Portugal: Dynamit auf Schiefer

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Der Douro ist ein veritabler Glücksfall, denn ohne ihn hätten die Portweine wohl nie die Region verlassen.

Der Atlantische Ozean bei Porto ist nicht gerade beliebt. Scharf weht der Wind, auch im Hochsommer, mächtig sind die Wellen, kühl die Fluten. Zwischen Leuchtturm und Mole ergießt sich der Douro ins Meer. Manchmal auch umgekehrt – bei Flut dreht sich die Fließrichtung, und vor der weltberühmten Ribeira, portugiesisch für Flußufer, wo die Touristen überteuerte Francesinhas essen, eine Art Schinken-Käse-Toast mit Fleisch in Saft, entstehen in diesen Stunden wie aus dem Nichts heraus hübsche kleine Wellen, in denen Teppiche von Meeräschen (Tainhas) schaukeln, maulstarke, unempfindliche Wesen, gierig auf Abfälle.

Porto mit seinen sechs Brücken hinüber nach Vila Nova de Gaia, in die zweitgrößte Stadt Portugals, betreibt nicht nur die historischen Portweinschaluppen, die Rabelos, sondern ist auch Ausgangspunkt für die einzige Reiseform, die den schönsten Fluss der Iberischen Halbinsel erschließt: eine Flusskreuzfahrt. Zum Douro ist zuallererst die für Nicht-Lusitanisten paradoxe Aussprache anzumerken. Man sagt Doh-Ruh. Wer sich das eingeprägt hat, kann vernünftig über den Rest nachdenken. Zum Beispiel über eine Tour zur spanischen Grenze – es gibt in ganz Europa keinen dafür besser geeigneten Strom.

Portwein braucht Fluss. Die Fernão de Magalhães liegt fest vertaut zwischen der fünften und sechsten Brücke, in der Bucht von Quebrantões, abseits des Stadtlärms. Sie gehört Croisi Cruises, einer der beiden Reedereien, die Flusskreuzfahrten bis zur spanischen Grenze anbieten. Schiffbar ist ein Abschnitt von 207 Kilometern. In Spanien, wo der Douro unter Duero läuft, kommen weitere 720 Kilometer dazu, nicht für größere Schiffe geeignet, denn die Spanier errichteten zwar Dämme, aber keine Schleusen.

An der scharfen Kurve, wo der Rio Tâmega einmündet (Kilometer 22), erhebt sich eine emblematische Engelin aus Gold, zwölf Meter hoch, zehn Tonnen schwer, die loszufliegen droht. Man möchte sie sofort bei der nächsten Oscarverleihung überreichen. Sie gemahnt an den hochwasserbedingten Einsturz der Fachwerkbrücke Hintze-Riberio am 21. März 2001 mit 59 Todesopfern. Anrainer hatten Wochen zuvor gegen den Zustand der baufälligen 115 Jahre alten Brücke protestiert und wären just am Tag des Unglücks wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses vor Gericht gestanden.

Der Douro ist nur noch selten der wilde Fluss, seit den Fünfzigerjahren fließt er gebändigt, und der Portwein wird längst nicht mehr mit Rabelos, sondern mit Tankwagen über Landstraßen transportiert. Doch ohne den Fluss hätte er nie die Region verlassen.

Häusertupfen, Windräder, andere Kuriositäten. Den ersten Höhepunkt stellt die Schleuse von Carrapatelo (Kilometer 70) dar, mit 37 Metern die höchste Europas. Die Fernão de Magalhães schlüpft in einen dunklen Käfig, der durch Wasserzufuhr aufs nächste Niveau gehoben wird – ein System, wie es schon vor 2500 Jahren in Ägypten praktiziert wurde. Die Häusertupfen und die kleinen Sandbuchten werden seltener, die Abhänge steiler.
Überdimensionale Steinbrocken tropfen seit Jahrtausenden in das dunkelgrüne Wasser. In den Schwefelquellen von Caldas de Aregos (Kilometer 80) hat schon der erste König, Afonso Henriques, gebadet. Die Fernão de Magalhães zieht vorbei, man wird weiter zu denen gehören, die dieses Nestchen nicht besucht haben. Und doch erfüllt die Vorbeiziehenden ein Behagen. Das Problematische – und auch das Schöne – an Flusskreuzfahrten ist, dass es zwar viel zu sehen gibt, man aber nur ausgesuchte Orte betritt. Melancholiker mag das in ihrer Leidenschaft anstacheln, die Durchschnittsgäste leben ausgezeichnet damit. Was würde einem deutlicher als diese Reiseform vor Augen führen, dass nicht alles erreichbar ist, und alles vergänglich?

Nicht, dass die moderne Welt völlig verschwunden wäre. Gelegentlich rast eine Gruppe Jet-Skis vorbei, und auf den Rücken der Hügel drehen sich schneeweiße Windräder. Manche stehen so malerisch, dass sie aus gewissen Blickwinkeln nur einen beweglichen weißen Strich präsentieren, der wie ein ewig unruhiger Uhrzeiger über den Bergrücken streicht. An Kuriositäten ist die Fahrt nicht knapp. Der Zahlmeister, Herz und Seele eines Flusskreuzers, kündigt „auf unserer rechten Seite einen emblematischen Punkt, die liebe Frau der guten Reise, Schutzheilige der Seemänner“ an, eine kaum pinguingroße Figur mit der Aufschrift „Sr.a da Boa Viagem“ (Kilometer 90). Keine jungfräuliche Virgem, sondern Viagem, ein Figürchen, das die Flussfahrer an einer einst gefährlichen Stelle schützen sollte. Für die jährliche Festa do Douro in Régua montieren die Einheimischen sie ab und tragen sie durch die Gegend.

Terrassen aus Schiefer. Der nächste Knick hat es in sich. Bei Mesão Frio (Kilometer 95) liegt das okzidentale Ende der Portweinregion. Nun ziehen sich grün-braune Terrassen über die Hügel, die sich in Berge verwandeln – nicht zu Unrecht heißt die Region nördlich des Flusses Trás-os-Montes, Hinter-den-Bergen. Hier öffnet sich, als wäre es hinter einem Vorhang versteckt gewesen, das Dourotal, streng genommen der Alto Douro, die älteste geschützte Weinbauregion der Welt. Die Landschaft wird wilder und schöner, sie steht auf schiefrigem Fels, der durch langwieriges Graben – teilweise auch mit Hilfe von Dynamit – aufgebrochen wurde, damit die Terrassen für die Reben entstanden. Portweintrauben dürfen nur auf Schiefer wachsen. Wo Granit vorherrscht, setzen die Weinbauern auf Tafelweinproduktion. Früher waren da nur schmale Terrassen, abgestützt von Steinmauern. Heute werden die breiteren „patamares“ in die Hänge gebaut, um mit dem Traktor zu den Reben fahren zu können.

Das Klima im inneren Douro ist radikal, neun Monate inverno (Winter), drei Monate inferno (Hölle) – einer kalten Jahreszeit mit viel Regen folgt ein kurzer, extrem heißer Sommer, ideale Ausgangslage für die süßen Portweintrauben, die auf den engen Terrassen meist ohne Maschinen geerntet werden. Ein anderes Kennzeichen sind die in der Landschaft verstreuten Mandel- und Olivenbäume, die dem Schutz der Weinreben gegen Wind dienen. In dieser Region, die staubig wäre, mit niedrigen Bäumen und Büschen auf trockenem Boden, ist der Einfluss des Menschen ein herrlicher. Wie eine endlose Harfe mit grünen Saiten ziehen sich die Weinterrassen, meist aus dem 19. Jahrhundert, Stufe für Stufe nach oben. Was von außen romantisch wirkt, ist harte und ertragarme Arbeit – viele junge Leute aus Trás-os-Montes wandern aus, nach Spanien, in die Schweiz und neuerdings nach Angola, wo man besser verdienen kann. In einem Land mit Mindestlohn von 482 Euro kein Wunder. Niemand will unsichere Saisonjobs, daher fehlen lokale Erntehelfer. Ausländische Arbeitskräfte machen jedoch höchstens ein Prozent aus.

Schon legt die Fernão de Magalhães in Peso da Régua (Kilometer 100) an, zentrale Drehscheibe des Portweinhandels, einst Ausgangspunkt der Rabelo­fahrten bis Porto. Im Hinterland befindet sich das Schloss Mateus, weltweit bekannt durch das Etikett des gleichnamigen Rosé-Weins mit der bauchigen Flasche, mit 50 Millionen Stück jährlich der bestverkaufte Rosé der Welt. Die Familie Mateus hat sich gegen Ende des Weltkriegs mit einer Abschlagszahlung für das Copyright zufrieden gegeben und auf prozentuelle Royalties verzichtet. Das war mittelfristig die falsche Entscheidung. Vielleicht mussten sie deshalb das Schloss und den französischen Garten für Besichtigungen öffnen.

Die Münzen und der Tod. Stromaufwärts liegt Pinhão (Kilometer 130), Zentrum des Hauptanbaugebiets Cima Corgo, wo die großen Portweinkellereien ihre Quintas haben. Nun wird es felsig, man kreuzt die engsten Stellen des Douro zur Barragem da Valeira (Kilometer 150). Dieses beeindruckende, wenn auch nicht höchste Dammbauwerk funktioniert nach dem Guillotine-System. Die Fernão de Magalhães, exakt für diese Schleuse gebaut, passt wie von Zauberhand in eine scheinbar viel zu kleine Öffnung. Der spritzende Wasserfall füllt in knappen zwanzig Minuten die Badewanne, die das Schiff auf natürlichem Wege den Höhenunterschied von 32 Metern überwinden lässt. Bis zum Jahr 1792 war die Fahrt an dieser Stelle zu Ende. Ein Felsen lag in der Flussmitte. Er wurde gesprengt. Das ist ein Glück, denn nun beginnt der schönste Abschnitt. An der Stromschnelle fand aber auch der berühmteste Schiffbruch statt, in den zwei Unternehmer des 19. Jahrhunderts verwickelt waren. Portweinimporteur und Baron Joseph James Forrester (1809 bis 1861) soll durch seinen schweren Münzengürtel in die Tiefe gezogen worden sein, Dona Antónia Adelaide Ferreira, Chefin der gleichnamigen Portweinmarke (1811 bis 1896) überlebte in den Fluten, weil sich ihre Röcke aufplusterten. Sie kam sicher noch bis Barca d‘Alva (Kilometer 200), das Ende der Portweinregion und des Douro-Schiffahrtswegs.

Dieses Dorf wirkt tatsächlich wie ein Endpunkt, drei Straßen, vier streunende Hunde, fünf Kleincafés. Die Kreuzfahrtgäste steigen in die Busse zum Tagesausflug nach Salamanca. Wer bleibt, kann ein Stück „Hinter-den-Bergen“ kennenlernen. An Orten wie Barca d‘Alva spürt man einen Hauch der melancholischen Volkseigenschaft „Saudade“. Die Ponte Sarmento Rodrigues führt seit 1955 auf die andere Seite, wo aber noch weniger menschliche Behausungen zu finden sind. Sie war ein Projekt eines Professors Edgar António de Mesquita Cardoso, der auf einer Tafel seinen Leitspruch hinterlassen hat: „Ich habe in allen meinen Werken erneuert – und deshalb bin ich unverstanden geblieben.“

Der Autor wurde von GTA-SKY-WAYS auf die einwöchige Schiffsreise mit der Fernão de Magalhães eingeladen, die Reise ist ausschließlich in Reise­büros buchbar.

Tipp

Süß. Portwein ist ein Luxuslikörwein, der seit dem 18. Jahrhundert durch einen Gärungsstopp via Brandy produziert wird. Der höhere Restzucker unterscheidet Ports von anderen Weinen. Neben dem White Port aus weißen Trauben, der meist drei Jahre lagert und in der Bezeichnung von muito doce über doce und meio seco bis zu seco und extra seco reicht (von süß bis trocken), gibt es roten Port. Hier unterscheidet man zwischen Ruby und Tawny, ersterer entspricht dem weißen Port und wird durch seine kräftige, kirschrote Farbe charakterisiert. Tawny lagert zwei bis drei Jahre im Fass und wird dann in Pipen umgefüllt, ist heller und kann lange gelagert werden. Dazu kommen die alten Portweine (Aged Tawny), die im kleinen Holzfass lagern, immer mit Altersangabe, sie sind 10, 20, 30 Jahre alt oder älter – und schließlich der LBV (Late Bottled Vintage Port), der aus Trauben eines Jahrgangs stammt und vor der Flaschenabfüllung vier bis sechs Jahre im Fass gelagert wurde.

Unfassbar schön. Café Majestic, in Porto, Rua de Santa Catarina, 112, eine 1921 eröffnete Art-Nouveau-Orgie.
cafemajestic.com

Das Flussschiff. Die Fernão de Magalhães (gehört zur Reederei Croisi Europe, bei 70 Kabinen mit einem Fassungsvermögen von 142 Passagieren plus 28 Besatzungsmitglieder, stammt aus 2003 und fährt unter portugiesischer Flagge. Das 4-deckige Schiff ist 75 Meter lang, knapp zwölf Meter breit und hat einen Tiefgang von 1,30 Metern.

Delikat. Kochbuch, illustriert von Wahlportugiesin Alexandra Klobouk (Kunstmann).

Typisch. Der „Hahn von Barcelos“ muss von einer Portugalreise mitgebracht werden .

Die Francesinha. Dieses Leibgericht der Nordportugiesen ist der brutalste Snack Europas, eine Art Schinken-Käse-Toast in Gulaschsaft. Neben dem Schinken liegen gelegentlich noch andere Fleischsorten im Sandwich. Überbacken ist das Ganze mit Käse, darunter zeichnet sich oft ein eingebackenes Ei ab. Francesinha heißt „die kleine Französin“, sie ist meist das günstigste Essen, aber ziemlich deftig. Einmal im Leben sollte man sich an der Francesinha versucht haben.

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