Rota Vicentina: Paradies der Aussteiger

Ausgesetzt. Flügge werden birgt hier Gefahren – Störche können nicht schwimmen.
Ausgesetzt. Flügge werden birgt hier Gefahren – Störche können nicht schwimmen.(c) Rota Vicentina
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Auf der Rota Vicentina zeigt Portugals wilde Südwestküste ihre unberührte Landschaft. Bei fantastischer Aussicht weist ein schmaler Fischerpfad den Weg.

Von Weitem ist sie schon zu sehen. Sie wird schneller, reißt alles mit sich und kommt immer näher. Sie türmt sich auf, wird immer größer und kracht mit voller Wucht gegen die Felsen. Die weiße Gischt wirbelt den frischen salzigen Geruch in die Luft. Etwa 30 Meter höher knirscht der Sand unter dicken Sohlen. Rudolfo Müller sieht dem wilden Schauspiel zu. Eine Welle jagt die nächste. Diese Aussicht auf den offenen Atlantik fasziniert ihn immer wieder. Er rückt seinen khakigrünen Sonnenhut zurecht und geht weiter.

Mit passender Weste, Outdoorhose, Wanderschuhen, Rucksack und einem Fernglas um den Hals sieht er auf dem Wanderweg nach dem Rechten. Er bleibt stehen, zieht ein kleines Farbfläschchen heraus und malt die blau-grünen Streifen auf den Markierungen nach. Wildes Löwenmaul, Grasnelken, Zistrosen, Lavendel und Mittagsblumen in Gelb und Pink gedeihen auf den Dünen. Nah an der Klippenkante zieht sich der Pfad an der Küste entlang. „Er ist nur für Fußgänger geeignet, alles andere ist viel zu gefährlich“, sagt Rudolfo, der den Weg Rota Vicentina im Südwesten Portugals mit ins Leben gerufen und die Routen entwickelt hat.

Die Küstenregion erstreckt sich über zwei Provinzen, Alentejo und Algarve. Fast unberührt, ursprünglich und naturgeschützt gehört sie zu den reizvollsten Europas. Der Wanderweg Rota Vicentina durchquert den 1988 gegründeten Naturpark, der 110 Kilometer wilde Küste und rund 75 Hektar umfasst. Es ist ein Paradies, nicht nur für endemische Pflanzenarten, Eidechsen, Vögel und Meerestiere. Die Wanderroute verbindet die Stadt Santiago do Cacém im Alentejo mit dem Kap São Vicente am Südwestende des europäischen Festlandes. Insgesamt können 350 Kilometer zurückgelegt werden. Dazu zählen der Fischerpfad, der die Küste entlangführt, und der historische Weg. Auf einer ländlichen Route führt dieser zu geschichtsträchtigen Dörfern, über Berge, an Korkeichenhainen, Flüssen und Bächen vorbei. Radfahren ist auf dieser Strecke erlaubt. Die Rota Vicentina gehört zum europäischen Fernwanderweg GR11, der vom äußersten Südwesten bis nach St. Petersburg verläuft.

Malerisch. Kopfsteingepflasterte Fußgängerzone mit Cafés in Porto Covo.
Malerisch. Kopfsteingepflasterte Fußgängerzone mit Cafés in Porto Covo. (c) Rota Vicentina

Korkeichenwald. Rudolfo nähert sich dem Küstenort Vila Nova de Milfontes. Währenddessen genießen die Gäste wenige Kilometer davon entfernt im Landhaus Três Marias noch das Frühstück. Weite Wiesen und Felder umgeben das Anwesen. Landeinwärts prägen ein Korkeichenwald und das Cercal-Gebirge die Landschaft. Ein Falke schwebt über den Feldern. Auf dem Hof schaut ein Esel zu den Gästen herüber, eine Straußendame klappt ihre langen Beine ein, um es sich im Schatten bequem zu machen. Balthasar Trueb läuft in Jeans und weißem Hemd an den blühenden Oleandersträuchern und hochgewachsenen Pinien vorbei und empfängt die neuen Gäste. Das junge Paar lässt sich auf der Terrasse in die Sessel fallen. Bei dem weiten Blick in die Landschaft, dem Duft wilder Kräuter und Wiesenblumen und absoluter Ruhe lässt die Entspannung nicht lange auf sich warten.


Balthasar Trueb ließ der Landstrich rund 200 Kilometer südlich von Lissabon vor zwanzig Jahren nicht mehr los. „15 Jahre habe ich gearbeitet wie blöd, ich war erschöpft, wollte aufs Land und nach Portugal“, erzählt der gebürtige Baseler und Sohn einer Portugiesin. Der Elektriker arbeitete anfangs für eine Immobilienfirma. Als keiner mehr Rindfleisch essen wollte, baute er eine Brutstation für Straußeneier auf seinem heutigen Gut auf. Als die Vogelgrippe kam, eröffnete er das Restaurant Três Marias. Heute führt Balthasar eine Pension mit zehn Zimmern.

Kornkammer. Attraktiv für andere Lebensentwürfe und Aussteiger ist der dünn besiedelte Alentejo, die ehemalige Kornkammer Portugals, schon lange. „Hier ist genug Platz für jeden“, sagt Balthasar und schmunzelt. Er weiß von einigen Hippies, die sich in einem verlassenen Dorf niedergelassen haben und Käse produzieren. Andere würden in den Bergen leben, seien um die 50 Jahre alt und hielten sich mit einfachen Jobs über Wasser. Einige Deutsche gründeten hier 1995 die Kommune Tamera, das sogenannte Zentrum für konkrete Utopie, ein „Heilungsbiotop“, in dem die freie Liebe zum Konzept gehört.

Balthasars Handy klingelt. Rudolfo ist dran und fragt, ob die neuen Gäste mit zur Rota Vicentina kommen wollen. Die beiden packen ihre Rucksäcke und machen sich auf den Weg.

Rudolfo, ebenfalls ein gebürtiger Schweizer, verschlug die Liebe in den Alentejo. Nach vielen Jahren als Reiseleiter für Wander- und Radurlauber wollte er eine Veränderung. Er kaufte mit seiner Frau Angélica in der Nähe der Küste einen ehemaligen Bauernhof und fing an, auf dem neun Hektar großen Gut Monte Da Choça Ferienwohnungen im ländlichen Stil zu vermieten. „Es war schon immer meine Ecke“, erzählt der Vogel- und Pflanzen­experte, der früh erkannte, welchen Reichtum diese Gegend birgt. Es sei ein Paradies für naturbegeisterte Urlauber und Wanderer, für die nicht die Höhe und die Kilometerzahl zählen. Am schönsten sind die Wege im Frühling, wenn die Blumen auf den Dünen und Wiesen blühen, oder im Herbst bei noch warmen Temperaturen, wenn die Zugvögel vorbeiziehen. Im Sommer ist es zu heiß, da erobern die Surfer die Küste.

Als Mitbegründer des Netzwerkes Casas Brancas, zu dem heute rund 30 inhabergeführte Landhotels und Restaurants gehören, kennt er die Leute, die sich für einen sanften Tourismus und den Erhalt der Landschaft im Alentejo einsetzen. „Wir saßen an einem Abend unter unserem Vordach, insgesamt sechs Leute, darunter auch Balthasar, und redeten über neue Perspektiven“, erinnert sich der heute 52-Jährige. Das war der Startschuss für die Rota Vicentina. Doch bis zur Eröffnung war es ein langer Weg. Viele Leute aus Vila Nova de Milfontes hielten die Initiatoren für verrückt, dachten, es kämen nur noch Rucksacktouristen. Routen mussten entwickelt, Wegerechte geklärt, Zugänge geschaffen und immer wieder Überzeugungsarbeit geleistet werden. Doch es gelang ihnen, Städte und Gemeinden der Region, die staatliche Naturschutzbehörde, Unternehmen und lokale Verbände für ihr Projekt zu gewinnen. Mit GPS und Sägen arbeiteten sie sich durch das Dickicht, um die Routen begehbar zu machen, und setzten Markierungen. Nach vier Jahren konnte die Rota Vicentina 2012 endlich eröffnet werden. Die Initiatoren haben noch viel vor: 2015 wurden fünf neue Rundwanderwege eröffnet, in diesem Jahr wollen sie den Weg zum Leading Quality Trail von der Europäischen Wandervereinigung auszeichnen lassen, damit er zu den besten Europas zählt.

Appetitlich. Mmmmhh! Restaurant Tasca do Celso in Vila Nova de Milfontes.
Appetitlich. Mmmmhh! Restaurant Tasca do Celso in Vila Nova de Milfontes.(c) Rota Vicentina

Rudolfo holt die neuen Gäste aus dem Três Marias am Aussichtspunkt ab, fährt mit ihnen in nördlicher Richtung zu dem bei Portugiesen beliebten Badeort Porto Covo, um mit ihnen die erste Etappe des Fischerpfades zu wandern. Ausgedehnte Sandstrände und kleine verlassene Buchten weichen nach einigen Kilometern mächtigen Klippen und Felsen. Sie entstanden aus Jahrtausende altem Schiefergestein, versteinerte Dünen prägen so die wilde Küste. Der Pfad sei immer noch ein Geheimtipp. Die drei Wanderer haben ihn fast für sich allein. Nur die Fischer kennen ihn schon lange. Sie nehmen halsbrecherische Wege auf sich, um die steilsten Klippenvorsprünge zu erreichen. „Immer mal wieder kommt eine riesige Welle und nimmt einen von ihnen mit“, berichtet Rudolfo. Unter den Fischern ist an diesem Tag auch Joaquin Vilhena. Er bestückt den Köder mit dem Fleisch einer Miesmuschel und wirft die Angel weit hinaus. „Das Meer ist heute sehr bewegt, das verspricht reiche Beute“, sagt der pensionierte Fischer, der früher auf einem großen Fangschiff fuhr. Nach knapp drei Stunden liegen sieben Kilo Geißbrassen in seinem Eimer.

Kurz vor Vila Nova Milfontes treffen die drei auf zwei Wanderer, die sich eine Pause gönnen. „Der Küstenwanderweg so nah an den Klippen und mit diesen Meeresaussichten ist einfach fantastisch“, sagt Emily Altimer aus dem kanadischen Calgary, die regelmäßig mit ihrem Vater wandert. Allerdings gehe der Sandweg mit dem Gepäck auf dem Rücken ordentlich in die Waden.

Nach der knapp 20-Kilometer-Tour wartet auf die Gäste im Três Marias schon das Abendessen. An einer langen Tafel sitzen Amerikaner, Niederländer und Deutsche. Die Köchin Joana Lourenço bringt Sardinen, Salate und einen duftenden Braten aus der Küche, verschiedene Weine stehen auf dem Tisch. „Uns gefällt die familiäre Atmosphäre und dass man vom Haus weg gleich loswandern kann“, sagt Eric Macusse und nimmt sich einen Nachschlag vom zarten Fleisch. Er ist mit seiner Frau und seinen Eltern hier. Sie lassen ihr Gepäck transportieren und werden am nächsten Abend in einem anderen Landhaus übernachten, um mit Rudolfo an der Küste entlangzuwandern. Die Wellen werden sie begleiten.

Tipp

Sanfter Duft: Seife aus der Fliesen Sonderkollektion von Castelbel.
castelbel.com

Bunter Schwarm: Die Keramiksardinen von Bordallo Pinheiro werden von verschiedenen Künstlern gestaltet. eu.bordallopinheiro.com

Anreise: Flug nach Faro, u. a. mit Fly Niki direkt ab Wien (ab 155 Euro), weiter mit dem Mietwagen. Wer eine Unterkunft der Casas Brancas bucht, kann auch mit dem Zug nach Funcheira, Santa Clara oder Saboia fahren und sich dort abholen lassen. flyniki.com

Unterkunft: Três Marias, Ribeira da Azenha, 7645-909 Vila Nova de Milfontes, Tel. +351/965 666 231, ­­
tresmarias.pt, Übernachtung im Doppelzimmer ab 90 Euro.

Monte Da Choça, Vale Juncal, 7630-675 Sao Teotónio, Tel. +351/283 958 626, Ferienwohnung pro Nacht ab 50 Euro;
Monte do Zambujeiro, 7630-017 Langueira-Almograve, Tel. +351/916 162 215, montedozambujeiro.com, Übernachtung im Doppelzimmer ab 80 Euro, im Ferienhaus ab 100 Euro.


Essen: Tasca de Celso, Rua dos Aviadores, 7645-225 Vila Nova de Milfontes,
Tel. +351/283 996 753, casasbrancas.pt/de/rede/tasca-celso-2

Porto das Barcas, Restaurant und Weinbar, Estrada do Canal, 7645-000 Vila Nova ­de Milfontes, Tel. +351/283 997 160, ­casasbrancas.pt/de/rede/porto-das-barcas-2

Wanderungen: Die Rota Vicentina erstreckt sich an der Südwestküste Portugals auf insgesamt 350 Kilometern. Sie ist in Etappen unterteilt und bietet Wanderrouten zwischen 15 und 25 km. Zur Rota Vicentina gehört der historische Weg, der durch das Hinterland führt, und der Fischerpfad, der direkt an der Küste verläuft. Wer in mehreren Etappen wandern möchte, kann in unterschiedlichen Unterkünften übernachten und sein Gepäck transportieren ­lassen. Außerdem gibt es fünf Rundwanderwege, die sich auch für Reisende eignen, die ihre Unterkunft nicht wechseln wollen.

Anschauen: Nicht verpassen sollte man den zwischen Hügeln gelegenen Ort ­Santiago do Cacém mit seiner Altstadt, den römischen Ruinen und einem schönen Blick von der Burg bis zum Meer, das ­pittoreske Dorf in der Nähe des Stausees und einen Sonnenuntergang am Atlantik.

Einkaufen: Weingut Herade do Cebola in Vale das Éguas, Santiago do Cacém. Hier gibt es Produkte aus Kork zu kaufen. Rual Store Avenida 25 de Abril 1, São Luis.

Infos: rotavicentina.com, casasbrancas.pt; visitportugal.com

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