Dänemark: Im Regenbogen auf dem Dach spazieren

Blick von dem begehbaren Panoramaring auf dem Dach des Kunstmuseums Aros.
Blick von dem begehbaren Panoramaring auf dem Dach des Kunstmuseums Aros. Imago
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Århus hat sich vor einigen Jahren in Aarhus umbenannt. Das war der Auftakt für eine Neuerfindung der dänischen Stadt.

Aarhus bezeichnet sich gern als „kleinste Großstadt der Welt“. Aber das ist Understatement. Denn zum einen hat die Hafenstadt an der Ostküste Jütlands mehr als 300.000 Einwohner und zum anderen besitzt sie ein qualitativ und quantitativ hochwertiges Kulturangebot, auf das auch größere Kommunen stolz sein könnten. Das Kulturhauptstadtjahr wurde mit dem Motto „Let's rethink“ überschrieben. Neue Überlegungen sollen angestellt, Altes neu durchdacht werden. Kultur soll Lösungen schaffen für gesellschaftliche Herausforderungen – nachhaltig und „abseits ausgetretener Pfade und mit Aha-Effekt“.
Viel inspirierender als die austauschbaren Floskeln der Marketingabteilungen ist die Stadt selbst. Aarhus ist jung, vital und zukunftsorientiert. Die nach Kopenhagen größte Kommune hat die höchste Dichte an Studierenden in Dänemark. Der Einzelhandel ist breit aufgestellt – vom größten dänischen Shoppingcenter bis zu kleinen Kunstgewerbeläden. Leerstand ist die ganz große Ausnahme. Und Aarhus setzt mit Neubauprojekten Zeichen für eine Neuausrichtung der Stadtentwicklung – Kultur eingeschlossen.

Am sichtbarsten wird dieser Prozess am Hafen am Rand der Innenstadt. Mit dem polygonalen Gebäude Dokk1 des Aarhuser Büros Schmidt Hammer Lassen Architects sollte eine Bibliothek für das 21. Jahrhundert entstehen. Ein Treppensystem mit Rampen und Sitzflächen führt mäandernd durch den 2015 eingeweihten, 30.000 Quadratmeter großen Bau. Laut Architekten soll er ein Ort des Austausches und ein multikultureller Treffpunkt sein – mit Veranstaltungssälen und Ausstellungsflächen, sogenannten Maker Spaces mit Nähmaschinen, Tonstudio und 3-D-Drucker, mit Computerspielplätzen und eigenem Parkplatz für Kinderwägen. Außerdem hat die Kommune ein Bürgerservice eingerichtet, es gibt auch ein Café. Bücher treten im Dokk1 nur in Nebenrollen auf und werden, wenn sie innerhalb von zwei Jahren keiner ausgeliehen haben sollte, ausgemustert.

Auch das alte Aarhus ist neu

Ein paar Schritte weiter dominiert das neue, sternförmige Gebäude Navitas die Hafenfront, ein Zentrum für Lehre und Forschung und wegweisend aufgrund extrem niedrigen Energieverbrauchs. Das gewaltige, frei stehende Gebäude ist das Entrée zu einem komplett neuen Stadtviertel, das am Wasser entsteht und von kleinen Kanälen durchzogen wird – Hamburgs Hafencity lässt grüßen. Im Unterschied zu vielen vergleichbaren Neubauprojekten ist man in Aarhus an einer sozialen Durchmischung der Bewohner interessiert. Dort gilt, etwa im preisgekrönten Isbjerget (Eisberg), für ein Drittel der Wohnungen die Mietpreisobergrenze. Die markanten weißen Häuser dieses Eisbergs sind mit ihren spitzen Dächern, den schrägen Fassaden und den Balkonen aus hellblauem Glas bereits ein neues Wahrzeichen der Stadt. Auch das alte Aarhus ist neu, jedenfalls zum Teil. Folgt man dem kleinen Wasserlauf vom Dokk1 in Richtung City, erreicht man eine Flaniermeile mit Cafés und Restaurants am Ufer, den ?boulevarden. Es war augenscheinlich eine gute Idee, das einst zubetonierte Flüsschen wieder ans Tageslicht zu bringen. Die 2009 eingeweihte neue Lebensader der Stadt führt zum Mølle-Park.

Eine an Alexander Calders Mobile erinnernde Skulptur lenkt den Blick zu einer ungewöhnlichen Dachinszenierung. Auf einem Backsteinkoloss, der an Industriearchitektur erinnert, thront ein bunter, transparenter Ring. Man sieht, dass sich Menschen dort oben bewegen. Der Bau ist das 2004 eröffnete Museum für Moderne Kunst, ARoS, das den historischen Namen der Stadt, einer Wikinger-Gründung, ausgeliehen hat. Die zehn unter- und überirdischen Etagen – Letztere wie von einer Schlucht geteilt – sind über eine runde Treppe zugänglich – das New Yorker Guggenheim-Museum stand Pate. Die meisten Besucher steuern direkt den Aufzug zur Dachplattform an. Sie wollen das „Rainbow Panorama“ des dänischen Überwältigungskünstlers Olafur Eliasson sehen. Der begehbare Ring mit transparenten Scheiben in den Regenbogenfarben eröffnet einen spektakulären Rundumblick auf Stadt, Hafen und die grüne Peripherie.

Gleich neben ARoS steht ein weiteres Standbein des außergewöhnlichen Kulturlebens der Stadt, das Musikhaus, wo das städtische Symphonieorchester, die Oper, aber auch Pop- und Rockkonzerte ihr Publikum unterhalten. Gegenüber ragt der Betonturm des 1941 fertiggestellten Rathauses von Arne Jacobsen und Erik Møller empor, ein Beispiel für die zunächst wenig beliebte, funktionalistische Bauweise. Mittelpunkt der Stadt ist aber die von Plätzen gesäumte Clemens-Kirche. Von dort sind es nur ein paar Meter bis zum Szeneviertel Latinerkvarteret, um eine Kunst-Pause einzulegen. Denn eine weitere Besonderheit, das Freilichtmuseum Den Gamle By (die alte Stadt), eines der ältesten seiner Art, will auch noch besucht werden. 75 wiedererrichtete Häuser aus allen Teilen Dänemarks, von der Renaissance bis ins 20. Jahrhundert, bilden eine Kleinstadt mit Plätzen, einem Bach und kleinen Gärten, mit historisch möblierten Räumen, Handwerkern und Läden, mit Gänsemagd und Droschkenfahrt.

Von der Zeit- zur Entdeckungsreise: Die nahe und weitere Umgebung lohnt, nicht zuletzt wegen der meist stillen Strände. Dort findet man Parks, Wälder und Schlösser wie Marselisborg, die Sommerresidenz von Königin Margrethe mit meist frei zugänglichem Schlosspark, sowie das Moesgård-Museum für Vorgeschichte. Dessen berühmtestes Exponat ist ein 50 v. Chr. umgebrachter Zeitgenosse, der gut konserviert im Moor die Jahrhunderte überdauert hat. Auf dem vom Boden aufsteigenden, begrünten Dach des Museums wird ab Mai eine Wikinger-Saga zu erleben sein.

KUNST KONSUMIEREN, „MICHELIN“-STERNE-KÜCHE GENIESSEN

Schlafen. Das Viersternehotel Comwell
(comwellaarhus.dk) unweit des Stadtzentrums wurde vom renommierten dänischen Möbelhersteller Hay eingerichtet. Das Hotel Marselis (helnan.dk) liegt direkt an Strand und Wald (3 km bis zum Zentrum). Alle Zimmer haben

Meerblick. Das Charming House (house-in-aarhus.com) ist ein B & B in der Møllestien-Gasse, für viele die schönste Straße in Aarhus.

Essen. Kulinarisches hat in Aarhus einen hohen Stellenwert. Es gibt gleich drei Restaurants mit „Michelin“-Sternen. Im Frederikshøj (frederikshoj.com) kocht Wassim Hallal auf Basis der klassischen französischen Küche mit Inspirationen aus allen Teilen Europas. Das Lokal liegt ruhig im Wald in der Nähe des Mindeparks, mit Blick auf die Bucht von Aarhus. Das Substans (restaurantsubstans.dk) legt den Schwerpunkt auf ökologische Zutaten aus der Region, während im Gastro-mé (gastrome.dk) bäuerliche Küche mit der Großstadt in Einklang gebracht wird.

Shopping heißt in Aarhus Bruun's Galleri am Bahnhof. Im größten Shoppingcenter Dänemarks gibt es neben internationalen Marken auch skandinavische Modedesigner. Im Latinerkvarteret in der Altstadt finden sich jede Menge Kunst- und Kunstgewerbegeschäfte. So auch der Designer Zoo, der größte Anbieter von Kunsthandwerk in Dänemark, der 100 einheimische Kunsthandwerker präsentiert.

Infos:www.visitaarhus.de, Kulturhauptstadt: aarhus2017.dk/de (350 Veranstaltungen, Eröffnungsfeier 21. Januar).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)

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