Kathmandu: Holprige Anreise, marode Schönheit und viele Kühe

National Art Museum. Stützpfeiler dominieren das Stadtbild in Bhaktapur.
National Art Museum. Stützpfeiler dominieren das Stadtbild in Bhaktapur.(c) APA/AFP/PRAKASH MATHEMA
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Kathmandu – noch immer vom Erdbeben gezeichnet – wächst rasant und nimmt wenig Rücksicht auf alte Bausubstanz. Eine Reise auf den Spuren bedrohter Kulturgüter.

Die Stimmung im Flugzeug ist angespannt, die Maschine schaukelt stark, alle wissen, das bergige Terrain ist eine Herausforderung für jeden Piloten. Mit einem lauten Rumpeln und mehreren Hopsern setzt das Flugzeug auf der unebenen und einzigen Landebahn des Tribhuvan International Airport in Kathmandu auf. Sichtlich erleichtert steigen die Passagiere aus. Seit der Öffnung des Landes 1951 ist der Tourismus eine wichtige Einkommensquelle für Nepal, das als eines der ärmsten Länder der Welt gilt. Doch das Erdbeben im Jahr 2015 hat viele der Sehenswürdigkeiten vernichtet.

Die Kuh hat Vorrang. Mit dem vom Hotel organisierten Transfer geht es zur Unterkunft. Das alte Auto macht einen soliden Eindruck, nur der Griff über die Schulter führt ins Leere. Sicherheitsgurte? Nicht auf der Rückbank. Der Taxifahrer gibt Auskunft: Anschnallpflicht gilt nur für den Fahrer, Alkohol am Steuer ist verboten, es herrscht Linksverkehr, ansonsten gibt es eigentlich keine Regeln. Plötzlich rumpelt und scheppert es gewaltig, das Auto fährt über im Boden eingelassene Eisenstangen, eine Maßnahme zur Geschwindigkeitsbegrenzung, mutmaßt der Europäer. „Nein, nein“, lacht der Fahrer, „das ist für die Kühe, damit sie nicht auf das Flughafengelände laufen“. In dem größtenteils hinduistischen Land ist die Kuh heilig und darf frei herumspazieren. Im Mittelalter herrschte jedoch der Buddhismus in der Region um Kathmandu. Die Volksgruppe der Newars, die dort seit jeher siedelte, praktiziert eine komplexe Mischform aus Hinduismus und Buddhismus mit eigenen Ritualen und Göttern. Sie ist auch bekannt dafür, die kunstvollen Bauwerke geschaffen zu haben, die heute die Altstadt zieren. Zur Volksgruppe der Newars gehört Purushottam Shilpakār, der sich als Führer zu den alten Kulturschätzen angeboten hat.

Eine Dynastie – drei Königreiche. Die Reise in die Zeit, als Nepal in seiner Blüte stand, beginnt in Bhaktapur. Die alte Königsstadt, etwa zwölf Kilometer von Kathmandu entfernt, liegt auf einem Hügel und ist für Touristen nur mit einem Eintrittsticket zugänglich. Beim kurzen Aufstieg erklärt Purushottam die historischen Zusammenhänge: „Bhaktapur ist eine der drei Königsstädte im Kathmandu-Tal und war die Hauptstadt des Malla-Reichs. Noch heute leben hier fast ausschließlich Newars. Die Malla-Dynastie herrschte über das Kathmandu-Tal vom 13. bis ins 18. Jahrhundert und erlangte durch die günstige Lage an der Handelsroute mit Tibet großen Wohlstand. Im 15. Jahrhundert wurde das Königreich unter drei Königssöhnen aufgeteilt, die Königreiche Kathmandu, Lalitpur und Bhaktapur entstanden. Heute sind Lalitpur und Kathmandu zusammengewachsen und bilden gewissermaßen eine Doppelstadt, die nur durch den Fluss Bagmati geteilt wird.“ Beim Betreten der Altstadt fällt ein großer Haufen Ziegel auf, die Reste eines eingestürzten Tempels. „Etwa ein Viertel der Häuser von Bhaktapur waren nicht mehr bewohnbar nach dem Erdbeben von 2015, seufzt der Stadtführer. „Dass nicht mehr zerstört wurde, haben wir den Deutschen zu verdanken!“ In den 1970er- und 1980er-Jahren hatte Deutschland ein großes Restaurierungsprojekt finanziert. Ob auch die Einführung der Fußgängerzone und der Mülltrennung im Stadtgebiet auf das Konto der Deutschen geht? Immerhin gibt es im wenige Kilometer entfernten Kathmandu auch mehrere deutsche Bäckereien, die unter anderem das in vielen Ländern unbekannte Roggenmischbrot verkaufen. Wer Sachertorte vermisst, kommt ebenfalls nicht zu kurz. Das mit französischen Art-déco-Postern dekorierte „Vienna Bakery Café“ führt österreichische Mehlspeisen und richtet heuer zum dritten Mal „Walters Oktoberfest“ aus. Der österreichische Besitzer nimmt es wohl mit den Landesgrenzen nicht so genau, die Nepalesen stört es nicht.

Touristenmagnet Himalaja. Die Gebirgskette mit dem höchsten Berg der Welt.
Touristenmagnet Himalaja. Die Gebirgskette mit dem höchsten Berg der Welt. (c) REUTERS (TIM CHONG)

Erotische Spiele am Tempel. Der Weg zum Durbar Square in Bhaktapur führt durch kleine Gassen, in denen Hühner picken und Mädchen Wasserkrüge tragen. Die authentische Altstadt dient internationalen Filmteams immer wieder als Kulisse. Das Epos „Little Buddha“ wurde hier gedreht. Zwei Frauen waschen sich in einem der tief in den Boden eingelassenen mittelalterlichen Becken, das Wasser strömt aus einem steinernen Drachenkopf. Eine Szene wie aus einer anderen Zeit, nur der schallend laute Bass der amerikanischen Popmusik aus den Lautsprechern des gegenüberliegenden Geschäfts verleiht der Beobachtung eine gewisse Absurdität. Der alte Königspalast am Durbar Square, vor dessen Mauern sich die Straßenhunde sonnen, hat leider geschlossen. An das prächtige sogenannte Goldene Tor aus dem Jahr 1753, das die zehnarmige und vierköpfige Schutzgöttin der Malla-Dynastie zeigt, schließt der Palast der 55 Fenster an. Gegenüber thront auf einer Säule in betender Haltung König Bhupatindra Malla, der in Bhaktapur von 1696 bis 1722 herrschte. Um die Ecke hat sich eine staunende Menschenmenge um einen Tempel versammelt. Die chinesische Reisegruppe schießt begeistert Fotos, der nepalesische Führer schaut gelangweilt auf die Uhr. Bei näherer Betrachtung der kunstfertig geschnitzten Figuren des hölzernen Gebälks wird der Grund für die Aufregung ersichtlich – solche Darstellungen kennt man sonst nur aus dem „Kamasutra“.

Neubauten statt historischer Gebäude. Gegenüber diesem frivolen Gebäude lädt ein kleines Café zum Verweilen ein. Von hier lässt sich das Treiben auf dem Platz beobachten. Vor fast jedem Haus werden Töpferwaren dargeboten, die hier noch in Handarbeit produziert werden. Am nächsten Tag bietet sich ein Besuch auf dem gleichnamigen Platz in Kathmandu an, der zweiten der drei Königsstädte. Der Durbar Square in Kathmandu hat nichts mehr mit seinem Namensvetter in Bhaktapur gemeinsam. Die zwei dominierenden Tempel in seiner Mitte sind dem Erdbeben zum Opfer gefallen und verschwunden. Die extrem hohe Bebauungsdichte der Altstadt folgt noch weitgehend der ursprünglichen Blockstruktur mit den typischen Innenhöfen. Die vielfach im newarischen Baustil mit kunstvoll geschnitzten Fenstern verzierten Altbauten sind in desolatem Zustand und trotz Schutzstatus vom Verfall bedroht. Verfallene oder abgerissene Häuser werden durch schnelle Betonneubauten ersetzt. Auf den engen Straßen sind Fußgänger, Autos, Lieferwagen und Motorräder gleichermaßen unterwegs, dazwischen Hunde und Hunderte von Tauben. Das Prinzip Fußgängerzone hat sich hier noch nicht durchsetzen können, vielleicht auch, weil es kaum öffentliche Verkehrsmittel gibt. Und so bewegt sich die ganze Stadt auf motorisierten Privatvehikeln fort. Die Luft ist dementsprechend schlecht, man trägt Staubmaske zum Sari. Der Palastbau in Kathmandu ist teilweise eingestürzt. Er hebt sich durch seine weiße Fassade und die vom Westen inspirierte Giebel- und Säulenarchitektur deutlich von den älteren roten Pagodenbauten der Newars ab. Der einsetzende Regen verwandelt die Straße in einen klebrigen Sumpf. Unter einem Dachvorsprung kocht eine alte Frau über einem Gaskocher Tee. Sie deutet, auf den kleinen Holzhockern neben ihr Platz zu nehmen. In Plastik­bechern serviert sie für etwa 20 nepalesische Rupien den in Milch und Wasser aufgekochten schwarzen Tee. Genau das Richtige bei diesem Regenwetter. Der Besuch der großen buddhistischen Stupa Swayambhunath wird auf den nächsten Tag verschoben.

Schlangenthrone und Affentempel. Die Sonne scheint am Durbar Square von Lalitpur, wo es etwas ruhiger zugeht als tags zuvor auf dem gleichnamigen Platz in Kathmandu. Endlich ist auch der Palast geöffnet. Der Detailreichtum der Schnitzereien und Reliefarbeiten der Fenster, Türen und Balkone ist unbeschreiblich. Staunend verweilt man vor diesem architektonischen Kunstwerk und schreitet andächtig durch die kühlen Räume. Man sagt, das Holz Sal halte 1000 Jahren Wind und Wetter stand. Doch dem Erdbeben im Jahr 2015 konnte es nichts entgegensetzen. In Seitenräumen des Palastes werden die beschädigten herabgestürzten Holzskulpturen aufbewahrt. Im von Tierskulpturen aus Stein flankierten Becken im Innenhof pflegte einst der König zu baden. Das angrenzende Museum beherbergt Kunstschätze aus mehreren Jahrhunderten, darunter einen goldenen Schlangenthron, der bei Serienfans sofort Assoziationen mit dem „Iron Throne“ aus dem Fantasy-Epos „Game of Thrones“ weckt. Obwohl im Oktober der Tourismus in Nepal Hochsaison hat, ist das Museum fast leer. Nur eine weitere Reisegruppe schlendert durch die Räumlichkeiten. Die meisten Nepal-Besucher zieht es nicht in die Museen, sondern in die Berge.

Der Himalaja dominiert das Land. Im Touristenbezirk Thamel in Kathmandu steigen die meisten Ausländer ab. Für sie ist Kathmandu nur Zwischenstation auf dem Weg in die Berge und um den Mount Everest zu sehen. Die Geschäfte Thamels sind auf diese Bedürfnisse zugeschnitten: Wanderrucksäcke, Funktionsbekleidung, Schlafsäcke und Zelte werden angeboten, dazwischen immer wieder Waschsalons, Souvenirgeschäfte, Diskotheken, Bars, Restaurants mit europäischer Küche. Sogar Rindfleisch wird hier angeboten. Noch gibt es im ganzen Land nur einen internationalen Flughafen, jenen in Kathmandu. Mehrere andere sind jedoch in Planung. In Pokhara, der zweitgrößten Stadt des Landes, schreiten die Bauarbeiten zügig voran. 2021 soll der Flughafen eröffnet werden. Die Stadt, etwa 200 Kilometer von Kathmandu entfernt, ist die letzte Station vor dem gewaltigen Annapurna-Gebirge und zieht jedes Jahr wegen der Sicht auf den Himalaja und die riesigen Seen auch einheimische Touristen an. „Die Frage ist, wer noch nach Kathmandu kommen wird, wo der Smog oft unerträglich ist, wenn man auch gleich nach Pokhara fliegen kann, das viel näher am Gebirge liegt“, gibt Purushottam beim Aufstieg zur Swayambhunath-Stupa zu bedenken.

Nachdem man die Steinplatte mit den Fußabdrücken Buddhas passiert hat, zählt man 365 Stufen und etwa genauso viele Affen, die den Hügel bevölkern. Deshalb wird die buddhistische Stupa meistens auch einfach „Affentempel“ genannt. „Andererseits“, fügt Purushottam hinzu und zeigt auf die imposante goldene Stupa, „das Unesco-Weltkulturerbe gibt es nur hier bei uns im Kathmandu-Tal zu sehen.“ Der erhabene Blick Buddhas scheint zuzustimmen.

Bergblick am Morgen. Der Anblick seiner Augen auf dem goldenen Türmchen macht dem Himalaja durchaus Konkurrenz. Dennoch möchte niemand nach Nepal reisen, ohne wenigstens aus der Ferne einen Blick auf den höchsten Berg der Welt erhascht zu haben. Die rumpelige Fahrt zum 30 Kilometer entfernten Aussichtspunkt in Nagarkot dauert fast zwei Stunden und beginnt um 4.30 Uhr. Die Straßen sind in katastrophalem Zustand. Aber es lohnt sich. Das scheue Gebirge, das sich sonst stets hinter einer dicken Decke aus Smog und Wolken versteckt, zeigt sich nur in den frühen Morgenstunden. Von der Aussichtsplattform in dem auf 2195 Höhenmetern liegenden Ort sieht man die Gebirgskette des Langtang Himal von der Annapurna bis zum Everest-Massiv.

Tipps

Anreise
Zum Beispiel mit Air India von Wien via Delhi,
Abendflüge immer mittwochs, freitags und sonntags. Rückflüge morgens. Hin- und Rückflug ab 700 €.

Beste Reisezeit: Oktober und November.

Ausflüge und Transfers
Alfa Nepal Tours and Travel, Boudha Road, ­Kathmandu,
Tel.: +977-1-4478568,
Email: alfanepal@gmail.com

Essen und Trinken
Embassy Restaurant & Bar. Vielfältige asiatische Küche. Freitags Livemusik.
Panipokhari, Kathmandu, gegenüber der Japanischen Botschaft.
Tel.: +977-1-4434597,
embassyrestaurant.com.np

The Kitchen. Nepalesische Küche und Spezialitäten aus der Himalajaregion nach Familienrezepten.
New Road, Kathmandu, gegenüber dem ­RB-Complex.
Tel.: +977-1-4239295.

Jazz Upstairs.
Nepalesische Küche. Mittwochs und samstags Livekonzerte. Lazimpat, Kathmandu.
Tel.: +977-1-4416983,
www.jazzupstairs.com

Sehenswertes
Die Hindutempel von Pashupatinath und Changu Narayan, die Tempelbezirke in Bhaktapur, Lalitpur und Kathmandu, die Stupas Swayam­bhunath und Bodnath.

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