Astana: Weltfrieden und Pferdefleisch

Sommertage am Ischim. Innerhalb von 20 Jahren schoss Astana aus der Steppe.
Sommertage am Ischim. Innerhalb von 20 Jahren schoss Astana aus der Steppe.(c) imago/Arcaid Images
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Seit 20 Jahren ist Astana Hauptstadt von Kasachstan, aktuell läuft hier die Expo. Blick in eine Stadt vom Reißbrett, deren Anspruch es war, eine ideale Stadt zu werden.

Die Expo, die derzeit in der kasachischen Hauptstadt Astana läuft, ist zwar nur eine „kleine“, hat aber fast genauso viele Teilnehmerländer wie eine „große“, wie zuletzt in Mailand vor zwei Jahren. Und man braucht auch genauso mindestens fünf Tage, wenn man wirklich alles besichtigen wollte. Der einzige echte Unterschied ist, dass sich in Milano die Archistars der Welt austoben konnten und in unbarmherzige Konkurrenz miteinander traten, um zu sehen, wer von ihnen denn nun den genialsten, originellsten, coolsten (und dem Ausstellungszweck nicht unbedingt zuträglichsten) Länderpavillon gestaltet hatte. Jene, die es dann auf die Cover der Architekturzeitschriften schaffen würden. Solche Eitelkeiten sind in Astana von vornherein im Keim erstickt worden, denn die kasachische Regierung stellte den Teilnehmerstaaten ein zentral geplantes, sehr elegantes, zeitlos modernes Messegelände zur Verfügung, in das sie sich einmieten mussten. Das mag man als Mangel an baulicher Originalität bedauern, aber für den Besucher (bis 10. September) hat dieser ästhetische Zwang jedoch den Vorteil der größeren Übersichtlichkeit und der kürzeren Wege.

Das Thema ist „Future Energy – Action for Global Sustainability“ – was auf den ersten Blick sehr verwundert, hat doch Kasachstan riesige Erdöl- und Erdgasvorkommen, die sich nicht so bald erschöpfen werden. Aber das ist halt die Politik des Präsidenten Nursultan Nasarbajev, der sein Land nicht nur als Vorreiter des Weltfriedens (die Syrien-Konferenz fand in Astana statt), sondern auch als Avantgarde der Wirtschaftstransformation generell sehen will. Und die Expo ist dafür klarerweise ein geeignetes Tool.

Originelle Türme  markieren das Re- gierungsviertel. In der Mitte: der Bayterek-Tower.
Originelle Türme markieren das Re- gierungsviertel. In der Mitte: der Bayterek-Tower.(c) imago/robertharding

Interpretationsspielraum. Was Motti betrifft, ist das immer so eine Sache. Sie können sehr restriktiv wirken. In diesem Fall kommt erschwerend hinzu, dass „Future Energy“ (im Gegensatz zu „Food“ in Mailand) ein nur schwer fassbares und vor allem unsinnliches Thema ist. Die meisten reichen Länder bewiesen sich als Musterschüler, hängten brav didaktische Schautafeln auf und stellten Unmengen von Solarkollektoren und Windräder aus. Mit der Folge, dass sich all diese Pavillons ziemlich ähnelten, man sich vorkam wie auf der Jahrestagung der Grünen Internationale. Dezidiert gegen den Strom schwamm wieder einmal Russland. Auf putineske Art interpretierte man die Vorgaben – entgegen jedem allgemeinen Konsens – völlig konträr. Unter Nachhaltigkeit verstehen die Russen Atomkraftwerke („Atomenergie ist grüne Energie“) und unter Energie der Zukunft ihre geplante Ausbeutung der Öl- und Gasreserven unter der Arktis. Immerhin originell.

Originell – aber im Thema und auf der „guten Seite“ bleibend – präsentierte sich auch der österreichische Pavillon. Dankenswerterweise verzichtete man hier auf Schautafeln, Sonnenkollektoren und den ganzen hochtechnologischen Firlefanz (3-D-Projektionen, Breitwandwerbefilme, von 48.000 Computern errechnete fiktive Panoramen), den andere Länder für notwendig hielten. Man setzte auf einen spielerischen Umgang mit dem Expo-Motto. In der Ösi-Halle waren viele Fahrräder, Schaukeln und Zugseile aufgebaut. Wenn man als Zuschauer etwas erleben wollte, dann musste man selbst aktiv werden und radeln, hutschen oder ziehen. Dann erst bekam man etwas zu sehen: Fotos und Videos, Daten, wie lange man biken müsste, um die Energie für einen Kilometer Autofahrt oder Flug zu erzeugen. Bei jedem Rundgang durchs Gelände konnte man sich von der Popularität dieses Approaches überzeugen. Denn wenn man auf die häufigste gestellte Frage („Where are you from?“) mit Austria antwortete, bekam man jedesmal großes Lob zu hören: „Unique!“, „Participative!“

Kasachen stürmen Ferienträume. Jede Expo ist so eine Art Kreuzung aus Industrie- und Ferienmesse. Für den Ferienteil zeichnen dabei hauptsächlich die „ärmeren“ Länder verantwortlich. Aufgrund mangelnder Geldmittel mieten sich diese Staaten meistens gemeinsam einen „Clusterpavillon“. In dem sie sich dann (bis auf ein gelegentliches schlechtes Foto von Sonnenkollektoren auf öffentlichen Gebäuden) in weiterer Folge um das vorgegebene Motto herzlich wenig kümmern. Stattdessen liegen, bewacht von einem streng dreinblickenden großen Porträt des jeweiligen Staatspräsidenten ein paar Reiseprospekte und einige (meistens essbare) Produkte auf. Und da Themenverfehlungen oft interessanter sind als Streberarbeiten, stürmen die Kasachen gerade diese Kollektivausstellungen, in denen es dann noch Unmengen von Kunsthandwerk und musikalische Darbietungen gibt.

Die Glaskugel bleibt. Der absolute Höhepunkt ist jedoch ohne jeden Zweifel der Pavillon des Gastgeberlandes: eine riesige, schon weit aus der Ferne sichtbare, genau in der Mitte des Geländes errichtete Glaskugel – das neue Wahrzeichen der Hauptstadt. Sie beherbergt auf sieben Stockwerken sozusagen ein ultimatives Museum der Energie selbst – ihrer Arten, Begriffe, Geschichte, Mythen. Und da hier klarerweise weder Mühen noch Kosten gescheut wurden, ist es total state of the art. Nach Ende der Expo wird in die Messehallen ein Global Financial Center nach britischem Recht einziehen, mit dem Kasachstan anderen Finanzplätzen wie Singapur oder Hongkong den Rang ablaufen will. Die Riesenkugel wird aber bestehen bleiben, und auch sein Energiemuseum wird weiterhin besichtigbar sein.

Wirtschaftsgewinner sind in dem neuntgrößten Staat der Erden wenige.
Wirtschaftsgewinner sind in dem neuntgrößten Staat der Erden wenige.(c) imago/photothek

Weiterhin besichtigbar bleiben wird natürlich auch Astana selbst – eine absolut einzigartige (und das ist keine Wertung, sondern eine Tatsachenfeststellung) Stadt, die in der Welt nicht ihresgleichen hat. In Sowjetzeiten noch ein gottverlassenes Kaff namens Zelinograd, wurde der Flecken nach der Unabhängigkeit Kasachstans in Astana umbenannt und (statt Almaty) zur Hauptstadt des Landes bestimmt. Denn der Bruch mit der russischen Vergangenheit, in der Kasachstan und seine Einwohner nicht gerade füglich behandelt worden waren, wollte auch symbolisch vollzogen worden sein. Unter Stalin gab es hier einen Holodomor wie in der Ukraine, ein Massensterben durch Hunger in Folge der Zwangskollektivierung. In den 1930er-Jahren sind deshalb zwischen zwei und drei Millionen Kasachen verhungert. Sie hatten als Nomaden gelebt, wurden dann aber in Gemeinschaftsbetriebe gezwungen, ohne dass ihnen jemand erklärt hätte, wie Ackerbau funktioniert. Es gab unzählige Straflager, darunter einen Gulag extra für „Frauen von Heimatverrätern“. Weiters fanden auf seinem Gebiet nicht weniger als 496 Atomtests statt, was einer Sprengkraft von 2500 Hiroshima-Bomben entspricht. Die radioaktive Strahlung rund um Semipalatinsk (dem Testgelände) ist heute immer noch 20 Mal höher als erlaubt.

Ideale Stadt, ideale Form. Vor diesem Hintergrund wird vielleicht verständlich, mit welcher utopischer Energie diese Neugründung aufgeladen ist. Sie sollte und soll ein Zeichen sein für eine neue, unbelastete, friedliche, atomwaffenfreie und wohlhabendere Zukunft. Also wurde folgerichtig nicht irgendein weiteres neues Verwaltungszentrum im buchstäblichen Sinn des Wortes aus der Steppe gestampft, sondern nicht mehr und nicht weniger als eine „ideale Stadt“ im Sinne der Aufklärung. Es gibt Stiche aus der Zeit der französischen Revolution, die anmuten wie vorweggenommene Bauskizzen für Astana. Besonders die hier so beliebte Kugelform ist in diesen Plänen bereits eindeutig präfiguriert.

Die erste und zentralste dieser Kugeln befindet sich an der Spitze des Bayterek. Das ist ein 97 Meter hoher Turm, der den „Baum des Lebens“ darstellen soll, in dessen Krone – einer kasachischen Legende zufolge – der mythische Vogel Samruk sein Ei gelegt haben soll. Die Kugel (als ideale geometrische Form) symbolisiert dieses Ur-Ei, außerdem ist sie aus Gold (ein weiteres Zeichen für ihre Idealität).

Dem nicht genug, befindet sich in ihr der goldene Abdruck der rechten Hand des Präsidenten Nasarbajev. In diese Passform legen nahezu alle Besucher, ob Wehrdienstableister, Hochzeitspärchen, Bauern auf Hauptstadtbesuch, ihre Finger und machen dabei Selfies. Ein weiterer, nicht zu unterschätzender, Vorteil einer Visite des Baum des Lebens ist, dass man von hier oben aus ein sensationelles 360-Grad-Panorama über ganz Astana genießen kann. Nicht zuletzt auch über die „Ost-West-Achse des Guten“: Auf diesem Boulevard befinden sich der Bayterek-Tower und die beiden goldenen Türme Jachin und Boas (die in freimaurerischen Initiationsriten eine zentrale Rolle spielen sollen), weiters die von Sir Norman Foster errichtete „Pyramide des Friedens und der Eintracht“ und schließlich das „Weiße Haus“, der Amtssitz des ersten und bislang einzigen Präsidenten, das – entgegen seines Namens – eigentlich eine Nachbildung des Washingtoner Capitols darstellt.

Riesenrad mit österreichischen Kitschsymbolen: Sisi, Sachertorte, Schwarzenegger.
Riesenrad mit österreichischen Kitschsymbolen: Sisi, Sachertorte, Schwarzenegger.(c) EXPO AUSTRIA

Zeichenhafte Bauten. Diese Anhäufung von architektonischen Symbolen versetzt Websites von radikal-christlichen Vereinigungen wie chodack.wixsite.com in äußerste Unruhe: „Diese gigantische Pyramide ist eine seltsame Erscheinung inmitten der asiatischen Steppe. Das Gebäude ist ‚der Abkehr von der Gewalt‘ und der ‚Vereinigung der Weltreligionen‘ geweiht. Norman Foster hat gesagt, das Gebäude weise keine erkennbaren religiösen Symbole auf, um die harmonische Wiedervereinigung der Bekenntnisse zu gewährleisten. Doch in Wirklichkeit ist die Pyramide ein Tempel für die einzig wahre Religion der Okkultisten: die Sonnenanbetung.“ Chodak zählt die Parallelen zwischen den Pyramiden und Kugeln in Washington und jenen in Astana auf (Dan Brown, schau obi!) und stellt sich dann die „naheliegende“ Frage, ob Astana „die Hauptstadt des Landes der Kasachen, oder eine Tempelanlage geheimbündlerischer Satanisten?“ sei. Und man versteigt sich sogar zu der Vermutung, dass Astana eigentlich das Anagramm von „Satana“ sei...

Nun gut, die Nähe zu freimaurerischen Symbolen ist wohl unabweisbar, aber satanische Züge weist Astana nun wirklich keine auf: Es ist eine total sichere Stadt, die mittlerweile schon eine Million Einwohner zählt. Und die Kasachen selbst sind auf fast schon verdächtige Weise unentwegt und unverrückbar freundlich. Natürlich ist nicht alles Gold, was glänzt, und nicht alle Bauten erreichen das architektonische Niveau der „Achse des Guten“. Die neue Oper von Astana zum Beispiel lässt eher an ein von Erwin Wurm bearbeitetes Bolschoi-Theater denken, und Norman Fosters Einkaufszentrum kommt einem vor wie ein Rinter-Zelt, das sich von einem verheerenden Wodka-Rausch noch nicht ganz erholt hat. Gelungener hingegen erscheint das neue prächtige und riesige Nationalmuseum, dessen anders gelagertes Problem allerdings darin besteht, dass sein Content leider nicht ganz der Großartigkeit seiner Hardware entspricht.

Im Herzen Nomaden. Was einem in diesem und anderen Museen auffällt, ist die Allgegenwart der Pferdedarstellung. Die Kasachen sind nun einmal (und das betonen sie auch selbst bei jeder sich bietenden Gelegenheit in weiser Selbsterkenntnis) Nomaden. Und lebten und leben dadurch in einer schon nahezu als heilig zu bezeichnenden Symbiose mit den edlen Tieren. Eine Symbiose, die durchaus naturgemäß miteinschließt, dass man die für das Überleben in der Steppe unentbehrlichen Wesen auch aufisst. Insofern erklärt sich das kasachische Nationalgericht Beshbarmak nicht zuletzt aus dieser seelischen und körperlichen Vertrautheit – denn es ist nichts anderes als eine Art Pferde-Tafelspitz auf einem (für uns so wirkenden) Haufen von Packerl-Pasta (anstelle von Röstkartoffeln).

Apropos Pferdefleisch: Es eignet sich als Mitbringsel, denn es ist hier (in jedem besseren Supermarkt) in ungeahnter Vielfalt und Qualität erhältlich: roh, als Carpaccio, als Schinken, als Wurst, als fetthaltige Wurst, geräuchert oder als Steak. Dazu trinke man dann einen Liter Stutenmilch, denn diese schmeckt nicht nur angenehm säuerlich, sondern soll auch aphrodisiakische Qualitäten aufweisen.

Infos

Anreise. Derzeit gibt es mangels Direktflug hauptsächlich drei Möglichkeiten, nach Astana zu gelangen: mit Aeroflot über Moskau, mit Turkish via Istanbul, oder mit Ukrainian Air- lines über Kiew. Letztere Option ist am günstigs- ten, sowohl finanziell als auch logistisch (der Kiewer Flughafen ist der kleinste und sympathischste der drei).

Schlafen. Ritz Carlton: Einziges wirkliches Luxushotel in Astana. Erst im Juni eröffnet, daher günstige Einführungspreise. Zentral gelegen, Spa, Wellness, Pool, sehr nettes, aufmerksames Service. Gefühlt 100 Meter langes Frühstücksbüffet mit Assets wie Dry Aged Beef. Tipp: Versuchen, ein Zimmer im 17. Stock zu ergattern.
www.ritzcarlton.com/en/hotels/kazakhstan/astana


Essen & Trinken.
Arnau: Bestes kasachisches Restaurant in der Hauptstadt. Landestypische Spezialitäten in Reinkultur: Pferdefleisch, Innereien, Pilaf, Schafskopf, Chak-chak...

Tiflis: Geniale Anlaufstelle der vermutlich besten Küche der Welt, der georgischen. Man könnte sich hier locker eine Woche lang verkriechen und sich blindlings durch die Speisekarte fressen. Süchtigmachend: die speziellen Dolmadakia mit besonders bitteren Blättern, mit Lammfleisch gefüllt.

Cafés & Bars: Empfoh- len seien das Tselennikov, das Zoloto, die Bar im Radisson Blue.


Anschauen.
National Museum of Kasachstan: Eines der größten Museen der Welt. Neun verschiedene, riesige Abteilungen. Und zusätzlich noch Sonderausstellungen. Tipp: Einen ganzen Tag einplanen! http://nationalmuseum.kz

Astana Opera: Es em- pfiehlt sich einer der extrem tragisch endenden, aber äußerst farbenprächtig anzusehenden „einheimischen“ Opern beizuwohnen.
http://astanaopera.kz/en/


Infos. Zur Expo: www.expoaustria.at
https://expo2017astana.com/en/

Kasachstan im Bild. Wie stark Kasachstan sowohl mit seiner nomadischen Kultur verbunden als auch in der sowjetischen Erblast verhaftet ist, zeigt sich in den großartigen Fotografien von Dieter Seitz. Seine Arbeiten durchschreiten sehend, nicht kommentierend Räume, die mitunter ratlos erscheinen: die Steppe, die Brache, die Stadt, dazu die Menschen, die in diesem bemerkenswerten Land ihren Platz zwischen Asien und Europa, Nostalgie und Vision, Wertegemeinschaft und Kapitalismus oft erst finden müssen.
Dieter Seitz: „Nomads Land. The Kazakhstan Project“. Fotos von Dieter Seitz, Texte von Markus Kaiser. Hatje Cantz Verlag, 2017, 40 Euro, www.hatjecantz.de

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