Grand Tour des Grand Prix: Formelsammlung

Ohrenbetäubend. Den Schaufensterpuppen sind die Dezibelorgien in Monaco schnuppe.
Ohrenbetäubend. Den Schaufensterpuppen sind die Dezibelorgien in Monaco schnuppe.(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ XPB Images)
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Ein Formel-1-Lokalaugenschein in Barcelona gefolgt von Rennstrecken-Cityhopping in Spielberg, Monaco, Budapest und São Paulo.

Uncharmant. Start-Ziel-Gerade und Voest Alpine Wing am Red-Bull-Ring in Spielberg.
Uncharmant. Start-Ziel-Gerade und Voest Alpine Wing am Red-Bull-Ring in Spielberg.(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Christian Walgram)
(c) Martin Amanshauser

Autorennen sind ein klassischer Fernsehsport. Vor Ort dröhnen die Motoren, doch es fehlt der Zoom, die künstlich erzeugte Nähe zum Ereignis. Zudem vermisst man den Überblick, den Kameras und Kommentare liefern. Wieso sollte also jemand, der nicht wahnsinnig ist, ein Rennen besuchen? In meinem Fall geschah es aus Nostalgie. Als Kind liebte ich die Formel 1. Hier trafen Helden mit exotischen Namen aufeinander, unerschrocken zwischen Triumph und Tod wandelnd. Dieser „Zirkus“ hatte in seiner vollständigen Sinnhaftigkeit für einen Heranwachsenden auch einen ästhetischen Mehrwert. Mit meinen Spielzeugautos konnte ich auf dem Fußboden eine private WM veranstalten, deren Resultate meinen Wünschen entsprachen. Vor dem Bildschirm machte ich hingegen die existenzielle Erfahrung, ungern zu Siegern zu halten. Ich liebte den Sechsrad-Tyrrell und Vittorio Brambilla, den eigensinnigen Bruchpiloten, der nach seinem einzigen Sieg in die Leitplanken fuhr, als er die Hände hochriss, auf dem Österreichring 1975. Mein Elternhaus verhielt sich gegenüber meiner Leidenschaft neutral, ein Rennbesuch wäre aus soziokulturellen Gründen jedoch niemals infrage gekommen. In der Pubertät schwand mein Interesse. Als ich aber dieses Jahr die Gelegenheit erhielt, beim Grand Prix in Barcelona dabei zu sein, war ich aufgeregt: Kann man eine interessante Städtereise mit einem Grand Prix verbinden? Anders gefragt: Welche Formel-1-Destinationen haben aus Sicht eines Reiseautors einen Mehrwert?

Unexklusiv, aber großartig.
Der Barcelona-Film von Woody Allen war grässlich und lebensfern, okay. Aber weshalb begleitet den Buchungsvorgang für einen Trip in die katalanische Hauptstadt dieses mulmige Gefühl der Unexklusivität, als würde einen jemand zwingen, dem Fanklub von Robbie Williams beizutreten?

Keine Angst: Spätestens, wenn Sie in einem Ecklokal ins Tomatenbrot zur Tortilla beißen, wissen Sie: Barcelona ist großartig. Die kleinen Ecken, in denen sich die kreativen Shops verbergen, reichen fast an Helsinki heran.
Den Besuch der Sagrada Familia kann man allerdings vergessen, so man sich nicht im Internet vorangemeldet hat – die Schlange vor der Kasse reicht um das halbe Bauwerk.

Die Fahrt nach Montmeló zum Circuit de Barcelona-Catalunya bedeutet eine halbe Stunde Schnellbahn durch Industrie und Mohnwiesen. Die offiziellen Formel-1-Ordner warnen sympathischerweise vor der Verpflegung an den Tribünen („Oscar Mayer – the genuine hotdog of America“), doch im Örtchen selbst wird am Rennwochenende mit den Preisen nicht übertrieben.

Die Strecke mag von ihrer Struktur her nicht die spannendsten Rennen hervorrufen, aber für Formel-1-Novizen eignet sie sich perfekt. Die Fans sind erträglich, sie lieben Fernando Alonso zwar, aber sie übertreiben dabei nicht (katalanische Distanz gegenüber einem Mann aus Asturien). Weiterer Bonus: Tribünen stehen nahe an der Strecke, mit akzeptablem Überblick. Der gemütlichste Grand Prix.

Die Städtereise nach Graz ist wieder für Einheimische keine große Sache, wobei ich auf die hübsche und günstige Schlossbergbahn aus dem vorvorigen Jahrhundert verweise. „Besser geht’s nicht“, würde Niki Lauda dazu wohl sagen, denn das sagt er oft und gern. Der erfolgreichste österreichische Rennfahrer und Autolenker gewann das Heimrennen vor dreißig Jahren. Seit 1963 wurde am Militärflugplatz bei Zeltweg gefahren, zwischen 1970 und 1987 raste man um den „alten“ Österreichring. Daraus entstand der A1-Ring, die erste Rennstrecke des Stardesigners Hermann Tilke. „Hinter vorgehaltener Hand nannten die Fahrer den A1-Ring eine Mickymaus-Strecke“, erklärt Stefan Schmidt, Motorsporthistoriker, der 15 Jahre lang virtuelle PC-Computerspiele produziert hat, und setzt hinzu: „In Spielberg sind die Tribünen teilweise so weit weg, dass es ratsam ist, ein Fernglas mitzunehmen. Am besten ist es wohl auf T1, gleich nach Start-Ziel.“

Der Österreich-Grand Prix kam oft in die Schlagzeilen, unter anderem bei einem Ferrari-Stallduell, als der schnellere Barrichello in der letzten Kurve Platz für den langsameren Schumacher machen musste – was bei der Siegerehrung zu Pfiffen führte und Schumacher dazu brachte, dem Kollegen das oberste Podest zu überlassen. Die Punkte für den Sieger streifte er natürlich dennoch ein. Nun wurde neu eröffnet unter der uncharmanten Investorbezeichnung Red-Bull-Ring, dazu hat man die Strecken-Topografie an Sponsoren verkauft, sodass die Niki-Lauda-Kurve nicht nur zum Ärger des dreifachen Weltmeisters heute Pirelli heißt.

Vorbei an Prada, in die Haarnadelkurve. Eine Reise nach Monaco lohnt sich – nur vielleicht nicht zum Grand-Prix-Wochenende? Kommt auf Ihre Geldbörse an. Das Hotel Fairmont Monte Carlo vermietet seine Balkonzimmer während des Rennwochenendes im Package für 20.000 Euro (fünf Tage). Dort schaut man auf eine der langsamsten Stellen der Formel 1, die Haarnadelkurve, das bringt eine Portion ästhetischen Mehrwert. Direkt unterhalb des Hotels befindet sich übrigens der Tunnel. Man kann ihn an den 360 rennfreien Tagen im Jahr durchfahren – ein Erlebnis, er ist unglaublich lang! Über den Grand Prix hat Ex-Weltmeister Piquet gemeint, es sei, als würde man „mit dem Hubschrauber durchs Wohnzimmer fliegen“.

Monaco bedient die Klischees. Die Superreichen wohnen hier, um Steuer zu sparen, und sicher gehen von dem Fürstentum starke Bestrebungen aus, das soziale Ungleichgewicht der Welt zu erhöhen und die Finanzkrise anzuheizen. Der offizielle Touri-Höhepunkt, den Wachewechsel vor dem Grimaldi-Palais, ist wirklich speziell langweilig – nicht jedoch das Ozeanografische Museum im Küstenfelsen, das einst von Cousteau geleitet wurde.
Vorsicht, bezeichnen Sie Stadt oder Land gegenüber Monegassen nicht als „Monte Carlo“. So heißt nur der Stadtteil mit dem Casino. „Monte Carlo“ sagen die Franzosen, die nicht überall so beliebt sind. Aber keine Angst, es existieren nur mehr 8000 Ureinwohner. Man trifft sie zum Beispiel auf dem bodenständigen Marché de la Condamine, wo sie das Omelett „la socca“ essen. Wer genau hinhört, wird früher oder später bemerken, dass sie ihr Ländchen Múnegu nennen.

In Budapest, dem nächsten Stopp könnte man die Chance nützen, direkt an der Donau im Gellért abzusteigen, dem letzten großen Thermalhotel einer versunkenen Epoche. Es steht auf einer der 120 Heilquellen der ungarischen Hauptstadt. Einige Zimmer sind bereits kaputt renoviert, andere versprühen noch den alten Charme. Selten sind Rennfans langsamen Transportmitteln zugetan – doch Leute mit Kindern machen gern einen Abstecher zur Gyermekvasút, der Pioniereisenbahn auf den Hügeln von Buda. Solche Ausfahrten sind psychisch entlastend, denn Budapest leidet in der Orban-Epoche unter übertriebener Exekutivpräsenz. Viele der Beamten sehen wie Sanitäter auf Jausenpause aus, weil sie lässige gelbe Notfalljacken tragen.
Auf dem Hungaroring, an der Autobahn gleich nach Budapest, bei Gödöllő, fand der erste OstblockGrand-Prix statt (1986). Die wellige, staubige Strecke liegt in einem Talkessel – gut für den perfekten Überblick. Sie ist eng gebaut und steht im Ruf, anstelle von Überholmanövern Langeweile zu produzieren. Der Hungaroring ist leider auch berühmt für seine miserable Achtzigerjahre-Verpflegung, man sollte sich in Budapest eindecken. Neben Gulasch & Co. floriert zur Zeit chinesisches Fast Food („Kinai gyors büfé“) – und benützen Sie die wunderbare Markthalle, die ist nicht nur zum Hinstarren da!

Stilvoll beschleunigt. São Paulo mag arbeitsam-hektisch sein, hat aber Stil. Die weithin unterschätzte Riesenmetropole wurde im Windschatten der Biennale auch ohne Strandvergnügen zu einer seriösen Destination. Hier gibt es das beste Rodízio, das brasilianische „All You Can Eat.“ Neben der Graffitikultur steht das Kulinarische im Vordergrund. Schon ohne Formel 1 ist das Essen der Paulistanos – die Bewohner des gleichnamigen Bundesland heißen Paulistas – außergewöhnlich, so findet man etwa im Erdgeschoß des internationalen Airports von Guarulhos das Riesenbuffet Terra Azul, das beste Billigflughafenrestaurant der Welt. Zum Rennen kommen viele allein wegen des São-Paulo-Sandwichs: dicke Schichten Mortadella im Fladenbrot. Interlagos führt als einzige Strecke links herum – eine Herausforderung für die Fahrer, weil die „falschen“ Nackenmuskeln belastet werden. „Die Atmosphäre ist einzigartig, die Brasilianer sind super drauf“, erklärt Motorsportexperte Schmidt, und verweist darauf, dass das Autodrom, das in den Vierzigerjahren draußen auf dem Land gebaut worden ist, sich heute mitten in der Stadt befindet. In Brasilien, dem vorletzten Rennen im Kalender, geht die WM in ihre Entscheidungsphase.

KLEINER FORMEL-1-REISE-READER

Stichwort Fans. Formel-1-Fans sind seltsame Gesellen, meist männlich, einkommensstark und ohne die ganz große theatralische Begeisterung. Es fallen ja auch keine Tore. Man sieht an der Strecke notorisch betrunkene Deutsche und Briten – doch keine Hooligans. Ferrari (drei Viertel aller Fans sind rot) ist der einzige Hersteller, der Begeisterung erzeugt. Wer liebt schon Mercedes? Und Red Bull ist einfach ein Getränk.

Stichwort Lautstärke. Dank des neuen Reglements (mehr Energieeffizienz) nahm der Geräuschpegel der Formel 1 deutlich ab. Eine gute Nachricht für jeden vernünftigen Zuschauer, doch die Rennsportfans gehen auf die Barrikaden, seit sie kein Heulen und Kreischen mehr hören und keinen Schmerz im Ohr verspüren! Der neue Flüstersound, eh noch laut, empört auch die Veranstalter, die Umsatzeinbußen befürchten. Die bisherigen Saisonsieger (Mercedes) verloren kein kritisches Wort, der hinterherfahrende Weltmeister meinte allerdings, „wir sind doch nicht auf dem ADAC-Übungsplatz“. Mercedes-Teamchef Lauda: „Fahren wir Rennen oder wollen wir Lärm machen?“

Stichwort Langeweile. Rennsport wurde einst von beschäftigungslosen Aristokraten und Playboys betrieben – Gladiatoren, die ihr Leben opferten. Heute sind die Fahrer Markenbotschafter der Weltkonzerne, die Sicherheitsstandards hoch. Rennsportfreaks beschweren sich jedoch nicht, wenn die Autos einander kaum überholen oder keine „schönen“ Crashs produzieren. Die Langeweile-Debatte verfolgt die Formel 1 schon ewig, hat sie aber nie zerstört.

Stichwort Ausrüstung. Ohrenstöpsel erhält man an den Strecken. Kinder brauchen Kopfhörer. Wenige Tribünen sind überdacht: Kappen, Sonnenschutz, Regenhaut! Dazu gute SMS-Partner daheim, denn man will ja umfassend informiert bleiben.

Stichwort Expertise. Der Autor schrieb 2004 den Text für den Song „Vittorio Brambilla“ für die Band „Gelée Royale“, aus der später „Kreisky“ entstand;
Motorsporthistoriker Stefan Schmidt (depamelli.com) machte dazu ein Video, siehe YouTube. Der Autor besuchte den Grand Prix von Spanien mit Unterstützung des Catalan Tourist Board. catalunya.com

Nostalgieprodukt Sechsrad-Tyrrell (1976, siehe Modell): Eine der innovativsten Entwicklungen der Formel 1. Jody Scheckter und Patrick Depailler pilotierten den eleganten Wagen, einmal gab es sogar einen Doppelsieg (GP Schweden 1976). Schade: Bald darauf legte ein neues Regelment vier Räder als Standard fest.

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