Flandern: Klingelfee und Trödlertraum

Malerisch. Das Städtchen Hasselt am Albertkanal beherbergt ein Modemuseum.
Malerisch. Das Städtchen Hasselt am Albertkanal beherbergt ein Modemuseum.(c) nl.wikipedia/kanis
  • Drucken

In manch putziger Ortschaft des historischen Flanderns finden sich großartige Restaurants, ein Modemuseum, ausgefallene Flohmarktwaren und Weine aus der Umgebung.

Ja, eh ganz lieb: adrette ein- und zweistöckige Backsteinhäuschen mit weißen Türblättern, weißen Türrahmen und Fensterchen, ein Kastellchen, ein Schlösschen namens Pietersheim mit einer „Waterburcht“, sprich einer kleinen Burg mit Wassergraben, eine schmale, akkurat katzenkopfgepflasterte Begegnungszone für Fußgänger und den Lieferverkehr – Lanaken heißt dieses 25.000-Schläfer-Idyll, eine Gemeinde am linken Ufer der Maas in der belgischen Provinz Limburg, direkt an der Grenze zu Holland. Nein, in Lanaken muss man nicht gewesen sein, würde Thomas Bernhard über dieses beschauliche, supersaubere Städtchen sagen – außer man ist Spring- oder Dressurreiter und nimmt an Turnieren teil, die gern im Park des Kastellchens Pieterheim über die Bühne gehen.

Und außer man nützt Lanaken als Ausgangspunkt für Sternfahrten in Flandern: nach Antwerpen, Tongeren, Genk, das malerische Weingut Château Genoels, das Modemuseum in Hasselt oder in den Nationalpark Hoge Kempen. All das, sagt der Chauffeur, sei nur eine Autostunde voneinander entfernt. Dass das holländische Maastricht, eine hippe, attraktive und lebendige Universitätstadt, gleich jenseits der Maasbrücke liegt, sagt er nicht. In Flandern sind die Niederländisch sprechenden Belgier, die Flamen, zu Hause. Brüssel wird von den Flamen umringt, quasi belagert, die Hauptstadt Belgiens ist allerdings von Amts wegen zweisprachig, abgesehen von all den anderen Sprachen, die in der Europastadt zu hören sind. La Butte aux Bois, ein ehemaliges Schloss, heute ein romantisches Hotel in Lanaken, empfiehlt sich als Quartier für Sternfahrten in Flandern. Die Straße, die zum Hotel führt, ist flankiert von Einfamilienhäusern, siehe oben, mit gepflegten Gärten und Garagen. Backstein, Holz und Glas gehen interessante Symbiosen ein, gediegener amerikanischer Fünfzigerjahrestil trifft auf Würfelarchitektur und Fachwerkbau.

Wasserburg im Park des Schlösschens Pietersheim in Lanaken.
Wasserburg im Park des Schlösschens Pietersheim in Lanaken.Stadt Lanaken

Häuser aus Lebkuchen. Stéphanie und Marc Alofs, die gastfreundlichen Geschäftsführer des La Butte aux Bois, outen sich bald als begeisterte und treue Österreich-Gäste, im Sommer wie im Winter. Wie alle Holländer und Belgier lieben sie die Berge und das Wandern in Tirol. „Ab einer gewissen Höhe macht meine Frau aber nicht mehr mit“, klagt Marc Alofs. „Sie ist dafür die bei Weitem bessere Skifahrerin.“

Im hoteleigenen Restaurant La Source, dessen Küchenchef Ralf Berendsen sich 2015 die dritte Haube erkocht hat – womit das La Source zu den besten 40 Restaurants in Belgien zählt –, kommt man nicht umhin, an jenes märchenhafte Land zu denken, in dem Milch und Honig fließen, einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, die Pflastersteine aus Käse sind und die Häuser aus Lebkuchen. Wo die gebratenen Schweine mit dem Messer im Rücken durch die Gegend laufen und die geköpften weichen Eier im Eierbecher. Im La Source, wahrlich einer Quelle, nämlich der Gaumenfreuden, gehören Taschenkrebs und Kaisergranat zum gastronomischen Standard ebenso wie durchkomponierte Schokoladedesserts mit echtem Gold. Dank Pieter Bruegel des Älteren ist man verführt, das Schlaraffenland in Belgien, und da speziell in Flandern zu verorten, war es doch im Mittelalter und in der Renaissance eine der reichsten Regionen Europas. Im Nationalpark Hoge Kempen, der direkt an das La Butte aux Bois grenzt, kann man sich frischen Hunger für das Abendessen erwandern – gut ausgeschilderte Wege helfen, rechtzeitig zurück zu Tisch zu finden. Für ausgedehntere Ausflüge stehen mehr als 5000 Hektar zur Verfügung, auch Fahrrad- und Mountainbiketouren sind möglich, ein Radwegenetz durchzieht den Nationalpark, im Hotel kann man sich Räder ausleihen.

Moorfrosch. Belgiens einziger Nationalpark ist geprägt von Kieferwäldern und einer weitläufigen Heidelandschaft, gespeist von den Gewässern der Maas. Trockene Heide mit Landdünen, überzogen von Heidekraut, und feuchte Heide mit Mooren und Sümpfen wechseln sich ab. Mit etwas Glück lässt sich ein Moorfrosch oder eine Kreuzkröte entdecken, auf warmem Boden liegt gern die kleine und unscheinbare Schlingnatter, ungiftig und harmlos. Wer sich nicht auf eigene Faust in Heide und Wald wagen will, kann einen Ranger begleiten. Und wer es bis zur Abtei von Postel schafft, einem Norbertinerkloster aus dem Jahr 1140, wird mit klostereigenem Bier und selbst gemachtem Brot und Käse wieder auf die Beine gestellt, bei Bedarf auch mit stärkendem Ginseng aus dem medizinischen Kräutergarten.

Für Vinophile ist ein Ausflug zum Weingut Château Genoels-Elderen ein Erlebnis. Jaap Van Rennes, der Schlossherr und Winzer, verkaufte vor 25 Jahren seine Supermarktkette und erwarb in Riemst ein Schloss mit einem riesigen Park. Eigentlich wollte er nur das Schloss und die Gartenanlagen renovieren, eine Pferdekoppel anlegen und sich und seiner Familie ein grünes Refugium schaffen. In den Archiven des Schlosses entdeckte er jedoch, dass hier einst Wein angebaut wurde. Ein befreundeter Winzer aus dem Burgund bestätigte ihm, dass sich der Boden, Kalk unter einer Lössschicht, herrvorragend für Weinbau eigne.

Das Hotel La Butte aux Bois in Lanaken verfügt über ein Spa und ein Restaurant.
Das Hotel La Butte aux Bois in Lanaken verfügt über ein Spa und ein Restaurant. Hostellerie La Butte aux Bois

Heute ist Rennes’ Tochter Joyce, die in das Winzergeschäft hineingewachsen ist, die Kellermeisterin des größten Weinguts in Belgien, in dem vor allem Pinots noirs und Chardonnays gekeltert werden. „Zwölf Millionen Flaschen Wein trinken die Belgier, und mehr Champagner als die Franzosen“, erzählt der über achtzigjährige Schlossherr. „Aber danach Bier!“ Die circa 420 Biersorten, die es in Belgien gibt, müssen ja auch an den Mann gebracht werden. Hasselt, die Hauptstadt der Provinz Limburg, war schon im 14. Jahrhundert ein Umschlagplatz für Tuch. Die Tuchweberei in Hasselt war ein wichtiger Wirtschaftszweig der Stadt und erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg eine Blütezeit des Mode- und Textilhandels. Da war es nur naheliegend, ein entsprechendes Museum einzurichten. In einem ehemaligen Kloster aus dem 17. Jahrhundert, das unter anderem auch schon als Gefängnis und Spital genutzt wurde, finden nun zweimal jährlich wechselnde Ausstellungen statt.

„Ich komm zu keiner Nummer, wie gern wäre ich verbunden/Auf Stunden mit dir./Lass mich hinein, Du Schlanke, Schmale/Mal in die Zentrale!“ Wenn der Direktor des Modemuseums in Hasselt Strophen aus einem Robert-Stolz-Onestep („Hallo, Du süße Klingelfee“) zitiert, dann nur zum Zweck der Veranschaulichung. Wie sich nämlich die Ansprüche an die Kleidung in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, als Frauen vermehrt in die Berufswelt strömten, veränderten. Die schmale Garçonne und Klingelfee, die beengt in der Telefonzentrale saß, brauchte ein anderes Outfit als die Dame von 1910, die mit gebauschtem Rüschenrock und ihrem frisierten Pudel durch gestutzte Parkanlagen spazierte. Musste sich die eine noch ins Corsett schnüren, um eine Sanduhrfigur vorzutäuschen, so band sich die andere mit Bandagen ihre Brüste flach, um dem neuen sportlichen Schönheitsideal zu entsprechen. Das Museum beherbergt eine permanente Sammlung von rund 17.000 Exponaten, die laufend erweitert wird. Die Objekte sollen die westliche Modegeschichte von 1750 bis heute widerspiegeln, das Konzept der Kollektion ist darauf ausgerichtet, sowohl historische als auch Stücke zeitgenössischer Designer zu erwerben und unter bestmöglichen Bedingungen zu bewahren.

Wem die textilen Ausstellungstücke Appetit auf Mode aus der Vergangenheit gemacht hat, der muss weiter nach Tongeren, in die älteste Stadt Belgiens. Erstmals erwähnt wurde sie 54 vor Christus, als Ambiorix, der König der Eburonen, die römischen Legionen zurückschlug. Sein Erfolg war jedoch nur von kuzer Dauer, in den folgenden Jahrhunderten entwickelte sich Atuatuca Tungrorum unter römischer Verwaltung zu einer der größten Städte Nordgalliens und wurde zum Verkehrsknotenpunkt auf der römischen Heerstraße zwischen Köln und Bavay im heutigen Nordfrankreich. Überreste eines Aquäduktes, eines römischen Tempels und imposanter Befestigungsmauern zeugen von der römischen Herrschaft.

Jeden Sonntag ist in Tongeren Flohmarkt angesagt, fast in der ganzen Stadt.
Jeden Sonntag ist in Tongeren Flohmarkt angesagt, fast in der ganzen Stadt.Toerisme Tongeren

Einmal in der Woche findet in Tongeren der Antikenmarkt statt, der größte Floh- und Antiquitätenmarkt im Beneluxraum. Die Suche nach einem einzigartigen Stück verspricht hier erfolgreich zu sein. Starke Nerven sind Grundvoraussetzung: Von blanken Tierschädeln bis zu giftigen Großinsekten und Spinnentieren (Tausendfüßer, Vogelspinnen, Skorpione – zum Glück eingegossen in Plexiglas), von opulenten Paramenten bis zu Fellen von exotischen Raubkatzen, an denen das Gesicht noch dranhängt – all diese Dinge sind an Hunderten von Ständen kunstvoll drapiert.

Eine ganze Stadt macht Flohmarkt. An ausnahmslos jedem Sonntag findet seit 30 Jahren von sechs Uhr früh bis 13 Uhr dieser Flohmarkt statt, der sich über mehrere Straßenzüge und Hallen erstreckt. Begonnen hat alles mit einigen wenigen Händlern – inzwischen ist beinahe die halbe Stadt Flohmarktgebiet. Echt Antikes und Trödel aller Art finden hier ihre Abnehmer, der Markt hat sich zu einem beliebten Familienausflugsziel aus der nahen und weiten Umgebung entwickelt. Die professionellen Händler kommen nicht nur aus den Nachbarländern, auf Deutsch, Englisch und Französisch wird hier gefeilscht und verhandelt, was das Zeug hält.

Eine schmale Gasse glitzert vor lauter Silberbesteck, hier suchen sich wohl Bistrobesitzer eine neue Garnitur, eine Gasse weiter steht eine ganze Halle voll mit alten, oft hundertteiligen Porzellanservicen, mit Goldrändern und Streublümchen verziert, passend zum französischen Landhausstil mit den weißen Schleiflackmöbeln, der in dieser Gegend gepflegt wird: Die Inneneinrichtung des La Butte aux Bois könnte hier gekauft worden sein. Und nicht nur das: Plötzlich – um nicht zu sagen, endlich! – steht man vor einem Meer an Vintagemode, mit dem man die Hälfte der Wiener Innenstadtbewohnerinnen ausstatten könnte, und wünscht sich einen Schrankkoffer aus Josephine Bakers Zeiten. Und auch diesen findet man hier.

Tipp

Anreise: Austrian Airlines bietet mehrmals täglich Flüge nach Brüssel an: austrian.com. Mit der ÖBB-Sparschiene (rechtzeitig buchen!) kommt man bereits ab 70 Euro nach Brüssel: oebb.fahrplan.at

Unterkunft: Hostellerie La Butte aux Bois, ein Hotel der Relais- und Chateaux-Gruppe, Paalsteenlaan 90, B-3620 Lanaken. + 32 (0) 89 73 97 70. labutteauxbois.be

Restaurant La Source, Chefkoch Ralf Berendsen, drei Hauben info@restaurantlasource.be

Ausflüge in die Umgebung: Der Nationalpark Hoge Kempen zwischen Genk und dem Tal der Maas ist Belgiens erster und bislang einziger Nationalpark und seit 2006 Bestandteil des Natura-2000-Netzes besonderer Schutzgebiete.

Modemuseum Hasselt. Di–So, 10–17 Uhr. Gasthuisstraat 11, B-3500 Hasselt. +32 (0) 11 23 96 21. modemuseumhasselt.be
Eine neue Ausstellung beginnt am 18. 3. 2016: „Game Changers. Die Neuerfindung der Silhouette des 20. Jahrhunderts“ und dauert bis 14. 8. 2016. Nationalestraat 28, momu.be/de

Weingut Château Genoels-Elderen. Belgiens größtes Weingut. Eine Führung mit dem rüstigen, über achtzigjährigen Schlossherrn Jaap Van Rennes gibt Einblick in die Geschichte des Weinschlosses und des belgischen Weines. Wijnkasteel Genoels-Elderen, Kastelstraat 9, B-3770 Riemst. + 32 (0) 12 39 13 49. wijnkasteel.com

Der Antiquitätenmarkt in Tongeren findet ausnahmslos jeden Sonntag von 6 bis 13 Uhr statt, vor allem in den Straßen Leopoldwal, Veemarkt, Maastrichterstraat, de Schiervelstraat, Clarissenstraat, Eburonenhal und im ersten Stock der Julianus-Parkgarage, statt.

Genk: Das ehemalige Kohlebergwerk in Genk wurde in einen weitläufigen Komplex von Museum und Kulturzentrum umgewandelt. Die C-Mine zeigt die Arbeitswelt der Minenarbeiter. c-minegenk.be

Auf dem Gelände von C-Mine befindet sich das Studio Pieter Stockmans, eine Porzellanmanufaktur, die sich unter anderem auf die Bedürfnisse der Haubengas­tronomie spezialisiert hat, aber auch Services für besondere Events entwirft. pietstockmans.com

Shoppen: Auf einem ehemaligen Zechengelände befindet sich das Designer-Outlet Maasmechelen Village, in dem alle relevanten belgischen Designer ihre Outlet-Stores betreiben. Zetelaan 100, Maasmechelen. maasmechelen.village.com

Compliance-Hinweis: Die Autorin reiste auf Einladung von Marketing Deluxe/Niche Destinations und Visitflanders/Tourismuswerbung Flandern-Brüssel.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.