Kochfieber in Helsinki

Am Restaurant Day kann jeder ein Lokal aufmachen: ob in der eigenen Wohnung oder auf einer Parkbank. Der Kontrast zu den besten Restaurants der Stadt könnte nicht größer sein.

Februar ist alles andere als die ideale Reisezeit für Helsinki. Es wird nie richtig hell, der Kaffeeverbrauch der Finnen ist nicht umsonst der höchste weltweit. Man trifft sich im Winter oft schon um 17 Uhr zum Abendessen. Ob in einem der besten Restaurants der Stadt oder in einer schäbigen Künstlerwohnung im sechsten Stock ohne Lift. Am 17. Februar ist nämlich wieder Restaurant Day. Dann hat man die Wahl zwischen mitunter abenteuerlichem Essen, vielen Überraschungen und spontaner Kommunikation oder aber auch guter Gastronomie.

Die Amateure. „Gerade im Winter braucht Helsinki Spaß“, sagt Antti Tuomola. Deshalb findet der Restaurant Day, den er initiiert hat, auch im November und im Februar statt. Am Restaurant Day kann jeder für einen Tag zum Gastronomen werden, die halbe Stadt ist dann auf den Beinen, um sich in fremden Wohnungen, auf Parkbänken oder im Yogastudio im Souterrain von Amateuren Essen servieren zu lassen. An die 400 Pop-up-Restaurants waren es im November des Vorjahres. Das Echo ist jedes Jahr größer, auch wenn der Winter für die Einwohner Helsinkis die falsche Jahreszeit ist, um in einer Garageneinfahrt Sandwiches zu schichten oder in einem Park Kobe-Beef-Burger zu braten.

Restaurant-Day-Erfinder Antti Tuomola sitzt mit Ohrenschützerhaube in seinem Brunchzelt im Pestpark, dem Ruttopuisto, und versucht offensichtlich mit allen Mitteln, nicht daran zu denken, dass er schon zwei Nächte nicht geschlafen hat. „Die Behörden in Helsinki sind total verrückt“, sagt er, „der Genehmigungswahn hier übersteigt das richtige Maß.“ Gemeinsam mit Freunden wollte er ausprobieren, ob es möglich wäre, an allen Anträgen vorbei in der ganzen Stadt Restaurants für einen Tag zu eröffnen. Man bastelte eine Homepage, auf der die erhofften Mitstreiter den Namen ihres Restaurants und die Adresse eintragen konnten. Es wurden mehr als erwartet. Viel mehr. „Wir wollten aber nie zu rebellisch sein. Auch Polizisten sollen sich trauen, ein Lokal zu eröffnen“, sagt Tuomola. Hunde waren bis jetzt noch nicht unter den Gastgebern, ein Lokal für Hunde gab es aber sehr wohl. Auf Versicherungsfälle und Diebstahl angesprochen, weiß Antti Tuomola nur von einem Falschgeldzwischenfall zu berichten.

Mittlerweile ist der Restaurant Day eine weltweite Veranstaltung mit Teilnehmern in über 20 Ländern geworden, die meisten amateurhaften Pop-up-Lokale gibt es aber in Helsinki. Etwa die Tokyo Kitchen im Hochparterre eines grauen Hauses in der Merimiehenkatu. Ein Blick ins Zimmer verrät, dass es auch in Finnland Ikea geben dürfte. Die Trittleiter wackelt, vielleicht wäre es sicherer, wieder ein paar Stufen Richtung Asphalt hinunterzusteigen und dort zu warten. Da ist die Gastgeberin schon zur Stelle. Ein schneller Tausch, Euro gegen Onigiri, Worte gegen ein helles Lachen. Die Onigiri – weiche, dreieckige Reiskuchen mit Noriblatt-Umhüllung – schmecken ziemlich fad, in Wien bekommt man weitaus bessere. Aber darum geht es am Restaurant Day nicht. Das wird auch in einem Yogastudio im Souterrain klar, wo ein äußerst enthusiastischer Yogalehrer ein optisch verlockendes, veganes Buffet aufgebaut hat.

(c) Anna Burghardt

Essen in finnischen Privatwohnungen. Schräg gegenüber wartet eine Schaumstoff-Fleischtasche auf zwei Beinen auf Bestellungen. Mittels Korb und Seil werden Geld und Zettel in den ersten Stock geholt, der Korb wird wieder heruntergelassen. Die Empanadas lassen sich mit einigem guten Willen als nett beschreiben. Das Seltsame am Restaurant Day, trotz des nicht gerade umwerfenden Essens, ist: Man ist neugierig auf weitere Adressen, setzt seine Tour durch die Stadt, mit ausgedrucktem Restaurant-Day-Plan oder Smartphone, fort, will wissen, auf welche Ideen die Leute hier noch kommen und wie finnische Wohnungen aussehen. Die Namen der Pop-up-Lokale sind mitunter absurd, manche Preise für das Laienessen ebenfalls. Der Michael Jackson Burger Palace im soundsovielten Stock eines Jugendstilhauses entpuppt sich als gezielt vollgeramschte Wohnung einer Vintagemode-Besitzerin, es gibt „Smoothie Criminal“ oder schlichte Veggie-Burger um sieben Euro und kostenlose Billie-Jean-Beschallung. Eine Künstlerin serviert in einer schlecht beleuchteten Wohnung mit Wasserschaden drei Gänge mit Dosenbohnen und zerkochten Spaghetti um über 20 Euro.

(c) beigestellt

Man nimmt ihr nicht ganz ab, dass sie nicht wegen des Geldes beim Restaurant Day mitmacht, sondern „aus reiner Freude am Gastgebersein“. In der Philosophie des Restaurant Day, sagt Antti Tuomola, stehe das Geldverdienen an letzter Stelle, viele Gastgeber spenden die Einkünfte. Die Gästemischung in der Künstlerwohnung ist aber ein Grund, doch noch ein bisschen zu bleiben. Manche am Tisch im Wohnzimmer waren bis jetzt bei jedem Restaurant Day: Eine ist Foodjournalistin, ein anderer kennt viele Wiener Lokale, man unterhält sich bei Dosenbohnen über die besten Adressen für gutes Essen in Helsinki. Am Ende umarmt die Gastgeberin alle, die es nicht wollen, denn „who’s my guest, is my friend“. Die Umarmung war kostenlos.

Die Profis. Der Koch Ari Ruoho bekommt Post von einer Kuh. „Hej, ich heiße Hälläri!“, schreibt die Dame im kastanienbraunen Fell, schickt ein Foto von sich mit und erzählt: dass sie gern mit Essi, Hurja und Hitsi auf der Weide liege, dass ihr Sohn Julmuri heiße, was so viel bedeute wie Schlingel, und dass sie doch schwer hoffe, dass er dem Namen nicht alle Ehre mache. Nokka-Küchenchef Ari Ruoho hat offenbar einfallsreiche Bauern als Lieferanten. „Von der Kuh Hälläri bekommen wir die erste Milch nach dem Kalb, mit der kann man Crème brûlée ohne Eier machen!“ Ruoho ist von guten Kontakten zu Bauern und Wildpflanzenlieferanten abhängig – VIP bedeutet bei ihm „Very Important Producer“. Er verwendet im Nokka ausschließlich finnische Zutaten: Beeren, Rentierfleisch, Hering, verschiedene Rüben, viele Sorten Erdäpfel. Bei Letzteren legt er direkt missionarische Begeisterung an den Tag. „Wir lieben unsere Erdäpfel – diese Vielfalt!“ Auch von den zahlreichen Mikrobrauereien und den finnischen Fruchtweinen, die in den besten Lokalen Helsinkis gerade en vogue sind, kann er nicht genug schwärmen. „Früher haben die nur nach vergorenem Saft geschmeckt. Heute ist es Wein.“ Ruoho fische auch selbst, nur zum Jagen habe er noch keinen Zugang gefunden. Dafür möchte er beim nächsten Ironman in Klagenfurt teilnehmen.

Streng lokal. Das Nokka war als erstes Spitzenrestaurant  Finnlands mit einer streng lokalen Küchenlinie früh dran. Claus Meyer, Noma-Mastermind, habe sich das Restaurant gleich ein paar Mal angesehen, sagt Ruoho. In den zehn Jahren, die das Nokka nun offen hat, ist viel passiert. „Als wir begonnen haben, waren gerade einmal zehn Bauern gut genug, jetzt haben wir circa 65 Lieferanten.“ Ruoho weiß, ausschließlich auf heimische Produkte zu setzen ist immer auch ein Risiko, man sei dann einfach abhängig von dem, was das Land hergibt. „Aber wenn man sich einmal entschieden hat, muss man das durchziehen.“ Ruohos finnische Küche liest sich unter anderem so: Blutwurstsoufflé mit Entenmagen und Birnensenf, Malzkuchen mit Sanddorneis und salziger Lakritze, und auch Käse von einem Österreicher in Finnland, Peter Döring, steht auf der Karte. Finnische Zutaten, französische Techniken, meint Ruoho seine Küche auf den Punkt zu bringen. Also etwas anders als die bekannten Nordic-Cuisine-Vertreter.

Etwas mehr Frankreich, etwas weniger Finnland und gar nicht so wenig Österreich bei den Weinen heißt es indes im noblen, schwarz-weiß möblierten Chez Dominique, das zwei Michelin-Sterne und ein bisschen böse Nachrede (auch auf Finnisch gibt es wohl ein Wort für Neid) vorweisen kann. Etwa über die Art, wie das Lokal geführt wird, mit 16-Stunden-Tagen für die Angestellten, oder darüber, dass der eigentliche Küchenchef selten da ist und stattdessen ein Kalifornier kocht, der zuvor in der French Laundry gearbeitet hat. Fest steht: Essen, Getränkekarte und Service sind die Sterne wert. Geschmortes Bäckchen vom Eber, Malzschaum und Sauerklee als Amuse-Gueule, Taubenbrust, Taubenherz und Taubenlebercreme mit Schwarzwurzeln, Kürbismousse mit Lakritz-Crumble und Zitronengras. Die Taube ist hier ein Fixstarter, wird je nach Jahreszeit variiert. Die tiefgelbe Butter kommt von einem Appenzeller, der ebenso wie Käsemacher Peter Döring mit einer Finnin verheiratet ist. Der ehemalige Souschef des Chez Dominique ist nun Küchenchef im Olo, einem beliebten Restaurant gleich ums Eck, und auch andere Spitzenköche Helsinkis haben im Chez Dominique gelernt.
Eine der legereren Adressen Helsinkis ist das Juuri, ein gut besuchtes kleines Shabby-Chic-Lokal. Die Wände sind ausgetüftelt abgeblättert, das Brot natürlich selbst gebacken, die Weine und auch Champagner sind biodynamisch. Auch hier: österreichische Winzer wie Loimer oder Wieninger. Im Juuri serviert man Sapas, finnische Tapas, die mit unter fünf Euro für Helsinki-Verhältnisse wirklich günstig sind: Champignonbrioche mit Zwiebel und Frischkäse, Blutwurst mit Lingonbeeren, eingesalzener Zander mit Zanderrogen.

So regional die Spitzenküche in Helsinki ist – mehrere Restaurants schmücken sich mit dem Prädikat Nordic Cuisine –, das Bedürfnis nach Exotischem scheint groß: Beim Restaurant Day servierte fast kein Laienlokal finnisches Essen.

TIPP

Restaurant Day. Der nächste Termin ist der 17.  Februar. Die meisten Pop-up-Lokale wird es in Helsinki geben, aber auch in Österreich kann man Lokale eröffnen: Man meldet sich online an und wird in die weltweite Adressenkartei aufgenommen.
restaurantday.org

Gut essen in Helsinki. Als die besten Restaurants der Stadt gelten das elegante Chez Dominique (zwei Michelin-Sterne), das Olo und das Nokka, das ausschließlich finnische Zutaten verarbeitet. Spis und Juuri sind legerer, die Küche ist regional. Das elegantere Savoy wartet mit originalem Alvar-Aalto-Interieur auf.

Chez Dominique, Rikhardinkatu 4. www.chezdominique.fi
Nokka, Kanavaranta 7F, www.ravintolanokka.fi
Olo, Kasarmikatu 44, www.olo-ravintola.fi
Spis, Kasarmikatu 26, http://spis.fi
Juuri, Korkeavuorenkatu 27, www.juuri.fi
Savoy, Eteläesplanadi 14, ravintolasavoy.fi

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