Belgien

Mehr Substanz als pralle Körper

Peter Paul Rubens, das barocke Malergenie, in lässiger Pose.
Peter Paul Rubens, das barocke Malergenie, in lässiger Pose.VisitFlanders
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Der Spirit von Antwerpen ist vorwärtsgewandt. Doch die Atmosphäre ist geprägt vom bekanntesten Abkömmling der Stadt: Peter Paul Rubens' Arbeiten sind omnipräsent.

Rubensstadt Antwerpen? Ist das nicht nur ein klangvolles Attribut? Wie kann ein Mensch, der vor 400 Jahren lebte, den Charakter einer heutigen Großstadt beeinflussen? Gibt es tatsächlich noch Orte, die vom Schaffen dieses Barockgenies erzählen? Die Frage ist in Antwerpen schnell beantwortet: mehr als man denkt. Es gibt wohl kaum eine andere Stadt, in der so viele Restaurants und Pubs auf Kundschaft warten und Confiserien und Patisserien Tür an Tür süße Versuchungen anbieten. Auch der schöne Schein ist den Menschen in der flämischen Halbmillionenmetropole wichtig. Antwerpen hat einen hervorragenden Ruf als Stadt der Mode. International bekannte Designer betreiben hier Ateliers und Boutiquen. Der sinnenfrohe Barock der Rubenszeit scheint hinter den alten Fassaden noch lebendig zu sein. Den Maler Peter Paul Rubens kennen hier alle, er gehört sozusagen dazu, schließlich hat er den Namen der Stadt in die weite Welt getragen. Darauf ist man noch immer stolz, die meisten Antwerpener haben sogar einen Lieblings-Rubens. Wenn man sie freundlich fragt, verraten sie, wo man ihn finden kann.
Eine barocke Spurensuche verläuft zwischen dem repräsentativen Wohnhaus des Malers und dem Museum der Schönen Künste, wo dem Meister ein eigener Saal zugedacht ist. Das Rubenshaus, ein geräumiges Stadtpalais, in dem der Maler den größten Teil seines Lebens verbracht und gearbeitet hat, ist als Kopie nach alten Plänen wieder aufgebaut worden.

Das Rubenshaus
Das RubenshausVisitFlanders

Eigene Kunstkammer

Knarzende Holzdielen heißen in der gute Stube der Familie Rubens willkommen, die mit altem Mobiliar, Gebrauchsgegenständen und dekorativen Objekten jener Zeit eingerichtet ist. Eigene Werke, Skizzen sowie Bilder von Zeitgenossen und Schülern sind in den Räumlichkeiten zu sehen. Sogar eine eigene Kunstkammer, in der die Arbeiten wie in einem kleinen Museum präsentiert wurden, besaß das Heim des höchst potenten Künstlers und Sammlers. Sie ist heute der Höhepunkt des Besuchs.
Der 1577 in Siegen Geborene – dorthin war die Antwerpener Familie vor den protestantischen Calvinisten geflohen – war nicht nur als Maler tätig. Auch Teile seines Wohnhauses und die Barockfassade sowie Bereiche des Interieurs der Karl-Borromäus-Kirche sind nach Entwürfen von Rubens ausgeführt worden. Die Gegenreformation erlaubte 1589 die Rückkehr der Familie nach Antwerpen. Die katholische Kirche hatte obsiegt, was sich für Rubens auszahlen sollte, erhielt er doch zahlreiche Aufträge für Kunstwerke mit religiösen Themen. Er war eben weit mehr als ein Maler praller Körperpartien.

Seine bedeutendsten Schöpfungen findet man in der Liebfrauenkathedrale, deren schlanker, 123 Meter hoher Turm das Stadtbild beherrscht. Zum reichen Schmuck der Kirche zählen vier Altarbilder aus Rubens' Hand: „Mariä Himmelfahrt“, „Kreuzaufrichtung“, „Kreuzabnahme“, „Auferstehung Christi“. Die Intensität und Dynamik, die diesen Darstellungen innewohnt, wirkt noch nach Jahrhunderten frappierend. Gleich neben der Kathedrale steht das Rubens-Denkmal: Es zeigt den Künstler in der Pose eines gönnerhaften Edelmannes.
Auch andere Kirchen beherbergen Werke des Malergenies. Wie in ein Museum flämischer Barockmalerei versetzt fühlt man sich in der wenige Schritte von der Schelde entfernten Pauluskirche – dort schmücken neben Rubens auch etliche Gemälde von Jordaens, Teniers und van Dyck die Wände. In der Jakobskirche wiederum befindet sich die Rubenskapelle mit der Grabstätte des 1640 gestorbenen Künstlers. Das Altarbild hat Rubens rechtzeitig gleich selbst angefertigt – sicher ist sicher.

En vogue bei den Patriziern

Es sind aber nicht nur die Kirchen, die das Erbe des Barockmalers bewahren. Die Werke des Künstlers waren seinerzeit so beliebt, dass kaum ein Patrizierwohnsitz ohne einen Rubens auskommen konnte. Dieser Tatsache ist es zu verdanken, dass man heute noch Arbeiten des Malerfürsten im Hause des damaligen Bürgermeisters, dem Museum Rockox-Haus, entdecken kann. Und im Plantin-Moretus-Museum, wo das Schaffen der berühmten Drucker- und Verlegerfamilie dokumentiert wird (das erste Museum, das zum Weltkulturerbe erklärt wurde), sind Porträts zu bestaunen – neben originalem Arbeitsgerät und Druckerpressen aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Im modernen Handels- und Hafenzentrum Antwerpen ist man stolz auf die ruhmreiche Vergangenheit. Fortschritt und Geschichte, die an vielen Stellen sichtbar geblieben ist und gepflegt wird, kooperieren erfolgreich. Das hat schon einem wie Rubens, der als ein den weltlichen Genüssen durchaus zugetaner Zeitgenosse gut in diese Stadt gepasst hat, das Leben leicht gemacht.

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Rubens-Spurensuche: Rubenshaus, Sankt Jakobskirche, Rockox-Haus, das Koninklijk Museum voor Schone Kun- sten Antwerpen und andere Stationen. Mehr auf www.visitantwerpen.be

Info: Visit Flanders, www.visitflanders.com

Kulturtipp: Wer nach so viel Rubens Frischluft sucht, spaziert am besten durch Middelheim, einen der größten Skulpturenparks. Am Stadtrand, www.middelheimmuseum.be

("Die Presse", Print-Ausgabe, 4.2.2017)

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