Anonyme Attraktionen in Dublin

Wasserweg. Träge fließt der torffarbene Liffey vor sich hin. Die Dubliner mögen den Fluss.
Wasserweg. Träge fließt der torffarbene Liffey vor sich hin. Die Dubliner mögen den Fluss.(c) Ireland Tourism/Rob Durston
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Geheime Orte gibt es in Dublin nicht mehr, aber viele vergessene: literarische
Hauswände, einen gefräßigen Baum oder die letzte Ruhestätte der Liebe.

Jesus wartet am Taxistand. Mit weit ausgebreiteten Armen, wallendem Umhang und rosa lackierten Fußnägeln müsste er viele neugierige Blicke auf sich ziehen. Am nördlichen Ende von Dublins O’Connell Street aber fordern die endlosen Fluten des Verkehrs alle Aufmerksamkeit. So wird die Jesus-Statue nur von denen entdeckt, die ein Taxi nehmen wollen. Glücklich, wer dann einen Fahrer erwischt, der ein Faible für gute Geschichten hat und einem das Geheimnis der Christusfigur verrät: Anfang der 1920er-Jahre tobte der irische Bürgerkrieg auch in Dublin, und viele Läden in der O’Connel Street gerieten bei Straßenschlachten in Brand. Zur Rettung der Waren wurden Droschken, die Vorläufer der Taxis, eingesetzt. Mit ihnen transportierte man die Güter in die Mitte der Straße, wo sie von ihren Eigentümern wieder abgeholt werden konnten. Nur ein einziger Gegenstand blieb übrig – Jesus. Weil keiner ihn mehr haben wollte, durfte er bei den Droschkenfahrern bleiben. Die hielten ihn in Ehren und stellten die Skulptur auf ein Podest aus alten Holzkisten. Über 90 Jahre später steht dieses Denkmal noch immer, inzwischen auf einem Granitsockel und mit einer Plakette versehen. Deren Inschrift lautet: „Möge Gott die Taxifahrer segnen, sie beschützen und auf ihren Reisen über sie wachen.“ In einer Straße voller millionenteurer Prestigeprojekte, architektonischer Glanzlichter und Denkmäler zur Heldenverehrung berührt die Schlichtheit dieser kleinen, ein bisschen zu kitschig geratenen Jesus-Figur auf besondere Weise.

(c) Visit Ireland/Tara Morgan

Fußnoten und Nebengeräusche. In Irlands Hauptstadt finden sich viele solcher Kleinode, Kuriositäten und spezielle Sehenswürdigkeiten. Napoleons Zahnbürste und ein winzigstes Stück seines Sarges sind zum Beispiel im Royal College of Physicians ausgestellt, und der „hungrige Baum“ lässt sich im Garten von King’s Inn dabei zuschauen, wie er auf äußerst fotogene Weise eine gusseiserne Parkbank verspeist. Die Rückenlehne verschwindet fast komplett im Stamm der wuchernden Platane, deren Rinde sich wie wulstige Lippen Jahr für Jahr weiter in Richtung Sitzfläche schiebt.

Wer herausfinden möchte, wo die Zeit in eine Falle geraten ist, findet sie in einer seit über 100 Jahren unverändert gebliebenen Wohnung in der Patrick Street. Nichts in den Räumen wirkt verwelkt oder museal, sondern so, als seien die Bewohner nur kurz beim Einkaufen. Doch die meisten Dubliner wissen von Zahnbürste, Baum und Wohnung ebenso wenig wie von der Gartenoase, die Fata-Morgana-gleich am Ende der Blessington Street auftaucht. Sie ist ihnen ebenso unbekannt wie all die Fassadenkunstwerke, an denen sie jeden Tag mitten im Stadtzentrum achtlos vorbeilaufen.

Vorbei an Dublins wenigen Art-déco-Bauten, an grandiosen Graffiti und an den Keramikscheiben mit Motiven aus Jonathan Swifts berühmtesten Roman „Gullivers Reisen“. Diese schmücken einige Apartmenthäuser entlang von Golden Lane und Bride Street und verknüpfen so auf kreative Art urbanes Wohnen mit einem großen Werk irischer Literatur.

Grünraum. Die National Botanical Gardens.
Grünraum. Die National Botanical Gardens.(c) Ireland Tourism

Eigentlich nicht zu übersehen sind die farbig leuchtenden Friese des „Sunlight Chambers“, einem Gebäude, in dem einst der britische Seifenhersteller Lever Brothers seinen Hauptsitz hatte. Passend zum Firmenprodukt zeigen die Terrakottakacheln an der Fassade frisch gebadete Kinder, Männer, die bei der Feldarbeit sich die Kleidung schmutzig machen, und Frauen, die sie wieder waschen. Geschichten von Sauberkeit, Hygiene und klassischer Rollenverteilung, wie sie im dirty old Dublin Anfang des 20. Jahrhunderts noch herrschten, von denen heutige Dubliner aber nicht mehr allzu viel wissen. Einwohner sind eben nur selten auch Insider.

Heiliger der Blumen. Vor Ort darf man von offizieller Seite nicht wirklich ungewöhnliche Tipps erwarten. Die Routineprogramme zur Stadtbesichtigung lesen sich eher als Anleitungen zum Schlangestehen. Einmal in den Sog der Sehenswürdigkeiten geraten, hakt der brave Tourist den Besuch der gepriesenen Top-Ten-Attraktionen pflichtbewusst ab, lässt sich in Kolonnen am Book of Kells vorbeischieben und mit einem Gratisguinness am Ende einer Brauereiführung darüber hinwegtrösten, schon wieder unter Massen geraten zu sein. Oder zur falschen Zeit vorbeigeschaut zu haben.

Fußweg. Romantisch über die Ha‘penny Bridge.
Fußweg. Romantisch über die Ha‘penny Bridge.(c) Ireland Tourism

Man könnte also einmal den Agenden widerstehen, Stadtschloss, Trinity College und St. Patrick’s Cathedral den anderen überlassen und stattdessen der nahegelegenen Whitefriar Street Church einen Besuch abstatten. Dort hat nämlich die Liebe ihre letzte Ruhestätte gefunden – der heilige Valentin persönlich. Dass der Schutzpatron aller Liebenden und Blumenhändler letztendlich in Irland geendet ist, soll allerdings nicht den großen Gefühlen, sondern geschickter Rhetorik zu verdanken sein. Weil der Dubliner Karmelitermönch John Spratt predigen konnte wie kein anderer, belohnte Papst Gregor XVI. ihn mit einem Geschenk, das unter katholischen Klerikern damals hoch im Kurs stand: Reliquien. Für Spratt durfte es die Asche des Valentin sein. Heute wacht eine lebensgroße Statue des Heiligen in einem Seitenaltar der Whitefriar Street Church über den Ascheschrein und über ein aufgeschlagenes Ringbuch, vollgeschrieben mit Bitten an den kirchlichen Sachverständigen in Liebesdingen. Er möge doch machen, dass die Frau wieder fröhlicher wird, dass die Geburt gut verläuft, der Mann seinen Job behält, die Liebe einen endlich findet oder es sich nicht doch noch einmal anders überlegt.

Ein einzelner Eintrag fasst die Essenz all dieser Anliegen kurz und schlicht zusammen: „Please help me to be happy.“ Glücklicher fühlt man sich nach dem Lesen Hunderter Herzenswünsche nicht unbedingt. Dafür erscheint einem Dublin fortan viel vertrauter, weil man sich den Menschen dieser Stadt genähert hat und nicht bloß ihren touristischen Highlights.

Tipp

Unterwegs: mit dem „Le Cool Dublin Experience“. Einem festen Programm folgen die Touren nicht, sondern führen jedes Mal zu anderen Sehenswürdigkeiten, Ausstellungen, Pubs und Performances. Alteingesessene Friseurstuben mit Originaleinrichtung werden ebenso besucht wie neu eröffnete Designstudios oder Streetart-Künstler. www.lecoolwalkdublin.tumblr.com

Lektüre: Der irische Reisejournalist Pól Ó Conghaile beschreibt in seinem Buch „Secret Dublin – an unusual guide“ ungewöhnliche, versteckte und wenig bekannte Orte und Sehenswürdigkeiten der Stadt. Bei Editions Jonglez. www.editionsjonglez.com

Hotels
The Marker, Dublins neuestes Luxushotel, ist eine weitere Attraktion im renovierten Hafenviertel, Grand Canal Square, www.themarkerhoteldublin.com

O’Neills: schön dekorierte Zimmer über einem viktorianischen Pub mitten in Dublin. 36–37 Pearse Street, www.oneillsdublin.com

Oaklodge: B&B der besten Sorte. Im Ballsbridge-Viertel. 4 Pembroke Park,
www.oaklodge.ie

Restaurants und Pubs
The Curch war im früheren Leben eine protestantische Kirche, in der Arthur Guinness geheiratet und Händel Orgel gespielt hat. Heute ist die unheilige Dreifaltigkeit des Dubliner Nachtlebens – Pub, Restaurant und Nachtclub eingezogen. Ecke Mary und Jervis Street,
www.thechurch.ie

Diwali: Mittags gilt: Do as the locals do, also speist man im exzellenten indisch-nepalesischen Restaurant. Castle House, South Great
Georges Street.

O’Donoghue’s: Die Dubliners starteten ihre Karriere in dem populären Pub, das noch immer ein Mekka irischer Musik ist. 15 Merrion Row, www.odonoghues.ie

Anreise: Wien–Dublin–Wien direkt mit der irischen Linie Aer Lingus, aerlingus.com

Irlandreisen: u. a. bei Kneissl Touristik,
Opernring 3–5, 1010 Wien,
www.kneissltourisik.at

Information: Tourism Ireland, www.discoverireland.com
Visit Dublin Centre, www.visitdublin.com

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