Serbien: Die große Unbekannte

Weitblick auf Belgrad
Weitblick auf BelgradReuters
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Abseilen in Höhlen, wandern, eine gesprächige Novizin im Kloster, Essen an der Donau und Party machen in der Nightlifestadt Belgrad – Serbien überrascht als facettenreiches Reiseziel auf dem Balkan.

"Beine auseinander, die Knie leicht anwinkeln", gibt Guide Nemanja das Kommando. „Vertrau mir – und vertrau dem Material“, setzt er hinzu, was leichter gesagt als getan ist, wenn man hoch über dem dunklen Einstiegsloch einen Abgrund von 40 Metern Tiefe erahnt und in Kürze abwärts in der leicht gebeugten Horizontalen an Felswänden entlanggehen soll.

Ziel des Abseilens nahe der Stadt Valjevo ist die Höhle Petnica, genauer gesagt: deren sogenannter Konzertsaal. Die Musik spielt vorerst weiter oberirdisch. Wie in Trance geht es Schrittchen für Schrittchen rückwärts an den Grottenschlund. Das Gehirn, das gerade noch gemeldet hat, das Leben hänge vorläufig an zwei Seilen und ein paar Karabinerhaken, trudelt in den Off-Modus. Nun gilt es zu testen, ob das Material wirklich hält und Gott einen liebt. „Die einzige Gefahr ist, dass du's wieder und wieder machen willst“, hatte Nemanja prognostiziert. Planmäßig, aber mit Puddingbeinen, endet die Aktion auf sicherem Boden.

Kaum größer als Österreich

Serbien, das ist die große Unbekannte des Balkans, eine Destination, die kaum in Traveller-Köpfen präsent ist. Kurzzeitbesucher schippern bei Flusskreuzfahrten auf der Donau vorbei, doch bislang trauen sich nur wenige, tiefer einzutauchen in jenen agrarisch bestimmten Binnenstaat, der mit 88.509 Quadratkilometern etwas größer ist als Österreich. Vormals zu Jugoslawien gehörig, leben heute 7,1 Millionen Einwohner im Land. Höchste Erhebung ist Pančićs Gipfel im Nationalpark Kopaonik, 2017 Meter hoch, im Winter Skigebiet. Über 200 Klöster belegen das reiche Kulturgut, die im Südteil gelegenen Anlagen Studenica und Sopoćani zählen zum Unesco-Welterbe. Der Balkankonflikt Ende der Neunzigerjahre ist Geschichte, einzig ein paar zerstörte Gebäude in Belgrad und Brückenreste in Novi Sad liefern fassbare Spuren.

Unausgetretene Pfade

Serbien kann als Reiseziel vielleicht nichts, was seine Nachbarn nicht auch können – mit dem Unterschied, dass all die Klöster, Festungen, Berge, Schluchten, Seen und Naturparks nicht von der internationalen Feriengemeinde abgegrast sind. Zudem ist Serbien extrem preisgünstig und bietet einen hohen Erlebniswert. Das unterstreicht bereits ein Trip in die Höhle Petnica. An selber Stelle setzt Guide Nemanja noch einen drauf – Zeit fürs Caving. Für die dreistündige Höhlenwanderung staffiert er seine Schutzbefohlenen mit Gummistiefeln, Overalls, Helmen und Stirnlampen aus. Dann geht's los durch verschlungene, schlammige Gänge, in denen Fledermäuse eine gefühlte Handspanne vor den Gesichtern abschwenken.

Die Luftzüge sind deutlich zu spüren – und die Lastenabwürfe auf den Overalls auch. Klaustrophobisch veranlagt darf niemand sein, der sich in Serbiens Unterwelt durch Spalten zwängt und in Felswälle krallt. Dafür hat man Stalagmiten und Stalaktiten als Betrachter für sich allein. Temperaturen um 14 Grad, die hohe Luftfeuchtigkeit und die Strapazen lassen die Körper regelrecht abdampfen. Wendepunkt ist der „Drachensaal“.

Hauptstadtfeeling in Belgrad

Feste Größe Serbiens ist Belgrad, die Hauptstadt. Hier mündet die Sava in Sicht der Festungsanlage in die Donau, hier öffnen sich ansehnliche Plätze und Fußgängerzonen, hier finden sich mehr und mehr Party People ein. Die Auswahl an Kneipen, Cafés, Lounges ist immens. „Momentan ist das Savamala-Viertel der heißeste Platz“, weiß Ralph van der Zijden, 38, ein Niederländer, der sich in die Stadt verliebt hat. „Belgrad ist irre dynamisch, hier wird es nie langweilig“, sagt er. Bei Radtouren bringt er Besucher auch vor altkommunistische Bauten, darunter den Serbien-Palast und das Hotel Jugoslavija mit seiner spröden, breiten Fassadenfront. Umso größer ist der Kontrast, wenn man den grünen Saum der Sava mit Flussrestaurants, Spazier- und Radwegen erreicht. Angenehm überrascht fühlt man sich überdies am Ada-See, Belgrads Naherholungsgebiet, und am Zusammenfluss von Sava und Donau, wo Serbiens Sportidol Novak Djoković nahebei eine Tennisakademie unterhält.

Natürlich fasziniert nicht alles in Belgrad. Viele Häuser entsprechen graubrauner Ostblockarchitektur. Dann wird es plötzlich graffitibunt. Außerdem dürfen Fassaden nicht abschrecken. Tourismusexpertin Aleksandra Dolapčev hält ihre persönliche Gebrauchsanweisung bereit: „Man muss sich einfach trauen, überall hineinzugehen.“ Also auch in Gebäude, die außen einen abgewrackten Eindruck machen. Im Innern landet man plötzlich in einem originellen Restaurant. Oder auf der Terrasse eines Jazzclubs. Das nennt man dann echtes Belgrad-Feeling.

Kloster- und Bergeindrücke

„Ob ich früher mit Jungs ausgegangen bin und feste Freunde gehabt habe?“, wiederholt die Ordensschwester die Frage. „Na klar!“, antwortet sie und ihre blauen Augen bekommen ein Zusatzleuchten. Katja ist 30, sie spricht gut Englisch und steht kurz vor Ende ihres Noviziats. Sie habe eine Zeit der inneren Leere erlebt. „Dann hat Gott mein Herz berührt“, erklärt sie auf die Frage, warum sich ihr Lebensweg komplett verändert habe. Ihr neues Zuhause ist das orthodoxe Kloster Nikolje, dessen Kirche mit sehenswerten Fresken und Ikonen ausstaffiert ist.

Die Anlage liegt im Westteil Serbiens, in der Ovčar-Kablar-Schlucht nahe der Stadt ?ačak, gleich am Fluss Westmorava. 19 Schwestern zählt die Gemeinschaft, wobei zwei stets für den Betrieb der eigenen Mühle abgestellt sind. Im Klostershop verkaufen sie Säckchen mit Maismehl. Ein Boot bringt Besucher über den Fluss heran, Angler und Felsabhänge werfen ihre Spiegelbilder ins Wasser. Die Gegend steht unter Naturschutz und ist als Wanderterrain beliebt. Ein Trail führt aus dem Tal auf den 889 Meter hohen Kablar. Buchen und Kiefern säumen den Weg bis zum Gipfel. Mit Glück bekommt man Wanderfalken, Schwarz- und Grauspechte zu Gesicht. Das Panorama am Aussichtsspot ist fantastisch. Tief unten zieht die Westmorava ihre Schleifen, auf der Gegenseite der Schlucht kratzt der Bergnachbar Ovčar an der Tausend-Meter-Marke.

Der Strang der Donau

588 Kilometer Donau entfallen auf Serbien. Spektakulär wird es im Nordosten, wo sich der Fluss in der Derdap-Schlucht zur engsten Stelle zusammenschnürt, überragt von trutzigen Felskulissen. Im Nordwesten strömt die Donau an Serbiens zweitgrößtem Ballungsraum, Novi Sad, vorbei, wo sich die Locals am Stadtstrand treffen und in die Fluten stürzen.

Lohnend ist ein Donautrip im Kanu oder Kajak. Paddelguide Jugoslav, 55, kennt jeden Flussarm und jede Sandbank, hat es auf dem Wasserweg schon bis zum Schwarzen Meer geschafft. „Die Donau ist jeden Tag anders“, sagt Jugoslav, der in einer Paddelpause bekennt, als Soldat in fünf Kriegen gekämpft zu haben. Heute liegt Friedensstimmung in der Luft. Reiher und Kormorane flattern auf, und Schwaneneltern geben dem Nachwuchs gerade Nachhilfe beim Fischen.

Tipps

Geld und Preise

Währung ist der serbische Dinar (1 Euro = 123 Dinar). In größeren Städten ist der Tausch kommissionsfrei in Wechselstuben – „Menjačnica“ – möglich. Wer auf dem Flughafen Belgrad ankommt, hat ebenfalls die Möglichkeit zum Geldwechseln. Serbien ist ein ausgesprochen günstiges Reiseland. In einfachen Hostels bezahlt man ab elf Euro für ein Bett im Schlafsaal bzw. ab 30–35 Euro für ein Doppelzimmer. In Mittelklassehotels starten die Preise für ein Doppelzimmer bei etwa 50 Euro. Auskünfte: www.serbien.travel

Essen

Weitere Preisbeispiele: ab 50 Cent für einen serbischen Kaffee (mit Satz), ab 80 Cent für ein kleines Bier, ab 1,10 Euro für ein Cola, ab zwei Euro für ein Glas Wein. In Restaurants gibt es eine Portion Krautsalat ab 90 Cent, deftige Hauptgerichte – z. B. Cevapčići oder eine mit cremigem Käse gefüllte „Karadjordje“, eine Fleischrolle, ab fünf bis sechs Euro.

Verständigung

Landessprache ist Serbisch, parallel verbreitet sind kyrillische und lateinische Schrift. Viele Serben sprechen ein durchaus gutes Englisch. Einzig in entlegeneren Landesteilen kann es mit der Verständigung schwierig werden.

Autofahren und Mobilität

Busse verbinden größere Städte miteinander, doch die richtige Mobilität garantiert ein Mietwagen. Mittelklassefahrzeuge kosten ab etwa 130 Euro pro Woche, inklusive Freikilometern, Steuern, Basisversicherung www.billiger-mietwagen.de, Stornierung bis zu 24 Stunden vor Anmietung kostenlos).
Der nationale Führerschein reicht aus, die Hinterlegung einer Kaution wird per Kreditkarte abgewickelt.

Drehkreuz der wenigen Autobahnstrecken ist Belgrad. Die Autobahnen sind in gutem Zustand, die Benutzung ist gebührenpflichtig (etwa vier Euro für 100 Kilometer, bar/Kreditkarte). Auf Landstraßen muss man sich auf langsames Fortkommen einstellen. Wegen mitunter fehlender Leitplanken und Mittelstreifen sollte man auf Nachtfahrten verzichten; auch die Beleuchtung der Fahrzeuge ist nicht immer gut.

Aktivitäten

Geführte Radtouren durch Belgrad veranstaltet I bike Belgrade; Tourbegleitung auf Englisch. Treffpunkt für die Abfahrten: Knez Mihailova 56. Vier-Stunden-Tour: 17 Euro. +381/669 008 386, http://ibikebelgrade.com

Wild Serbia hat sich auf Abenteuertouren spezialisiert; Höhlenabseilen kostet 35, Caving 60, Canyoning 100 Euro. +381/600 140 117, www.wildserbia.com

Ausgehend von Novi Sad, organisiert Dunavski Rafting ganztägige Kajak- und Kanutouren auf der Donau. Die Teilnehmerpreise richten sich nach der Größe der Gruppe und liegen bei 45–65 Euro. Der Preis schließt den Bustransport nach Backa Palanka, die Ausrüstung und ein Mittagessen ein.
+381/638/251 982, www.dunavskirafting.com

Unterkünfte

Die Spanne reicht von Campingplätzen über private Gästezimmer („Sobe“) bis zu ansprechenden Hotels. Belgrad bietet die größte Auswahl an Hotels – wie das historische Hotel Moskva (Terazije 20, DZ ab 134 Euro, +381/113/642 069, hotelmoskva.rs) und ebenso Hostels für Low Budget Traveller – wie das an der Sava gelegene River-Hostel Arka-Barka – Bett im Schlafsaal 15, DZ 48 Euro; Ušće bb, Park prijateljstva, +381/649/ 253 507, www.arkabarka.net

Eine Besonderheit in den Unterkünften ist, dass der Ausweis meist bis zur Abreise einbehalten wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2016)

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