Neuseeland: Ehrliches Essen

Die Küche der Langen Weißen Wolke hat nicht viele, dafür aber sehr einfache Geheimnisse.Eine kulinarische Tour durch Neuseeland.

Es ist kurz vor 8 Uhr. Die Sonne strahlt durch die Straßen von  Downtown Auckland. Und da auch am anderen Ende der Welt der Tag mit einem Frühstück beginnt, bestellt Al Brown Kaffee und zwei Duna für die Gäste:  Baguettes mit Schinken und Ei. Alles „to go“  natürlich. Und  ohne zu zahlen. Schließlich gehört der Laden ihm. Auch in Flip-Flops und Badeshorts strahlt der 47-Jährige das entspannte Selbstbewusstsein eines Menschen aus, der weiß, dass er es geschafft hat: mit TV-Shows, Kochbüchern, als Teilhaber des Nobelrestaurants „Logan Brown“ in Wellington.

Sein „Depot“ in Auckland wurde 2012 zum besten Restaurant des Landes gekürt und hat den bekanntesten Koch Neuseelands noch bekannter gemacht. Wohl ein Grund, warum Neuseeland Brown und seine Kochbücher „Go Fish“ und „Stoked“ im Vorjahr zur Frankfurter Buchmesse entsandte, als eine Art kulinarischen Botschafter des Ehrengastlandes. Denn für den Otto-Normal-Esser ist Neuseeland noch immer Terra incognita.

„In Cod We Trust“.
Browns Bruder Jeremy wartet vor dem Restaurant mit dem Boot. Wir sind zum Fischen verabredet. Eine Leidenschaft, der Brown in Form von „Go Fish“ eine Hommage gewidmet hat und für die er sich Zeit nimmt. Auch wenn er eigentlich keine Zeit hat. „Frische, lokale Zutaten“ ist eines von Browns Mantras. Angeln und den Fisch fangfrisch zubereiten, für Brown ist das der Inbegriff von Kiwi-Cuisine. Und Margaret Fish würde ihm zustimmen.

Verlässt man Auckland gen Norden, landet man nach anderthalb Stunden in Mangawhai Heads, einem Örtchen an der Ostküste. Das kulinarische Herz des Dorfs schlägt im Sail Rock Cafe, benannt nach einem Felsen vor der Küste: Steht die Sonne richtig, scheint der segelförmige Felsen fast weiß vor der Insel Hen Island dahinter. Kommt der Gast zur richtigen Zeit, wird er von Margaret Fish empfangen, der Seele des Hauses und personifizierten neuseeländischen Gastfreundschaft.

Wir wirken hungrig. Fish tischt auf: Salt & Pepper Squid – gesalzener und gepfefferter Tintenfisch, dazu Aioli und süßer Chilidip. Mit diesem „signature dish“ hat es Fish zu einer Fangemeinde weit über Mangawhai Heads hinaus gebracht. Als Nachspeise gibts Flat White, den auch für Australien typischen Cappuccino aus Espresso und flüssigem Milchschaum, und Carrot Cake. Karottenkuchen ist in Neuseeland ubiquitär, doch das Exemplar, das auf der Bar des Sail Rock Cafe thront, gleicht einem Kunstwerk, Kürbiskerne zieren die Frischkäseglasur.
Der Kaffee schmeckt so gut – wie überall am unteren Ende der Welt, so gut, dass Neuseeländer, die zeitweise in Deutschland wohnen, beim Thema Kaffeekultur nur noch den Mund verziehen. Kate Camp, neuseeländische Dichterin und 2012 Writer in Residence in Berlin, hat die Organisatoren der Frankfurter Buchmesse halb im Scherz darum gebeten, den neuseeländischen Pavillon in Frankfurt mit einer ordentlichen Kaffeemaschine auszustatten.

In Takapuna Beach im Norden Aucklands lassen Al Brown und sein Bruder Jeremy unterdessen das Boot zu Wasser. Brown hebt zwei Kisten voller Eis ins Boot. Eine für den Fisch, eine fürs Bier. Dann wirft Jeremy den Motor an. „Ka-lonk – ka-lonk.“ Immer wieder schlägt der Rumpf des Bootes hart auf die Wellenberge, während Jeremy auf eine Gruppe kreisender Möwen zusteuert. „Wo Vögel sind, da sind auch Fische“, sagt er. Jeremy kennt sich aus. Er bietet Angeltouren an. Während der Motor abstirbt, macht Brown seine Angel fertig und hebt an zu einer Geschichte Neuseelands, einer kulinarischen Geschichte. Sie handelt vom Erwachsenwerden eines jungen Landes – jung aus westlicher Sicht. „Vor 30, 40 Jahren war Neuseeland eine kulinarische Wüste.“ Dann begannen die Kiwis zu reisen und zu lernen. Heute wird in Neuseeland Wasabi angebaut. Lokale Olivenöle gewinnen Wettbewerbe. Man ist stolz auf den hiesigen Sauvignon Blanc, und Fischen ist zum Volkssport avanciert,  noch vor Rugby. Auch Brown angelt, seit er klein ist. Auf seinem T-Shirt steht „In cod we trust“ (Wir vertrauen auf Dorsch).

Overseas Experience. Die kulinarische Geschichte Neuseelands ist auch ein bisschen die Geschichte Al Browns. Auf einer Farm aufgewachsen, lernte Brown zunächst die Küche seiner Mutter kennen. „Sie setzte den Braten zur gleichen Zeit an wie das Gemüse. Wir aßen also jede Menge graues Fleisch und labbriges Gemüse.“ Essen bedeutete in Neuseeland lange Zeit nur Nahrungsaufnahme. Man war genügsam. Und Meister im Einkochen. „Wenn Früchte an dem Bäumen hingen, haben wir sie eingeweckt oder Marmelade oder Chutney draus gemacht. Das ist bis heute eine Grundlage unserer Küche.“

Brown bringt seine Angel zum Singen. Immer wieder zischt der Köder beim Fliegenfischen kurz über der Wasseroberfläche entlang. Bald beißt der erste Fisch. Dann noch einer. Und noch einer. Silberne Riesen mit gelben Augen. „Kahawai, der Fisch des Volkes“, sagt Brown.

Wie die meisten Neuseeländer ging Brown nach der Schule ins Ausland. „OE“ – Overseas Experience – nennen die Kiwis diese Zeit im Lebenslauf. Sie schließen die Schule ab, arbeiten eine Weile, um Geld zu verdienen, und ziehen dann los, um die Welt zu sehen. Brown wollte als Kellner um die Welt tingeln, erwies sich jedoch als hoffnungsloser Fall und landete in der Küche. Doch er mochte das Chaos, das Adrenalin. Also erlernte er in Vermont, USA, den „einzigen Job der Welt, für den man alle Sinne braucht“.
Seitdem haben sich Al Brown und Neuseeland eine eigene Philosophie erkocht: Einfach soll es sein. Einzig der Geschmack und die Textur zählen. Während Jeremy die gefangenen Kahawais ausbluten lässt, rollt Brown das erste Rezept von der Zunge: roh, mit Sojasauce und frischer Wasabipaste. „Ich mach kein Geheimnis aus meinen Rezepten. Ich koche sie sowieso besser“, sagt Brown und lacht. „Wenn du in Frankreich Jakobsmuscheln bestellst, bekommst du drei perfekte Jakobsmuscheln, die auf etwas sitzen, was auf etwas sitzt, in einer Pfütze von irgendwas. Wenn du Jakobsmuscheln in Neuseeland bestellst, bekommst du einen Teller voller – Jakobsmuscheln!“

Natürlich gibt es auch in Neuseeland Edelrestaurants mit weißen Tischdecken, Kerzenständern, zurückhaltenden Kellnern und allem, was dazugehört. Doch die meisten Kiwis mögen es entspannter. Das Wort Barbecue ist Musik in den Ohren von Neuseeländern. Es bedeutet, dass sie sich entspannen können, dass es jede Menge gebratenes Fleisch und Fisch geben wird. „Wir wollen uns keine Krawatte für ein schickes Restaurant umbinden, in dem ein Kellner die Glocke von unserem Teller hebt. Wir fühlen uns da nicht wohl“, sagt Brown.

Da ist es wenig verwunderlich, dass Neuseeland die besten Burger der südlichen Hemisphäre zu bieten hat. Warum? Setzt man mit der Fähre von Wellington nach Picton über, wartet am Ende der dreieinhalbstündigen Überfahrt gleich bei der Ankunft im kleinen Burgerladen nahe des Jachthafens die Erkenntnis: Es liegt an der Roten Rübe! Höchste neuseeländische Burgerkunst findet man in einem Bauwagen im nördlichen Zipfel der Südinsel. Hier liegt der Nationalpark Abel Tasman.  Eines der Haupteinfallstore in den Park, für Besucher zu Fuß oder per Kajak, ist das Örtchen Marahau. In den Sommermonaten steht hier links der Sandy Bay Marahau Road versteckt, abseits der Straße der „Fat Tui“ – ein Imbissswagen, der neben quantitativ und qualitativ unfassbar luxuriösen Rindfleischsandwiches auch Muschelburger offeriert. Hat man soeben eine dreitägige Kajaktour durch den Nationalpark absolviert, werden die „Fat Tui“-Burger zum semireligiösen Erlebnis.

Bungee-Jumpers Lohn: ein „Big Al.“ Alles andere als ein Geheimtipp ist mittlerweile „Fergburger“ in Queenstown. Die Stadt liegt im Herzen der Südinsel am Wakatipu-See, dessen Wasser angeblich so sauber ist, dass es keinen Strom leitet. Sitzt man mittags an einem ruhigen Ort in den Hügeln der Stadt, hört man für gewöhnlich Angst- und Jubelschreie durch die Baumwipfel tönen. Alan John „A. J.“ Hackett eröffnete in Queenstown 1988 den weltweit ersten kommerziellen Bungee-Jump. Seitdem kommen Adrenalinhungrige aus aller Welt und stürzen sich in der malerischen Umgebung Queenstowns von Brücken, Felsvorsprüngen und aus Flugzeugen. Danach stellen sie sich bei Fergburger an, um sich mit einem „Big Al“ zu belohnen: 500 Gramm Fleisch, Schinkenspeck, Käse, zwei Eier und, natürlich, Rote Rübe.
Al Brown würde der Burger gefallen, nicht nur des Namens wegen – schließlich ist er ein Freund von handfesten Dingen und „ehrlichem Essen“. Für Molekularküche hat Brown nur Verachtung übrig. Von all dem Brimborium und Schnickschnack, mit dem manche Restaurants ihr Essen präsentieren, von den Punkten, Linien, Schaumtupfern auf dem Teller hält er wenig.   „Wenn du das machen willst, solltest du Florist werden. Geh und arrangiere Blumen“, sagt  er seinen Jungköchen, die sich zeitgeistig gerieren wollen.

Zurück im „Depot“ verschwindet Brown in der offenen Küche des Restaurants. Wenig später bringt er einen der soeben gefangenen Kahawais mundgerecht zerlegt auf den Tisch. Wie versprochen roh, mit Sojasauce und frischer Wasabipaste. „It’s not complicated or groundbreaking. It’s just fucking delicious.“ Es ist nicht kompliziert oder bahnbrechend. Es ist einfach nur verdammt gut.

TIPP

Mietwagen: Britz, Campervans ab 721 Euro/Woche. www.britz.com

Essen:
Depot: 86 Federal Street, Auckland, Tel.: +64/(0)9/363 70 48, tgl. offen ab 7 Uhr. www.eatatdepot.co.nz
Fergburger: 42 Shotover Street, Queenstown, Tel: +64/(0)3/441 12 32; www.fergburger.com
Sail Rock Cafe: 12a Wood St, Mangawhai Heads,Tel.: +64/(0)9/ 431 40 51 www.sailrockcafe.co.nz
Logan Brown: 192 Cuba Street, Wellington, Tel.: +64 (04) 801 51 14, Mittagessen Di-Sa 12-14 Uhr, Abendessen tgl. ab 5.30 Uhr www.loganbrown.co.nz
Fat Tui: Rd 2, Marahau

Action: Copland Track, Start am Kara garua River, anspruchsvolle Tagestour bis zur Welcome Flat Hut mit warmen Quellen.
Abel Tasman Kayak-Tour: Start in Marahau, Länge (Übernachtungen möglich) je nach Wunsch, verschiedene Anbieter im Ort. Queen Charlotte Track durch die Marlborough Sounds, Start in Picton (Südinsel), Dreitagestour.
Milford Sound Kayack-Tour: 6 h, Start in Milford, www.roscosmilfordkayaks.com
Canyon Swing, Bungee-Sprung und -Schwung, Queenstown www.canyonswing.co.nz

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