 Seemeilen, für die das Schiff 23 Tage braucht, dauerte das Scouting nicht weniger als zehn Jahre.

 Franz-Josef-Land.
Franz-Josef-Land.(c) Getty Images/iStockphoto (SeppFriedhuber)

Am Beginn steht eine Idee für eine neue Route. Es folgen gründliche nautische Recherchen, das Studium von Seekarten, der Austausch mit den Kapitänen, Lotsen, Behörden und Agenten, wenn möglich vor Ort. Das Team prüft die beste Jahreszeit, ob die Route in den Fahrplan passt, und die touristischen Gegebenheiten. Ein zusätzliches weiteres Scouting findet vor Ort zu genau dem geplanten Reisezeitpunkt der Expeditionsreise statt, um die Wetterbedingungen und die örtlichen Gegebenheiten zu den Jahreszeiten der geplanten Reise zu checken. Die neue Route muss sicher sein, weiters logistisch erfüllbar. Die Erreichbarkeit muss zu 100 Prozent gesichert sein, ebenso die Versorgung mit Treibstoff und Proviant. Etwa zwei Jahre nach dem Scouting findet die neue Expedition dann statt.

Gespräch

Wir haben mit der Leiterin des Produktteams von Hapag-Lloyd-Cruises, Isolde Susset, in Hamburg ein wenig geplaudert.

Sie haben wirklich tolle, spannende Aufgaben. Job. Beneidenswert. Wie kommt man zu so einem Job?

Viel arbeiten. Ich bin jetzt 56. Bei Hapag Lloyd bin ich seit 1988. Ich hab Touristik-Betriebswirtschaft studiert und bin dann sechs Jahre zur See gefahren, während des Studiums und danach.“

Auf welchem Schiff? Und in welcher Position?

Verschiedene Schiffe, verschiedene Jobs.. HL war damals ja noch ein Vollsortimenter – ich bin auf Flussschiffen gefahren, hab‘ Flugreisen gemacht, war auf Hochseeschiffen, auf der ,Bremen‘ bin ich gefahren auf Expeditionstouren, auf der Hanseatic, sehr viel auf der Vorvorgängerin der ,Europa‘, auf der ,Arcona‘, der ,Astor‘ – überall.

Das waren noch wirklich schöne, klassische Schiffe, keine Schwimm-SUVs für 4000 Gäste?

Ja, mit viel Holz, Messing und schönen Treppenhäusern. Heute hat sich dass alles geändert – früher fand ich das ganz super. Jetzt wären mir die Schiffe zu dunkel. Unsere Schiffe sind ja viel kleiner, keine Chrom-Glas-Paläste. Man ist immer noch Schiff, aber hell und luftig. In der Generation meine Großeltern war das Mobiliar dunkler, rotes Kirschholz – heute macht man das nicht mehr, die Geschmäcker haben sich geändert. Früher waren das – Gott sei Dank ist das bei uns auch heute noch so – noch Schiffe. Bei den extrem großen Pötten hab ich nicht mehr das Gefühl, dass das noch ein Schiff ist. Deswegen haben wir ja auch nur kleine Schiffe.“

Und jetzt kommen noch zwei dazu.

Ja, im April 2019 die Hanseatic nature und im Oktober 2019 die Hanseatic inspiration, mit  jeweils 230 Betten.

Wofür steht „inspiration“?

Für unsere ganze Entdeckerwelt. Unser Designkonzept ist „inspired by nature“, unsere Schiffe bereisen ja die ganze Welt, wir fahren ins Eis, in die unberührte Natur, auf dem Amazonas bis Iquitos (Peru), nach Papua-Neuguinea, auf die Salomonen, wir fahren hoch bis Thule in Nordwestgrönland – es ist für die Leute eine Form von Entdecken, sich zu inspirieren, Natur zu erleben, all das sollen die Neubauten im Innenbereich darstellen. Das, was die Leute an erleben, wird mit an Bord geholt.

Bunkerplatz, was bedeutet das? Und warum sind sie so wichtig für die Routenplanung? Das heißt wohl, dass das Schiff an einer Mole anlegen und Proviant aufnehmen kann? 

Ja. Unser Fahrplan führt uns ja in extreme Gegenden, in der Südsee, in Papua-Neuguinea, zu den Salomonen oder die Marshal Inseln, sei es auf dem Amazonas bis weit hinauf bis Iquitos im Osten von Peru, sei es die Semicircumnavigation (Halbumrundung der Antarktis). Dafür ist neben der richtigen Jahreszeit der Bunkerplatz extrem wichtig. Wo bekomme ich mit hunderprozentiger Sicherheit Proviant und Bunker, also einmal Essen für die Leute, und einmal was zu essen für das Schiff.

Wo bunkern Sie zum Beispiel auf den Salomonen?

Auf den Salomonen geht’s gar nicht, das ist eine remote area, das muss ich schauen, wo schiffe ich ein, wo schiffe ich aus, wo kriege ich die Leute, wo kriege ich Bunker? Wir haben ja den Vorteil, dass wir 36 Tage autark fahren können, das bedeutet, ich muss erst nach 36 Tagen wieder proviantieren und bunkern – deswegen können wir ja auch die Semicircumnavigation fahren –in 35 Tagen von Ushuaia über das Ross Schelfeis, die amerikanische Station Mc Murdo nach Neusseland. Gebunkert wird in Ushuaia und das nächste Mal wieder in Bluff, an der Südspitze der Süd-Insel Neuseelands. Das sind mehr als 3400 Kilometer, in Luftlinie! Es können aber mehr werden, unter Umständen müssen wetterbedingt Umwege geschippert werden. Ganz wichtig ist auch, dass ich auch wirklich nach Bluff fahre und nicht irgendwohin, wo ich keinen Bunker mehr bekomme. Der Treibstoff und der Proviant sind bestellt und reserviert, in anderen Häfen würde das Schiff leer ausgehen.

Wie viel Treibstoff tankt das Schiff zum Beispiel in Ushuaia für die Semicircumnavigatio?

Circa 307 metrische Tonnen Marinegasöl.

Haben Sie selbst die Halbumrundung schon gemacht?

„Nein, ich glaube, mein Chef lässt mich nicht. Tja, 35 Tage Urlaub haben die wenigsten, und ich muss ja auch noch an- und zurück reisen. Und dann muss ich mich vorher erholen und danach erholen.

Die Halbumrundung der Antarktis ist voll ausgebucht?

Ja, wir haben das große Glück, dank der Erfahrungen der Kapitäne, der Crew, der Scouts, aber auch des Marketings, dass wir Routen fahren können, die vom Markt sehr gut angenommen werden. Dass wir wirklich – toi-toi-toi – sehr sehr gut gebucht sind, die Expeditionskreuzfahrten sind zu 99 Prozent ausgebucht.

Woraus bestehen die „Produktteams“, jene Leute, die neue Routen scouten und die Fahrpläne erstellen?

Die bestehen aus „Port operation“, das sind die, die die Häfen anmelden, die schauen, dass wir Schlepper und Lotsen bekommen, dass einfach alles rund um den Hafenanlauf, die ganzen Genehmigungen über unsere Agenten vor Ort abwickelt werden, damit wir z. B. in die Antarktis fahren dürfen. Dann gibt es das „Groundhandling“, das Management der An- und Rückreisen, die Transfers, Übernachtungen – alles rund ums Produkt, zum Beispiel die Analandungen, weiters das Produktmarketing. Zu den Produkteams zählen natürlich auch die Produktmanager und ich.

In Summe sind das nur acht Leute, die alle am Anckelmannsplatz in Hamburg sitzen?

Ja, teilweise kommen sie vom Schiff selber, haben als Chief purser auf dem Schiff gearbeitet und kennen die Verhältnisse vor Ort, was immer hilft. In die remote areas kann man ja nicht schnell mal hinfliegen und alles regeln. Dort ist man auf die lokalen Agenten angewiesen, zum Beispiel in Ushuaia. Der kleine argentinische Hafen ist in der Antarktissaison, im europäischen Winter, ein extremes Nadelöhr. Wenn hier ein größeres Schiff anlegt, braucht es den Platz von zwei kleinen Schiffen. Wenn etwa die Midnatsol von Hurtigruten mit ihren mehr 600 Passagieren in Ushuaia anlegt, braucht sie mehr Platz als Bremen und Hanseatic zusammen. Das Timing muss stimmen, zumal heutzutage mindestens 40 Expeditionsschiffe in der Antarktis unterwegs sind, viele davon aber mit weniger als 200 Passagieren. Die Bremen etwa hat nur Platz für 155, die Hanseatic für 175.

Was bedeutet die höchste Eisklasse E4?

„Die baltische Eisklasse, die höchste Eisklasse für Passagierschiffe. Mit E4 kann man durch bis zu 50 Zentimeter dickes Eis. Das klingt nach nicht viel, ist aber ausreichend. Wir fahren ja nur im Antarktischen Sommer, wenn das Eis nur noch in Schollen treibt – wir sind keine Eisbrecher. Wir fahren ja nicht durch geschlossene Eisflächen, aus denen man nicht mehr zurück könnte.

Warum denkt Hapag-Lloyd nicht daran einen Eisbrecher zu erwerben? Zu unwirtschaftlich?

Ja, ein Eisbrecher macht ja nur richtig Sinn, wenn ich zum Nordpol fahre. Ich kann aber nur dreimal im Jahr zum Nordpol. Und die restliche Zeit haben die Passagiere nur ein ganz kleines Schiff mit wenig Komfort. Kreuzfahrtschiffe muss man aber 365 Tage im Jahr betreiben. Wir dagegen haben jeden Komfort und können den Gäste an Land jene Erlebnisse ermöglichen, derentwegen sie in die Antarktis fahren. Oder auf dem Amazonas. An Bord der Bremen brauche ich mich nicht in ein Stockbett quetschen. Ich habe große Kabinen, Restaurants, eine Bibliothek, eine Panaoramalounge – ich hab‘ die Auswahl.

Werden die Recherchen der Scouts und Agenten vor Ort von HL bezahlt?

Unterschiedlich. Viele Dinge in Gebieten, wo wir neu hinfahren, kann man im Großen und Ganzen Gar nicht recherchieren. Sie brauchen zum Beispiel ein Schiff, etwa auf die Marshal Inseln. Das kostet viel Geld und viel Zeit. Die Recherche läuft sehr stark über Menschen, die schon einmal dort waren, heute haben wir auch den Vorteil des Internets, da kriegt man schon sehr viel, oder man schreibt Leute an und fügt dann so eine Reise zusammen. Mit den eigenen Erfahrungen und jenen von anderen. Und dann sind wir ja auch ganz ehrlich zu den Gästen. Wir sagen, sie sind die Pioniere, sind die Entdecker, keiner war ja vorher da, deswegen können wir auch mit keinem Schiff dahin gehen.“

Vor ein Paar Jahren plante Hapag-Lloyd eine Tour nach Sibirien und schickte ein Team hin – aber der Markt hat die Fahrt nicht angenommen.

So was geschieht auch. Die Leute erwarten bei einer Expedition die Themen Natur, Tiere, Pflanzen, Erlebnisse – viel Natur gibt es ja in Sibirien. Aber sonst? Und für Fahrten etwa die Lena hinauf sind die Schiffe zu groß. Das wollte ich auch immer. Ich wollte auch zum Ladoga See. Geht auch nicht. Leider ist davor eine niedrige Brücke. Es war immer mein Traum, mit der Bremen von St. Petersburg nach Moskau zu fahren. Geht aber nicht. Wegen dieser Brücke.

Wie lief das Scouting für die Nordostpassage ab, die die Hanseatic 2014 als einziges nicht russische Kreuzfahrtschiff befahren hat?

Dafür haben wir mit sehr vielen vielen Menschen zusammengearbeitet, mit Lektoren, die schon mit einem Eisbrecher dort waren, Leuten, die Franz-Josef-Land kennen, den anderen Bereich von Nome (Alaska) kennen wir ja selbst. Manche Kapitäne haben schon davor aus purem Interesse jahrelang die Eiskarten studiert und das passende Timing für die Route und die Anlandungen. Die Routen- und Ausflugsplanung ist ein Zusammenfügen von zahllosen Informationen Vor allem aber ist die Nordostpassage extrem stark vom Genehmigungsverfahren der Russen abhängig. Die kostet wirklich viel. Und man muss man richtig gute Kontakte haben. Für die Nordostpassage braucht man letztlich den Stempel der Number one in Russland. Wir haben einmal die Schriftstücke, Stempeln, Gebühren und Formulare, die wir brauchen, gezählt. Kurz vor 2000 haben wir aufgehört – der bürokratische Auswand ist immens. Und wenn ich schon 1999 Stempel habe, heißt das immer noch nicht, dass ich auch den letzten bekomme. Fehlt der letzte,  dann geht‘s eben nicht. Verlorenes Geld, verlorene Zeit, vergebliche Mühen. Man fährt ja auch teilweise durch russisches Militärgebiet.

Ist die Nordostpassage landschaftlich so spannend wie die Nordwestpassage?

Sie ist länger, 5500 Seemeilen, und hat lange Strecken, die nicht ganz so attraktiv sind. Aber es ist immer eine Frage der Definition. Wenn sie über Franz-Josef-Land fahren, dann ist das schon noch sehr ursprünglich, das Eis, die vielen Eisbären, die geologischen Formationen – aber es gibt auch Anlandungen, das sehen Sie nur Schrott. Aber das sind historisch bedeutsame Gebiete. Wenn man erklärt bekommt, was da alles geschehen ist, wer hat hier überwintert bei minus 40 Grad, wer da umgekommen ist. Die NO-Passage ist mehr geschichtlich geprägt.

(Anm. der Red.: Im Sommer 2014 (15. August bis 7. September) durchfuhr die Hanseatic als erstes nicht-russisches Passagierschiff die Nordostpassage von Prowidenija bis Murmansk, also von Osten nach Westen. Auf dieser Fahrt gelangte das Schiff am 27. August 2014 auch an den nördlichsten Breitengrad der Erde, den bisher ein Nicht-Eisbrecher erreichte: 85° 40‘ 447‘‘ N. 2015 durchfuhr die Bremen diesen Seeweg als erstes nicht-russisches Passagierschiff von Westen nach Osten).

Aber auch die NW-Passage ist landschaftlich, wenn das Eis fehlt, in bestimmten Gebieten, vor allem im Westen, nicht so irre attraktiv. Je weiter in Richtung nördliches Alaska, desto weniger, aber davor ist sie wunderbar, etwa Gjöa Haven, wo Amundsen zweimal auf seiner Erstbefahrung der Passage überwintern musste, oder Cambridge Bay auf Victoria Island, ein Ort mit viel Geschichte“

(Anm.: ein sommerlicher Treffpunkt der Copper Inuit und 1927 gegründeter  Handelsposten der Hudson Bay Company, wo auch das Wrack der ,Maud‘ liegt, jenem Motorsegler, mit dem Roald Amundsen 1918 und 1925 zwei Forschungsfahrten im Eismeer unternahm und dem er die Nordostpassage befahren hatte).

Oder Herschel Island, eine alte Walfänger- und Handelsstation. Oder die 100 Kilometer lange Steilküste mit den berühmten ,Smoking Hills‘, die der verschollene Polarforscher John Franklin entdeckte. Wenn Sie gutes Wetter haben, sieht man rauchende Berge, wenn Sie Nebel haben, sehen sie null. Aber denken Sie an Norwegen, die schönsten Fjorde Europas: Wenn im Geiranger Fjord Nebel liegt und/oder es regnet, ist er auch nicht erbauend. Ich glaube, wer die NW- oder NO-Passage bucht, dem geht es vor allem um die Historie, eine Geschichte des Leidens in extrem menschenfeindlicher Natur,  polarer Kälte, peitschenden Schneestürmen, der Gefahr, im Eis eingeschlossen zu werden, zu verhungern und erfrieren.

Die meisten der – bekannten – Toten hat die Nordwestpassage gefordert. Vor kurzem wurden die beiden Schiffe der 1845 gestarteten Franklin-Expedition, die nach zwei Überwinterungen in einer Katastrophe endete, gefunden, in geringer Tiefe. Manche Expeditionskreuzfahrt planen schon Tauch-Ausflüge zu den beiden Schiffen. Und jeder nimmt sich dann ein Stückchen Souvenir mit – so wird Geschichte zerstört. Das sind touristische Auswüchse. Das ist Geschichtsdiebstahl, Fledderei – und dabei bewegen wir uns in Luxus gebettet auf den Spuren von Menschen, die ihren eigenen und den Tod ihrer Mannschaften riskiert haben.

Grabräuberei in der Arktis, wer weiß, wie lange Expeditionskreuzfahrt-Anbieter sich dem verweigern können?

Solange ich hier sitze, wird HL Cruises das nicht anbieten.

Wird HL 2018 sowohl die NO- als auch die NW-Passage befahren?

Nur die NO-Passage, mit der Bremen.

Schon ausgebucht?

Nö, ich glaub, wir haben noch eine Kabine. Und auf einer Reise, wo’s zwölf Tage nur Wasser zu sehen gibt, haben wir auch noch ein paar Kabinen. Ich glaube, mit dem Routenkonzept, das wir mit unseren Kapitänen, Lektoren und Experten erstellen, können wir unsere Schiffe optimal einsetzen – mit dem, was wir gut können und mit dem optimalen Erlebniswert für unsere Gäste, mit dem Konzept Außen – Landschaft, Natur –, aber auch mit dem Konzept Innen, mit den Lektoren. Das eine ist, das Draußen zu sehen, das andere ist, das Draußen drinnen zu verstehen, die Geschichte, die Flora, die Fauna. Was sehr gut angenommen wird, sind die Pre- und Re-Caps (Vorbereitung, Nacharbeitung), Lektoren und der Expedition Leader sitzen dann vor dem Abendessen im Auditorium, und erzählen, was man heute gesehen hat oder morgen sehen wird. Die Gäste können Fragen stellen. Wenn du zum ersten Mal in der Antarktis bist und zum ersten Mal Hundertausende Pinguins sieht, siehst du sonst nichts mehr. Die Re-Caps informieren dich darüber, was du nicht gesehen hast.

Wer sind die Kapitäne für die Expeditionskreuzfahrten?

Thilo Natke ist unser dienstältester und erfahrenste Expeditionskäptn, er hat sehr stark bei der NO-Passage mitgewirkt und sie auch als erster befahren hat. Jetzt hilft er auch bei den Neubauten und hat auch den Polar Code der IMO (International Maritime Organisation) durchgesetzt, eine Zertifizierung, die das Befahren polarer Regionen gestattet. Unser Jüngster ist Axel Engeldrum, auf der Bremen fährt Björn Gottschalk, ein Rheinländer, und Roman Obrist, ein Schweizer.“

Kein Österreicher dabei… 

Die Österreicher landen alle im Hotelbereich, wo der Zugriff aufs leckerste Essen und die Getränke am leichtesten ist. Die wissen schon genau, wie sie's machen.

Gründliche nautische Recherchen sind ausschlaggebend für neue Routen. Sie stützen sich zuvorderst auf Seekarten. Deutsche, amerikanische, kanadische in den polaren Regionen?

Die wichtigsten sind die britischen Seekarten, das kommt auch aus dem kolonialen Erbe. Die britischen sind auch die Basis für die elektronischen Seekarten. Im Expeditionsgebiet arbeiten wir aber noch sehr viel mit Papierseekarten, weil die elektronischen unsere Gebiete gar nicht abdecken. Wenn wir dann Detail-Seekarten brauchen, greifen wir auf die nationalen Seekarten zurück. Sehr sehr gute Seekarten sind die russischen im Gebiet russische Arktis, die kanadischen für ihre Regionen – die Basis der Seekarten sind aber die britischen. Immer noch.

Heutzutage hat doch jedes Schiff elektronische Seekarten…

Die elektronischen Seekarten sind sehr stark für die sogenannte „Tunnelschifffahrt“ präpariert, die immer ähnliche Routen befahren. Dafür lohnt sich der Aufwand.  Aber  für viele Routen, die wir nur alle zwei Jahre befahren, lohnt es sich nicht, sie in ein elektronisches System einzuspeisen. Für manche Regionen gibt es gar keine elektronischen Karten. Deswegen haben wir auch immer noch unsere eigenen Karten, die wir selber aktualisieren. Nach jeder Fahrt auf einer selten befahrenen Route überprüfen die Kapitäne die Karten und  tragen Veränderungen ein, zum Beispiel geringere Tiefe oder veränderter Küstenverlauf. Die Seekarten von diesen besonderen Reisen werden in einem zentralen Archiv aufbewahrt und quasi alle zwei Jahre aktualisiert.

So findet sich neuerdings auf den Karten die Bremeninsel und der Bremen Channel vor der antarktischen Halbinsel. 2003 hatte die Bremen diese bis dahin unbekannte Insel entdeckt, die Gäste konnten den Kanal mit Zodiacs befahren. Der British Antarctic Survey bestätigte die Entdeckung. Daraufhin durfte Hapag-Lloyd beim Bundesamt für Kartographie und Geodäsie Namensvorschläge für den Kanal und die Insel einreichen: Bremeninsel und Bremenkanal. Neuentdeckungen sind also auch heute noch möglich.

Die Ausdehnung des arktischen Meereises und der arktischen Gletscher schwinden rasant. Werden die Eisklassen bald nicht mehr notwenig sein?

Nein, das große Schmelzen heißt nicht, dass man in polaren Regionen auf keine Hindernisse mehr stößt. Wir hatten vor kurzem große Probleme in Kanada. Die Hanseatic hatte tagelang mit Treibeis zu kämpfen, sie konnte da und dort nicht weiter, sondern musste zurück, eine andere Route nehmen. Probleme wird weiterhin das schmelzende alte Festeis bereiten, ein- und mehrjähriges Eis, das sich von den Küsten löst und von Wind und Strömungen getrieben unberechnbar herumdriftet, in Stückchen zerbricht, die aber so groß sind wie halb Hamburg, weiter  zerbrechen und unberechenbar werden.“.

Ist das antarktische Eis berechenbarer?

Nein. Früher konnte man Elephant Island ab Mitte Jänner anlaufen. Vor drei Jahren konnte man die Insel aber erst Ende Februar ansteuern. Andererseits gibt es auch antarktische Sommer ganz ohne Eis, abgesehen von Eisbergen, die sich vom Schlefeis und den Gletschern lösen.

Welche Wetterdienste verwendet HL?

Wir haben einen Vertrag mit AWT – Applied Wheather Technology, aus den USA: Die schicken uns die Prognosen per e-Mai. Zusätzlich nutzen wir die örtlichen Wetterdienste. Sehr beliebt ist die norwegische Wetterprognose, die Windstärke, Windrichtung, Wellenhöhe, Meeresströmungen, Niederschlag etc. bieten. Die Eiskarten stellen die jeweiligen Länder kostenlos zur Verfügung, Norwegen für Spitzbergen, die Dänen für Grönland, Kanada und die USA für die NW-Passage. „Aber zusätzlich noch haben wir bezahlte Eisdienste, zum Beispiel Drift Noise mit Sitz in Bremen. Dreimal am Tag bekommen wir von diesem ganz neuen Dienst die genauen Eiskarten für unser Gebiet.

Welche Unwägbarkeiten gibt es noch?

Unberechenbar ist auch die Fauna. Vergangenes Jahr konnten wir auf Spitzbergen viele Attraktionen nicht anfahren, weil extrem viele Eisbären da waren. Selbst in Ny Alesund sind die Leute mit dem Gewehr herumgelaufen. Heuer haben wir Spitzbergen umrundet und haben keinen einzigen Eisbären gesehen. Die Wahrscheinlichkeit, auf Spitzbergen Eisbären zu sehen, ist aber grundsätzlich sehr groß. Das steht auch so im Katalog. Aber es gab nur selten Jahre ohne Eisbären. Genau das erwarten die Gäste auf einer Spitzbergenreise – Eisbären, Walrosse, Robben – Seevögel, die es immer gibt, sind nicht genug.

HL hat auf seinen Schiffen die Stabilisatoren auf Bio-Öl umgerüstet. Das riecht nach Marketing-Gag.

Nein, das ist einer unsere Beiträge zum Schutz der Umwelt. Ein anderer ist, dass wir in den remote areas wie Spitzbergen, Island und der Antarktis nicht mit Schweröl, sondern mit Marinegasöl. Seit ich denken kann, fahren wir in diesen Regionen mit diesem Treibstoff, obwohl wir damals schon wussten, dass er viel teurer ist. Damals war das auch noch nicht Pflicht.

Welche Reise waren am schnellsten ausgebucht?

Die Südseereise der Bremen mit den Marshall-Inseln, wo vorher noch kein Schiff war. Und die NO-Passage mit der Hanseatic  - die Realisierung 2014 war der größte Traum für alle, die diese Passage organisiert haben – und für die expeditionsaffinen Gäste der größte Traum ihres Reiselebens. Die Reise war schon ausgebucht, bevor der Katalog erschienen ist. Und bevor die Preise feststanden. Seit 2003 befand sich ein Ehepaar, das Susset kennengelern hatte, auf der Warteliste. Die meinten, egal wann die Reise stattfindet, wir wollen die und die Kabine. Die günstigste Kabine kostete damals übrigens 23.000 Euro, pro Person!

Wohin geht’s 2019? Dann sind ja schon die zwei neuen Schiffe unterwegs…

Mit den neuen Schiffen haben wir ein ganz Besonderes vor. Wir werden 2019 mit der Hanseatic ,inspiration‘ zu den großen Seen fahren. Und von Toronto über Neufundland in die kanadische Arktis. Weiters wurde das Antarktisprogramm intensiviert. 12 Tage, 16, 18, 20 – für jeden etwas. Anfangs werden wir mit der Hanseatic nature sogenannte 9-Tage-Einführungsreisen machen, sozusagen ,Jungfernreise 1, 2, 3, 4, 5“. Und um das Schiff bekannter zu machen, werden wir sehr viele irische, schottische und norwegische Häfen anlaufen. Und Mitte Juni 2019 beginnen wir mit dem zweimonatigen Arktisprogramm. Rund um Spitzbergen, in die kanadische Arktis. 2020 wird die ,nature‘ die NW-Passage fahren. Und die Bremen wird zum ersten Mal die ganze Arktis umrunden!

Die ganze Arktis, das ja eine eine Weltpremiere, um nicht zu sagen, eine Sensation!

Ja, nicht mehr und nicht weniger. Wir werden in Longyearbyen anfangen, über Spitzbergen, über die kanadische Arktis, die NW-Passage in Alaska vollenden und über die Beaufort Sea anschließend die Nordostpassage fahren. (Susset lächelt stolz und versonnen). Einmal rund um die Arktis, in 72 Tagen. In drei Teilstücken. Das hat’s in der Geschichte von Hapag-Lloyd noch nicht gegeben. Und dann werden wir im gleichen Jahr von Kap zu Kap fahren, von Kapstadt über Kap Hoorn in die Antarktis und anschließend geht’s  wieder zur Halbumrundung der Antarktis. Das  heftigste Expeditionsprogramm, das wir je hatten  wirklich ganz neu ist die Arktisumrundung, die in Bergen endet – ich wüsste kein Schiff, das das schon gemacht hat, außer vielleicht Eisbrecher.

Verkauft wird diese Tour in drei Etappen?

Ja, aber auch in einem Stück, es gibt allerdings nicht so viele Gäste, die 72 Tage Zeit haben. Vorrang haben natürlich jene Gäste, die alle 72 Tage buchen wollen. Dafür braucht man neben der Zeit aber auch die Affinität dazu – so eine Reise ist schon etwas Extremes, noch dazu in extremen Gebieten. Ich schätze, dass nicht mehr als sechs bis zehn Personen die ganze Umrundung buchen werden. 72 Tage im Eis, in viel Landschaft und viel Historie, mit wenig Menschen und Orten, und es ist eine richtig lange Strecke – insgesamthaben wir mit 14.286 Seemeilen gerechnet, das sind 26.457 Kilometer!

Was wird die Aktisumrundung  kosten?

Das steht noch nicht fest. Das Pricing muss ich erst im Jänner fertig haben – ich darf sagen, es ist ein Privileg, ein Schiff ganz ohne Preise verkaufen zu können.

Wo waren die beiden Expeditionsschiffe noch nicht?

In München. Und in Wien auch nicht.

Was steht sonst noch auf dem HL-Radar?

Man kann die Welt nicht mehr neu erfinden. Die 26 Tage auf der NO-Passage war etwas Neues, weil niemand die Genehmigung dafür bekommen hatte. Alles andere war ja schon da. Die Marshal Inseln waren auch etwas Neues, weil sich bis dato keiner dahingetraut hatte. Was wir gerne machen, ist etwas gänzlich Neues oder die Zusammenstellung von Bekanntem. Zum Beispiel die Azoren. Jeder kennt die Azoren. Aber keiner hat alle neun Insel in einem Stück bereist . Auch das ist eine Premiere. Oder, vorletztes Jahr, die Hanseatic mit den Kanalinseln. Alle kennen Sark, Guernsey, Jersey. Aber Herm und Alderney? Oder komplett unbekannte philippinische Inseln. Oder unbekannte japanische Inseln an der Westküste, die die Bremen dieses Jahr angesteuert hat – in dieser Kombination hat’s noch keiner gemacht. Es sei immer wieder eine Herausforderung, Ziele zusammenzufügen und einen neuen Blick darauf zu bekommen.

Wie läuft das Scouting in entlegen Gebieten ab?

Wir können keine Scouts in wirklich entlegene Gebiete schicken, wenn schon die Anreise von Europa tagelang dauert, und dann auch noch die Rückreise. Möglicherweise säßen die Scouts auch noch eine ganze Woche auf der Insel, weil es nur einmal pro Woche eine Flugverbindung gibt. Auf den Philippinen zum Beispiel verlassen wir uns auf die Agenturen vor Ort. Die schicken jemanden dorthin und hauen die Kosten dafür dann auf die Anlandungspreise drauf. Aber es kommt auch vor, dass ein Agent einfach im Urlaub die Insel im Urlaub besucht und scoutet. Wenn es gute Seekarten gibt, wir die Gegend aber nicht kennen wie zum Beispiel die Kap Verden, diese vielen Inseln, von denen die meisten nicht bekannt sind, dann schicken wir einen Touristiker hin.

Ist das Scouting schon einmal schiefgelaufen?

Das beste Scouting nutzt nichts, wenn die Natur nicht mitspielt. Für eine Südseereise haben sich die Scouts für ein Picknick am weißen Sandstrand eine schmale, flache Insel ausgesucht. Als die Gäste tags darauf mit ihren Zodias die Insel angesteuert haben, war sie einfach nicht mehr da. Weggespült, überschwemmt, abgetragen von Wind und Wellen, wer weiß…“ Gambia war auch Niederlage. Alles wurde im Oktober des Vorjahres gescoutet. Im September des nächsten Jahres fand die Tour statt – die Picknick-Insel, die die Scouts ausfindig gemacht hatten, war nicht mehr da!  Die gibt’s, wie wir jetzt wissen, nur im Oktober. Anschließend ging’s den Gambia River hinauf. Ebbe und Flut kommen hier wie überall auf der Welt zu einer bestimmten Zeit. Wir hatten die Hälfte der Gäste draußen. Auf einmal kam die Flut mit so einer Wucht, dass wir mehr als vier Stunden gebraucht haben, die Leute wieder reinzubringen, die waren alle pitsche-patsche-nass.“

Gästezahlen? Umsätze? Gewinne?

Dürfen wir nicht preisgeben. Wir dürfen nicht alles kommunizieren, was wir möchten. Aber wir können sagen, dass wir so gut wie ausgebucht sind bei den Expeditionsreisen. HL hat einen Vollauslastung von 86 Prozent – weil wir immer noch Kabinen für Künstler, Lektoren, Eisbärenwächter oder wie auch immer haben. Das heißt, dass Crew-Mitglieder der Crew im schlimmsten, für den zahlenden Gast aber positiven Fall, zusammengelegt werden.

Restriktionen von Seiten der Behörden?

Ja, täglich! Zum Beispiel in der NW-Passage. Hier war es nie ein Problem, an den Smoking Hills an Land zu gehen. Jetzt haben uns die Kanadier vor fünf Tagen per Mail die Genehmigung entzogen, die sie uns schon gegeben haben, weil sie unsererseits eine neue Umweltstudie benötigen vorher. Eine Umweltstudie in vier Tagen zu erstellen, ist unmöglich. Wir erstellen sie für nächstes Jahr oder liefern die, die wir für die Antarktis haben. Aber nein, schrieben sie, sorry, not possible.“ Anderes Beispiel: HL war in der Tschukotka unterwegs (NO-Passage). Kam eine Woche vorher die E-Mail, keine Anlandungen! Dann beginnt man natürlich zu streiten, zu diskutieren, manchmal hat man Erfolg, oft toi-toi-toi., aber manchmal darf man bestimmte Gebiete nicht oder anlanden. Oder irgendwelche Marineschiffe sind da und du hast keinen Liegeplatz mehr – kann alles passieren. Es gibt immer Überraschungen. So hat man uns Bunker für Belem am Amazonas versprochen. Aber wir bekamen ihn nicht. Dann musst du weiter nach Manaus. Aber das ist ja auch das Interessante. Sonst könnte man ja auch Hamburg-Hamburg fahren…“

Neue Routen

Routenvorschau. Die beiden fast baugleichen Expeditionsschiffe Hanseatic nature und Hanseatic inspiration setzen das Routenkonzept von HL fort: Reisen in die Arktis im europäischen Sommer und in der Antarktis im europäischen Winter. Zudem steuern sie den Amazonas, die chilenischen Fjorde, alle Azoren und die Kapverden an. Die Hanseatic inspiration wird auch alle nordamerikanischen großen Seen befahren (7. 6.–18. 6. 2020) und von Toronto über Neufundland in die kanadische Arktis vorstoßen. Platz ist für 230 Gäste, bei Antarktisreisen für 199, die das Expedionserlebnis noch intensiver genießen können – auf ausfahrbaren gläsernen Balkonen und auf dem Deckumlauf auf dem Vorschiff, wo man ganz vorn auf der Back dem Geschehen näher ist als der Kapitän. Weiters wurde das Antarktisprogramm intensiviert: 12-, 16-, 18- und 20-Tage-Reisen. Im Juni 2019 beginnt das Arktisprogramm, 2020 wird die Hanseatic nature die NW-Passage fahren.

Nature-Jungfernfahrt: 13. 4.–26. 4. 2019 Hamburg–Lissabon–England inkl. London–Frankreich–Spanien–Lissabon inklusive Flussfahrten etwa auf der Themse, Seine, Gironde und Tejo.

Nature-Expedition kanadische Arktis: 26. 7.–12. 8. 2019. Interessierte können sich vormerken lassen, Buchungen sind im Jänner 2018 möglich. hl-cruises.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2017)

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