Isarwinkel: Den Wald überleben

Die Alternative zum Spa-Aufenthalt für Abenteurer: Im bayerisch-tirolerischen Grenzgebiet Isarwinkel lehrt Bushcraft-Spezialist Sepp Fischer Survivaltechniken.

Es ist eine magische Gegend, die des sogenannten Isarwinkels: Kalkzacken, verfallene Almen, dichte Wälder. Wildbäche, die in hellblaue Gumpen prasseln – so versteckt, dass selbst Einheimische sie nicht kennen. Doch einer kennt hier jede Ritze, jeden Pfad. Sepp Fischer, 44, Survival-Experte und Alpin-Original, lehrt im bayerisch-tirolerischen Grenzdschungel rund um den Sylvenstein-Stausee das „Bushcraften“, einen neuen Trend in den Survival-Künsten. Der kräftige Österreicher, der vor 16 Jahren von Zell am See nach Bayern eingewandert ist, definiert seine Passion so: „Das Bushcraften gibt Kraft, Freude, Energie und Klarheit. Bushcraft heißt, Menschen aus der Stadt zurück in die Natur zu bringen. Es ist ein komfortables Survival, weil ich mir selbst aussuchen kann, wie viel ich an Ausrüstung und Essen mitnehm, und Spaß ist auch ein Faktor, weil unsere Ausflüge in die Natur eben keine erzwungenen Notfallsituationen sind. Für mich ist ein Sonntag im Wald wie: I geh in die Kirche.“ Sagt Sepp, der mit seinem Survival-Messer, den Armbändern aus Fallschirmseide und dem Bürstenhaarschnitt bestimmt nicht wie ein Ministrant aussieht.

Nur einer trägt Military. Und wir – fünfzehn Interessierte – sind hier um ihn versammelt, um seine „Kirche“ kennenzulernen. Unter der Gruppe, die an diesem Seminar teilnimmt, ist vom Studenten bis zum IT-Spezialisten alles vertreten. Die meisten tragen legeren Kleidungsstil – Trekking-Outfit –, nur einer, ein Ex-Fallschirmjäger, trägt Military. Die Stimmung ist entspannt, erwartungsvoll lauschen wir Sepps Ausführungen, der aus seiner Initialzündung fürs Bushcraften gar keinen großen Hehl macht: „Mit dem Bushcraften hab ich 2005 begonnen, nach einer gescheiterten Ehe und neun Jahren Naturabstinenz. Ich hab zu viel gegessen, zu viel getrunken und zu viel geraucht, und das alles hab ich radikal geändert und mich plötzlich allein am Fluss – Kiefernadeltee trinkend – wiedergefunden: Mit der Erkenntnis: A halbe Stund’ Wald bringt mehr als irgendwelche Kuren.“

Doch da das Überleben im Wald seine Tücken hat, bringt Sepp uns die Basics der spartanischen Kunst bei – er selbst hat sie sich in den vergangenen neun Jahren autodidaktisch durch Kräuterbücher und vor allem YouTube-Videos kanadischer und amerikanischer Bushcraft-Aktivisten angeeignet. Und da Sepp auf das Prinzip „Safety First“ schwört, ist die erste Unterrichtseinheit zunächst einmal, wie jeder von uns erfolgreich im Wald ein Lager baut. Weil – so Sepp: „Man kann sich ned rund um die Uhr in der Natur durchschlagen, man muss auch einmal schlafen.“

Luxuriös. In Hängematten unterm Zelt schläft sich’s vergleichsweise kommod.
Luxuriös. In Hängematten unterm Zelt schläft sich’s vergleichsweise kommod.(C) Stefan Wimmer

Shelter. So konstruieren wir also provisorisch mit Baumstämmen, Ästen, Moos und Military-Abdeckplanen individuelle Schlaflager – nach den architektonischen Vorgaben von Sepp. Denn die Lager – im Bushcraft-Slang „Shelter“ – müssen eine wetterfeste Bauweise besitzen, erhöht und insektensicher errichtet sein und dürfen vor allem nicht unter altersschwachen Bäumen liegen. Sepp inspiziert die Lager, lobt und korrigiert, denn er selbst hat schon wiederholt negative Erfahrungen gemacht und am eigenen Leib verspürt, wie das ist: „Mein erstes schwieriges Biwak war an einem Berghang. Da bin ich in ein Unwetter gekommen, hab mit einer Plane ein Dach über mir geformt und mit Holz und trockenem Stroh aus meiner Jacke ein Feuer gemacht. Vorm Einschlafen musst’ ich zwei Pfähle vor meine Füße rammen, um nicht ins Feuer abzurutschen. Eine sehr unbequeme Nacht.“
Was Sepp schon zum zweiten Unterrichtspunkt führt – nämlich wie man es schafft, mit einem einzigen trockenen Streichholz ein brauchbares Feuer zu machen. Von unseren 15 Versuchen mit herangetragenem Waldmaterial scheitern fast 13, und so klärt uns Sepp über die Handhabung von Zunder und Stroh auf. Auch der Feuerstein und der Magnesiumstarter finden bald ihre Verwendung. Später dann geht es darum, wie man ohne Kompass die Himmelsrichtung bestimmt, wie man verantwortungsbewusst mit dem Messer umgeht, wie man Survival-Nutzstoffe sichtet . . .

Bekömmlich. Weiche Eier (hier vom Huhn) kochen die Waldläufer in heißer Asche.
Bekömmlich. Weiche Eier (hier vom Huhn) kochen die Waldläufer in heißer Asche.(C) Stefan Wimmer

Thunfisch in der Dose garen. Nun ist es fast schon Mittag, und bei den meisten Teilnehmern stellt sich großer Hunger ein. Wieder ein Fall für Sepp: Er lässt uns Mehlteig kneten und mit frisch gepflückten Heidelbeeren auf einem Lagerfeuer backen. Dann zeigt er einen Trick, den er einem befreundeten Alpinisten abgeschaut hat: wie man Thunfisch-Dosen mit Pflanzenöl übergießt und zum Brennen bringt, so dass der Thunfisch inwendig in der Dose gart.

Gestärkt von dem kleinen Mittagessen geht es nun weiter mit dem Lehrkompendium: Wir lernen, Wasserquellen zu erschließen und halbwegs funktionsfähige Wasserfilter zu bauen. Wir lernen Jagdwaffen- und Fallenbau. Vor allem aber lernen wir, da die Jagdwaffen meist keine vernünftigen Resultate zeitigen, das, was Bushcrafter die Kenntnis der „tierischen Notnahrung“ nennen – sprich: das Sammeln und Verzehren von Insekten. Sepps Seminarkompagnon, der Biologe und Kräuterspezialist Joe Vogel, hat darüber mehrere hochinteressante Bücher verfasst, und angewandt klingt das dortige Wissen dann so: „Normalerweise frittieren wir Heuschrecken mit Öl und Salz, oft essen wir sie allerdings auch wie im Notfall: Den Kopf herausdrehen, um das Tier rasch zu töten, den teilweise mit Parasiten befallenen Darm entfernen und fertig ist ein 80-prozentiger Protein-Snack! Des kriegst von keinem Steak!“

Prost Mahlzeit! Nach vier Stunden weiterer Unterrichtseinheiten und einer Handvoll tiefgekühlter, im Topf herausfrittierter Asia-Markt-Frösche – Substitute für echte Frösche, die wegen des deutschen Tierschutzgesetzes nicht getötet werden dürfen! – sind wir nach dem Abendessen so müde, dass wir zeitig um 21 Uhr in unsere „Shelter“ fallen, um zu schlafen.
Der nächste Morgen weckt uns mit Vogelgezwitscher – wie es scheint, haben alle Survivalanwärter die Nacht überlebt. Zwei Frühaufsteher sitzen bereits am wiederentfachten Feuer und wärmen sich die Hände, über die Schlafqualität wird verschieden geurteilt. Eines jedenfalls ist sicher: „Es ist sehr schön in der Natur“, sagt Teilnehmer Alex. „Man kann komplett vom Alltag abschalten und sich wieder ein wenig fokussieren. Das Leben im Wald ist einfach ein komplett konträres Erlebnis.“

Schon bald tritt Sepp auf den Plan und kocht ein Eierspeisenfrühstück „à la Bushcraft“, wobei Hühnereier die diversen Vogeleier ersetzen, die die Seminaristen im Notfall selbst finden müssen. Mit einem kleinen Stock verrührt Sepp den Dotter der Eier, die auf der Glut stehen, und erklärt verzückt: „Wenn man das ein paar Minuten lang macht, hat man das schönste, am besten schmeckende Rührei der Welt.“ Die Teilnehmer sitzen derweil wie erprobte Krieger ums Feuer und warten auf den Fortgang der Übungen. Sie wirken – man kann es nicht anders sagen – schon um vieles gereifter als am Vortag vor der ersten Seminareinheit. Denn Überlebenskunst macht selbstbewusst – und wie heißt es so schön bei einer der größten Survival-Expertinnen der jüngeren Geschichte, der Soulsängerin Gloria Gaynor: „I used to cry but now I hold my head up high – I will survive.

Wo:

Waldhandwerk Bushcraft – Survival Trainings, Sepp Fischer, Am Lettenholz 34
83646 Bad Tölz, Mobil: +49 162 639 81 95, Waldhandwerk@gmail.com
Waldhandwerk.de


Survival & Bushcraft Johannes „Joe“ Vogel, Kornblumenstraße 8, D-76131 Karlsruhe, +49/721/911 93 78; Support@vivalranger.com
vivalranger.com

Bushcraft Sep

Josef Fischer, geboren 1969, gelernter Werbe-Installateur, lebt mit seiner Familie in Bad Tölz. Survivalexperten und Überlebensschulen bildeten Fischer zum Survival- und Überlebenstrainer aus, sein Spezialgebiet sind planzliche Notnahrung und primitive Jagdwaffen. In Kooperation mit dem diplomierten Biologen, Autor und Abenteurer Joe Vogel (geb. 1984), der auf zahlreichen Expeditionen seine Survivaltechniken verbesserte, bietet Fischer zweitägiges Bushcraft Basic Training im bayrischen Alpenvorland an.

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