Georgien: Am Balkan Europas

(c) AP (Shakh Aivazov)
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Mag nun Istanbuld als die Pforte zum Orient gelten, so ist Georgies Hauptstadt Tiflis doch weit mehr als nur das Hintertürl.

Es ist die Nacht zum 21. Dezember, knapp nach drei Uhr morgens. Die Finsternis hängt über den Außenbezirken von Tiflis wie ein nasskalter Fetzen. Trotzdem ist Djemali auf die Sekunde pünktlich. Er steigt aus dem Minivan und nach einer halben Zigarette staksen seine Fahrgäste frierend aus dem Flughafengebäude. Eher professionell resigniert als ernsthaft missmutig besteigen sie den Shuttlebus der Tbilisi State University. Wer als EU-Bürger Weihnachten an den Ufern des Mtkwari (der deutsche Name: Kura) verbringt, tut dies selten aus touristischen Gründen. Meist sind es Gastvortragende oder Teamleader und Experten der unterschiedlichsten Europa-Disziplinen. Das Taxi hält vor dem Hotel "Prestigi", auch für georgische Verhältnisse recht mittlere Mittelklasse, aber man spart immerhin an den Tagesspesen. Wer schon öfter hier war, fürchtet sich vor dem prophylaktisch knurrenden Hauswolf im Hundefell etwas weniger. Von den Profis werden die Zimmer nahe der Rezeption tunlichst gemieden, denn der Nachtportier bringt es auf gute 80 Zigaretten pro Schicht, der Rauch quillt in Schwaden unter dem großzügigen Türspalt in das Schlafgemach. Außerdem brüllt Vaso, den Fernseher übertönend, in sein Handy. Offensichtlich hält er regen Kontakt zu sämtlichen anderen Nachtarbeitern der Millionenstadt. Irgendwann schläft man dann doch ein.

Geschäftiges Treiben.
Als idealer Reisemonat für diesen Teil Georgiens gilt September. Dann muss hier alles beinahe mediterran anmuten, denkt man und teilt diese Hoffnung mit den Flüchtlingsfrauen aus Ossetien, die an den Kircheneingängen betteln. Die Verkäuferinnen in den Second-Hand-Läden wärmen ihre Hände über winzigen Elektrokochplatten. Übrigens: Grellbunt beleuchtete Souterraineingänge an den Hauptstraßen führen nicht zu illegalen Bordellen oder obskuren Spielhöllen, sondern in Bäckereien, eigentlich eh schon am Brotduft zu erkennen. An Wochenenden bürgt ein Flohmarktbesuch beinahe schon für eine erfolgreiche Schnäppchenjagd. Porzellan und Schmuck aus besseren Zeiten werden derzeit noch relativ günstig verscherbelt, man muss schließlich heizen, essen und auch ein bisschen Spaß haben, also was soll s. Große, oft reich mit Schnitzwerk verzierte Holzbalkone und Veranden mehren sich zur Innenstadt hin, das Ambiente wirkt nun deutlich aufgeräumter. Die Häuser erinnern an Süditalien, schmiedeeiserne Gitter schirmen Innenhöfe ab, die vor Weinreben nur so strotzen (übrigens nennen die Georgier ihr Land den "Balkon Europas", die Assoziationen kommen also nicht von ungefähr). Die historische "Kala", die Altstadt, hat sich herausgeputzt. Älter als 200 Jahre sind aber meist nur die Grundmauern der Gebäude, zu oft wurde diese Stadt zerstört und neu aufgebaut. Highlight der Altstadt ist der Platz der Tataren, Meidan genannt. Seinerzeit war er der bedeutendste Markt des gesamten Kaukasus. Ganz in der Nähe befindet sich auch die Chardinstraße mit ihren anheimelnden Kaffees und modischen Galerien und Geschäften. Scheint die Sonne, kann man seine Bestellung, die wegen der vielen Leckereien recht üppig ausfallen kann, auch im Dezember im Freien genießen, mit etwas Glück halt.

Geschäftsleute und Badenixen. Durch Tiflis führte einst ein viel bereister Ableger der verästelten nördlichen Seidenstraße, die Stadt war somit ein Zentrum des bedeutendsten Fernhandelsweges zwischen China und Europa. Diese herausragende Stellung brachte viel Ehre und Geld, aber auch wiederholt Zerstörung und ein wirres Auf und Ab ihrer Entwicklung. Als Handelszentrum beherbergte der Großmarkt eine Anzahl stattlicher Karawansereien. Diese wurden aber, ebenso wie ihr bauliches Umfeld, regelmäßig dem Erdboden gleichgemacht. Heute mit einer jugendstilähnlichen Fassade versehen, präsentiert sich die ehemalige Karawanserei des Kaufmanns Arzruni als Eckgebäude Zionistraße/Wattegasse. Einst befanden sich oberhalb der heutigen Grundgewölbe Warenlager, Kontore und eine Herberge. Die Wirte einer Karawanserei hatten für die Sicherheit und das Wohlergehen von Mensch, Tier und Ware zu sorgen. Nach diesen Leistungen richtete sich das Einkommen der Betreiber. Wer das nunmehrige Museum für Stadtgeschichte besuchen möchte, frage also nach der "Karawasla".

Am Fuß der Narikala-Festungsruine, unweit der Moschee, liegen die Schwefelbäder mit ihren sagenumwobenen Heilkräften. Zu sehen sind allerdings nur die Eingänge und Lichtkuppeln der im iranischen Stil gehaltenen Bauten. Die Räumlichkeiten selbst, mit ihrem bis zu 38 Grad Celsius heißen eisen- und schwefelhaltigen Wasser, liegen unterirdisch. Dienen diese Bäder in unseren Tagen ausschließlich der wohligen Regeneration, so waren sie früher auch Konferenzzentren der Kaufleute. Dienstag und Mittwoch waren Damentage, da hatten sich Männer fernzuhalten, angeblich bis auf Pistolenschussweite. Unter den opulent geschmückten Nackten befand sich auch nicht selten die "Chanuma", eine   sagen wir einmal   "Verbindungslady" zwischen Damen und Herren auf Brautschau für heiratswillige Junggesellen, oder ganz generell, um zu orten, wer vielleicht mit wem und so...
"ßad aris ßadguri?" Abgesehen von dieser Frage nach dem Bahnhof und einigen Floskeln bleiben die georgische Sprache und mehr noch die Schrift dem Reisenden meist verschlossen. Weder aus dem Russischen noch Türkischen ergeben sich brauchbare Anhaltspunkte, Georgisch ist ein Exklusivmedium. Außerhalb des professionellen EU- und Universitätsumfeldes ist man im Alltag mehr oder weniger auf die Zeichensprache angewiesen, aber diese Methode funktioniert recht gut. Wer sich beispielsweise vor einem Metroeingang postiert und mit hilflosem Lächeln, nach unten zeigend, oftmals "ßadguri" wiederholt, wird seinen Zug nach Aserbaidschan vermutlich erreichen, vorausgesetzt, er will überhaupt dorthin. Aber Geduld und nochmals Geduld, und Achtung: Auf Schwarzfahrer lauern fallenartige Absperrungen. Überhaupt verlangt eine Fahrt im Höllenschlund der Tbilisi-Grottengeisterbahn die psychische Belastbarkeit eines professionellen Höhlentauchers.

24. Dezember, 18.45 Uhr, Zimmer 105.
Zwei Nachtkästchen samt Leintuchtischdecke sind zu einer Festtagstafel zusammengestellt. Die Gäste sitzen am Bettrand und auf vier Stühlen, entliehen dem Frühstücksraum. Ein Restaurant wäre als Alternative nicht infrage gekommen, denn den Heiligen Abend verbringt man zu Hause. Außerdem lässt die orthodoxe Form der Weihnachtsstimmung in Tiflis eh auf sich warten, das Fest der Geburt Christi begehen die Georgier nämlich erst am 7. Jänner. Die Zimmer-105-Feier bietet ihren sechs Teilnehmern aber immerhin nebst Tannenzweig mit Kerze eine recht ansehnliche Spezialitätenauswahl. Unter anderem: Khatschapuri (Käseteigtaschen), Saucen wie Tkemali oder Saziwi. Außerdem kaltes Huhn, kalten Spanferkelbraten, ein beachtliches Käseangebot nebst ofenwarmem Brot und frischem Obst. Mineralwasser und Bier stammen aus der über die Landesgrenzen hinaus bekannten Kasbegi-Anlage, der Wein aus kachetischen Dörfern. Ja, und der Hauswolf liegt zufrieden im Flur und knackt sein Geschenk, einen gewaltigen Rindsknochen. Das Geräusch klingt trotz verschlossener Türe irgendwie beunruhigend.

Tipps

Stadtplan Ein Blick auf den Stadtplan nützt meist wenig, schadet aber auch nicht. Flüge Wien München Tiflis mit Austrian/Lufthansa ab 475. HotelsHotel Old Metekhi, Metexis quCa 3 (Metekhi Street 3), schönes altes renoviertes Hotel im Zentrum von Old Tbilisi (Nähe Schwefelbäder), Kreditkarten, Restaurant, Tel.: +995/32/274 74 04, oldmetekhi@yahoo.com. Hotel Kopala, Cexovis quCa 8/10 (Chekhov Street 8/10), sehr angenehmes sauberes und ruhiges Hotel im Zentrum, Kreditkarten, Restaurant mit Dachterrasse, herrlicher Rundblick, Tel.:+995/32/277 55 80, hotel@kopala.ge Flohmarkt Porträts der einstigen Sowjethelden werden heute am Straßenrand feilgeboten. Mitbringsel Stoffe, Edelbrände, altes Porzellan, Schmuck aus zweiter Hand oder Gewürze. Restaurants Maidan's, 6 Rkinis Rigi, Tel.: +995/32/275 11 88, maidan@mgroup.ge, gute georgische Küche in schönem altem Weinkeller, sehr angenehme gepflegte Atmosphäre, gelegentlich Livemusik, Kreditkarten. Marco Polo (Taverne/Bar), 44 Rustaveli Avenue, gute georgische und europäische Küche, abends Livemusik, Kreditkarten, Tel.: +995/32/293 53 83

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