Sardinien: In der Schlucht der armen Seelen

Berühmt. In der Schlucht Gola su Goroppu soll der Teufel angeblich die armen Seelen abholen.
Berühmt. In der Schlucht Gola su Goroppu soll der Teufel angeblich die armen Seelen abholen.(c) Lerchenmüller & Wosnitza
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Ob am Meer entlang oder in den Bergen dahinter – an der Ostküste Sardiniens finden sich höchst unterschiedliche Wanderwege.

Das muss er sein, des Wanderers Traum vom großen Glück: 30, 40 Meter über dem Meer zieht sich ein gut ausgetretener Pfad sanft am Hang entlang, durch Zistrosen, Mastixsträucher und Myrte. Gleich darunter ankern in einer kleinen Bucht fünf schneeweiße Jachten. Kinder planschen, ihr Lachen klingt ausgelassen nach oben. Das Meer liegt glatt und leuchtet in einem beinah unwirklichen Türkis, dann wieder glitzert es wie ein Firmament am hellichten Tag. Kein Wölkchen steht am blauen Himmel. Hoch über den beiden Wanderern hängen graue und ockerfarbene Felsrücken wie die Mauern einer Riesenburg, und am Horizont erhebt sich als wegweisender Leuchtturm die 80 Meter hohe Felsnadel Pedra Longa. Der Profiwanderer, als Reiseveranstalter stets auf der Suche nach aufregendem und doch gangbarem Terrain, hat ausnahmsweise hier und heute keine Einwände. „Landschaftlich großartiger Weg an einer der schönsten Küsten Sardiniens nördlich von Santa Maria Navarrese“, befindet er zufrieden. Der Amateur ist ohnehin begeistert.

(c) Lerchenmüller & Wosnitza

„Caminatore professionista“. Sardinien ist mit 270 km Länge und bis zu 145 km Breite die fünftgrößte Insel Europas. Wer hier wandert, beschränkt sich klugerweise auf einen Teilbereich. Der Profi und der Amateur haben sich für den Osten entschieden. Für die Dauer einer Woche versprechen die Küste der Provinz Ogliastra und ihr bergiges, macchiaüberzogenes Hinterland jede Menge interessanter Touren. Einige haben sie ausprobiert – diese aber ist die erste, die uneingeschränkt Gnade findet vor dem gestrengen Auge des Wanderfachmanns, des „caminatore professionista“, wie manche ihn hier nennen. Da war die Zweistundentour von der Hochebene von Golgo hinaus zur Bucht von Goloritzè. Auf und ab führte sie durch Felstore und unter den bemoosten Ästen mächtiger Steineichen hindurch, die den Weg überdeckten wie knorriges Gebälk. Inselbewohner in Badeschlapfen, die nur ein Handtuch mit sich trugen, überholten die Wanderer mühelos. Schwarzbraune, halbwilde Schweine durchpflügten den Boden, manchmal roch es würzig nach Minze und Pilzen.

Gerade, als der grüne Camouflageteppich der Macchia auf den Hügeln ringsum das Auge zu langweilen begann, öffnete sich der Blick in die Tiefe: ein weiß gefasstes, smaragdfarbenes Meeresbecken, in dem die Bikinis und Shorts der Sonnenanbeter kirschrote, himmelblaue und zitronengelbe Tupfer setzten. Wäre es nicht eine Sensation, Herr Kollege, sich jetzt verschwitzt ins Meer zu stürzen und vom handwarmen Wasser umschmeicheln zu lassen? Ja sicher, gesteht der Profi zu. „Aber wenn dann nur ein und derselbe Weg zurückführt, gibt es natürlich Punkteabzug.“ Auch die berühmte Schlucht Gola su Goroppu, in der der Teufel angeblich die armen Seelen von der Erde abholt, konnte nur begrenzt gefallen. Bei Sturm, erzählte der Ranger am Eingang, sollen manchmal heftige Böen die Wildtauben, die hier früher in Schwärmen nisteten, gegen die 500 Meter hohen Wände geklatscht haben. Körbeweise sammelten die Dorfbewohner sie hinterher auf. Haushohe, bemooste Blöcke, glatte Schrägen, enge Spalten – dem kindlichen Vergnügen, dazwischen herumzuturnen, kann der „professionante“ nur wenig abgewinnen. „Wandertechnisch werden Schluchten ziemlich überschätzt“, brummelt er.

Scharfkantiger Kalkstein. Den Küstenweg zwischen Cala Luna und Cala Gonone schließlich, angeblich einer der meistbegangenen der Insel, belegte er geradezu mit einem Wander-Verdikt: „Scharfkantiger, zerfressener Kalkstein als Knöchelfalle. Und vor lauter Bewuchs kriegt man die Küste fast nie zu sehen.“ Setzen, vier minus. Trotzdem sind die beiden nicht unzufrieden. Ihr Standort, das Küstenstädtchen Santa Maria Navarrese, ist mit seinen gerade einmal 1500 Einwohnern ein Badeort der sympathischen Sorte. Er hat so gar nichts Aufgeregtes an sich und versucht erst gar nicht, große Glitzerwelt zu spielen. Bedeutendste Sehenswürdigkeiten sind ein viele hundert Jahre alter Olivenbaum – und der Schnellimbiss MeC Puddu’s. Der serviert Malreddus, sardische Gnocchi mit Wildschweinsauce, Pane Frattau, das lokale Fladenbrot, sowie diverse Pizzen. Und er wäre, kulinarisch gesehen, keiner Erwähnung wert, hingen nicht an den Wänden Dutzende von Zeitungsberichten, die dokumentieren, wie der Laden es zu internationaler Berühmtheit brachte. 2010 versuchte McDonald’s, dem Betreiber, Iven Puddu, die Nutzung des Namens juristisch zu untersagen. Puddu wehrte sich, es kam sardinienweit zu Protesten, selbst die Regierung solidarisierte sich – und McDonald’s gab stillschweigend nach. Der Besitzer, der hinter der Kasse sitzt, erzählt die Geschichte immer gern noch einmal.

Das pure Glück. Was aber das Wandern angeht – von der heutigen Strecke sind Profi wie Amateur gleichermaßen begeistert. An der Bar in Pedra Longa gönnen sie sich ausgedörrt ein kühles Ichnusa-Bier – das pure Glück –, dann steht der zweite Teil der Strecke an. Und der, hatte der gedruckte Reiseführer schon einmal die Folterwerkzeuge gezeigt, beginne mit einem „giftigen Anstieg“. Fast im senkrechten Winkel biegt der Weg ab und führt steil den Hang hinauf. Ab jetzt wird gejapst und gehechelt. Wacholderbäume, deren Stämme aus braunen Tauen gedreht zu sein scheinen, umklammern weißblaue Kalksteinfelsen, als wollten sie sie nie mehr freigeben. Eidechsen huschen über die Steine, aus Erdbeerbäumen leuchten flauschige, rote Fruchtbällchen. Doch all das nehmen die Wanderer nur am Rande wahr, sie kochen am Hang, sie sieden, brutzeln, schmoren, dünsten. Und alles Wasser, das sie in sich hineinschütten, scheint umstandslos durch die Poren wieder zu verdampfen.

Der Kopf braucht Ablenkung. Er ruft andere Erfahrungen hervor, die das Bild Sardiniens am Ende mitprägen werden. Die aus sorgfältig behauenen Steinen zusammengefügten Mauern einer der nuraghischen Kultstätten etwa, der sardischen Ureinwohner, die das Wasser verehrten. Oder die Installationen der Maria Lai in der Stazione dell’arte im alten Bahnhof von Ulássai: fragile Versuche aus Schnüren, Webstücken, Jutegewebe und Farbe, die Welt irgendwie zusammenzuhalten. Die Künstlerin, die 1981 die Häuser ihres Heimatdorfes mit einem 26 Kilometer langen, blauen Band verknüpfte, starb 2012 im Alter von 93 Jahren.

In Orgosolo schließlich waren es die „murales“, die ganz andere Seiten der Insel zeigten. Die Malereien, die seit 1975 mit immer wieder neuen Motiven die Hauswände zieren, greifen Konflikte aus der sardischen und internationalen Geschichte auf: den schwelenden Streit zwischen Grundbesitzern und Hirten. Den Kampf gegen Nato-Basen. Vietnam, Palästina, Flüchtlinge. Es ist ein Bilderbuch linken Geschichtsverständnisses, doch die Konservativen im Städtchen leben gelassen damit, behauptet einer der Souvenirverkäufer. Bringe ja schließlich Touristen. Am Berg aber nähern sich die Wanderer dem Ende ihrer Qualen. Unter einem Überhang aus gebändertem Stein führt der Weg jetzt schräg empor, der Fels klafft wie aufgerissener Hefeteig. Eine Halde aus klapperndem Kalksteingeröll ist zu queren, dann zeigen Schafställe, dass der Kamm erreicht ist. Amateur wie Profi schwimmen in ihrer Kleidung. Und sprechen erlöst die Zauberformel: „Oben. Endlich. Geschafft.“

Aber ganz vorbei ist die Wanderung immer noch nicht. Auf Schotter und Asphalt führt der Weg hinunter nach Baunei – der Profi nimmt es diesmal mit Nachsicht zur Kenntnis. Was den Amateur wiederum nicht allzu sehr erstaunt: Bietet das unbeschwerte Vor-sich-hin-Latschen doch die Möglichkeit, sich endlich dem zweitwichtigsten Thema jeder Wanderreise zuzuwenden – dem gepflegten kulinarischen Abschluss: Wie wäre es mal mit Spaghetti vongole mit Bottarga (Rogen der Großkopfmeeräsche)? Oder Fregole, Nudelperlen, in einer Sauce aus Krustentieren? Vielleicht aber doch lieber Culurgiones, sardische Ravioli, mit Steinpilzsauce? Gebackenen Schafskäse, Spanferkel, Gnocchi mit Fenchelwurst . . .

Tipps

Anreise
Ab Wien fliegen Air Berlin und Alitalia direkt oder mit einem Zwischenstopp nach Cagliari. Im Sommer verbindet Austrian Wien direkt mit Olbia oder Cagliari. Eine Übersicht über alle Flüge sowie die Fährverbindungen gibt es auf www.sardinien.com. Dort findet sich ebenfalls eine Liste aller Autovermieter.

Übernachten
Hotel Nicoletta: Große Zimmer in günstiger Lage mitten im Zentrum, ein erfreuliches Frühstück, freundliche Angestellte - das Hotel im sympathisch sardisch gebliebenen kleinen Badeort ist ein hervorragender Ausgangspunkt für Wanderungen. Via Lungomare, I-08040 Santa Maria Navarrese,
info@hotelnicoletta.info
hotelnicoletta.info

B & B Santa Maria: Schöne, neu renovierte Zimmer in altem Haus direkt neben der Kirche des Bergstädtchens. Imposante Dachterrasse, liebevolles Frühstück und freundliche Besitzer - empfehlenswert. Piazza S. Maria, I-08025 Oliena, info@bbsantamaria.it
bbsantamaria.it

Hotel Palladium: 18 km vom Flughafen in Cagliari entfernt, aber mit dem Auto gut zu erreichen. Günstiger Standort für späte Ankunft oder frühen Abflug. Viale Europa, I-09023 Monastir, info@hotelpalladiumweb.com, hotelpalladiumweb.com

Essen und Trinken
CiKappa: Die Pizzen sind bei den Einwohnern von Oliena ein Renner. Dazu kommt eine Menge typisch sardischer Gerichte: Nudeln nach Art des Hauses mit Schlagobers und Wurst, Lammragout mit wildem Fenchel, Kalbsbries, Gnocchi mit Wildschweinragout. Corso M.L.King, 2/4, I-08025 Oliena, ci.kappa@tiscali.it, cikappa.it

Lucitta: Fischküche vom Feinsten. Gelbschwanzmakrele in Olivenkruste, Fischravioli mit Peperoni, Oktopus mit Paprika und Kartoffeln, aber auch Lamm-Tatar mit Käsesauce. Etwas edel, aber nicht überkandidelt. Gerichte: 8-15 Euro. Menü: 38 Euro. Viale Europa, I-08048 Tortolì, ristolucitta@hotmail.it
ristolucitta.com

MeC Puddu’s: Gastronomisch eher uninteressanter Schnellimbiss, aber mit sardischem Angebot: Culurgiones, Malloreddos, Pane frattau . . . An der Wand erzählen Presseberichte die Geschichte des Unternehmens: 2010 versuchte McDonald‘s dem Betreiber Ivan Puddu die Nutzung des Namens zu untersagen. Es kam sardinienweit zu Protesten, selbst die Regierung solidarisierte sich. McDonald‘s gab stillschweigend nach. Im Zentrum von Santa Maria Navarrese. Und in Cagliari, Via Sassari 136. mecpuddus.it

Wanderführer
Andreas Stieglitz „Wandern auf Sardinien“, Dumont 2011, 12.99 Euro
Iwersen/van de Wetering „Sardinien - die schönsten Küsten- und Bergwanderungen“, Rother 2012, 14.90 Euro

Informationen
sardinien.com
sardinienforum.de
mein-sardinien.de
pecora-nera.eu

Info

Italien erleben – Selective Reisen, Elfi Baumann-Pucher GmbH, 8700 Leoben
03842/23105
italien-erleben.at

ENIT - Italienische Zentrale für Tourismus, 1060 Wien, Mariahilfer Straße 1B
01/5051639
enit.at

Christophorus Reisen
Eckartau 2
A-6290 Mayrhofen im Zillertal
Tel.: 05285/6060
Fax: 05285/64950
christophorus.at

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