Großbritannien: Grüner Damendaumen

Blendend grün. So sieht der Privatgarten von Penny Snell aus.
Blendend grün. So sieht der Privatgarten von Penny Snell aus.(c) Anita Arneitz
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Penny Snell ist Englands bekannteste Floristin. Zweimal im Jahr öffnet sie das Tor von Moleshill House, wo so manches Geheimnis des Cottage-Gartens ausgeplaudert wird.

(c) Anita Arneitz
(c) Anita Arneitz

Irgendetwas stimmt nicht. Ihr Blick ist fixiert auf eine Stelle im Garten, links bei der weißen Steinstatue. Dort passiert – nichts. Keine Zweige, die in der Sonne knarzen. Keine Blüten, die Bienen locken. Kein Gras, das sich im Wind wiegt. Nur ein Fleckchen blanke Erde.

Das geht gar nicht. Penny Snell kann nicht mehr ruhig auf ihrer schmiedeeisernen Gartenbank sitzen. Schon als Kind konnte sie diesen Anblick nicht ertragen. Sie buddelte sofort mit ihren kleinen Händen ein Loch, legte einen Blumensamen hinein, der ging auf – und es blühte. „Unsere Familie hat das Gärtnern einfach im Blut“, sagt Snell. Deshalb wurde sie Floristin und arrangierte Blumen für Hochzeiten, Feiern, Ausstellungen und Adelshäuser in London. Es dauerte nicht lange, und sie wurde zu einer der besten Floristinnen in England.

Noblesse des Bauerngartens. Selbst wenn sie um vier Uhr morgens aufstehen muss, liebt Snell ihren Beruf. Die Begeisterung hat sie an ihre Enkeltochter weitergeben, die bereits in die Fußstapfen der Granny tritt. „Blumen zu binden und zu arrangieren ist nur scheinbar glamourös, die Leute haben keine Ahnung, wie viel Arbeit dahintersteckt.“ Nicht anders ist es mit dem Garten. Vor 25 Jahren fing sie an, das rund 1600 Quadratmeter große Grundstück rund um ihr Moleshill House, ein britisches Landhaus aus dem Jahre 1880, zu gestalten. Damals gab es nur ein bisschen Gras und ein paar Bäume. Heute ist die Grünoase von Penny Snell einer der Vorzeige-Cottage-Gärten in Surrey.
Ursprünglich wurde ein klassischer Cottage-Garten angelegt, um seine Besitzer mit Kräutern, Gemüse und Obst zu versorgen. Doch ab dem 19. Jahrhundert wurde der Bauerngarten nobel: Architekten gestalteten unterschiedliche kleine Gartenwelten, klar voneinander abgegrenzt. Jeder freie Zentimeter wurde bepflanzt. Sogar auf den Außenmauern fanden zwischen den Ziegeln noch Moose, Flechten und rankende Gewächse Platz.
Auch bei Snell quillt aus jeder Ecke üppiges, saftiges Grün, dazwischen blitzen zarte weiße Blümchen oder samtige rote Rosen hervor – selbstverständlich nur klassische alte Sorten. Die findet sie am schönsten. Eine Allee aus Mehlbeeren führt zu verwitterten Skulpturen, das Minigewächshaus ist bis oben hin voll mit Werkzeug, dekorativ drapiert in kleinen Töpfen zwischen Steingewächsen.

Durch einen Bogen in der Hecke geht es zum Rosenpavillon mit duftendem Lavendel. Von dort weisen die unregelmäßig geformten Pflastersteine den Weg zum schlichten Holztisch, an dem die ganze Familie gemeinsam Tee trinkt und die beiden Terrier – einer mit schwarzem, der andere mit weißem Fell – um die Buchsbäume jagen.
Gegossen wird mit Wasser aus dem eigenen Brunnen. Penny verwendet nur natürliche Materialien, die in Würde altern dürfen: Es ist ihr egal, wenn das Holz grau wird, das Rosengerüst rostet oder dem Tontopf eine Ecke fehlt. Es herrscht eine kontrollierte Unordnung. Obwohl Snell Perfektionistin ist, darf es in ihrem Garten niemals perfekt aussehen. Das ist ein typisches Merkmal für einen britischen Cottage-Garten und bedeutet vor allem eines – eine Menge Arbeit.

Spende statt Eintritt. Der Garten ist für die 72-Jährige zum Fulltime-Job geworden. Außerdem ist Snell seit Jahren Vorsitzende des National Gardens Scheme (NGS), einer Non-Profit-Organisation, die Spenden für Krebshospize oder an Parkinson erkrankte Menschen sammelt. An bestimmten Tagen öffnen rund 3800 Privatgärten ihre Pforten, um auf diese Weise Spenden zu lukrieren. Seit der Gründung 1927 wurden auf diese Weise bereits 43 Millionen britische Pfund gesammelt. Snell lädt immer wieder Gäste für diesen guten Zweck in ihren Garten ein. Empfangen werden sie zuerst im Haus, in dem jeder Winkel mit Porzellanfiguren, Gemälden und Erinnerungsstücken verstellt ist. Fürs Umdekorieren hat Snell keine Zeit. So steht noch mitten im Sommer die goldene Weihnachtsdeko auf dem Kamin. Daneben auf dem Holztisch ein opulenter Lilienstrauß, dessen süße Duftwolken schwer in der Luft des schmalen Raumes hängen.

Bei einem Glas selbst gemachten Holundersafts und Sandwiches mit frischen Paradeisern aus dem Gemüsebeet hinter der Küche erzählt Penny Snell stolz vom Erfolg ihrer Charity-Aktivitäten: Die engagierten Damen gewannen bereits Prinz Charles als Patron. Je nach Wetter besuchen an einem einzigen Tag bis zu 700 neugierige Leute einen Privatgarten. Angst, dass bei diesem Menschenandrang etwas zertrampelt wird oder kaputt geht, hat Snell nicht. „Wenn du etwas kreierst, willst du es auch zeigen und mit den anderen teilen. Das Charity-Projekt ist für mich die reizvollste Art, das zu tun.“ Was den Garten anbelangt, schafft sie nicht mehr alles allein. Ihre Familie hilft mit und zweimal im Monat kommt Gärtner Andrew vorbei. „Er arbeitet so hart und ist ein Gott“, schwärmt Snell. Nur wenn sie wieder ins Gartencenter fährt, bekommt Andrew Sorgenfalten auf der Stirn. „Keine neuen Pflanzen kaufen!“, ruft er. Doch Snell ist bereits um die Hausecke verschwunden. „Jedes Mal, wenn ich in den Garten gehe, bekomme ich neue Ideen und lerne etwas dazu“, sagt sie verschmitzt.

Zarte Maiglöckchen. Ihre absoluten Lieblingsblumen sind die zarten Maiglöckchen. Deshalb möchte sie irgendwann im Mai sterben, weil es dann zu ihrem Begräbnis ganz viele Maiglöckchen gebe. Aber eilig hat sie es mit dem Sterben noch nicht. Die Romantikerin mit dunkelgrünen Plastik-Crocs und Perlenohrringen will weiter mit ihren Blumen Gemälde in den Cottage-Garten malen. Zum Glück gibt es in Südengland keinen Dauerfrost. So können die Pflanzen das ganze Jahr über, ausreichend benetzt vom feuchten Westwetter vom Atlantik her und den häufigen Islandtiefs, wachsen und blühen. Doch nur mit dem Regenwetter ist es nicht getan. Es braucht noch mehr: „Work, work, work!“ Das ist das Erfolgsgeheimnis von Snell. Für den Garten und ein erfülltes Leben. 

Tipp

Ubiquitär. Kein Garteln ohne Gartenkralle, erhältlich bei Lederleitner.
Luftig. Strohhüte gehören auf des Gärtners Kopf, gesehen bei Mühlbauer.
Retro. Emaillierte Gießkanne in jungfräulichem Weiß von Lederleitner.
Flaschengrün. Gummistiefel von Hunter über www.net-a-porter.com
Traumhaft. Eine Verneigung vor den 14 Grand Dames des englischen Gartenstils: „Englische Gartenikonen“ von Heidi Howcroft (Callwey, 41 Euro), www.callwey.de

Cottage-Gärten in Großbritannien: Moleshill House, Penny Snell, Vorsitzende des NGS, des National Gardens Scheme, Surrey. Vorher informieren, wann der Garten geöffnet ist! pennysnellflowers.co.uk

Great Dixter Garden. Anwesen von Gartenguru Christopher Lyod, das ganze Jahr über geöffnet, greatdixter.co.uk

Führungen in den Gärten können vorab via visitbritainshop.com gebucht werden, allgemeine Informationen zu Großbritannien finden sich auf visitbritain.com.

Hotel Great Fosters, Surrey. Großzügig angelegter Garten mit Fluss, eigener Imkerei und Landwirtschaft, herrschaftliche Zimmer mit vielen historischen Details, eigenes Restaurant. greatfosters.co.uk

Restaurant und Weingut Chapel Down, Kent. Englischer Wein? Sollte unbedingt gekostet werden, der englische Boden ist derselbe wie in der Champagnechapeldown.com

Die Reise wurde von Visit Britain unterstützt.

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