Warnifornia liegt in Rostock

Themenbild: Seebad Warnemünde in Rostock
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Deutschland II. Rostock hat ein rosa Rathaus und gute Laune, Beachlife und urbanen Esprit.

Wow! Großes Panorama vor dem Fenster, sobald man das Zimmer betritt: Der Strand breit, das Meer bis zum Horizont tiefblau, und hinter Teepott und Leuchtturm laufen weiße Mega-Cruiseliner in die Warnow ein. Raus auf den Balkon, Weite und Seeluft atmen. Und Warnemünde, das Kindheitsstrandparadies, weht kraftvoll herauf. Es riecht genauso wie damals, nach Seetang und Strand und Sommer. Das legendäre Seebad, der nördlichste Stadtteil von Rostock, hat den breitesten Strand der deutschen Ostseeküste – ein Sandburgen-Paradies ohne Ende, bereits zu DDR-Zeiten.

Kein Warnemünde ohne Neptun! Seit 1971 prägt der hoch aufragende Tower des Hotels Neptun den kilometerlangen Strand. Als die Autorin als Vierjährige vor dem Hotel im Sand buddelte, galt der Tower als unerreichbar, war nur eine Kulisse – zugänglich für ausgewählte, hochdekorierte Arbeiter und Bauern der DDR, die auf Wandklappbetten schlafen mussten, sowie für Geschäftsleute aus dem Westen und Staatsgäste wie Fidel Castro und Willi Brandt. Hier gab es ein eigenes Geld, das Neptun-Geld, und sogar Westfernsehen in den westwärts gelegenen Zimmern. Auch die erste Disco der DDR wurde im Neptun eröffnet. Zutritt ins Hotel für Normalsterbliche: Sicher nicht. So blieb nichts weiter, als denen den Sand eimerchenweise abzugraben.

Heute erinnert nur das Bistro Broiler an die DDR-Jahre. Das Fünfsternhotel zeigt sich rundum erfrischt: mit schönen Boutiquen in der Lobby und dem edel in Weiß gestylten Café Panorama in der 19. Etage, die sich abends zur Sky Bar öffnet. Dann heizt eine kubanische Salsaband den Gästen ein. Zum Abkühlen ist das Meer nicht weit. Das spielt jetzt die erste Geige: Ostseewasser wird über eine Pipeline in den Pool und ins Spa geleitet. Man schwimmt im Meerwasser, badet darin mit französischen Algen und aalt sich in der Schlickpackung. Im Neptun wurde mit der Neuausrichtung 1996 das erste Original-Thalasso-Zentrum Deutschlands eröffnet.

Surfen nach Wellenfahrplan

Das Meer bestimmt den Grundrhythmus: Die Stadt am Wasser schwingt im Tonus eines ausgeprägt aktiven Laisser-faire. Die young people vom Beachclub Supreme Surf haben sogar einen eigenen Warnemünder Lifestyle kreiert: „Warnifornia“. Katsegeln, Kitesurfing und Ferry Waving nach dem „Wellenfahrplan“ der Scandlines-Fähren. Klimawanderer walken in der aerosolen Brandungszone der Ostsee, bei einem Kalorienverbrauch von 400 kcal pro Stunde, mindestens. Einmal vom 100 Jahre alten Leuchtturm auf der Mole und dem 1965 erbauten Teepott mit seinem muschelförmigen Dach bis zu den schicken Jugendstil-Bädervillen und über die Promenade zurück. Segler ziehen die Warnow hinunter, bis weit nach Rostock-Mitte hinein.

In der City wird das Leben noch bunter, zeigt sich das urbane Rostock, einst wichtiges Mitglied der Hanse, keineswegs als ergraute 800-Jährige, sondern jung, aufgeschlossen und mit fröhlichem Lachen im Gesicht. Die Giebel der gotischen Kaufmannshäuser aus der Zeit der Hanse sind farbenfroh, die Stadttore prächtig erhalten, das Rathaus in Backsteingotik ist rosa, und die Cafés schreiben sich das Motto gleich auf die Fassade: Das Leben ist schön! Rostock hat gute Laune. Vor der ältesten Universität Nordeuropas chillen junge Familien im Park. Andere zieht es zum Stadthafen, wo die Jugend den Sunset feiert. Da fliegen Frisbees über den Museumshafen, wird auf den kilometerlangen Piers getanzt und gegrillt – mit kühlem Rostocker Bier oder Filet am Rost und Weißwein.

Konzerte im Kloster

Über 15.000 Studenten und Kunstschaffende bringen quirliges Leben in die Stadt. Wenn das Meer den schwingenden Grundton angibt, kommt durch den Kunst- und Wissenschaftsstandort viel Esprit und Tempo nach Rostock. Die Kunsthalle sucht bewusst die intensive Auseinandersetzung mit der Moderne, zeigt Fotografie und Installationen, die für Kontroversen sorgen. Ausgesprochen belebend wirkt die Hochschule für Musik und Theater (eine der begehrtesten Ausbildungsstätten Europas) inmitten der kopfsteinpflastrigen Altstadt, die die Arbeit ihrer Studenten auf öffentlichen Konzerten und Events zeigt. Zu den Festivals wie „Brücken“ strömen die Zuhörer in das ehemalige Kloster. Denn das St.-Katharinen-Stift war der Reihe nach ein Haus für die Armen, für Waisen, fürs Militär, dann Krankenanstalt für „die am Gemüte Leidenden“. 2001 wurde das ehemalige Refektorium zum Orgelsaal, das gotische Dormitorium zum Kammermusiksaal, das Beichthaus zur lichten Bibliothek mit Galerie. Zwei Schauspielstudios entstanden, und der Klosterhof wurde Bühne für Open-Airs: Die Kunst zog ein mit Trommeln und Trompeten, Orgelspiel und Violinen.

Jazz, Butt und Ozeanriesen

Die Rostocker mögen ihre Stadt und leben gern hier. Im März 2016 erreichte sie ihren absoluten Höchststand mit über 206.500 Menschen. Nicht zuletzt die Uni als größter öffentlicher Arbeitgeber macht die Stadt an der Warnow attraktiv. Das beflügelt auch die Gastronomie: Carlo615 kocht in den Dockanlagen am Stadthafen zu Jazzsessions, das Zwanzig12 ließ sich mit beachtlicher Ginauswahl im historischen Wittespeicher nieder, und östlich von Rostock–Hohe Düne wurde die Blaue Boje mitten in den Dünen eröffnet. Sitzplätze sind rar, die Lage am Meer mit Sonnenuntergangsblick ist unschlagbar.

Feinste Kulinarik erlebt man im Butt in Hohe Düne. Nur eine Handvoll Tische, ein fünfköpfiges Team und ein Wow-Erlebnis. Der junge Rostocker Chefkoch Matthias Stolze setzte seine Küche direkt auf den Pier im Jachthafen, kreierte feinste Küsten-Sinneserlebnisse mit asiatischer Note und holte sich dafür einen Stern. Der Butt ist das Highlight der Jachthafenresidenz, die mit knapp 1000 Liegeplätzen in der Marina deutlich maritim ausgelegt ist. Im Stil legendärer Cruiseliner gebaut, ist Reise das Thema im Hohe-Düne-Komplex: Das Spa vollführt eine Weltreise bis auf die Malediven – und bringt bekannte Jazzer nach Warnemünde. Im Hintergrund schieben sich Ozeanriesen laut tutend mit aufgetürmten zehn Decks aus dem Kreuzfahrtterminal am Pier 7 auf große Fahrt. Pier 7 ist auch für einstige Sandbuddelkids anziehend: Jeden Sommer werden hier über 400 Tonnen Sand von Performancekünstlern aus der ganzen Welt verbaut – zu riesigen Sandfiguren. Da schaut auch das kleine Mädchen von damals anerkennend: Der Sand-Neptun ist vier Meter groß. Viele Eimerchen Sand.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2016)

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