Bayreuth: Kunst, Musik und Biererlebniswelt

Brauerei Gebr. Maisel, Bayreuth
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Für einen Monat verwandelt sich die oberfränkische Stadt dank der Richard-Wagner-Festspiele in eine Musikmetropole. Nicht zu unterschätzen ist allerdings auch das Bier-Programm.

Derzeit ist der Konzert- und Aufführungsmarathon in vollem Gange. Doch im September, wenn der Rummel wieder abgeklungen ist, findet Bayreuth zu sich selbst zurück. Wer genau hinsieht, entdeckt in der barocken Residenzstadt dann eine ziemlich lebendige Kultur- und Lokalszene, eine Biererlebniswelt, geheimnisvolle Katakomben, einen goldgekrönten Sonnentempel, eine der letzten Klaviermanufakturen Deutschlands, ein Unesco-Weltkulturerbe und ein Stück Afrika.

„Gute Erinnerungen an einen stinkenden Raum voller Betrunkener“, steht auf dem Zettel, den ein Spaßvogel an die Pinnwand im Iwalewa-Haus geklebt hat. Die Ausstellungsmacher wollen von den Besuchern wissen, welches ihr Lieblingsplatz in Bayreuth sei. Den Hofgarten nennt einer, die Uni, den Hauptbahnhof, von dem man am schnellsten von hier wegkomme, und natürlich – mit einem Herz versehen – das Iwalewa-Haus, ein deutschlandweit einmaliges Zentrum für afrikanische Kunst und Kultur der Gegenwart.

In Fischernetzen hängen Zettel, Pässe und Stempel. Die Künstlerin Ndidi Dike dokumentiert mit ihrer in blaues Licht getauchten Schau, warum so viele Afrikaner nach Europa fliehen. „Chinesen und Europäer überschwemmen unsere Märkte mit subventionierten Produkten. Mit Hightechfangflotten fischen sie das Meer leer. Die Ölkonzerne zerstören mit Abwässern und undichten Pipelines den Boden“, beklagt die Installationskünstlerin aus Nigeria und freut sich über das Interesse. „I love Bayreuth“, schwärmt Ndidi Dike. „Alles ist hier nah, die Leute arbeiten hart, und das Iwalewa-Haus hat einen wundervollen Kurator.“ 1981 entstand dieses Kulturzentrum in der Innenstadt als Satellit der Universität mit einem Schwerpunkt in den Afrika-Wissenschaften.

Leerstand kreativ genutzt

Lange Zeit war Bayreuth weniger eine bekannte Hochschulstadt als eine Stadt mit einer Uni, die weit draußen ihr Eigenleben führt. 13.500 junge Leute studieren auf dem Campus Natur- und Kulturwissenschaften, Jus, Wirtschaft und viele weitere Fächer. Cornelius Sturm studierte dort Rechtswissenschaften und blieb. Jetzt lehnt der Wuppertaler entspannt an seiner neuesten Errungenschaft: dem Kulturkiosk auf dem Gelände der Landesgartenschau 2016. Damals organisierte Cornelius alias Coco das Begleitprogramm. Seinen Kiosk an einem künstlichen See sieht der Strafverteidiger und Musiker als Keimzelle für Ideen. Im Sommer will er ein Musikfestival organisieren. Neben dem Eis- und Getränkeverkauf baut er eine Kleinkunstbühne. In Bayreuth fühlt sich der Leader der Gothic-Band Goethes Erben gut aufgehoben. Er lobt die grüne Hügellandschaft der Fränkischen Schweiz, die guten, preisgünstigen Lokale und die angeblich maulfaulen, schwer zugänglichen Oberfranken: „Wer etwas auf die Beine stellen will, findet hier einen fruchtbaren Boden.“

Auch Peter Weinert schätzt die Unterstützung von Stadt und Kulturreferat. Mit Jugendlichen entdeckte der Hauptschullehrer eine verfallene, leer stehende Fabrik aus den 1920er-Jahren in einem Gewerbegebiet am Stadtrand. Aus der Idee, daraus etwas zu machen, wurde eine der wenigen Skaterhallen Deutschlands. Darauf gebracht haben den 53-jährigen seine Söhne, beide Skater, die in Bayreuth einen Platz dafür vermisst haben. Nach anfänglicher Skepsis hätten die Stadtverantwortlichen „gemerkt, dass wir wirklich etwas tun“, freut sich Weinert. „Alles selbst gebaut“, versichert er zwischen Rampen und Podesten aus verschraubtem Sperrholz, über die Skater mit ihren Boards rauschen, springen.

Man will bleiben

In der Schokoladefabrik organisiert Weinert mit zwei Teilzeitmitarbeitern und Ehrenamtlichen Skate-Bewerbe, Street-Art-Workshops, Konzerte, Geschichts- und Demokratiewerkstätten. „Die Jugendlichen lernen hier, dass man mit Engagement und Kompromissbereitschaft etwas erreichen kann.“ Vor allem die Skatehalle lockt junge Leute an. Jonas und Damian, mit Skateboard unter dem Arm, sinnieren über ihre Heimatstadt: Die Schoko-Fabrik sei „schon cool“. Und sonst? „Chillen im Hofgarten.“ Oder auf dem Landesgartenschaugelände. Jonas will in Bayreuth bleiben, Damian gern in eine größere Stadt. Peter Weinert nennen sie hier den Weini – und er findet wiederum, „dass Bayreuth ein guter Ort ist, um Kinder großzuziehen“: überschaubar, sicher, kurze Wege. Viele Freunde seien nach Berlin gegangen, einige wiedergekommen. Weinert blieb. „Wegen der Familie.“ Klingt nicht nach verpasster Chance, im Gegenteil: Bayreuth sei „kleiner als Kreuzberg. Dafür ist hier eine Menge los.“ Im Phoinix zum Beispiel organisieren ebenfalls Ehrenamtliche Konzerte, Lesungen und Ausstellungen. An der selbst gebauten Theke in einer früheren Wohnung verkaufen sie Bier für zwei und Wein für drei Euro. Unten in der einstigen Metzgerei legen DJs auf.

Ein Zimmer hat der stadtbekannte Graffiti-Sprayer Michael Schobert alias Rebel zum Atelier umgebaut. Die schwarz-weiße Wand gegenüber mit der fliegenden Tasse war sein erstes öffentliches Werk. Als Künstler fühlt sich der 44-Jährige hier akzeptiert. Seinen Job als Kameramann hat er aufgegeben. Er lebt jetzt von seiner Kunst, gestaltet Wände und Fassaden wie jener der Marktgrafenschule oder des städtischen Schwimmbads. Das Phoinix entstand wie so vieles in Bayreuth auf Initiative Kulturinteressierter. Sie fragten bei der Stadt, ob sie das leer stehende Haus in der Kämmereigasse temporär nutzen könnten. Inzwischen verhandelt der Verein mit der Verwaltung über einen dauerhaften Umbau zum Künstlerhaus. „Das Kulturamt ist begeistert“, freut sich Mitgründer Alex Stiefler. Sonntags gibt's ausgefallene Filme, dienstags vom Verein Sübkültür Lesungen, Vorträge, Poetry Slams.

Anders als in den teuren Großstädten finden sich in Bayreuths Zentrum Freiräume. In Gassen rund um die boulevardähnliche Flaniermeile Maximilianstraße stehen einige Wohnungen leer, vereinzelt sogar ganze Häuser. In der Sommersonne schimmern die innerstädtischen Sandsteinbauten aus dem 18., 19. Jahrhundert goldgelb. Im Winter wirken sie grau. „Viele Eigentümer wollen nichts investieren und verlangen zu hohe Mieten“, vermutet ein Redakteur der örtlichen Zeitung. Während sich die Dörfer im nahen Fichtelgebirge leeren, halte Bayreuth seine Einwohnerzahl von derzeit etwa 75.000. Die Uni und junge Leute aus dem Umland senken den Altersdurchschnitt.

Barockes gut erhalten

Das Phoinix liegt nur einen Steinwurf von Lokalen und der Friedrichstraße mit dem Neuen Schloss, einer der besterhaltenen Barockstraßen Deutschlands, entfernt. Im 18. Jahrhundert heiratete die Schwester des späteren Preußenkönigs Friedrich II. den Markgrafen von Ansbach-Bayreuth, einem Provinzflecken im Nirgendwo zwischen Sachsen und Bayern. Markgräfin Wilhelmine liebte Kunst und Architektur. Sie ließ den Barockpark Eremitage mit Schlösschen, Wasserspielen, künstlichen Grotten, dem goldgekrönten Sonnentempel bauen, gab das Neue Schloss, einen weiteren Park, das Opernhaus in Auftrag, das inzwischen zum Weltkulturerbe zählt.

Als Komponist Richard Wagner wegen eines Streits mit König Ludwig aus Oberbayern verschwinden musste, suchte er ein Opernhaus für seine gigantomanischen Kompositionen. Er entdeckte den Bau der Markgräfin, fand ihn zu klein und überzeugte reiche Bayreuther, ihm ein eigenes Konzerthaus zu finanzieren. So entstand auf dem Grünen Hügel für Wagners monumentale Musikdramen das heutige Festspielhaus. Sein Judenhass hielt ihn nicht davon ab, das Geld eines jüdischen Gönners zu nehmen. Die dunklen Seiten des Komponisten und die Vereinnahmung seiner Werke durch die Nazis ignorierte das offizielle Bayreuth lang. Schon vor der „Machtergreifung“ 1933 sorgte der braune Mob für den Boykott jüdischer Geschäfte. Wagners Schwiegertochter Cosima und andere Mitglieder der Familie verehrten Adolf Hitler. Dieser wollte Bayreuth zur „Gauhauptstadt“ mit Aufmarschplätzen, Versammlungshalle und Nazi-Kultstätte umbauen. Inzwischen zeigt das Historische Museum der Stadt das Modell und die Pläne seines Bayreuther Architekten Hans Carl Reissinger. Das Richard-Wagner-Museum widmet dem „Dritten Reich“ in Bayreuth einen Teil seiner Ausstellung. Vor dem Festspielhaus erinnern Metalltafeln an verfolgte jüdische und politisch missliebige Künstler.

Die Synagoge überstand

Die 1760 geweihte Synagoge hat den Nazi-Terror als Anbau an das Markgräfliche Opernhaus überstanden. Die Zerstörung der einen hätte die Vernichtung des anderen bedeutet. Die jüdische Gemeinde, die dank der Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion wieder mehr als 500 Mitglieder zählt, hat ihr Gotteshaus inzwischen komplett saniert und eine neue Mikwe, ein religiöses Tauchbecken, eingebaut. Der Gemeindevorsitzende Felix Gothart, ein jugendlich wirkender Mittfünfziger mit Baseballkappe statt Kippa, ist einer der Macher, die Bayreuth bewegen. Seine Eltern, polnische Juden, die die Konzentrationslager knapp überlebt hatten, verschlug es 1945 hierher. Aus Theresienstadt befreit, fand sein Vater, der Englisch sprach, eine Anstellung bei der US-Armee. Diese schickte ihn nach Oberfranken, wo Sohn Felix zur Welt kam und als Erwachsener die Gemeindearbeit übernahm. „Wer sie mit dem Herzen macht“, sagt Gothart, „hat die Unterstützung von ganz oben, von der Stadt und der Regierung.“ Da ist er in Bayreuth nicht der Einzige.

Bayreuther Braukunst

„Brauerei Gebr. Maisel, Bayreuth“ steht unter dem Giebel des roten Backsteinbaus aus dem 19. Jahrhundert. Durch den Biergarten mit Loungesofas, Grill- platz und künstlichem Teich gelangen die Gäste an die Theke mit ihren 21 Zapfhähnen und einem wandfüllenden Bierregal. Mehr als 120 Sorten Flaschenbier aus aller Welt serviert die Brauereiwirtschaft Liebesbier.

Biersommelier Michael König erzählt von Bier mit Gurkengeschmack, flämischem Kirschbier und Eisbock. „Am liebsten habe ich fünf verschiedene vor mir und probiere sie alle“, meint der Experte, der auch Seminare und Verkostungen anbietet. „Da erzählen wir die Geschichte des Bieres und spielen gern mit dem Halbwissen der Gäste“, schmunzelt König. Zudem frönt er seiner Leidenschaft mit dem Koch des Liebesbier, der den hauseigenen Gerstensaft zu Speisen wie Salat an Biervinaigrette oder Weißbiereis verarbeitet. Serviert wird Saisonales aus regionalen Produkten wie Saibling oder Lachsforelle aus oberfränkischen Fischteichen, Fleisch von Frankenrindern, die das ganze Jahr draußen leben oder Ziegenkäse vom oberfränkischen Bauern. Konzernware gibt's hier nicht, sondern Hermann-Cola oder Säfte aus Franken.

Nach dem Umzug der Brauerei in einen Neubau hat Maisel's das alte Brauhaus erhalten. Es beherbergt mit 4500 m2 das „umfassendste Brauereimuseum der Welt“. Das zumindest besagt ein Eintrag im „Guinnessbuch der Rekorde“. In der original erhaltenen Hopfenkammer der Maisel's Biererlebniswelt hängen die Dolden noch zum Trocknen an Wänden und Decke. Erhalten geblieben sind auch das Sudhaus mit den Kesseln aus den 1950ern und das Maschinenhaus mit den noch funktionsfähigen Dampfmaschinen aus den 1930ern. Auf Führungen folgen die Besucher dem Weg des Bieres von den Rohstoffen bis zur Abfüllung. Wer noch mehr wissen und probieren will, meldet sich zu einem Food Pairing an. Unter Anleitung probieren Teilnehmer Biere in ungewöhnlichen Kombination mit Lebensmitteln. Unter Maisel's Brauerei geht's in die Katakomben.

Info:www.biererlebniswelt.de, www.liebesbier.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.7.2017)

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