Tirol: Gletscher, Fels und Stempelpass

Stubaier Gletscher
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Muss man die Natur promoten, um Sommergäste anzulocken? Im Stubaital hat man sich einiges für Auszeit und Abenteuer überlegt. Dem ewigen Eis, den Bergen und Wildbächen hat es nicht geschadet.

Oben, endlich oben! Durch Nieselregen und über nassen Fels, Meter für Meter am Seil bis zum Gipfelkreuz der Rinnenspitze: geschafft. Nun liegt alles unter einem, unter 3003 Metern: der Rinnensee, die Franz-Senn-Hütte, das Stubaital, der Aufstieg, die Anstrengung, der Alltag. Der Bergführer in Ausbildung hat seine allerersten Gäste sicher und geduldig heraufgeführt, sein Vorgesetzter, der „schon immer“ Bergführer war, sowieso. Nur der Ausblick sollte besser sein, laut poetischer Prognose des Vorabends, ausgedruckt auf dem Hüttentisch: „Aus der Nacht heraus kann ein kurzer Regenschauer dabei sein, dann sollte die Sonne erscheinen.“

Sieben Gipfel, eine Grotte

So schön die Berge, so hart das Leben und so eindrücklich alle Versuche, die Umgebung bestens zu nutzen. In der Warmperiode des Mittelalters wurde auf 1500 Metern Getreide angebaut, bevor die kleine Eiszeit um 1850 diesen Ambitionen den Garaus machte. Dafür wurde der Tourismus erfunden: Der „Gletscherpfarrer“ Franz Senn (1831–1884) war von den fast unbegangenen Gletschern im Ötz- und Stubaital derart fasziniert, dass er anregte, Wege anzulegen und Schutzhütten zu errichten, um Gäste anzulocken und die Armut der Bevölkerung zu lindern. 1869 gründete er in München mit Gleichgesinnten den Deutschen Alpenverein. 1885 wurde die nach ihm benannte Hütte mit 37 Plätzen eingeweiht. Heute bietet sie den Komfort von Duschen und WLAN, Zimmer und Lager mit 220 Schlafplätzen, bodenständige Küche und viele Möglichkeiten rundherum: Klettersteige und Sportklettertouren, viel Spiel-Platz für kleine Bergsteigerlein, Wiese, See und Bergbach, Ministeig, dazu vielleicht Blick auf Murmeltiere. Für die großen Bergfexe gibt es zahlreiche Skitouren und Wanderwege. Und mitunter Almrausch, Enzian und Edelweiß – aber nur zum Anschauen. Ob Hermann Hesse eines gepflückt hat, damals, als es noch erlaubt war? Egal, er war hier, das jedenfalls steht im alten Hüttenbuch, das kürzlich wiederentdeckt wurde.

In der Region hat man sich kürzlich mit den Seven Summits – sieben sorgfältig ausgewählten Gipfeln, dem Stubaier Höhenweg, dem Wilde-Wasser-Weg und der Gletschergrotte – einiges überlegt und umgesetzt, damit man nicht nur vom Wintertourismus abhängig ist. Die Rinnenspitze ist einer der seven, eine Kerbe im Sammelpass. Für drei ist einem ein T-Shirt sicher, für alle sieben gibt es etwas aus Zirbe. Ein Muss ist der Pass nicht. Aber er hilft, sich aus der Fülle einige auszusuchen: Serles, Zuckerhütl, Wilder Freiger . . . Es ist alles dabei: die leichte Tour für den Einsteiger, die Herausfordernde, mit Bergführer, für Geübte. Für Abenteuerlustige gibt es die Kalkkögel: brüchiger Stein, der einem mitunter ein wenig entgegenkommt.

Von Wien etwa ist man schnell hier: in fünf Stunden vom anonymen Großstadtsommer in das beschauliche Tal. Dort wendet der Bauer das Heu in Handarbeit, hundert Meter entfernt liegen die Gäste auf den Liegen im Wellnessbereich des Vitalhotels in Krößbach. Die beiden Lebensadern des Tals, Landwirtschaft und Tourismus, auf einen Blick. Doch für Entschleunigung ist noch keine Zeit. Schon bald hat man die 400 Höhenmeter von der Oberissalm zur Franz-Senn-Hütte auf 2100 Metern und die ersten Klettersteige seines Lebens absolviert, das Abendessen genossen und im Stockbett genächtigt. Und ist dann, um 6.30 Uhr „aus der Nacht heraus“ zur Rinnenspitze aufgebrochen. Mit dabei Heinz Zak, Alpinist, Fotograf, Autor. Gerade hat er sein Buch „Stubai. Die Berge und das Tal“ herausgebracht, mit Fotos, die einen nicht nur staunen lassen, sondern, aufgepasst, so manchem Kletterer schweißnasse Hände bescheren könnten. Klettern und Fotografieren gehören für Zak seit jeher zusammen – seine Großmutter hatte ihm anno dazumal zwei Dinge geschenkt: die erste Kamera und das erste Seil.

Um 12 Uhr sitzt man längst wieder beim Gröstl in der Senn-Hütte. Die Seele schwingt, die Muskeln schmerzen, der ganze Mensch freut sich auf das Liegen im Wellnessbereich, den man tags zuvor noch irgendwie befremdlich gefunden hat, so neben den arbeitenden Landwirten. Aber schnell wird man heimisch, und während man weiter in das Tal absteigt, erscheint die Sonne, und man überlegt, wann man wohl wiederkommen könnte. Am nächsten Tag ist der Aufstieg ungleich leichter. Nicht nur dank Kräuterdampfbad und Sauna, sondern auch dank Bergbahn findet man sich bald auf 3200 Metern wieder, auf dem Stubaier Gletscher. In strahlender Sonne mit wunderbarem Fernblick ist es schwer, schlechte Laune zu haben. Und warum sollte man auch? Hier drüben sieht man in das Zillertal, dort hinten die Dolomiten, rechts das Ötztal.

Und da: die Nordkette. Hier geht es in den Gletscher, in die kühle stille Eisgrotte. 500 Jahre alt ist das Eis drinnen, Bachbett, Wasser, Steine vor einem halben Jahrtausend eingefroren. Vor wenigen Jahren geschaffen, ist die Grotte gut besucht, rund 15 Minuten lang bietet sie Sehenswertes. Doch mehr als 60 Leute dürfen nicht gemeinsam hinein: Die ganzjährig konstante Temperatur von null Grad würde steigen. Retour in Innsbruck verdampfen Gletscherkühle, Sonnenterrassengelassenheit und Vitalhotel-Atmosphäre endgültig in den 32 Grad, im Lärm der Stadt. Die Welt hat einen wieder.

Compliance-Hinweis: Die Reisen wurden unterstützt von: Griechische Zentrale für Fremdenverkehr, My Austria Holiday, Aegean Airlines, Costa Navarino Resorts, TVB Stubai Tirol.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2016)

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