Andorra: Besuch beim Schmutzgeier

Noch findet man Tabakfelder in Andorra, hier am der Kirche Sant Miquel d Engolasters
Noch findet man Tabakfelder in Andorra, hier am der Kirche Sant Miquel d EngolastersFranz Lerchenmüller
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Als Wanderziel ist das kleine Andorra in den Pyrenäen noch ein Geheimtipp.

In den vergangenen Tagen sind im Naturpark Sorteny die Temperaturen leicht gefallen und haben die kobaltblauen Schwertlilien noch einmal zu voller Blüte gebracht. Ganze Abhänge lodern in Blau, dazwischen glüht goldgelb der Enzian, zitronengelb das Labkraut, hellgelb der Klappertopf. Blaue Kardendisteln stehen neben rosa Seidelbast und den zauberhaften Turbanen des Türkenbundes der komplette Pyrenäen-Blumenführer ließe sich hier abarbeiten. Gelegentlich führt der Weg an Trockenmauern vorbei, die Bauern vor Jahrhunderten aufgeschichtet haben. "Neun Monate Winter, drei Monate Hölle", fluchten Generationen über das karge Leben mit der sommerlichen Schinderei an steinigen Hängen. Kein Wunder, dass viele glückstrahlend verkauften, als Mitte des vergangenen Jahrhunderts Grund und Boden für die neu aufkommenden Skilifte gesucht wurden. Heute überziehen die Schneisen der Pisten viele Berge wie ein breit geädertes, helles Netz.

Außer "Steueroase, Skiresorts und Shoppingparadies" weiß man allgemein wenig von Andorra. Dabei ist der größte unter Europas sechs Ministaaten reich, abwechslungsreich und eigen. Er liegt 200 Kilometer nördlich von Barcelona in den östlichen Pyrenäen, ist mit 468 Quadratkilometern nicht rasend viel größer als Wien, und die Berge ragen bis zu 3000 Meter auf. 78.000 Menschen leben hier, ein knappes Drittel davon sind Andorraner. Dank Duty-free-Läden und minimaler Steuern ist Andorra nach wie vor ein Einkaufsparadies. Doch wer zum Wandern kommt, will kein geheimes Konto eröffnen, keine Cohiba-Zigarren kaufen. Ihn zieht es höher hinauf, weg aus den überlaufenen Tälern, in eine Natur, die diesen Namen noch verdient. Und er wird fündig.

 Das  Miniaturland ist Einkaufsziel  und origineller  Kunststandort.
Das Miniaturland ist Einkaufsziel und origineller Kunststandort.Flickr Donchili (CC BY-SA 2.0)

Die Sache mit dem Tabak

Durch Andorra führen Wanderwege in allen Höhenlagen und Schwierigkeitsgraden. Manche über Naturtreppen aus Wurzeln und Gestein, vorbei an zerfallenen Bordas, Almen, die nicht mehr genutzt werden. Andere ziehen sich wild über die Hänge, und manchmal geht es auf kurzen Straßenstücken an Wiesen mit Kühen und Tabakfeldern entlang. Tabak wurde ab etwa 1900 im großen Stil angebaut. Heute spielt er wirtschaftlich keine große Rolle mehr, steht aber für eine kuriose Regelung: Nur wer Tabak anbaut, darf Tabak importieren, um ihn zu verarbeiten.

Spätnachmittags enden die Wanderungen oft in kleinen, schmucken Dörfern wie Llorts oder Ordino, in denen sich geduckte Steinhäuser eng ums Zentrum gruppieren. Schmale Straßen enden in Höfen, die Gebäude stehen in Beziehung zueinander. So bilden sie einen erfreulichen Kontrast zu der einschüchternden Architektur der Wintersportorte, in denen hohe Hotel- und Appartementblöcke mit schwarzen Schieferdächern und Fassaden aus geschnittenem Naturstein stehen.

Eine "Clara", ein kühler Radler auf einer Terrasse, beschließt den Nachmittag. Ein Besuch im Museumshaus Areny-Plandolit, wo eine der reichsten Familien des Landes residierte, bietet sich ebenfalls an. Oder auch Besichtigungen der romanischen Kirchen, die an die Zeit lang vor dem touristischen Goldrausch erinnern. Seit 1873 steht das Land offiziell unter dem Schutz der Jungfrau von Meritxell. Leider brannte die ihr gewidmete Kirche samt der Holzstatue aus dem zehnten Jahrhundert ab. Das Nachfolgegebäude des spanischen Architekten Ricardo Bofill erinnert mit seinem Turm und den Kuppeldächern ein wenig an eine Fabrik. Mit hohen, schwarz-weißen Rundbögen, Rosettenfenstern, Trockenmauern und Spiegeln versuchte Bofill, sowohl die Geschichte des Ortes als auch die Bildsprache der Natur des Landes zu zitieren womit die Locals lang Schwierigkeiten hatten.

Türkise Augen, graue Blöcke

Noch einmal geht es hoch hinaus. Die Kurven zu den Seen von Tristaina, die der Bus sich mühsam hochquält, japste einst Jan Ulrich hinauf, dem Sieg in der Tour de France entgegen und selbst im Sitzen gruselt es die Nichtradler etwas. Baumlos, grau und grün erhebt sich der Kessel um die drei Seen, die wie türkis-blaue Augen in den Himmel blicken. Die florale Ausstattung ist alpin: Enzian blüht in Büscheln, Flechten auf den Steinen zeugen von reiner Luft, Mauerpfeffer hat sich in Spalten angesiedelt. Hin und wieder segelt ein Schmutzgeier durch die Lüfte. Die Aasfresser baden gern in rostigem Wasser oder wälzen sich in rotem Staub und färben ihre weiße Brust ein. Aus Eitelkeit? Zur Balz? Als Vorsorge gegen Parasiten?

Blockklettern ist jetzt angesagt. Der Pfad weist kleine Felsrutschen auf, schräge Platten, scharfkantige Brocken. Manche ausgesetzte Stelle sorgt durchaus für kleine Adrenalinschübe. Aber die Wanderer sind, wie so oft in diesen Tagen, ganz allein. Das und die Sonne machen die Tour zum reinen Vergnügen. Ein Picknick an einem der 17 Seen im Bergkessel von Pessons beschließt die Wanderwoche: Chorizo, Oliven, Man chego- und Ziegenkäse, Schinken, Tomaten, Nüsse und Brot werden gemeinsam auf der andorranischen Flagge angerichtet, dazu ein Becher rubinroter Wein eine kleine Feier ist zweifellos angebracht, wenn man gerade eines der unbekanntesten Länder Europas zu Fuß für sich entdeckt hat.

Infos

Unterkunft: "Him laia": Die Ausstattung ist leicht in die Jahre gekommen. Das Personal gleicht s mit Liebenswürdigkeit aus, detto das Buffet, www.hotelhimalaiasoldeu.com

"Hostel & Pub Barri Antic": im alten Zentrum der Hauptstadt La Vella. Einfache, charmante Zimmer, Pub, junges Publikum, www.hostalbarriantic.com

"Sport Hotel Hermitage Soldeu": 5 Sterne, 1-Michelin-Stern-Restaurant, Spa, Green Fee für welthöchsten Golfplatz, www.hotelhermitage.sporthotels.ad

Essen: Der spanische Einfluss ist stärker als der französische.

Info:www.visitandorra.com

Hinweis: Die Reise wurde von Wikinger Reisen unterstützt. www.wikinger.de

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