Japan: Baderitual für Zweibeiner, Wellness für Affen

Die wundersame Welt der Thermalbäder lockt nicht nur gestresste Geschäftsleute ins Heilwasser. Und nicht immer ist das Umfeld so beschaulich wie in den Japanischen Alpen.

Ein Schneeaffe müsste man sein! Wenn die Tage grau werden, die Nächte lang und selbst die Mittagsstunden bitterkalt, dann ab in die Affentherme! Dicht beieinander hocken die Rotgesichtsmakaken in ihrem heißen Thermalbad und lassen den Winter Winter sein. Was kümmern einen Schneegestöber und Eiseskälte, wenn man es sich im warmen Pool gemütlich gemacht hat? Lautlos taumeln die Schneeflocken, und auf den wuscheligen Schöpfen der Affen sammelt sich langsam eine weiße Kappe. Sie ziehen die Hälse ins Heilwasser, strecken tiefentspannt die dicht behaarten Glieder oder sind ganz in das Lausen eines Sitznachbarn vertieft. Die Kameraden in Behandlung halten die fleischroten Gesichter mit geschlossenen Lidern über Wasser und scheinen das Treatment sichtlich zu genießen. Sieht so in Wahrheit eine Shiatsu-Massage für Makaken aus?

„Alles begann erst 1962“, erklärt Kayo Miyata vom Jigokudani-Affenpark. „Ein Affenbaby fiel im Winter in das Wasser der heißen Quelle und ihm war dabei so wohl, dass es sie gar nicht mehr verlassen wollte.“ Nach und nach entdeckte die ganze Familienbande die Vorzüge von Thermalbädern und tummelt sich seither in der kalten Jahreszeit um den Pool in einem Gebirgstal etwa eine Autostunde von Nagano. Manchmal entspannen hier bis zu 60 Makaken gemeinsam. Im Frühjahr ziehen sie sich in die Berge zurück. „Wir haben die einzigen Affen der Welt, die Thermalwasser zum Baden nutzen“, sagt Miyata. „Dabei sind es noch immer vor allem die Jungen und Weibchen, die sich hier aufwärmen.“ Sie vermutet, dass die älteren Männchen vielleicht darum fürchten, ihr dichter Pelz sehe nach dem Baden vor Rivalen etwas lächerlich aus.

Schneeaffe im Jigokudani-Affenpark.
Schneeaffe im Jigokudani-Affenpark. JNTO

Traditionelle Gästehäuser

Japans Rotgesichtsmakaken sind die Primaten mit dem am weitesten nach Norden reichenden Verbreitungsgebiet und kommen vor allem in den Bergwäldern in bis zu 3000 Metern Höhe vor. Kein Wunder, dass sie es waren, die Wellness für Affen erfanden. Unter den Menschen in Japan hat indessen die Nutzung von heißen Quellen zur Entspannung und zu Heilzwecken eine jahrtausendealte Tradition. Wegen der zum Teil noch heute aktiven Vulkane finden sich überall auf den Inseln Thermalbäder, auf Japanisch Onsen genannt. Für viele Japaner ist der Besuch im Onsen ein bedeutendes Baderitual. Wer nicht in der Nähe einer heißen Quelle wohnt, gönnt sich zumindest hin und wieder einen Wochenendausflug oder Kurzurlaub in einem der zahlreichen Kurstädtchen. Die Tokioer fahren zur Erholung am liebsten nach Hakone unweit des Fuji oder auf die Izu-Halbinsel mit ihren zahllosen Heilquellen. Osakaer und Kyotoer baden gern in Kaga mit seinen restaurierten Badhäusern aus der Edo-Zeit oder pilgern zum Yunomine-Onsen, das inzwischen zum Unesco-Welterbe erklärt wurde.

Um die Thermalbäder haben oft schon vor Jahrhunderten kleine traditionelle Gästehäuser und Hotels geöffnet, die Ryokans heißen. Einige, wie das Kai Kaga direkt neben dem altehrwürdigen Yamashiro-Onsen oder das Kai Matsumoto in den Japanischen Alpen, verbinden traditionelle Bäderarchitektur mit dem Komfort moderner Luxushotels. Manche, wie das Abba Resort auf der Izu-Halbinsel, bieten ihren Gästen Suiten mit privaten Onsen, die in zauberhafte Gärten eingebettet sind. Die Bäder des vornehmen Hotels im Fuji-Hakone-Izu-Nationalpark wer den vom Heilwasser der Ukiyama-Quelle gespeist.

Das älteste Ryokan, das sich historisch nachweisen lässt und immer noch besteht, ist laut Guinnessbuch der Rekorde das älteste Hotel der Welt überhaupt. In den heißen Quellen des Nishiyama-Onsen Keiunkan sollen schon berühmte Kaiser und Samurais geplanscht haben. Es lockte bereits im achten Jahrhundert Wellnessgäste in die Berge jenseits des Fuji und wird angeblich seit 705 nach Christus bis heute von derselben Familie bewirtschaftet. Die altgediente Herberge versteckt sich in einem entlegenen Tal der Akaishi-Berge. Endlos schlängelt sich die Straße durch Bergwälder und Tunnel hinauf zum Minami-Alpennationalpark. Hier oben, am Fuß gleich mehrerer Dreitausender, haben bedrohte Tierarten wie der Kragenbär, der Japanische Serau und das Alpenschneehuhn einen Rückzugsort gefunden. Das Ryokan, heute längst umgebaut und modernisiert, klebt an einem Hang über einem kristallklaren Gebirgsfluss. Ein leichter Schwefelgeruch liegt über den vier Außenbädern. Die Kurgäste, die aus Tokio und Yokohama angereist sind, sitzen stumm und splitternackt im heißen Wasser und füllen hin und wieder einen Becher aus der sprudelnden Heilquelle. Sie soll nicht nur die Durchblutung fördern und die Haut verjüngen, sondern auch als Trinkwasser für allerlei Leiden gut sein. Kinderlose Paare glaubten früher etwa an ihre Wunderkraft als Fruchtbarkeitsquelle.

Früher badeten Männer und Frauen gemeinsam. Seit der Meiji-Restauration in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind die Geschlechter in den meisten Onsen getrennt. Wie seit Urzeiten gilt für das Benutzen der Heilquellen bis heute eine strenge Etikette. Wer das Bad mit Straßenschuhen betritt, sich vorher nicht säuberlich abduscht oder das Heilwasser mit Seife oder gebrauchten Handtüchern verunreinigt, riskiert, hochkant rauszufliegen. Tabu sind auch Tattoos, die in Japan üblicherweise mit der Yakuza-Mafia in Verbindung gebracht werden. Bei westlichen Touristen drückt inzwischen aber so manches Bad zumindest in den Großstädten ein Auge zu.

Spaßbad mit Wahrsagerei

Überhaupt hat sich in den Millionenmetropolen inzwischen eine ganz eigene Bäderkultur entwickelt. In Tokio gehört inzwischen mancherorts zum Entspannungsbad ein ganzer Spaßpark. Das Ooedo-Onsen Monogatari im Vergnügungsviertel Odaiba beispielsweise ist einer der größten Bäderthemenparks des Landes. Hier spazieren die Großstädter in Badelatschen und kimonoähnlichen Yukatagewändern und können zwischen 13 verschiedenen Bädern wählen. Ein an die Bäderwelt anschließendes, im Stil der Edo-Zeit nachgebautes Geschäftsviertel sorgt mit Essensständen, Spielbuden und sogar einer eigenen Wahrsagerin für Kurzweil zwischen den Badegängen.

Aus 1700 Metern Tiefe pumpt das Spa LaQua in der Tokyo Dome City Thermalwasser in seine Innen- und Außenbecken. Wem nach dem Entspannungsbad nach Adrenalin zumute ist, der kann aus dem Heilwasser in die Achterbahnen und Wasserrutschen im Freizeitpark vor der Tür steigen. Inzwischen zapfen auch die neuesten Luxushotels wie das im vorigen Jahr eröffnete Hoshinoya unweit des Tokioter Hauptbahnhofs unterirdische Wasserläufe an, um mit eigenen Onsen zahlungskräftige Gäste zu locken. Im 17. Stock des Hochhauses haben sie nun ein hypermodernes Bäderareal: gefühlt viele Kilometer abgehoben über dem ewigen Hochbetrieb des Molochs.

Baden im 37. Stockwerk

Noch höher schwebt das Spa des Andaz Tokyo im 37. Stock des 2014 fertiggestellten Wolkenkratzers über der Skyline des Geschäftsviertels Toranomon Hills. Mit Blick auf das endlose Häusermeer und auf Augenhöhe mit dem Tokyo Tower ziehen gestresste Geschäftsleute hier die Hälse ins warme, kohlesäurehaltige Wasser. „Wir möchten, dass unsere Gäste hier nur den Himmel und vielleicht in der Ferne noch den Ozean sehen“, sagt Spa-Therapeutin Mai Nerome. „Die Stadt verschwindet mit dem Beckenrand, und dann stellt sich gleich eine tiefe Entspannung ein.“

Wer beim Abschalten Nachhilfe braucht, dem mischt die 31-jährige Japanerin aromatische Zutaten nach alten Traditionen ins Badewasser: im Frühling Pfirsichblätter, im Sommer grünen Tee und Yomogi, eine japanische Heilpflanze, im Herbst Chrysanthemenblüten und im Winter die duftenden Schalen von Yuzu-Zitrusfrüchten und manchmal sogar ein Glas Sake. „Die Leute spüren die Heilkraft der Natur erst, wenn sie lernen, tief durchzuatmen und innezuhalten“, sagt Nerome, „das ist das Geheimnis unserer Bäderkultur.“

In der Millionenstadt Tokio muss sie das so manchem überarbeiteten Geschäftsmann erst einmal beibringen. Die Affen von Jigokudani in den Bergen bei Nagano waren auf die uralte Lebensweisheit von ganz allein gekommen. So mancher ausgebrannte Großstädter könnte sich ein Beispiel an ihnen nehmen.

Tipps

Anreise: Zum Beispiel mit Finnair über Helsinki nach Tokio. Wer die japanische Bäderwelt nicht abwarten kann, sollte schon die finnische Sauna im Transitbereich der Finnair-Lounge probieren. www.finnair.com

Unterkunft: Im Waldspa im Prince Hotel East in Karuizawa, in den traditionellen Heilbädern im Abba Resort Izu oder in den luxuriösen Badezimmern des Noborioji in der alten Tempelstadt Nara: In den Small Luxury Hotels lässt es sich recht vornehm planschen. www.slh.com

Mit Blick auf die Skyline Tokios in einem der neuesten Wellnesstempel entspannen: Andaz Tokyo (www.andaz-tokyo.jp) oder Hyatt Regency (www.hyatt.com).

Über eigene Onsen und große Wellnessbereiche verfügen etliche Ryokans der japanischen Gruppe Hoshino Resorts. www.hoshinoresorts.com

Veranstalter: u. a. Geoplan, Rundreisen mit Ryokans und Onsen. www.geoplan-reisen.de

Info: Japanische Fremdenverkehrszentrale (www.jnto.de), Tokyo Convention & Visitors Bureau (www.gotokyo.org).

Compliance: Die Recherchereise wurde von Finnair, Geoplan Reisen und dem JNTO unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.1.2018)

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