Lebenszeit: Wohnsitze Churchills

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Blenheim und Chartwell waren die wichtigsten Wohnsitze Winston Churchills. In seinem 50. Todesjahr wird er mit einer neuen Ausstellung in Blenheim gewürdigt.

In ersichtlicher Gewissheit seiner Ewigkeit thront der Blenheim Palace auf einer Anhöhe über dem Flüsschen Glyme in einem herrschaftlichen Park. „Dies ist die schönste Aussicht in England“, sagte Winston Churchills Vater, Randolph, mit stillem Stolz zu seiner jungen Frau Jennie, als sie erstmals gemeinsam den Torbogen zu seinem Elternhaus passierten. Obwohl es in England an attraktiven Aussichten nicht mangelt und die Cotswolds mit ihren grünen Hügeln und den honigfarbenen Häusern besonders reizvoll sind, kann man sich der Wirkung des perfekt in die Landschaft gesetzten Barockschlosses nur schwer entziehen. Auch deshalb bewegt sich an Wochenenden zuverlässig eine lange Schlange Autos auf den großen Parkplatz, den – in diskretem Abstand zum Palast – anzulegen auf dem riesigen Besitz möglich war. Ganze Familienverbände strömen in den Park, der als Spielplatz wie als Spazierstrecke beliebt ist. Der Teil des Hauses, der besichtigt werden kann, bietet zudem saftige Einblicke ins Leben des englischen Adels. Und als wäre das alles nicht spektakulär genug, besitzt Blenheim, Unesco-Weltkulturerbe und der einzige weder königliche noch bischöfliche Landsitz in England, der als „Palace“ geadelt ist, einen weiteren Trumpf: Churchill.

Bald nach Jennies Antrittsbesuch kam Winston Leonard Spencer-Churchill hier zur Welt. Es war der 30. November 1874; Jennie war beim Tanz, als sie auf dem Weg vom Ballsaal in ihrem Gemach in der Damengarderobe niederkam. Blenheim Palace gehörte dem Großvater des Neugeborenen, dem siebten Duke of Marlborough. Erbe von Haus und Titel war Winstons Onkel. Weil sein Vater mit seiner politischen Karriere in London beschäftigt war, verbrachte der Bub viel Zeit bei Oma und Opa auf dem Schloss.

Zehn Jahre Bauzeit. Queen Anne hatte das Anwesen und den Titel des ersten Herzogs von Marlborough 1704 ihrem General John Churchill in Anerkennung seines Siegs gegen die Franzosen in der Schlacht von Blenheim geschenkt. Zehn Jahre später war der Palast fertig. Dass er heute auch jenen vertraut erscheint, die ihn zum ersten Mal besuchen, liegt an seinen gelegentlichen Leinwandauftritten. In Kenneth Branaghs Verfilmung von „Hamlet“ spielte er Helsingör, das Heim des depressiven Dänenprinzen. Bis heute ist das Schloss aber auch Privathaus. 2014 erbte der zwölfte Herzog von Marlborough Titel, Grund und Palast.

Es ist teuer, in einem 300 Jahre alten Haus zu wohnen, das mehr Zimmer hat als mancher Sprengel in Mittelengland Häuser. Doch es muss nicht unbedingt den Ruin bedeuten. Im wahren Leben ist Blenheim ein gutes Beispiel dafür, wie historische Bausubstanz ihre Unterhaltskosten einzuspielen vermag. Heute ist Blenheim eine Marke. Zu dem Unternehmen gehören neben diversen Geschenkboutiquen ein Restaurant, ein Café und eine Champagner-Bar, Workshop-Angebote und ein hauseigenes Mineralwasser. Weitere Standbeine sind Jobs als Festkulisse und ein Terminkalender, dessen Veranstaltungen die Anlage auch für jene interessant machen, die bereits ein Dutzend Mal hier waren.

Alle anderen bestaunen die von Kaminfeuern erwärmten Räume, die vom Alltag des Adels erzählen. In einer Vitrine liegt die Einladung zur Krönung von Elizabeth II., auf einem Sideboard sind jene Billets ausgestellt, die der 2014 verstorbene elfte Herzog aus dem Buckingham Palace erhielt: Darunter finden sich Einladungen zur Hochzeitsfeier von Prinz Charles und Lady Diana Spencer, einer entfernten Verwandten der Churchills, und später zu den Beerdigungen von Prinzessin Margaret und Queen Mum. Ein wenig fassungslos stehen die Besucher vor diesen Karten, die in eine Welt anachronistischen Glanzes führen: „Right Trusty and Right Entirely Beloved Cousin, We greet you well!“, so holt die Monarchin aus, den Herzog einzubestellen.

Die 55 Meter lange Bibliothek, zweitgrößter Raum in einem englischen Privathaus, trägt ihren Namen, Long Library, ohne Anmaßung. Zehntausend Bücher des neunten Herzogs (dieser Cousin Winstons sorgte dank der Ehe mit einer reichen Amerikanerin aus dem Clan der Vanderbilts für überfällige Sanierungsmaßnahmen), eine Statue Queen Annes und eine Riesenorgel zeugen von Glanz und Lebensart derer von Marlborough.

Größtes Faszinosum aber ist Churchill. Aus Anlass seines 50. Todestags im Januar und des 75. Jahrestags seiner Ernennung zum Premierminister im Mai bekommt der Park einen neuen, ihm gewidmeten Garten. Die Ausstellung, die von seinem Leben und Werk kündet, ist überholt worden. Nur das Geburtszimmer im Erdgeschoß mit dem weißen, an zwei Stellen sorgsam geflickten Babyhemd hinter Glas, der geblümten Tapete und dem originalen Klingelzug neben dem Bett blieb unverändert.

„Wir formen unsere Häuser, danach formen sie uns“, sagte Churchill. Als Sohn eines Zweitgeborenen wusste er seit frühester Kindheit, dass er in Blenheim nur Gast seines Cousins sein konnte. Vor der Kulisse seiner Kindheit mussten künftige Wohnungen recht blass wirken, doch boten sie Gelegenheit eigenen Formens. 1922 erwarb er das Anwesen Chartwell in Kent. Das auf einem Hügel gelegene viktorianische Haus befand sich in kommoder Nähe zur Hauptstadt und besaß ein riesiges Grundstück. Den Ausschlag aber gab die Aussicht auf das kentische Weald, eine Waldlandschaft mit Hügeln und Hecken. Er schlug sofort zu.

In Chartwell verbrachte Churchill jene zähen Jahre, in denen seine politische Karriere gescheitert und am Ende schien. Er schrieb und malte, bewirtete illustre Gäste, baute am Haus, half die Seen auszuheben – und haderte mit der ihm aufgezwungenen politischen Passivität. Dann kam der Zweite Weltkrieg – und mit ihm die zweite Chance. Dank seiner strategischen Begabung und der Wucht seiner Persönlichkeit, die bisher vor allem stark polarisiert hatte, wurde er nun dringend gebraucht. Mit seiner Berufung zum Kriegspremier im Mai 1940 tauschte er den Landsitz gegen die Cabinet War Rooms in London, die man heute die Churchill War Rooms nennt. In Chartwell verbrachte er nur mehr gelegentlich das Weekend, obwohl er meinte: „Jeder Tag, an dem ich nicht in Chartwell bin, ist verschwendet.“

Please try not to touch. Das Haus, in dem Harry Truman, Charlie Chaplin, die Queen Mother, Lawrence von Arabien und viele andere Promis zu Gast waren, ist eingefroren wie eine Momentaufnahme aus den Dreißigerjahren und heute ein Pilgerziel. Beim Kauf des Tickets wird den Besuchern ein Zeitfenster für den Rundgang genannt – das Haus ist für einen derartigen Ansturm von Verehrern einfach nicht gemacht. Langsam schieben sich die Besucher durch die Räume des Parterres ins Treppenhaus, das Gemälde Churchills und Porträts des Politikers schmücken. Oben sind Uniformen, Kopfbedeckungen und zahlreiche Orden ausgestellt. In Lady Churchills Schlafzimmer mahnt ein Schild auf der Tagedecke des Betts: „Please try not to touch“. Mancher muss sich zügeln, nicht doch eine Hand verstohlen über das Textil gleiten zu lassen. Auch 50 Jahre nach seinem Tod ist die Faszination Churchills ungebrochen. In seiner Person konzentriert sich jenes triumphale Kapitel, in dem das tödlich bedrohte Inselreich den scheinbar übermächtigen Gegener besiegte. In den Zimmern, in denen er lebte, sind die Stimmungen jener Tage fassbar, in denen sich die schwelende Krise zum Krieg zuspitzte.

Champagner-Liebe. Die gut informierten Guides erzählen Anekdoten: Wie Churchill, als das Geld knapp war – erst nach dem Krieg bescherten ihm seine Bücher Wohlstand –, eines Nachmittags ins Esszimmer kam und dort keinen Kuchen vorfand; und wie Clementine ihm beschied, sie könnten sich solchen Luxus nicht mehr leisten. „Nicht?“, soll er erwidert haben, „Dann muss ich mehr arbeiten. Und ich werde meinen Champagnerkonsum von fünf auf zwei Flaschen pro Woche reduzieren.“ Dass der Staatsmann ein großer Sprücheklopfer war und das Haus heute auch mit seinen Bonmots dekoriert ist, macht die Reise durch sein Leben höchst unterhaltsam. „Die Geschichte wird mich freundlich beurteilen, da ich vorhabe, sie selbst zu schreiben“, ist zu lesen, und: „Ohne Champagner könnte ich nicht leben. Bei Siegen verdiene ich ihn. Bei Niederlagen brauche ich ihn.“

Das Arbeitszimmer, ein großer Raum mit in den Wänden eingelassenen Bücherregalen und Deckenbalken aus dem im 16. Jahrhundert errichteten Vorgängerbau, ist das Herzstück Chartwells. Hier schrieb Churchill viele seiner 43 Bücher, hier diktierte er Reden. Auf dem Schreibtisch aus Mahagoni, den er von seinem Vater geerbt hat, stehen Familienfotos. Papiere, Füller und eine Brille suggerieren, dass er jeden Moment wieder hier Platz nehmen könnte.
Sein Arbeitszimmer summiert Churchills Leben. Ein gewaltiger Union Jack hängt von der Decke. Er war die erste britische Flagge, die im Juni 1944 im befreiten Europa gehisst wurde – in Rom. Die Wände schmücken Porträts seiner Mutter und Clementines. Ein großes Gemälde über dem Kamin zeigt Blenheim Palace. Unter blassblauem Himmel liegt das Schloss – 1770 von einem unbekannten Künstler gemalt. Es hat sich nur in Kleinigkeiten verändert.

Tipps

Cool: „Der Welt trinkbarste Adresse“nannte Churchill das Champagnerhaus Pol Roger. Ihm gewidmet ist die üppige Cuvée, polroger.com

Spannend: 1953 erhielt Churchill den Nobelpreis für Literatur. „Zum Zeitvertreib“, erschienen bei
hoffmann-und-campe.de


Blenheim Palace: Palast, Gärten und Parks sind täglich von 10.30-17.30 Uhr geöffnet. Woodstock, Oxfordshire OX 20 1PP, blenheimpalace.com

Die Churchill-Ausstellung ist bereits geöffnet, der Memorial Garden ab Juni. Eine weitere Ausstellung, „Churchill’s Destiny“, zieht Parallelen zwischen seinem Leben und dem ersten Herzog von Marlborough.

Das Grab von Winston Churchill und seiner 1977 verstorbenen Frau, Clementine, liegt auf dem Friedhof des Dorfs Woodstock.

Chartwell: Chartwell öffnet täglich von 10-17 Uhr. Park und Garten sind ganzjährig zu besichtigen, das Haus ist im Jänner und Februar geschlossen. Mapleton Road, Westerham, Kent TN16 1PS, nationaltrust.org.uk/chartwell


Übernachten: Das Bay Tree Hotel in Burford unweit von Woodstock ist mit armdicken Mauern, schiefen Steinböden, schweren Eichentüren und offenen Kaminen sehr atmosphärisch. DZ ab 250 Euro; Sheep Street, Burford, Oxfordshire OX 18 4LW,
cotswold-inns-hotels.co.uk

Schlafen in einem Schloss: Hotel Great Fosters. 1550 als königliches Jagdschlösschen inmitten von Gärten und einem großen Park nicht weit von Chartwell erbaut. Seit 1931 ist es ein luxuriöses Hotel. DZ ab 242 Euro. Stroude Road, Egham, Surrey TW20 9UR, greatfosters.co.uk

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