Kamerun: Der Gartenstuhl als Thron

König Yu Vincent und Enkel im Palast von Laikom.
König Yu Vincent und Enkel im Palast von Laikom. (c) M. Katz
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Feudales Auftreten, Fehlanzeige. Die Reiche der Könige im Bergland sind übersichtlich – aber der Herrscher lebt polygam.

Comfort gleitet mit den Fingern über das Muschelarmband an ihrem Handgelenk. Um den Hals trägt sie eine Kette aus dicken Plastikperlen, die lackierten Zehen stecken in Badelatschen. Die kräftige Kamerunerin lehnt am Tor zum Versammlungsplatz im Palast von Laikom. Dort hat König Yu Vincent, Herrscher über 42 Dörfer und 130.000 Landsleute, zum Empfang geladen. Comfort bindet ihr Wickeltuch fester um die Hüften, wirft einen Blick auf die hölzerne Königinstatue, die mit schwangerem Bauch den Eingang ziert, und erklärt: „Hier tragen alle Königsfrauen ein Muschelarmband. Es zeigt den Status, den wir in unserem Reich einnehmen. Je mehr Frauen ein König hat, umso bedeutsamer ist er.“

Die königliche Hauptfrau ruft die Kinderschar herbei, die in den sandigen Gassen zwischen den Lehmhütten spielt, und gibt Nebenfrau Anesta ein Zeichen, das Wäscheaufhängen zu unterbrechen. Dann verschwinden sie gemeinsam durch das Tor.

Kleine Reiche

Im Westkameruner Bergland, 300 Kilometer und acht Autostunden nordwestlich von der Hauptstadt, Yaoundé, entfernt, existieren noch immer zahlreiche Königreiche. Zwischen tropischem Regenwald, Palmenplantagen und ausgedehnten Grasflächen, neben Kraterseen und Wasserfällen liegen sie fernab der Städte im grünen Hinterland der größten Erhebung Westafrikas, des über 4000 Meter hohen Kamerunbergs.

Eine holprige Rundpiste, die Ringroad, verbindet diese Königreiche – ein Relikt aus deutscher Kolonialzeit. Rotfarbene Sandpisten zweigen von ihr ab und führen hinauf zu den kleinen Reichen aus gemauerten Lehmhütten. Die Einheimischen nennen sie Fondoms und ihre Könige Fons. Sie sind stolz darauf, dass hier Frauen Körbe mit Kartoffeln und riesigen Kohlköpfen auf dem Kopf balancieren und Männer armlange Maniokwurzeln aus dem Busch schleppen. Ein Wohlstand, den es im trockenen Norden des Landes nicht gibt. Dort dörren Hirsefelder vor sich hin, stehen dürre Ziegen in der mageren Steppe. Choa-Nomaden ziehen mit ihrem spärlichen Hausstand auf Eseln umher, ständig auf der Suche nach einem fruchtbaren Rastplatz – unvorstellbar im Westkameruner Bergland und dem kleinen Königreich Laikom.

Lebendiger Synkretismus

Seelenruhig sitzt der greise Fon Yu Vincent auf seinem Thron, einem Gartenstuhl mit buntem Überwurf. Ein hölzerner Baldachin schützt den König vor der brennenden Sonne. An den Balken hängen handgeschnitzte Figuren und traditionelle Masken. Der Versammlungsplatz, so groß wie ein halbes Tennisfeld, ist an diesem Tag gut gefüllt: Zwölf Königsfrauen, 60 Kinder, Berater und Gäste hocken gespannt im Schatten der Palastmauern. Sogar die fünfköpfige Leibgarde mit ihrem ebenso greisen Chef ist dabei. Sie bewacht den Fon zu offiziellen Anlässen. Schließlich ist der alte Mann in dem Gebiet, in dem der Stamm der Bamileke heimisch ist, sogar einflussreicher als der kamerunische Staatspräsident. Die Bamileke, unter mehr als 200 Ethnien Kameruns größte Volksgruppe, blicken auf eine lange Geschichte zurück. Im 18. Jahrhundert von befeindeten Stämmen aus dem Norden in die Hochebenen gedrängt, haben sie die einträglichen Regionen um die Ortschaften Bamenda, Bafoussam und Dschang schnell für sich entdeckt. Heute leben sie hier als angesehene Geschäftsleute, die neben dem Christentum noch immer Naturreligionen anhängen.

So kommt es nicht selten vor, dass man sie im Blätterkostüm auf den Straßen tanzen oder zu den Menchum-Wasserfällen pilgern sieht, die sich im dichten Buschland der westlichen Ringroad verbergen. Dort werfen sie Maiskuchen, Colanüsse und Salz an den Wegesrand, die nackten Oberkörper mit knallrotem Puder bestreut, um Stirn und Hals geflochtenes Gras. Sie blasen in ihre Bambusflöten, schütten Palmöl aus Plastikkanistern in das Wasser und klettern unter den heiligen Strahl: Ein Kraftort für Animisten. Die meisten marschieren den weiten Weg barfuß aus der Provinzhauptstadt Bamenda, manche kommen aus dem näheren Bafut.

Unwürdiges Kapitel

Das Nachbarkönigreich Bafut an der Ringroad entdeckte Eugen Zintgraff im Jahr 1889. Der deutsche Afrikaforscher, der wegen der brutalen Behandlung seiner Träger in der Kritik stand, hatte es unterwerfen wollen. Doch Fon AbumbiI. gab seine Palastschätze nicht kampflos auf, vergrub sie im Wald und steckte anschließend zahlreiche Gebäude in Brand. Über 1000 Königsgetreue starben, weitere 300 wurden als Zwangsarbeiter auf deutsche Plantagen in den Süden verschleppt. Den Fon nahmen die Deutschen als Kriegsgefangenen. Erst zwanzig Jahre später kehrte Abumbi zurück und baute den Palast wieder auf. Im Jahr 2006 eröffnete sein Nachfolger zusammen mit dem deutschen Botschafter das frühere Gästehaus als Museum – eine späte Wiedergutmachung der ehemaligen Kolonialherren.

An den Traditionen im Königreich hat sich derweil nicht sehr viel verändert. „Wir glauben zwar nicht mehr an solche Dinge wie Wasserzauber oder daran, dass sich unser Fon in eines der königlichen Tiere wie Löwe oder Elefant verwandeln kann, um unser Reich zu schützen. Doch mit dem Ju-Ju-Tanz rufen wir noch immer die Geister“, erklärt Constance, Erstfrau des Königs AbumbiII. Bei diesem Tanz schlagen junge Männer auf ein leiterlanges Holzxylofon, flöten auf armdicken Bambusrohren, tanzen barfuß oder auf Stelzen in Mänteln aus Milanfedern – wie in Trance, die traditionelle Maske vor dem Gesicht. Ein lautes und staubiges Spektakel vor dem schönsten Gebäude des Königreiches: dem Zeremonienhaus.

Fußballgott in Holz

Diese Anlage ist typisch für die Fondoms im Westkameruner Bergland. Ein Bau gestaltet sich prächtiger als der andere, da haben die Stammesmitglieder überall ganze Arbeit geleistet: Hunderte von Bambusstreben wurden einmal kreisförmig, einmal rechteckig aneinandergebunden, Dutzende Holzsäulen mit filigranen Schnitzarbeiten verziert, darauf wurde ein üppiges Strohdach gesetzt. Das Innere dieses sogenannten Achum bleibt auch heute noch dem Fon und seinen Beratern für Geheimbünde vorbehalten – so, wie es die Tradition verlangt.

In Bandjoun, einem der südlicheren Königreiche, hat Fon Honore Kamga die Fußballnationalmannschaft Kameruns auf den Säulen verewigt. Allen voran den internationalen Starspieler Samuel Eto'o. „Vor einigen Jahren ist das Zeremonienhaus abgebrannt. Doch anstatt lang zu trauern, hat jedes Mitglied unserer Sippe daraufhin Holz für neue Säulen hergebracht. In einer Abstimmung haben wir dann beschlossen, bedeutende Szenen aus unserem Leben in die Balken zu schnitzen“, berichtet Kamga. Und so sieht man auf den Säulen die Dorfbewohner den Brand verkünden, die Aufbauhelfer Stroh binden – und eben Eto'o den Ball kicken. Ob mit Holz oder mit Muscheln – die Kameruner wissen ihre Welt in Kunstwerke zu verwandeln.

TROPISCH-ROYAL IN „AFRIKA IM KLEINEN“

Anreise: Air France/KLM fliegt ab Wien über Paris nach Yaounde (www.klm. com), Turkish Airlines über Istanbul (www.turkishairlines.com). Von dort geht es weiter per Bus nach Bamenda.

Vor Ort: Besuche der Fondoms (der kleinen Königreiche) müssen im jeweiligen Dorf angemeldet werden. Da nicht überall Französisch oder Englisch gesprochen wird, ist ein Führer empfehlenswert.

Klima: Beste Reisezeit ist die Trockenzeit von November bis Februar. Das höher gelegene Zentralkamerun ist noch gut bis April bereisbar. Die Tagestemperaturen liegen in der Landesmitte bei 22 Grad und an der Küste bei 26 Grad. Nachts sinken sie bis auf 15 Grad.

Sicherheit: Das Westkameruner Bergland liegt in der Mitte des Landes in der Nähe der Hauptstadt, Yaoundé. Aktuell gibt es ein erhöhtes Sicherheitsrisiko in den englischsprachigen Regionen um die Städte Bamenda und Buea, wo die Anwesenheit bei Demonstrationen und politische Veranstaltungen gemieden werden sollten: Hier gibt es Auseinandersetzungen wegen der Unabhängigkeitsbestrebungen der anglofonen Bevölkerung vom französischsprachigen Rest. Eine partielle Reisewarnung betrifft den Norden des Landes insbesondere aufgrund der Gefahr von Anschlägen durch die Terrororganisation Boko Haram. Für den Rest des Landes empfiehlt sich, die üblichen Sicherheitsvorkehrungen bei Reisen zu beachten.

Pauschal reisen: Ikarus Tours hat das Westkameruner Bergland im Rahmen einer Gruppenreise im Programm (www.ikarus.com). Bei Ivory Tours ist es Teil einer individuellen Rundreise (www.ivory-tours.de).

Übernachten: Im Westkameruner Bergland gibt es einige wenige Unterkünfte, die allerdings nicht immer dem europäischen Standard entsprechen. Schlichte, große Zimmer mit bequemem Bett, Sofa und Balkon gibt es in Bamenda im staatlichen Ayaba-Hotel mit günstigen Doppelzimmern.

Der hübsch verschachtelte Bau des Mawa-Hotels hat saubere AC-Zimmer und eine große Holzterrasse mit kunstvollem Pool. Ebenfalls günstige Doppelzimmer, www.mawahotel.com.

Fünf-Sterne-Luxus zu ebensolchen Preise bietet das Hilton Yaoundé in der Hauptstadt, www.hiltonhotels.de.

Essen und trinken: Das Essen in Kamerun ist einfach. Im Landesinneren gibt es Huhn und Rind, an der Küste Fisch. Beliebt sind gegrilltes Huhn mit Pili-Pili-Soße, grünen Bohnen, Kochbananen, Reis und Pommes frites (ab 14 €), Garnelen in Maissoße (ab 8 €) und gegrillter Kapitänsfisch in Buttersoße (ab 10 €). Traditionelle Gerichte sind Hjamah-jama (ca. 4,50 €), Spinat mit Fisch oder Fleisch, Ndole viande,

Bitterspinat mit Rindfleisch und Koki, Bohnenmus. Beliebteste Biere sind Beaufort, 33 Export und Castel (ab 1,50 €/33cl). Sonst trinkt man Wasser, Softdrinks oder auch einmal ein Glas Wein (ab 3 €) und nascht Ananas oder Papaya.

Zur Einstimmung: Nigel Barley war im Nordkamerun unterwegs und lieferte unterhaltsame ethnografische Berichte („Traumatische Tropen“„Raupenplage“), Bestseller in den 90ern. Musik von Manu Dibango, Saxofonist, Vibrafonist und Pianist, wurde mit dem kamerunischen Tanzmusikstil Makossa weltbekannt. Film „Tinselwood“ von Marie Voignier von 2017, über Fallensteller, Sandverschiffer, Waldarbeiter, Kakaoplantagenarbeiter, Goldwäscher in Südkamerun.

Infos: Botschaft der Republik Kamerun, Ulmenallee 32, 14050 Berlin, T: +49/(0) 30/890 680 90, www.ambacam.de.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2017)

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