Ötztal: Wandern von Szene zu Szene

Wandertheater Friedl
Wandertheater Friedl http://www.wandertheater-friedl.oetztal.com
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Herzog Friedrich IV. flüchtete nach dem Konzil geächtet aus Konstanz in die Tiroler Bergwelt. Wie sich Geschichte wiederholt und Wandern gar nicht langweilig sein muss.

Der Kirchturm von Vent erhebt sich über der 150-Einwohner-Gemeinde, als würde er der Wildspitze Konkurrenz machen wollen. Doch mit seinen 3774 Metern dominiert der höchste Berg Tirols die Szenerie. Am Ortseingang steht ein leerer Holzbilderrahmen, beim Durchschauen blickt man direkt auf das Ötztaler Bergsteigerdorf, das durch den Pfarrer Franz Senn, den Begründer des Tiroler Wandertourismus, seit 1860 als Klassiker gilt. Aber nicht nur Senn zählt zu den berühmten Persönlichkeiten im Hinteren Ötztal. Waren es doch auch die Ötztaler Alpen, die vor 600 Jahren Herzog Friedrich IV. ein ideales Rückzugsgebiet und Schutz vor seinen Verfolgern boten. Und den österreichischen Regisseur Hubert Lepka beim Wandern auf die Idee zum Wandertheater „Friedl mit der leeren Tasche“ brachten. Historie am Originalschauplatz zu erzählen und die Natur als Bühne zu interpretieren, ist die Kunst von seiner Gruppe Lawine Torrèn, die im Ötztal seit mehreren Jahren am Rettenbachferner den „Hannibal“ inszeniert.

Die Geschichte rund um den durch das Konzil von Konstanz in Ungnade gefallenen Herrscher von Tirol, den die Gegner spöttisch „Friedl mit der leeren Tasche“ nannten, zieht alljährlich im September Neugierige an. Nach seiner Flucht in die Berge, lässt sich Friedrich von Anna führen. Vertraut ihren Kenntnissen der Bergwelt und fühlt mehr und mehr Verbundenheit zu diesem kraftvollen, wenn auch einfachen Mädchen.

Man spricht Ötztalerisch

Treffpunkt auf dem Weg von Vent zum Marzellferner ist die Friedlhütte. Die Vorstellung beginnt pünktlich um 8.45 Uhr, wer zu spät kommt, hat alles versäumt, denn die Anzahl der Ohrstöpsel, die den Text und die Musik vermitteln, ist begrenzt. Ordnung muss sein, damit beginnt die Teambildung der Zuschauergruppe. Unaufmerksame Wanderschüler werden gleich beim Einführungskurs von den Schauspielern zurechtgewiesen. Das Rauschen der Venter Ache begleitet den Anstieg bis zum ersten Akt, dann lauscht man aufmerksam dem Dialog zwischen Anna, der Magd, und dem Friedl, die die Zuschauer auf einer Anhöhe zwischen riesigen Felsblöcken und glasklaren Gebirgsbächen erwarten. Überraschend ist nicht nur die Originalität der Kostüme (das wandernde Publikum findet sich plötzlich am Beginn des 15. Jahrhunderts wieder), sondern auch die Sprache. An den Ötztaler Dialekt müssen sich die Flachländer gewöhnen. Zwui, sprich: warum? Weil der Ötztaler Dialekt seit 900 Jahren gesprochen wird und heute noch das stärkste Identifikationssymbol der Einheimischen ist. Lernbegierde kennt keine Grenzen, so versucht jeder, den von der Unesco zum immateriellen österreichischen Kulturerbe erklärten Dialekt in Verbindung mit dem Schauspiel zu verstehen. Für die internationalen Gäste klingt es wie eine exotische Fremdsprache, für die Österreicher dann doch vertrauter. Spätestens bei der dritten Szene fühlt man sich selbst als Ötztaler und wird Teil der Geschichte vom Friedl und seiner Flucht. Sein Ziel ist Meran. Bis dorthin darf niemand seine wahre Herkunft erfahren. Während Friedl mit Anna hinter der nächsten Wegbiegung verschwindet, sammelt die Gruppe wieder Rucksäcke und Jausenreste ein. Weiter geht's zum letzten Drittel: Es ist nicht mehr weit, aber es wird steiler.

Während sich der Körper ums Vorwärtskommen bemüht, ist der Geist mit der Geschichte beschäftigt. Das Gehen zwischen den Szenen wirkt wie Meditation. Es wird kaum gesprochen. Umso mehr hört man die Stille, atmet die klare Bergluft mit Latschenkiefernote und schmeckt das Wasser aus sprudelnden Quellen. Die Ohrstöpsel sind wieder in der Tasche, aber die Musik klingt nach. Eine Mischung aus Hausmusik, Heumahdergsang, höfischem Tanz, Kirchen- und Hirtenlied. Die Baumgrenze liegt längst hinter den Wanderern, der Gletscher taucht plötzlich am scheinbaren Ende des Weges auf. Ob es der Anblick der bizarren Formationen ist, der einem den Atem raubt, oder bloß die dünne Luft? Gestern noch im Flachland, heute auf 2500 Metern, das fühlt sich für die meisten an wie Höhenrausch. Bei der Martin-Busch-Hütte muss man noch vorbei, die Jause gibt's erst später. (GRA)

Wandertheater

Schauspiel: „Friedl mit der leeren Tasche“ von Lawine Torrèn wird an mehreren Terminen aufgeführt: 3., 4., 8., 9. und 11., 16., 17. und 18. September, jeweils 8.45–14 Uhr, www.friedl-wandertheater.oetztal.com, www.torren.at
Schauplatz: Das Bergsteigerdorf Vent im Hinteren Ötztal, www.oetztal.com. Start bei der Friedlhütte in Vent, dann durch das Niedere Tal bis zur Martin-Busch-Hütte und retour, Länge: 19,5 km.

Compliance-Hinweis: Die Reisen wurden von Tischler Reisen, Lernidee-Erlebnisreisen/Sibirien Direkt und Ötztal Tourismus unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2016)

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