Neapel im Advent: Pizza für das Jesuskind

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Neapel im Advent ist ein ganz besonderes Wintermärchen. Ein Besuch zwischen Krippen mit Pizzaöfen und Bars – und wunderbar kitschiger Festtagsstimmung.

Das Kind liegt in der Krippe auf Stroh, die Eltern betrachten es froh, die drei Weisen aus dem Morgenland nähern sich zu Pferd. Nach der langen Reise werden sie hungrig sein. Wie gut, dass ein wenig abseits des Stalls ein großer Pizzaofen steht. Gerade serviert der Pizzaiolo an Tischen im Freien eine appetitliche Margherita, auf der Tomaten und Mozzarella – sicherlich, wie hier üblich, aus Büffelmilch – gut erkennbar sind und man bestes Olivenöl fast zu riechen meint.

Die Krippe von Claudio Aufiero ist eines von zahlreichen detailverliebten Kunstwerken, die die Associazione Presepistica Napoletana, die Gesellschaft für neapolitanische Krippenkunst, im Advent in wechselnden Kirchen im historischen Zentrum Neapels ausstellt. Und wie die übrigen Exponate vermengt diese „presepe“, so die italienische Bezeichnung für die Miniaturen, die klassischen Elemente der Geburtsszene in schönster Weise mit neapolitanischer Lebensrealität. In der aufwendig gearbeiteten Krippe von Mimmo Monti befindet sich gleich vor dem Stall eine Bar, im Bethlehem von Vincenzo Mignogna wartet ein reich gefüllter Obst- und Gemüsestand auf Kundschaft, andere Krippen zeigen in der Nachbarschaft des Stalls Metzgereien und Backstuben.

Nun neigten die Menschen immer und überall schon zu der Annahme, Jesus Christus müsse in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft geboren sein: in einem alpenländischen Stall zum Beispiel oder wenigstens in einer sehr kalten Winternacht – oder eben im eigenen neapolitanischen Viertel zwischen Pizzeria und Fischgeschäft. Im Advent können indessen auch Besucher hier den Eindruck gewinnen, die Heilige Nacht sei im Schatten des Vesuvs mit besonderer Bedeutung aufgeladen. Womöglich kam Christus nur bis Eboli, weil er unverhältnismäßig lang in Neapel blieb.

Kaiser Neros Bühnenauftritt. Die Ausstellung in der Basilica Santa Maria Maggiore alla Pietrasanta, der ältesten Kirche Neapels, ist vielbesucht, ebenso wie die Dauerausstellung im antiken griechisch-römischen Theater, das unter einem Wohnhaus der Altstadt verborgen liegt. Hier trat im Jahr 64 nach Christi Geburt Kaiser Nero auf und sang seine Arie ohne Zaudern zu Ende, während die Erde erbebte. Am Schluss, so wird es überliefert, habe der Kaiser, der nur in Neapel und niemals in Rom eine Bühne betrat, Publikum und Göttern für den heftigen Applaus gedankt.

In den gut erhaltenen Überresten dieses Theaters sind heute dreißig Krippen aus dem 18. Jahrhundert versammelt. Die filigranen Protagonisten dieser bethlehemitischen Szenen waren das Ergebnis zeitintensiver Handarbeit. Das Gerippe der Figuren wurde aus Drähten gearbeitet und mit Stroh umhüllt, Köpfe, Arme und Beine erst aus Holz, die oberste Schicht dann aus farbigem Terrakotta gefertigt. So wird es heute noch gehalten   – und so unterscheidet sich die neapolitanische Praxis von jener in anderen Teilen Süditaliens. In Lecce, der südlichsten Stadt am Stiefelabsatz, steht zu Weihnachten in jedem Wohnzimmer eine Krippe aus „cartapesta“. Deren nicht minder kunstvoll gefertigte Figuren auf Basis strohgefüllter Drahtgestelle werden anders als ihre neapolitanischen Pendants von Pappmaché umhüllt.

Weihnachtslotterie. In Santa Maria Maggiore alla Pietrasanta in der Altstadt Neapels können die Besucher Lose einer Weihnachtslotterie erstehen. Zu gewinnen sind –natürlich – Krippen. Weihnachtszeit bedeutet in der drittgrößten Stadt Italiens Krippenzeit. Das war schon immer so, genauso wie die Krippenszenen immer schon das Leben in der Stadt am Vesuv widerspiegelten.

Die ersten Miniaturen des Stalls zu Bethlehem, die hier im 16.  Jahrhundert gefertigt wurden, zeigten rund um den Stall antike Säulen. Nicht nur standen seinerzeit in Neapel noch viel Überreste aus römischer Zeit, sondern die Ruinen antiker Tempel erinnerten außerdem an
das mit der Geburt Christi überwundene Heidentum. So gehört zur klassischen neapolitanischen Krippe der Säulengarten – die Pizzaöfen kamen erst später hinzu.
Ursprünglich schmückten sich ausschließlich Klöster mit Miniaturen der Geburtsszenerie. Im 18.  Jahrhundert leisteten sich auch Aristokraten Weihnachtskrippen für den eigenen Palazzo, und im 20. nahm das Bürgertum den Brauch auf, noch bevor der Weihnachtsbaum sich in den Wohnzimmern Neapels zu etablieren vermochte. Seither wird die Krippe am 8.  Dezember aufgebaut, dem Tag der unbefleckten Empfängnis und somit dem Beginn des Endspurts zum Fest. Allerdings noch ohne das Kind, das chronologisch korrekt erst in der Heiligen Nacht in die Krippe gelegt wird.

Der Weihnachtsglanz verleiht der von der Unesco zum Welterbe gezählten Altstadt Neapels ganz besonderen Zauber, auch wenn sie im strahlenden Sonnenschein des Frühsommers heller und fröhlicher aussehen mag. Auf rund zwei Quadratkilometern erstreckt sich das Labyrinth ihrer schmalen Gassen. Obwohl vorsichtig saniert und damit auch touristenfreundlicher gestaltet, hat die Altstadt ihren Charakter bewahrt.

Jetzt liegt auf dem Vesuv Schnee, über die Stadt zu seinen Füßen haben sich Regenschleier gesenkt. Die Blätter der Orangenbäume, die Neapels Straßen säumen, triefen vor Nässe. Das Herz der Stadt aber erstrahlt im Glanz kitschigbunter Lichterketten. Obwohl die Temperaturen mild wie im mitteleuropäischen Frühling sind, hüllen sich Einheimische vorsorglich in warme Daunen. Empfindlich kalt finden sie es. Und schließlich muss die Wintergarderobe aus den schicken Boutiquen der von einer Glaskuppel überspannten Einkaufspassage Galleria Umberto I., die zwischen 1887 und 1890 nach dem Vorbild des Mailänder Konsumparadieses Galleria Vittorio Emanuele erbaut wurde, auch einmal ausgeführt werden dürfen. Auch sie erstrahlt im Dezember in vollem Festtagsornat. Schließlich ist bald Weihnachten, und wer hier nicht die passenden Geschenke für die Lieben findet, der hat es nicht ernsthaft versucht.

Puppengroße Engel. In der Via San Gregorio Armeno und ihrer Verlängerung, Vico Cinquesanti, herrscht in diesen Tagen Hochkonjunktur: Hier haben Neapels
Krippenbauer ihre Werkstätten, und hier verkaufen sie Figuren und Bauelemente, mit denen Einheimische ihre Krippen Jahr für Jahr erweitern. Die Werkstätten sind ganzjährig geöffnet, denn Neapolitaner wissen, dass
das Fest zuverlässig jedes Jahr beschließt. Doch in der heißen Phase der ersten Dezembertage wird manch größere Investition getätigt: Man hält nach einem glühenden Pizzaofen, einem rauschenden Wasserfall, ein paar neuen Figuren oder einer Herde Schafe für die heimische Krippe Ausschau.

Zu den einheimischen Käufern gesellt sich
im Dezember eine halbe Million Touristen, die einen Hauch Süditalien für die heimische Weihnachtsstube suchen. Denn hier gibt es nichts, was es nicht gibt: mit bunten Lichtern versehene Sterne mit Kometenschweif für die Wohnzimmerwand, in allen Farben leuchtende Christbaumkugeln, puppengroße Engel, rote Chilischoten aus Terrakotta.

Kein Zweifel: Grenzverletzungen zwischen Weihnachtszauber und Kitsch fürchtet man hier wie in ganz Süditalien nicht. Weihnachten in Neapel ist kein besinnliches, stilles, sondern ein lautes, fröhliches Fest. Und dazu gehören funkelnde bunte Lichter genauso wie die traditionellen Melodien der einstmals aus den Bergen Kampaniens in die Stadt strebenden Schäfer, Zampognari genannt, die sie auf einem dem Dudelsack verwandten Instrument gespielt haben. In den Gassen der Altstadt sind ihre Weisen noch zu hören.

Einsteiger werden sich beim Einkaufsbummel für die heimische Weihnachtsstube mit Maria, Josef und dem Jesuskind begnügen. Doch neben Basispersonal und den lokaltypischen Requisiten wie Pizzaöfen, Trattorien und Weinkrügen finden auch andere Errungenschaften und Eigentümlichkeiten Italiens den Weg in die Krippe: Miniaturen Silvio Berlusconis, diverser Helden des Fußballs und des Papstes aus Argentinien sind derzeit im Angebot.

Kreatives Chaos. „Ich halte es mehr mit den klassischen Figuren“, erklärt Salvatore Mazza. Gleich um die Ecke der Krippenstraße San Gregorio Armeno, in der Via Tribunali, verkauft er seine handgearbeiteten Terrakotta-
figuren. Schräg gegenüber liegt ein Zugang zum unter den Wohnhäusern verborgenen unterirdischen Neapel der fernen und jüngeren Vergangenheit. Bis zu 5000 Jahre alte, in Tuffsteinhöhlen angelegte Begräbnisstätten, römische Aquädukte und Unterführungen gehören dazu – und das antike griechisch-römische Theater, das heute die Sammlung von Krippen aus dem 18.  Jahrhundert beherbergt. Bis zum Rand ist Mazzas Ladenlokal mit Weihnachtsschmuck und Krippenzubehör vollgestopft, in der Werkstatt nebenan herrscht kreatives Chaos. Dass das Fest ihn durch das ganze Jahr begleitet, macht dem Krippenbauer nichts aus. Wenn die sommerliche Sonne auf Neapel brenne, sagt er, sei es geradezu erfrischend, sich mit dem Thema Weihnachten zu beschäftigen.

Tipp

Amabile. Neapolitanische Mandoline: vier Doppelsaiten, der Korpus aus möglichst vielen Ahorn- und Palisanderspänen zusammengesetzt.
Armonioso. Lacryma Christi del Vesuvio, die Träne Christi, Neapels bekanntester Tafelwein. Weiß aus der Rebsorte Falanghina, rot aus Piedirosso.
Dolce. Sfogliatelle, Blätterteigtaschen aus Neapel mit einer süßen Ricottafüllung mit Zimt und Orangenblütenaroma.

Übernachten. Hotel Constantinopoli 104, mitten in der Altstadt. Elegantes Haus mit Garten und Pool. Via San Maria di Constantinopoli 104, Tel.: +39/(0)81/557 10 35,
costantinopoli104.it. DZ ab 132 Euro,
Juniorsuite ab 148 Euro.

Napoli Sotteranea. Das antike Theater befindet sich unter der Piazza San Gaetano 68, +39/(0)81/29 69 44, napolisotterranea.org.

Krippenschau. Die Ausstellung der Associazione Presepistica Napoletana findet in diesem Jahr in der Chiesa Croce di
Lucca an der Piazza Luigi Miraglia statt (ab 29.   November täglich 9.30-19.30 Uhr, Eintritt: frei). Ein besonders großes Exemplar aus dem 19. Jahrhundert ist im Museo di San Martino ausgestellt (Largo San Martino 5, polomusealenapoli.beniculturali.it). Es ist täglich außer mittwochs von 8.30 bis 19.30 Uhr geöffnet, der Eintritt kostet sechs Euro.

Essen. Neapel ist der Geburtsort der Pizza Margherita. Eine der bekanntesten Adressen für die Köstlichkeit ist L’Antica Pizzeria da Michele, in der es nur die klassischen Sorten Margherita und Marinara gibt – Kompromisse werden auch in der sechsten Inhabergeneration nicht geduldet. Hier wurde eine Szene des Films „Eat, Pray, Love“ gedreht, in der die Protagonistin, Elizabeth, die beste Pizza ihres Lebens isst. Via Cesare Sersale   1/3, +39/(0)81/553 92 04, damichele.net

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