Rumäniens Donaudelta, die größte Schilfzone weltweit

Rosapelikane am Donaudelta
Rosapelikane am DonaudeltaImago
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Hier folgen Mensch und Natur eigenen Gesetzen. Und man hadert mit der Obrigkeit und der neuen Zeit.

Wenn das der heilige Georg sähe, der Namenspatron des Südarms: eine Wasserautobahn, auf der ein Schnellboot mit Hautevolee in Partylaune vorbeibraust, in deren Fahrrinne Plastikflaschen und Getränkedosen dümpeln, wo am Ufer wild gezeltet wird und wider die behördliche Ordnung Lagerfeuer kokeln. Dazu haben Hotelboote am Eingang des Georgskanals festgemacht, ein paar Bootsminuten von Tulcea entfernt, dem Tor zum Donaudelta, dem letzten Donauhafen vor der Mündung – eine Autobahnraststätte wäre keine schlechtere Wahl. Da, ein Autobahnschild: Noch 37 Kilometer zum Schwarzen Meer, die letzten von 2857. Hinter der nächsten Kurve schon ist alles anders. Vom Arm des Drachentöters geht es links ab ins Labyrinth der Seen, Nebenarme, Auwälder, Riedzonen und Seerosenteppiche. Das Schilfrohr ragt wandhoch aus dem Wasser. Libellen tanzen, Moskitos schwirren, hier staksen Seidenreiher, da Weißstörche, später werden die Frösche zur Freilichtoper bitten, links und rechts alles grün, ein europäischer Amazonas.

Hunde, die Fisch fressen

Über den Bäumen kreisen die ersten Rosapelikane, Fischer in Ruderbooten inspizieren ihre Reusen. Auf dem Wasser zeigt sich eine Kormorankolonie, im Röhricht ein Löffelreiher, auf dem Festland Rehe, dann in 30 Metern Entfernung auf dem Uzlina-See über hundert Pelikane. Rund 2500 Paare Rosapelikane nisten im Delta, die Hälfte des europäischen Bestands. Der Donau wirres Ende: eine Schatzkammer für Ornithologen. 331 Arten kommen im Delta vor, 174 davon brüten dort. Daniel Nitu zählt auf, was ihm noch im Delta begegnet ist: „Schakale, Wildkatzen und sehr viele Marderhunde.“ Dazu gesellen sich Wolf, Fischotter, Hermelin, der rare Europäische Nerz und, nicht zu vergessen, die domestizierten Meister der Adaption: Hunde, die Fisch fressen, Kühe, die mit Schilf vorliebnehmen.

Die Tour mit dem überdachten Pontonboot für ein Touristendutzend hat der Seemann aus Konstanza organisiert. Die River Lord hat er 2008 in Holland gebraucht gekauft. Samt Motor, Dach, WC und Überführung war er 25.000 Euro los, alles bankfinanziert. „Ich bete jeden Tag, dass der Motor nicht den Geist aufgibt“, sagt der 52-Jährige. Das Delta der Donau, die größte Schilfzone weltweit, achtmal so groß wie der Bodensee, Unesco-Weltnaturerbe, ist ein Puzzle aus Biotopen, von Röhrichtzonen, Seen, Lagunen, Flussarmen und Kanälen über Auwälder, Trockenwälder und Feuchtwiesen bis hin zu steppenartigen Dünen und Strombänken.

Ein Fischerboot vor Tulcea.
Ein Fischerboot vor Tulcea.Imago

Wie es sich in Europas grünem Hinterhof lebt, studiert man bei George Valcu in dem 1400-Seelen-Dorf Murighiol, 40 Kilometer südöstlich von Tulcea am urwüchsigen Georgsarm im Süden des Deltas. Durch den Garten seiner Pension watscheln zwei Enten, einst zum Verzehr angeschafft, bis Gäste eindringlich um Schonung baten. „Jetzt kacken sie jeden Tag unter den Frühstückstisch“, seufzt der korpulente 40-Jährige. Auf dem Mittagstisch der Familie Valcu steht noch Ciorba de peste, Fischsuppe. Den Wels hat am Vortag ein Nachbar gestiftet. Der rührige Vater zweier Kinder hat seine Pension vom Staat zertifizieren lassen, während andere im Dorf es vorziehen, schwarz zu vermieten.

Zum Wandel der Zeit gehört auch der Einzug des Internets in die Flussdörfer. Im Schuppen, wo ein alter Rechner längst vergessene Modem-Melodien von sich gibt, hängt ein Zettel: Bitte keine Downloads! Nachdem Gäste allerlei Fotos „ukrainischer Ladies“ heruntergeladen hatten, habe er alles neu programmieren müssen, erzählt George. 2009 hat er die Pension 2 Sturioni, zu Deutsch „Zwei Störe“, eröffnet. Zuvor war George Barmann, Kellner, zwei Jahre in Amsterdam Möbelrestaurator. Als das zweite Kind zur Welt kam, war es Zeit, nach Murighiol heimzukehren.

Vier Kilo Fisch täglich

Die Dorfökonomie speist sich aus dem Geld der Urlauber, einem Schuss Improvisation und Gesetzlosigkeit und den Dividenden der Natur. Die Minze für den Tee kommt aus dem Garten, der auch das Gemüse liefert, Fisch ist immer da. Pro Tag und Familie dürfe er vier Kilo angeln, „holst du sieben Kilo raus, sagt auch keiner was“, erzählt er kettenrauchend. „Oder die Leute kennen den Kontrolleur . . .“ Der Umweltschutz stehe leider nicht sehr hoch im Kurs. „Die Leute werfen ihren Müll in den Fluss, Naturschutzorganisationen sammeln ihn wieder auf.“ Einmal habe er erlebt, wie jemand beim Auto-Ölwechsel die schwarze Brühe ins Erdreich ablaufen ließ. Noch nie sei ihm ein Fall zu Ohren gekommen, dass jemand wegen einer Umweltsauerei bestraft worden sei. Die Frage, ob es unter Ceauşescu besser war, beantwortet George wie aus der Pistole geschossen: „Absolutely!“ Der alte Ostblock-Refrain: Damals habe jeder Arbeit gehabt. Heute sei die Korruption unerträglich. Im globalen Vergleich der Anti-Korruptionsaktivisten von Transparency International lag Rumänien 2015 auf Platz 58, hinter Ghana, vor dem Oman und Lesotho.

Den rumänischen Staat nennt George eine bessere „Schutzgeldmafia“ und erzählt von einer Steuerprüfung in seinem Tierfutterladen, den er in Tulcea nebenher betreibt. Als einziger Fehler sei entdeckt worden, dass die Uhr der elektronischen Kassa dreizehn Minuten vorgegangen sei. Dafür habe er mit der Minimalstrafe von umgerechnet 500 Euro büßen sollen. Die Prüfer boten ihm alternativ an, Bestechungsgeld zu zahlen, erzählt George. Er lehnte ab und beschwerte sich bei der Anti-Korruptionsbehörde. Dort redeten sich die Prüfer heraus, aber: „Gezahlt habe ich nichts. Andere Kleinunternehmer schließen ihre Betriebe und arbeiten dann schwarz. Oder sie gehen ins Ausland." Sechs Uhr früh, die Sonne verströmt ihr Messinglicht. George hat einen Fischer mit Motorboot an den Pier von Murighiol beordert. Tiberius Ascente fährt mit 50 Sachen über den 200 Meter breiten Georgsarm, bald links ab in das Adersystem schmaler Wasserwege durch das Röhricht. Wie von Geisterhand bewegt wandern Inseln auf den Seen, ganze Parzellen toten Schilfs, die Wind und Strömung durch das Delta treiben.

Der Außenbordmotor gibt immer wieder den Geist auf, weil sich Schlingpflanzen im Propeller verfangen. Der sonnengegerbte 43-Jährige sagt, er habe keinen Job, also sei er Fischer. Im Winter heißt das Eisfischen. Weil die Fischerei und die Jagd auf Wildschweine nicht viel hergeben, fährt er Bootstouren. Sein Bierbauch und seine Kluft – Flecktarnhose, schwarzes T-Shirt mit Flammenmuster, Baseballcap – lassen sich als osteuropäische Replik auf westliche Figurideale und Outdoor-Mode interpretieren. Damals, unter dem roten Stern, stattete der Staat seine Fischer mit Booten, Netzen und Stiefeln aus. Der Einheitslohn bot keinen Grund, die besten Fischgründe für sich zu behalten. Und so lautet Tiberius' Lob der „guten alten Zeit“ dann auch: „Unter Ceauşescu war es besser. Das Geld war knapp, aber jeder hatte einen Job.“

BOOTSTOUREN

Größere Touristenboote legen mehrmals täglich am Hafen von Tulcea ab. Kosten einer rund fünfstündigen Tour 25 €/Person. Preise für individuelle Touren mit motorisierten Fischerboten Verhandlungssache. Halbtägige geführte Tour mit Motorboot für drei Personen ab Bootsableger Murighiol um 80 bis 100 € (Gesamtpreis).

Vorsorge: Mückenschutz und FSME-Zeckenimpfung ratsam. Tollwutgefahr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 8.7.2017)

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