Cádiz: Winkel, nicht Schachbrett

Cádiz vermittelt einen sehr kompakten architektonischen Eindruck. Man schätzt die Bars, die pittoreske Markthalle und den spontanen Flamencoauftritt.
Cádiz vermittelt einen sehr kompakten architektonischen Eindruck. Man schätzt die Bars, die pittoreske Markthalle und den spontanen Flamencoauftritt. TUI/Florian Albert
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Weniger bekannt als die großen andalusischen Städte – und mehr als eine kleinere Entdeckung: Cádiz behauptet sich gegen das Meer.

Man könnte zum Beispiel in Cádiz beginnen. Diese 120.000 Einwohner zählende Stadt am Meer ist nicht so prunkvoll und weitläufig wie Sevilla, und ihre Stadtstrände, die im Sommer bis auf den letzten Liegestuhl gefüllt sind, können mit den kilometerlangen wilden Dünen der nahen Costa de la Luz natürlich nicht mithalten. Aber die Kombination macht es aus – und man kann sich schon einmal einstimmen auf das, was der Streifen zwischen der Stadt Jerez de la Frontera, in deren Nähe sich der Flughafen befindet, und dem ehemaligen Fischerhafen Tarifa am südlichsten Zipfel Spaniens bereithält: eine Architektur, die von profanen Hauseingängen bis hin zu den Barock-Altären mit maurischen Einflüssen besticht. Und ein Meer, das klar ist, bewegt und immer kühl: Auch im Hochsommer erreicht die Wassertemperatur kaum 20 Grad.

Cádiz ist ein Städtchen, das sich stets verteidigen musste – es liegt auf einem Halbinselchen, nur durch einen schmalen Streifen und eine neu erbaute Brücke mit dem Festland verbunden. Die Mauren eroberten die Stadt und normannische Piraten, Franzosen griffen sie an und Engländer, doch was sie gefährdete, ihre exponierte Lage, kam ihr andererseits zugute: Über die Jahrhunderte blühte der Handel, die Stadt wurde zum wichtigen kaufmännischen Zentrum. Was ihr dabei geholfen hat, sich zu verteidigen, waren die Stadtmauern und Befestigungsanlagen, gegen die heute nur mehr die Wellen toben (mit einer Wucht, die so groß ist, dass die Mauern der Kathedrale bröckeln). Und natürlich halfen die zahlreichen Türme der Stadt, etwa des Torre Tavira. Er ist heute einer von zweien, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, und egal, in welche Richtung man schaut: Von seiner Terrasse aus reicht der Blick über die Gassen bis hin zum Meer. Da sieht man jedes nahende Schiff schon von Weitem, ob es nun Krieg bringt oder Ware – und kann ganz nebenbei beobachten, was sich unten und in der Nachbarschaft so tut.

Los Lances in Tarifa
Los Lances in TarifaImago

Was jedem Mitteleuropäer sofort ins Auge sticht: Auf den Terrassen flattert wie schon vor Jahrhunderten die Wäsche, hin und wieder entdeckt man Gerümpel. Aber Sonnenschirme? Liegestühle? Tische, an denen am Abend getafelt würde, mit Blick auf den Sonnenuntergang? Fehlanzeige. Das Konzept Dachterrasse sei dem Andalusier fremd, erklärt der Reiseführer. Ist des Tages Werk getan, mischt er sich lieber in den Bars unter die Leute, anstatt sich in die eigenen vier Wände zurückzuziehen.

Kuben und Innenhöfe

Cádiz bezaubert nicht nur von oben betrachtet: Architektonisch ist die Stadt überaus einheitlich geblieben, nur wenige moderne Gebäude stören das Bild. Das typische Haus in Cádiz hat einen kühlen Innenhof, die Fassade ist durch – zum Teil verglaste – Balkone strukturiert. Es lohnt ein Blick in die Hauseingänge, die zum Teil prachtvoll mit Fliesen geschmückt sind – kulturelles Erbe der Mauren. Dafür kann man sich den Besuch des Kirchenschiffs der berühmten gotischen Kathedrale getrost sparen. Am interessantesten ist sie nämlich von außen. Und noch interessanter, wenn vor der Fassade eine Flamencotänzerin ihre Künste zeigt. Im Übrigen sei hier der Mitteleuropäer noch einmal belehrt: Der Flamenco zeichnet sich nicht in erster Linie durch den Tanz aus. Auch nicht durch den Gesang. Ja, nicht einmal durch das Gitarrenspiel. Konstituierend für den Flamenco ist der überaus komplexe – geklatschte – Rhythmus. Das wirkt manchmal eher martialisch denn erotisch.

In Cádiz empfiehlt es sich jedenfalls, einen Stadtplan mitzuführen: Wenn in Reiseführern oft vom Schachbrettmuster der Gassen die Rede ist, darf man das nicht wörtlich nehmen: Sie tun nur so und führen einen in die Irre. Zum Glück ist die Altstadt so klein, dass man sich nicht sehr weit verlaufen kann. Im Zweifelsfall frage man nach dem pittoresken Markt mit seiner klassizistischen Halle, wo man neben Obst, Gemüse und Fisch auch Snacks wie getrockneten Thunfisch und geröstete Minishrimps erwerben kann: Der Mercado Central ist nie mehr als eine Viertelstunde Fußmarsch entfernt.

Raumfüllende Zierde

Da ist Sevilla, die Universitätsstadt und Hauptstadt Andalusiens, ein anderes Kaliber. Schon wie sie einen empfängt, mit dieser Prachtstraße, die 1929 erbaut wurde: Eine Mammutausstellung sollte damals die Bindung an die Kolonien stärken. Jede Kolonie bekam einen eigenen, prunkvollen Pavillon, zum Teil beherbergen sie immer noch die entsprechenden Botschaften.
Der Höhepunkt Sevillas ist der Real Alcázar, der königliche Palastbau, der allein so verwinkelt und weitläufig ist, dass man leicht die Orientierung verlieren könnte. Wobei: Vielleicht sollte man es sogar darauf ankommen lassen! Einfach von Raum zu Raum schlendern, die Bögen und Balkone, die Fliesen und die Stuckverzierungen, diesen ganzen Horror Vacui auf sich wirken lassen, bis einen der Palast in einen der prachtvollen Gärten wieder ausspuckt. Dort kann man kurz verweilen – vielleicht auf einer verfliesten Bank, vielleicht an einem Brunnen –, bevor man wieder in das Dämmerlicht tritt. Hier zeigt sich das maurische Erbe in besonderer Pracht: Trotz der Fülle an Ornamenten, trotz aller Verspieltheit, obwohl kaum ein Zentimeter unverziert bleibt, strahlt die Anlage große Ruhe aus: etwa der berühmte Jungfrauenhof. Warnung: Wegen des großen Andrangs dürfen die Guides nicht mehr ihre Stimme erheben – sie flüstern in ein Mikro, die Touristen müssen Kopfhörer aufsetzen. Wer das nicht mag, sollte auf eine Führung verzichten.

Nach einem kleinen Spaziergang durch das hübsch renovierte jüdische Viertel mit zahlreichen Shops und pittoresken Lokalen kann man sich vergewissern, dass das maurische Erbe lang weiterlebte – nicht nur in der Alltagskultur, in der geometrisch gemusterte Fliesen allgegenwärtig sind, sondern auch in der Hochkultur: Solches Barock findet man außerhalb Andalusiens sicher nirgendwo. So überladen sind hier die Altäre, dass man ob all des Golds die Figuren gar nicht mehr als Figuren erkennen kann: Der Eindruck ist paradoxerweise ornamental. So präsentiert sich etwa der barocke Hochaltar der gotischen Kathedrale in Sevilla. Das Auge möchte einem übergehen. Wer das für einen Einzelfall hält, dem sei der Besuch der Iglesia del Divino Salvador in Sevilla oder des Oratorio de San Felipe Neri in Cádiz empfohlen. Kapelle reiht sich an Kapelle, eine güldener als die andere, eine maurischer als die andere. Es ist ein urspanischer Ort: Im Oratorio de San Felipe Neri wurde 1812 die erste liberale Verfassung Spaniens verabschiedet.

Die Post kommt in die Bar

Und wenn es zu heiß wird? Empfiehlt sich ein Trip an die Küste: Die Costa de la Luz ist bei Weitem nicht so verbaut wie andere spanische Küstenabschnitte, selbst die großen Hotels fügen sich über weite Strecken zumindest farblich in die Landschaft ein, es dominieren teilweise illegal errichtete Wochenendhäuser. Die Obrigkeit schaut weg, man hat sich arrangiert, nur ein Problem bleibt: Wer illegal wohnt, verfügt über keine Postanschrift. Wohin also mit den Briefen und Paketen? Ein kleiner Shop an einer Kreuzung hat aus der Not ein Einkommen gemacht: Im Hinterzimmer hängen Dutzende Postkästen. Dass man sich zu helfen weiß, darauf ist man in Andalusien stolz.

ANDALUSIEN, GANZ UNTEN

Cádiz liegt auf einer Landzunge ganz im Süden Andalusiens. www.cadizturismo.com, www.andalucia.org, www.spain.info

Flug: TUI fliegt jeden Donnerstag mit Myaustrian Holidays von Wien nach Jerez. myholiday.austrian.com

Hoteltipp: Adult-Only Sensimar Playa la Barrosa, www.meine-tui.at

Rundreisentipp: Andalusien mit dem Bus, sieben Nächte, ab/bis Jerez bzw. Andalusisches Mosaik: Selbstfahrerreise, sieben Nächte, mit dem Mietwagen, ab/bis Jerez mit Stationen in Ronda, Granada, Cordoba und Sevilla, www.meine-tui.at Info und Buchung im Reisebüro und auf www.tui.at

Verlängerungstipp Tarifa: In der Nähe des südlichsten Zipfels Spaniens breitet sich ein Naturschutzgebiet aus – mit endlosen Dünen, weißem Sand und kristallklarem Wasser. Es gibt Campingplätze, eine kleine Anlage mit Holzhäuschen, aber keine Hotels, keine Supermärkte, nur kleine Bars und Lokale. In Tarifa selbst, einer Hafenstadt mit hübschem historischem Kern, kann man noch eine Bootstour anhängen: Die Stiftung Firmm, die sich der Erforschung, der Beobachtung und dem Schutz von Meeressäugern verschrieben hat, führt zwei Stunden auf das Meer: An dieser Stelle der Straße von Gibraltar halten sich besonders viele Meeressäuger auf, je nach Jahreszeit eher Tümmler oder eher Grindwale, manchmal sogar Orcas oder Pottwale. Tümmler und kleinere Delfine sind bei einem Tripp fast immer zu sehen, und nicht zu knapp.

Compliance-Hinweis: Die Andalusien-Reise wurde von TUI und Austrian Airlines unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2016)

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