Hohe Tatra: Bärenhaar und Beerenkamm

(c) Magdalena Burghardt
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Herbstzeit in der Hohen Tatra, wo viele hundert Braunbären leben: Auf geführten Touren verfolgt man ihre Fährte. Durch Wälder und Preiselbeerfelder, mit Fernglas, aber ohne Angst.

(c) The Slovak Wildlife Society
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Frösche, Bachkresse, Honig, Ameisen, Vogelbeeren. Klingt wie die Zutaten in einem Avantgarde­restaurant, ist aber der Anfütterungsplan für die Bären der Hohen Tatra. Jeweils im Herbst und im Frühling gilt es, ordentlich Gewicht zuzulegen. Vor dem Winterschlaf schadet ein erhöhter Teddy-Mass-Index nicht; ganz im Gegenteil, da muss geradezu gevöllert werden, was Wald und Hochgebirgswiesen hergeben. Und nach dem Winterschlaf, wenn die Reserven nach langen kalten Monaten aufgezehrt sind, heißt es sich wieder aufzupäppeln. Mit etwas anderem Speiseplan, ohne Beeren.

Im Sommer sind zu viele Touristen unterwegs, und die Tiere ziehen sich in unwegsame Gebiete zurück. Von Mitte September bis in den November hinein sowie zwischen April und Juni sind die Braunbären in der Hohen Tatra besonders aktiv. Wer die Raubtiere einmal in freier Wildbahn sichten, mit Fernglas auf Bärensafari gehen will, muss es in diesen Monaten tun. Dann, wenn die Braunbären unbefangen unterwegs sind, dann, wenn sie – drastisch formuliert – plündernd durch die Wälder ziehen. Wespennester mit ihren Pranken aufreißen, um an die Insekten zu kommen, oder nicht gerade zimperlich Vogelbeeren ernten. Nämlich indem sie ganze Äste mit herben roten Dolden zu sich heranziehen und kurzerhand herunterbrechen.

Bären hinterlassen Spuren. Welche, das wissen die Bärentourguides Svetlana Beťková und Robin Rigg von der Slovak Wildlife Society. Sie haben das Projekt B.E.A.R.S. ins Leben gerufen, mit dem sie Mediatoren zwischen Bären und Menschen sein wollen. Wer mit ihnen den Spuren der großen Raubtiere folgen will – in der Slowakei gibt es etwa 900 Bären –, sollte ein gewisses Maß an Fitness mitbringen. Zwar mögen vielleicht die Bären auf ihren Fresstouren ein gemütliches Tempo an den Tag legen – unsere Führerin Svetlana Beťková, eine menschliche Gams, tut das nicht unbedingt. Vor allem dann nicht, als wir nach stungenlangem Wandern das Hochgebirgsgelände an der Grenze zu Polen erreichen, wo die Sicht freier ist, und der Puls der bärenhungrigen Slowakin unübersehbar steigt. Aber dorthin müssen wir erst einmal kommen.

Frühaufsteher. Die Bärensafaris, die das Kempinski High Tatras anbietet, beginnen oft zeitig am Morgen. Wann genau gestartet wird, entscheiden die Bärenguides mitunter kurzfristig am Vortag, je nach Wetter und Erfahrungs-Bauchgefühl. Und gleich vorweg: Man sitzt nicht bequem in einem offenen Geländewagen und zückt ab und zu sein Fernglas. Auf Bärensafari gehen heißt gehen. Mit Wanderschuhen und Proviant für einen Tag. Nicht schaden können Sammelgefäße für Pilze und Beeren. Die Wälder der Hohen Tatra sind voll damit: Preiselbeeren, Heidelbeeren, Vogelbeeren en masse. Und ein Pilz, der im österreichischen Volksmund Bärentatze heißt.

Wir treffen die Bärenführerin in der Gegend von Podbanské auf einem Parkplatz im Wald, heute bleiben wir zu dritt. Svetlana Beťková, eigentlich Kunst- und Englischlehrerin, scannt mit raschen Blicken unseren Fitnessgrad und beschließt, dass wir tauglich genug sind für die große Tour. Während der nächsten Stunden, in denen wir den hiesigen Märchenwald durchstreifen, auf dem Weg zum freien Gelände hoch oben im Gebirge, wird die drahtige Wildnispädagogin nicht eine Sekunde außer Atem sein.
Selbst wenn sie erzählt und erklärt und erzählt und erklärt.
„Das hat ein Luchs hinterlassen“, meint sie angesichts eines kleinen Häufchens mitten auf dem Weg. Wir passieren Lichtungen, auf die Frühherbstsonnenstrahlen wie Scheinwerferlicht fallen und Fliegenpilze zum Leuchten bringen. Wir überqueren kleine Bäche, passieren rundgewaschene Felsblöcke, dicke Moospölster, morsche Baumstümpfe. Der Wald hier im Norden der Slowakei ist trotz des wachsenden Touristeninteresses noch so ursprünglich, dass man Ronja Räubertochter zwischen den Bäumen wähnt.

Svetlana Beťková lässt den Blick durch den Wald schweifen, hält Ausschau nach Zeichen, die auf einen Bären hindeuten. Bei einem zerfetzten abgestorbenen Baumstumpf bleibt sie stehen. „Das könnte ein Bär gewesen sein, die Tiere suchen im Holz nach Insekten.“ Beťková wiederum sucht auf dem morschen Stumpf nach Haaren, die ein Bär hinterlassen haben könnte, und wird fündig. Auch Kratzer auf Baumrinden sind interessant, „Bären reiben sich gern an Bäumen“. Jäger meinen, dass die Tiere auf diese Art ihr Revier markieren, sie jedoch glaubt eher, dass das Reiben an Bäumen eine Art der Kommunikation zwischen weiblichen und männlichen Bären ist. Manchmal deutet uns Svetlana Beťková, ganz still zu verharren, und lauscht konzentriert in den Wald hinein. „Sie machen Geräusche. Zähneklappern, Murmeln, Bellen.“

Keine guten Jäger. Später fällt Beťková ein rüde gegrabenes Loch im sattbraunen Boden auf. „Das muss ziemlich frisch sein!“ Ihr Puls steigt ganz offensichtlich. „Hier ist wirklich ein Erdwespennest.“ Die Bären in der Hohen Tatra sind zwar hauptsächlich Vegetarier, Wespen, Ameisen und manchmal auch Kadaver kleinerer Tiere stehen dennoch auf ihrem Speiseplan. „Bären sind keine guten Jäger.“ Beruhigend, haben wir uns doch schon Gedanken gemacht, wie es mit dem Jagdinstinkt der Raubtiere hier aussieht. „In der Slowakei leben auch ungefähr 300 Wölfe. Manchmal versucht ein Bär, einem Wolf ein gerissenes Tier abzunehmen. Aber da kommt es nicht richtig zu einem Kampf, es bleibt eher ein kokettes Konkurrieren.“ Ein paar Wochen zuvor wurde allerdings eine Schwammerlsucherin attackiert, die zwischen den Bäumen eine Toilette suchte, erzählt die Tourenführerin.
„Auf Bäume klettern nützt nichts, Bären sind gute Kletterer.“ „Sie können aber auch gut rennen“, unterbricht sie ungerührt unsere aufkommenden Gedanken an eine potenzielle andere Fluchtmöglichkeit. „Es gibt einen Spray aus Nordamerika, den könnte man anwenden, wenn der Bär wirklich nah ist. Aber das Beste ist Vorsorgen: laut reden, in die Hände klatschen, damit der Bär weiß, dass jemand hier ist, und sich zurückziehen kann.“ Die meisten Probleme machen junge Bären von etwa drei Jahren, die sich gerade von der Mutter getrennt haben, hat Svetlana Beťková die Erfahrung gemacht. „Wenn der Bär einen noch nicht gesehen hat, weicht man am besten langsam zurück, rückwärts, damit man den Bären im Blick behalten kann.“

Langsam lichtet sich der saftige grüne Wald, es öffnet sich der Blick auf breite, steile Hänge, dazwischen Senken mit einem schon fast herbstlich leuchtenden Blättermeer, durchsetzt von ziegelroten Vogelbeeren, aufgelockert von Felsen. Noch sind wir unterhalb der Baumgrenze, sehen aber schon die nackten Gipfel vor uns. Ab hier ist es sinnvoll, das Fernglas bei der Hand zu haben. Immer wieder lehnt sich Svetlana Beťková an einen Stamm, für eine möglichst ruhige Hand, sucht mit dem Fernglas die Hänge ab, scannt Latschengruppen und karge Grasflächen nach bärbraunen Bewegungen. Noch nichts zu sehen. Wir wandern immer höher hinauf, pflücken Heidelbeeren am Wegesrand und Preiselbeeren, die hier geradezu Meere bilden. Beťková zückt immer öfter ihr Fernglas, die Heidelbeeren interessieren sie weniger. „Manchmal sind die Bären hier oben recht nah am Weg.“ Während der Rast auf einer Bergwiese werfen wir mit steigendem Herzklopfen suchende Blicke über die Schulter ­– was heißt nah? Lange möchte sich Beťková hier nicht aufhalten; aber weniger wegen einer drohenden Gefahr, sondern eher wegen eines gewissen Gefühls im Bauch, das in ihrem Fall nicht von zu vielen Beeren herrührt. Bald sollten wir Bären sehen, sagt ihre Körpersprache. Ihr Mund sagt es nicht. Wie denn auch, es gibt keine Garantie auf Bärensichtung. Fünfzig zu fünfzig stehen die Chancen.

Gen Gipfel. Wir steigen weiter auf, sind seit Stunden in der Frühherbstsonne unterwegs. Die Preiselbeerbüsche werden dichter, wir können das Pflücken nicht lassen, eine Plastikflasche ist schon gut gefüllt. Die Tourenführerin wundert sich, wo wir bleiben – ist das hier etwa eine Beerensafari?, gibt ihr Gesichtsausdruck zu verstehen, und ein süffisantes Lächeln sagt dann fast verständnisvoll: Diese Städter! Dass jede Beere ein kurzes Verschnaufen von ihrem Tempo bedeutet, wagen wir nicht zuzugeben, wir spüren ihre Unruhe, es drängt die Bärenhungrige weiter gen Gipfel. Svetlana Beťková deutet auf kleine dunkle Hügel, die sich in einiger Entfernung langsam zwischen Preiselbeerbüschen bewegen. So unbeeindruckt, wie sie dabei bleibt, können es keine Bären sein. Es sind gebückte Preiselbeerpflücker, manche haben einen Pflückkorb in der Nähe stehen, arbeiten sich mit Beerenkämmen durch die niedrig wachsenden Büsche. „Viele Leute pflücken gewerbsmäßig“, sagt Beťková, „sie kommen in Gruppen, pflücken den ganzen Tag. Eigentlich ist es in diesem Ausmaß verboten, aber das bekommt man eben nicht in den Griff.“ Sie hat deshalb etwas dagegen, weil die Pflücker die Bären stören und aus diesem Areal verdrängen.

Wieder hält sich die Tourenführerin das Fernglas vor die Augen. „Da!“, stößt sie plötzlich mit mühsam unterdrückter Erregung in der Stimme hervor, „dort vorn! Eine Mutter mit zwei Jungen!“ Sie vergewissert sich noch einmal, reicht dann das Fernglas weiter. Drei Punkte, einer größer, zwei kleiner, bewegen sich eng beisammen ganz langsam Richtung Gipfel, Richtung Polen. Im Stehen wackelt man viel zu sehr, um etwas deutlich zu erkennen. Auf dem Bauch liegend sieht man das Bild klarer. Drei dunkle Gestalten, unverkennbar auf allen Vieren, mit gemächlich schaukelnden Bewegungen. Ein erhebendes Gefühl.

Beťková hat es jetzt so eilig wie noch nie auf dieser Tour. Sie möchte näher heran, trabt den Hang hinauf Richtung Bären, mit einer unglaublichen Leichtigkeit, als ob es das Wort Steigung auf Slowakisch nicht gäbe. Wir folgen ihr mit immer größer werdendem Abstand. Die Bären werden bald den Bergkamm erreichen, der auch die Staatsgrenze bildet. Wenn sie diese Richtung beibehalten, sind sie wohl demnächst dahinter verschwunden. Die Bärentourführerin ist uns weit voraus, ist ein Punkt mehr in der Ferne. Irgendwann sieht sie ein, dass die Bären diesmal schneller sind, und wartet auf uns. In gemächlicherem Tempo, aber euphorisch vom Anblick der Bären, steigen wir bis zum Grat auf. Auf der anderen Seite ergießt sich Polen in ungeahnter Weite.

Beim Abstieg ist Svetlana Beťková deutlich entspannter, die Tour war nicht umsonst, wir haben Bären gesehen. Sie erzählt noch mehr vom Leben der Tatra-Bären und ihren eigenen Bemühungen, das Nebeneinander der Menschen hier oben und der an sich gemütlichen Raubtiere friedlich zu gestalten. Etwa mit neuen bärensicheren Mistkübeln, einem Projekt mit dem Yellow-Stone-Nationalpark. Damit die Bären nicht glauben, dass Mistkübel eine bequeme Beute bedeuten. „Dann würden sie nämlich die Scheu vor belebten Gebieten verlieren. Sie sind ja so faul!“

Tipp

Bärensafaris und Wohnen. Im Frühling startet man bei Liptovsky Hradok, im Herbst bei Podbanské, 35 bzw. 15 km vom Kempinski High Tatras entfernt, das die Bärensafaris anbietet. Das Hotel liegt am Bergsee Štrbské Pleso, von Wien mit dem Zug via Bratislava oder per Auto in 4,5 Stunden zu erreichen. Die Bärensafari sollte zwei Wochen im Voraus gebucht werden. Preis: 90 Euro pro Erwachsenem, 45 Euro pro Kind. Zimmer im Kempinski ab 170 Euro. www.kempinski.com/de/strba-strbske-pleso

Wegzehrung. Die Wälder und Bergwiesen entlang der Tour sind voll mit Beeren. Gewerbliches Sammeln ist untersagt, gegen eine Wegzehrung ist wohl nichts einzuwenden. Ein Beerenkamm leistet gute Dienste. amazon.de

Utensil. Fernglas, etwa von Swarovski.

Trost. Garantie auf Bärensichtung gibt es naturgemäß keine, ein Stoffbär, etwa von Steiff, kann Trost spenden.

Die Reise wurde von Kempinski unterstützt.

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