Arlberg: Weiß rauschen die Legenden

Viele drängt es hinaus. Der Arlberg ist ein Freeride-Gebiet allererster Güte.
Viele drängt es hinaus. Der Arlberg ist ein Freeride-Gebiet allererster Güte.(c) Lech Zürs Tourismus/Sepp Mallaun
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Die neue Flexenbahn verbindet nicht nur zwei Bundesländer, sondern auch zwei Skigebiete. Damit entstand das bislang größte österreichische Skigebiet.

Abends, halb zehn. Eine voll besetzte, in dezenter Discobeleuchtung glänzende Gondel der Rüfikopfbahn von Lech wackelt, die Fahrgäste tanzen und swingen, der Sound ist fett und betäubend. „Wie cool ist das denn?“, ruft ein deutscher Wintersportgast. Im Blick des DJs hinter dem Pult ist die Hoffnung zu lesen, dass alles gut geht. In den Leuten ist recht viel Bewegung drin. Klar geht alles gut, Gondeln schwingen gern. Klar ist auch: Der Arlberg zeigt sich jünger und frischer als die meisten anderen Skigebiete. Anstelle einer Saisoneröffnung organisiert das Skigebiet seit 2011 ein Licht- und Disco-Event. Wo früher Kurzfilme mit Motto im Vordergrund standen (Cineastic Gondolas), entwickelt sich das Projekt mittlerweile zu einem Visual-Arts-, DJ- und Performance-Happening und heißt Fantastic Gondolas.

Bei der Bergstation auf 2305 Metern breitet sich eine an den steil abfallenden Rändern abgesicherte Partyfläche aus. Hier tummeln sich Leute mit guter Laune, neben neugierigen Einheimischen haben sich eine Menge Durchschnittsamerikaner aus dem Nachtleben Stantons (augenzwinkernd-offizieller Fachbegriff für die Bewerbung St. Antons im US-Raum) auf den Gipfel begeben, um den DJ-Stars im privaten Ambiente einer Gondel zu begegnen. Denn diesen Winter hat Lichtkurator Udo Kapeller sogar Dr. Motte engagieren können, Berliner DJ-Legende und Erfinder der Love-Parade.

Gemeinsam mit über zwanzig anderen DJs bespielt Dr. Motte vier Gondeln sowie Tal- und Bergstation. Die spektakulären Lichtspiele werden unter anderem vom Kollektiv Lichttapete hergestellt, die schon für Song Contest oder Life Ball tätig waren. Sie beleuchten Berge mit Motiven, lassen blitzende Sterne durch das Tal tanzen, während ein halbes Dutzend der 29 Pistenraupen wie fleißige Glühwürmchen ihre Arbeit verrichten. „Wia ckuhl isn dehs?“, ruft eine Arlbergerin.

Jeder will nach oben. Mit den neuen Bahnen wachsen die Optionen.
Jeder will nach oben. Mit den neuen Bahnen wachsen die Optionen.(c) Ski Arlberg, St. Anton am Arlberg

Flexenbahn & Co. Die Saison 2016/17 ist historisch: Plötzlich hängen Tirol und Vorarlberg zusammen. Nicht nur mit ihrer erratisch durch das Skigebiet verlaufenden Grenze oder via Eisenbahnlinie – nun auch in der Höhe. Die neue Flexenbahn verbindet die Alpe Rauz mit Zürs. Die gleichzeitig errichteten Bindeglieder, die Trittkopfbahnen 1 und 2 sowie die Albonabahn 2, komplettieren die Neuerungen. Die Skifahrer müssen zwischen St. Anton und Lech keinen Bus mehr besteigen, der Arlberg hat einen Kreis geschlossen, um die legendäre Valluga ist das größte Skigebiet Österreichs entstanden, das fünftgrößte weltweit. Heute können 87 Lifte und Seilbahnen befahren werden, mit 305 Kilometern markierter Abfahrten, zu denen 200 Kilometer Freeride- und Tiefschneeabfahrten dazukommen, die, wie der Tourismusverband vielleicht nicht ganz zu Unrecht propagiert, bei ihrer Klientel „kultische Verehrung genießen“.

Willy Skardarasy von der Ski Zürs AG fasste bei der Pressekonferenz zur Flexenbahn-Eröffnung die Sinnhaftigkeit der neuen Bahnen in einem trockenen Satz zusammen: „120 bis 130 Busfahrten täglich fallen jetzt weg.“ Über den Bauablauf und seine Details referierte Philipp Zangerl, der während des extrem zügigen (projektierten) 45-Millionen-Euro-Baus die Ruhe bewahrt hat. Vergangenen Februar fand die Bauverhandlung statt, ab Mai haben sich 255 Mitarbeiter ins Zeug gelegt, seit 2. Dezember läuft das Werkel. „Wir haben unter den Stützen 25 Meter tiefe Pfähle“, erklärte Zangerl und fügte etwas irritiert hinzu: „Die eigentliche Arbeit wird ja zugeschüttet, die sieht man dann nicht mehr.“ Während Willy Skardarasy den charmanten Cop spielt, stellte sich Stedile Foradori, Geschäftsführer der Arlberger Bergbahnen, ohne Scheu unbequemeren Fragen. Angesprochen auf den Themenkomplex „Umweltverträglichkeit“ spricht er Klartext: „Politik und Behörden haben diesmal gut kooperiert. Der Alpenverein und die diversen NGOs, die sonst über jedes Projekt hinwegdonnern, haben sich hier zurückgehalten.“ Hauptgrund: Keine neuen Pisten sind gebaut worden, von Umweltseite kommen kaum Einwände.

Man feiert. Nobler als in anderen  Megaskizentren wird am Arlberg  gespeist.
Man feiert. Nobler als in anderen Megaskizentren wird am Arlberg gespeist. (c) Lech Zürs Tourismus

Weißer Rausch. St. Anton blickt nicht ausschließlich in die Zukunft. Mithilfe des Försters Otto Jehle versuchen die Arlberger, um die 1200 historische Ortsbezeichnungen und Flurnamen in die Google-Maps-Zeit zu retten. Da gibt es Bezeichnungen wie „Schafgliger“ (wo früher Schafe lagen), „Walfischrugga“ (sieht bei gewissem Lichteinfall wie ein großer Fisch aus), „Gaßsteig“ (Steg, über den früher Ziegen getrieben wurden) oder „Fleischpleiß“ (im Steilen stürzten gelegentlich Tiere ab). Der „Tanzbouda“ im Skigebiet weist nicht auf einen menschlichen Tanzboden hin – an dieser Stelle fällt der Wind unerwartet heftig ein, wodurch die Kühe ihre Hinterteile ihm entgegendrehen, was für die Vorfahren aussah, als würden sie tanzen.

Das Jahr 1885 ist wie 2016/17 ein historisches: Eröffnung des Arlbergtunnels, die Eisenbahn kommt, eine Voraussetzung für die Wiege des österreichischen Skisports, ja Wintersports. Kaum zehn Jahre später bringt ein Pfarrer namens Müller das erste Paar Skier an den westlichen Arlberg und fährt von Warth nach Lech und zurück. 1904 findet das erste Skirennen am Arlberg statt, und überhaupt das erste in den Alpen, 1928 debütieren die Arlberg-Kandahar-Rennen.

In den Zwanzigern werden Kinofilme gedreht, weltberühmt „Der weiße Rausch“ (Uraufführung am 10. Dezember 1931). Das Wedeln, so wird es kolportiert, ist ohnehin eine Arlberger Erfindung. 1937 eröffnet in Zürs der erste Schlepplift, die Galzigbahn wird zur ersten Gondelbahn, die allein dem Wintersport dient. 1970, als noch niemand vom Klimawandel spricht, wird der Arlberg erstmals beschneit, unnötig in durchschnittlichen Wintern, neun Meter Schnee fallen jährlich.

Alles ist erleuchtet. Visuals tauchen die Berge bei den Fantastic Gondolas in buntes Licht.
Alles ist erleuchtet. Visuals tauchen die Berge bei den Fantastic Gondolas in buntes Licht. (c) Lech Zürs Tourismus/cineasticgondolas-bypeteionia

Lech mit Oberlech, Zürs, Stuben, St. Anton mit St. Christoph: Die Region klingt wie moderne Lyrik. Lech wurde bereits zum schönsten Dorf Europas gekürt, Stuben ist durch seine Nordhänge ein Frühlings-Skispot.

Das kleine Zürs (150 Einwohner) wirkt ein bisschen ausgestorben, wohl wie Jetsetter es erwarten. Betrieb herrscht um das Ski- und Well-Being-Resort Zürserhof der Familie Skardarasy, ein Luxushotel mit Gourmetküche, anderswo in dieser Perfektion inexistent: Weitläufigkeit, Diskretion und Heli-Skiing sind die Stichwörter. Ein PR-Mann spricht direkt an, dass im Sommer in Zürs kein Hahn kräht, während St. Anton von Action lebt. „Ich lese mich gerade ein in die Sommeraktivitäten von St. Anton. Unglaublich, fünf DIN-A4-Seiten, ganz eng bedruckt, die haben echt alles!“

Hoamelig. Im winzigen, hoch gelegenen St. Christoph (auf rund 1800 Metern) steht neben dem Hospiz die Bundes-Ski-Akademie für die Skilehrer- und Trainerausbildung. Neu dazu kam die Contemporary Art & Concert Hall des Arlberg1800 Resort, eröffnet im Oktober 2015. Rainhard Fendrich oder Chris de Burgh haben hier gespielt. Der liebenswürdige Hausherr, Florian Werner, lädt gern bildende Künstler in seinen Ausstellungsraum, zurzeit Herbert Brandl, eine „großflächige Form der Farbfeldmalerei, die immer noch eine räumliche Dimension besitzt, diese aber zugunsten der Farbfläche in den Hintergrund treten lässt“, wie der Katalogtext fast schon elegant zusammenfasst. Wandfüllende Dimension und Farbexplosion sollen einen „überraschenden optischen Sogeffekt“ auslösen.

Es staubt. Der  Ski-Pionier Hannes Schneider im Film „Der Weiße Rausch“.
Es staubt. Der Ski-Pionier Hannes Schneider im Film „Der Weiße Rausch“.(c) St. Anton am Arlberg

Hotelier und Kunstsammler Werner hält eine Ansprache über seine Liebe zur bildenden Kunst, die mit privater Hobbymalerei begann. „Kunst ist eine Leidenschaft, die Leiden schafft“, fasst er kurz zusammen, dass Kunstförderung kostet – um sich den Traum zu verwirklichen, verkaufte er einige der Luxusappartements im gleichen Gebäude.

Im Veranstaltungssaal spielen Die Hoameligen, Claudia, Barbara und Karoline an Geige, Ziehharmonika (Kontrabass) und Harfe. „Ins gibt’s seit fuffzehn Johr“, sagt Claudia. Musikalisch bewegen sich die Konservatorium-Absolventinnen auf höchstem Niveau, mit beträchtlicher Energie spielen sie eine Art Medley aus Volksmusik, Klassik und US-Traditionals. Besonders Karoline an der Harfe beeindruckt durch ihre Direktheit und Virtuosität. Jeder Ton sitzt. Man sieht drei perfekte Frauen, Musikerinnen, Ehefrauen, die sich ohne großes Augenzwinkern als solche darstellen. Ein bisserl brav sind Auswahl und Wiedergabe ihrer Lieder, alles Erdige, Schiefe und Schräge, das Kunst haben kann, kommt bei den Hoameligen wegen ihres äußerst hohen Hoameligkeitsfaktors leider nur am Rand zum Ausdruck. Geschenkt, das Publikum freut sich. „Super isch des gsi“, bilanziert eine Einheimische.

Info

Anreise: Mit der ÖBB direkt bis St. Anton am Arlberg. Der Bahnhof liegt im Ortszentrum!

Übernachten und Essen:Hotel Schwarzer Adler in St. Anton, seit 1550 ein „Einkehrgasthof“, mitten im Zentrum, großes Spa-Angebot, kostenlose Kinderbetreuung; www.schwarzeradler.com
Zürserhof, unprätentiöser Luxus in Zürs, mit spektakulärem Spa und Möglichkeit zum Heli-Skiing, ausgezeichnete Küche, www.zuerserhof.at

Kultur: Arlberg1800 Contemporary Art & Concert Hall, Ausstellung „Schräg bis vertikal“ von Herbert Brandl bis 23. 4. www.arlberg1800resort.at

Die Reise wurde von Arlberg Marketing/TVB St. Anton am Arlberg unterstützt.

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