Thailand: Das Land der guten Klänge

Wat Sa Prasan Suk Tempelschiff im Wat Ban Na Muang, Ubon Ratchathani
Wat Sa Prasan Suk Tempelschiff im Wat Ban Na Muang, Ubon RatchathaniImago
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Trotz eindrucksvoller Natur und reicher Geschichte finden nur wenige Besucher den Weg in die östlichste Provinz des Landes, Ubon Ratchathani, in einen Nationalpark, in dem es auch prähistorische Zeichnungen gibt.

Faustgroße Schmetterlinge flattern durch die hitzeschwere Luft. Kleine Inseln ragen aus dem Mekong, der zu dieser Zeit nur wenig Wasser führt. Am jenseitigen Ufer träumt ein laotisches Dorf vor sich hin. Gelegentlich tuckert ein Fischerboot vorüber, manchmal kräht ein Hahn. Sonst ist nichts zu hören. Tage könnte man damit zubringen, den Fluss auf seinem Weg nach Kambodscha zu beobachten: Vom frühen Morgen, wenn die Sonne das Wasser auffunkeln lässt, bis zur kurzen Dämmerung, wenn zwischen den Gebäuden des Resorts Lampions aufleuchten. Dann wird es dunkel und der Strom fällt aus. Selbst das ist romantisch: gegen den Tisch stoßen, den Kasten finden, darin nach der Taschenlampe tasten und hoffen, dass sie funktioniert.

Bei Tageslicht ist das Panorama so schön, wie eine Landschaft nur sein kann. Die Provinz Ubon Ratchathani, deren gleichnamige Hauptstadt 90 Kilometer westlich des Flusses liegt, besitzt viele Reichtümer. Außer den Gestaden des Mekong, der hier die Grenze Thailands nach Laos bildet, gehören eindrucksvolle Nationalparks dazu und zahlreiche Tempel. Allein Hotels sind rar, und Europäern begegnet man allen Attraktionen zum Trotz recht selten.

Nur ein paar Hundert Meter von hier, in Khong Jiam, fließt das klare, bläulich schimmernde Wasser des Mun in die braunen Fluten des Mekong. Zweifarbenfluss wird dieser Abschnitt deshalb von Einheimischen genannt. Amerikanische Soldaten, die während des Vietnam-Kriegs in Ubon Ratchathani stationiert waren, hatten andere Assoziationen: Sie machten den Mun zum „Moon River“ und schrieben ihn auch so.

Willkürliche Grenzziehung

Seit jeher ist die Flusslandschaft die Heimat von Bauern und Fischern. Viele kehren ihr den Rücken, um in Bangkok ihr Glück zu machen. Doch manchen gelingt eine Gratwanderung zwischen traditionellem und modernem Leben, wie dem Fremdenführer Toray. Seine Eltern verließen Laos, damit er in Thailand die Schule besuchen konnte. Annähernd 40 Prozent aller Laoten sind nie zur Schule gegangen. Heute ist Toray Vater von sechs Kindern und hat es dank mehrerer Reisfelder und des Jobs bei einem Reiseveranstalter zu Wohlstand gebracht. Die Heimat seiner Ahnen ist nah und fern zugleich. Der offizielle Grenzübergang – der einzige, der Thailand und Laos auf dem Landweg miteinander verbindet – liegt siebzig Kilometer entfernt in Chongmek. Für den Gegenwert von zehn Euro aber werfen Fischer den Außenbordmotor an, um Neugierige ans andere Ufer zu bringen. Nur die sprachliche Grenze verläuft fließend: An beiden Ufern wird ein ein ähnlicher Dialekt gesprochen. Er erinnert daran, dass die Grenze während der Kolonisierung Indochinas durch Frankreich willkürlich gezogen wurde. Deshalb leben etwa achtzig Prozent der Laoten, die am Mekong heimisch sind, heute auf thailändischem Staatsgebiet.

Erst seit dem späten 18. Jahrhundert ist der östlichste Winkel Thailands ein Teil des Königreichs Siam. Vor 1000 Jahren gehörte er zum Angkor-Reich, später fiel er ans Fürstentum Sukothai, dann an wechselnde laotische Machthaber, bis der siamesische General Taksin das Gebiet eroberte. Heute ist der Isan, wie der Nordosten genannt wird, die Heimat eines Drittels der thailändischen Bevölkerung. Es ist eine arme Region.

Fischen im Zweifarbenfluss

Seit 6000 Jahren leben die Menschen in der Provinz Ubon Ratchathani von der Landwirtschaft. Um so drastischer wirken die sporadischen Eingriffe der Neuzeit in die alte Agrarlandschaft. Seit 1994 staut der 17 Meter breite und 300 Meter lange Pak-Mun-Damm in der Nähe des Zweifarbenflusses den Mun – und mit seinem Wasser auch Fische, was zu Unmut bei jenen führt, die unterhalb des Damms leben und fischen. Durch den Bau wurden Dörfer geflutet und Tausende Familien umgesiedelt. Die Streitigkeiten um ihn dauern an. Denn nicht nur Hotelgäste mögen bezweifeln, dass er zuverlässig zur Stromversorgung beiträgt.

Auch die Zeit hat sich tief in die Landschaft gegraben. Über Millionen Jahre haben Wind und Wasser die Felsformationen Sao Chaliang im Nationalpark Pha Thaem zu riesigen Pilzen aus Stein geformt. Weil sie viele versteinerte Muscheln enthalten, nimmt man an, dass sich hier vor mehr als einer Million Jahren der Grund eines Meeres befand. Zu Füßen der Pilze sind Dutzende kleine Pyramiden aus Steinen aufgehäuft. Wer sie baut, dem soll ein langes Leben beschieden sein.

Über 20 Jahre sind vergangen, seit dieser östlichste Nationalpark Thailands von der Königin eröffnet wurde. Sie nahm dazu die Straße, die das vergessene Land nun zum ersten Mal mit dem Rest Thailands verband. Der Besuch der Monarchin war ein wichtiges Signal. „Früher dachten viele Leute, wer hierherkommt, werde vom Wald verschluckt oder von den Bewohnern der Gegend umgebracht“, erklärt Toray ohne Augenzwinkern. Derlei Befürchtungen sind mittlerweile überwunden.

Skizzen des prähistorischen Alltags

Ein Spaziergang von zwei Kilometern führt zur Hauptattraktion des Parks: in Felsen gemalte Skizzen prähistorischen Alltags. Um sie zu sehen, müssen die Besucher zunächst ein Plateau queren. Während der kühleren Monate blühen Wildblumen, nun brennt die Sonne unbarmherzig. Das Plateau endet an einer Klippe, auf der ein Schild vom frühesten Sonnenuntergang Siams kündet. Von hier öffnet sich der Blick auf Reisfelder, den Mekong und Laos am jenseitigen Ufer. In Felsen geschlagene Stufen führen ins schattige Tal hinab. Nach ein paar Minuten sind unten die ersten Zeichnungen erreicht. Etwa drei Meter oberhalb des Pfads sind sie in den Felsen gemalt und beweisen, dass das Leben hier seit jeher von Landwirtschaft und Fischfang bestimmt wird: Die zwischen 3000 und 4000 Jahre alten dunkelroten Felszeichnungen zeigen Fische, Reisbauern bei der Arbeit, Schildkröten und Elefanten. Es ist nicht lang her, dass in der Gegend viele Elefanten lebten.

Auch der über dem Mekong gelegene Tempel Wat Tham Kuha Sawan wird von steinernen Elefanten bewacht. 1978 erbaute ihn der in Laos geborene Weise Luangpu Khamkhaning Chulamani, der hier bis zu seinem Tod im April 1985 meditierte. Nur Gutes solle man anschauen, nur guten Klängen lauschen, nur gute Worte äußern, so lautete seine Lehre. Fast von selbst ergebe sich daraus, auch Gutes zu tun. In einer anderen Halle künden Gongschläge von guten Taten. Und auch der große goldene Buddha sieht gewiss Gutes, wie er da über dem Kloster thront. Denn er macht, was hier jeder macht: Er schaut auf den Fluss und nach Laos hinüber.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2017)

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