Quito: Die Mitte der Welt

(c) Martin Amanshauser
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Das quirlige Quito ist die einzige Großstadt am Äquator. Mit einer Jungfrau aus Aluminium, Eis aus Vulkanen und massenhaft Gold in den Kirchen!

Stellen Sie sich ein langgezogenes Tal zwischen zwei mächtigen Bergketten vor, im Durchschnitt nicht breiter als drei Kilometer – so ist Quito. Die Stadt quillt nur an wenigen Stellen hügelaufwärts, fließt in der Länge weiter, Nord–Süd. Denn Quito wächst. Inzwischen ist der Großraum fast fünfzig Kilometer lang. Die soziale Situation lässt an jene von Teheran denken: Norden und Süden der Stadt funktionieren nach unterschiedlichen Konzepten. Im Norden stehen die Hochhäuser aus dem 20. Jahrhundert, die Botschaften und die Einkaufszentren, gezahlt wird mit Kreditkarte. Im Süden, dem jüngeren, spritzigeren Stadtteil, herrscht ein heilloses Durcheinander, und alles funktioniert in bar. Es sind US-Dollars, die über die Theken gehen – Ecuador leistet sich seit einem guten Jahrzehnt keine eigene Währung mehr.

Obwohl Quito, 1,4 Millionen Einwohner, Menschen aus dem ganzen Land anzieht, ähnelt sie so gar nicht dem Horrorkonzept des südamerikanischen Molochs. Liegt es am kühlen, tropischen Höhenklima oder an der einzigartigen Mischung der etwa dreißig indigenen Völker Ecuadors? Quito ist entspannt, persönlich, warmherzig. Niemand zischt oder pfeift einem nach, die Bettler sind dezent und unaufdringlich. Man könnte fast glauben, dass sie einen hier nicht Gringo nennen. Nun gut, das wäre übertrieben. Gringo ist schon der einschlägige Fachbegriff für weiße Touristen. Doch die Sanftheit, die über Quito liegt, schließt die großen urbanen Gefahren aus. Habituell warnen die Einheimischen vor dem einen oder anderen Platz oder vor ausgedehnten Spaziergängen in der Nacht, doch wenn man eben diesen Platz aufsucht oder durchaus lange herumspaziert, ist die Gefahrenlage mit jener von,  sagen wir, Budapest vergleichbar: einer zivilisierten Metropole.

Die Jungfrau aus Aluminium.
Ecuadors Hauptstadt liegt auf 2850 Meter Höhe, und das macht sich bemerkbar. In den Stunden nach der Ankunft klagen viele Besucher über Atemlosigkeit und Kopfschmerzen. Man gewöhnt sich nach einiger Zeit daran, doch es wird noch tagelang so sein, dass einen überraschend viele Leute auf den Gehsteigen überholen. Noch höher nach oben? Von über 3000 Metern, zentrumsnahe, blickt die monumental-imposante Jungfrau aus Aluminium auf dem Hügel El Panecillo, eine Art Gegenstück zur Jesusstatue von Rio, auf die Stadt hinunter. Die geflügelte Madonna ist nur per Fußmarsch oder Taxi erreichbar. Unten im Tal brummt der Verkehr, auch ein öffentlicher: In Nord-Süd-Richtung existiert seit 1994 ein leistungsfähiges Trolleybussystem auf einer Schnellspur. Es war wild umstritten und musste teilweise unter Polizeischutz errichtet werden. Taxi- und Busunternehmen taten sich als die großen Feinde des „Trole“ hervor, es gab Versuche, ihn mittels Sabotageakten zu verhindern. Chancenlos – und das ist gut. 250.000 Menschen täglich zahlen den Vierteldollar, um das Tal zu durchqueren.

Quirlig: In der Altstadt blüht das Kleingewerbe – vom Gastronomen über den Hutmacher bis zur Kräuterhexe.
Quirlig: In der Altstadt blüht das Kleingewerbe – vom Gastronomen über den Hutmacher bis zur Kräuterhexe.(c) Thomas Simon

1978 wurde Quito pauschal als erste Stadt der Welt zum Weltkulturerbe erklärt. Heute noch klingt der Präsident – Rafael Correa, linkspopulistisch und immer mit einem Bein Putschkandidat – bei seinen Ansprachen wie ein charismatischer Tourismusmanager. Die Welt weiß ja tatsächlich erschreckend wenig von Quitos Schönheit, die sich nicht nur in der Originalzustandsaltstadt,
sondern auch in drei speziellen Kirchen ausdrückt. Die Barockkirche La Compañía de Jesús und das Kloster San Francisco sind in der Neuen Welt die atemberaubendsten Beispiele für Goldüberfrachtung, sie zeigen das christlich-koloniale, von Orden geprägte Ecuador. Von außen ist jedoch die dritte, La Basílica del Voto Nacional oder einfach „die Basilika“, die spektakulärste Kirche der Stadt. Schon allein deshalb, weil sie von überall zu sehen ist.
Diese Basilika muss unvollendet bleiben. Denn laut Sage muss die Welt untergehen, sobald sie fertig ist. Sicher handelt es sich um die wildeste Kletterpartie des sakralen Südamerikas: Bei einem Eintritt von zwei Dollar (Einheimische bezahlen einen Dollar) kommen Liebhaber des Basilikakletterns voll auf ihre Rechnung – drei Türme und gute zwei Stunden lang, rechnet man die verlangsamten Bewegungen mit ein. Was für Schwindelfreie ein ganz normaler Spaß wäre, lässt den Kirchturmnormalverbraucher seine Grenzen ausloten. Beim dritten Level wird einem zum ersten Mal mulmig, wenn der Weg durch den Dachboden des Hauptschiffs führt, über eine schmale, kaum gesicherte Holzhängebrücke von dreißig Meter Länge. An sie schließt eine Metallleiter zur Mittelebene des Nordturms an. Von dort steigen zwei beinahe senkrechte Außenleitern in den Himmel – auf eine Plattform mit kniehohem Steingeländer. Wer sich jetzt hinzusehen traut, hat einen herrlichen Ausblick. Auch die südlichen Glockentürme sind besteigbar, wieder steil, Wendeltreppe, mehrere Innenleitern, Panoramacafé als Raststation.

Balkon einer Welt. Ist die Basilika nicht hoch genug? Kein Problem, der französische Seilbahnbauer Pomagalski (mit Doppelmayr der  Weltmarktführer) hat den sogenannten „TelefériQo“ auf den Stadtberg gepflanzt. Seit 2005 fährt eine Standseilbahn mit Vierergondeln die höchstgelegene Bergstation der Welt an. Die Anlage könnte in einem französischen Skiort stehen, nur, dass sich außen an den Kabinen keine Skibehältnisse befinden, sondern Halterungen für Mountainbikes. Das absurde große „Q“ im TelefériQo ist von Tourismuswerbern ins Wort geschwindelt worden und verweist mit aufgerissenem Maul auf Quito. Aus über 4000 Höhenmetern bietet sich bei klarer Sicht der Blick nicht nur ins Tal, sondern auch von links nach rechts auf die drei schneebedeckten Andengipfel Cayambe (5970), Antisana (5593) und Cotopaxi (5897). Lamafotografie, Pferdereiten, Mountainbiking, Zeitlupen-Hiking (siehe dünne Luft) sind die Attraktionen in dieser Vulkanlandschaft. Schon Alexander von Humboldt erforschte vor zweihundert Jahren die lokalen Gipfel. Er bestieg den Vulkan Pichincha, der später, 1999, wieder Asche spucken sollte.
Quito ist historischer Boden: Hier fand 1882 die entscheidende Schlacht gegen die spanische Kolonialmacht statt. Natürlich noch ohne den spektakulären Blick auf das Häusermeer unterhalb der Zentralkordilleren, der nahelegt, man könne es nun doch mit einem Moloch zu tun haben. Dabei ist Quito gar nicht die größte Stadt des Landes. Diesen Titel trägt Guayaquil (drei Millionen Einwohner). Doch das ist eine andere Geschichte.

Milcheis mit Zimt.
Einen begrenzteren Ausblick, doch die besseren Ingredienzien erhält man in der Heladeria Restaurante San Agustín. Dieses Stück Europa in Quitos Zentrum rührt seit 1858 Eiscreme in Bronzekesseln zusammen: ein geheimes Hausrezept, in dem Fruchtsaft, Eis vom einzigen Gletschervulkan und besagter Kessel die Hauptrollen spielen. Die beliebtesten Sorten sind Leche (Milcheis mit Zimt) und ein wunderbares Heidelbeer. Der zweistöckige Intellektuellentreff bietet auch eine Mittagsspeisekarte an. Die Andino-Familie schupft diesen Laden seit fünf Generationen. Das ist typisch Quito: Ob es nun Luis Banda ist, dessen Familie die süßen „Colaciones“-Kügelchen seit mehr als einem Jahrhundert in einem ebenerdigen Verkaufslokal herstellt, ob der Hutspezialist („Fabricante de Sombreros“) Luis López im revitalisierten Handwerkerviertel La Ronda (führt u. a.
Tirolerhüte) oder ob die Kräuterexpertin Emma Lagler, bei der sich, wer daran glaubt, von allem Bösen befreien lassen kann – in der Altstadt blüht das Kleingewerbe.

Mitte der Welt? Eines steht fest: Ecuador hieße nicht Ecuador, wäre der Äquator weit. Überall auf der Welt durchquert diese fiktive Linie Meer oder Regenwald, ist also ungreifbar – nur in Ecuador kreuzt ihr gerader, unsichtbarer Meridian urbanes Gebiet. Wo genau verläuft nun der Äquator, wo befindet sich 0°-0´-0´´? Offiziell bestimmten die Messungen des Franzosen La Condamine 1736 mit seiner Expedition die exakte Äquatorposition. Zwanzig Kilometer südlich von Quito steht daher an dieser Stelle ein dreißig Meter hohes Monument, erbaut 1979 bis 1982. Um diese „Mitad del Mundo“, die Mitte der Welt, wurde für Touristenzwecke ein kleines spanisches Kolonialstadt-Replikat errichtet.

Multilemma.
Doch ergeben GPS-Messungen, dass die wahre Äquatorlinie 240 Meter an dieser Stelle vorbeischrammt, andere messen gar 500 Meter Distanz – je nach Grunddaten. Dieses Dilemma machen sich andere Orte zunutze. An der Panamericana steht seit 2007 ein brandneues Äquatordenkmal. Und auch das dubiose „Intiñan Solar Museum“ in Sichtweite der Mitte der Welt, beansprucht den Äquator für sich. Die dortigen Museumsguides führen leichtgläubigen Besuchern allerlei Zaubertricks vor, die „nur am Äquator funktionieren“ sollen.
Fest steht, dass Einheimische vor mehr als 1000 Jahren, in der Vor-Inka-Zeit, einen Kultort betrieben haben, in dessen Zentrum mittags absolut kein Schatten fällt. Und die alten indigenen Meister waren näher an der Linie dran als sämtliche europäischen und amerikanischen Satellitenmessungen. Auf dem Hügel Catequilla, etwas abgelegen, total unerschlossen und nur zu Fuß in einem einstündigen Spaziergang erreichbar, steht ein weiteres Denkmal. Wer von dort oben über die Berglandschaften geschaut hat, ahnt: Das muss zweifellos 0°-0‘-0‘‘ sein.

Alle Infos über Quito beim Fremdenverkehrsamt www.quito.com.ec

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