Kreuzfahrt: Frisch aus dem Dock

Land in Sicht. Die Europa startet von Hamburg in tropische Gefilde.
Land in Sicht. Die Europa startet von Hamburg in tropische Gefilde.(c) Hapag-Lloyd Cruises
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Seit 13. Oktober ist die noble Europa wieder unterwegs auf den Weltmeeren.
Zwei Wochen davor hätte sich der Laie das kaum vorstellen können.

Das Schiff kommt gerade aus dem OP und erwacht langsam aus der Narkose“, schildert Kapitän Mark Behrend am Tag, als die Europa die Werft in Hamburg verlässt. Und man müsse sich diesen Eingriff als ziemlich massiv vorstellen – wie eine Operation am offenen Herzen: Um den veralteten Azipod-Antriebscomputer (Cyclokonverter) gegen einen neuen auszutauschen, musste ein riesiges Loch aus der Schiffsaußenwand geschnitten werden. Und nicht nur das: Es musste auch die Decke der Crewmesse zwischen Deck 2 und 3 geöffnet werden, damit das Spezialteam das elf mal zwei Meter große Teil in und aus dem Bauch der Europa manövrieren konnte.

„Es wurde ausgetauscht, obwohl es noch nicht einmal kaputt war“, räsoniert der Vorsitzende der Geschäftsführung von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten, Karl J. Pojer. Doch man wollte die Gelegenheit des Werftaufenthalts bei Blohm + Voss in Hamburg nicht verstreichen lassen und diesen gleich für sehr umfangreiche Arbeiten nutzen. Schließlich ist das Schiff weltweit unterwegs, bis es wieder in eine Werft geht. Bei Hapag-Lloyd Cruises sind das immerhin alle zwei Jahre, ein selbstauferlegtes Ziel des Konzerns – im Unterschied zu anderen Reedereien, die ihre Schiffe alle fünf Jahre ins Dock schicken. Wobei bereits 2019 ein nächster großer Aufenthalt ansteht: Wird ein Schiff wie die Europa zwanzig Jahre alt, steht quasi der große TÜV an.

Gleichzeitig arbeiten. 840 Punkte standen, so Pojer, diesen Herbst auf der Werftenliste, sodass die Arbeiten „fast keinen Bereich im Stich gelassen haben“. Am teuersten und einschneidendsten sind die Arbeiten im technischen Bereich. Schmerzhaft zu beobachten sei so ein Eingriff in den Organismus eines Schiffs freilich schon, bestätigt Kapitän Behrend, immerhin war er bereits bei der Geburt der Europa vor fast 19 Jahren dabei. „Aber keine Sorge, Schweißnähte sind sogar stabiler und steifer als der Rest“.

„In dem Moment, als der letzte Passagier mit dem Taxi weggefahren ist, steigen die Arbeiter ein und beginnen sofort alles abzukleben, alles abzudecken. Sofas und Teppiche werden verhüllt. Wände mit Paneelen geschützt“, schildert Gabi Haupt, Leiterin des Produktmanagements MS Europa. Hunderte Arbeiter und Crewmitglieder mussten vor Ort versorgt werden – 24 Stunden lang, weil in Schichten durchgearbeitet wurde. „Allein die Verköstigung mit eigenen Küchen ist eine Herausforderung.“ Auch von den komplexen behördlichen Wegen, dem oft jahrelangen Bestellweg von speziellen technischen Bauteilen – „wir müssen die Investitionen Jahre voraus wissen“ – und den Abnahmen durch Reederei, Behörden und spezialisierten Schiffsinspektoren bekommt der Passagier nichts mit. Außer, der Kapitän schwingt sich vor der Gala zu einer kleinen launigen Rede auf und schildert den Gästen, was ihr Schiff in den letzten Wochen alles an drastischen Eingriffen erlebt hat.

Viel offensichtlicher sind die optischen Veränderungen in jenen Bereichen, in denen sich der Gast bewegt. Auch diesmal war es kein Facelift, kein reines Neubemustern und textiles Neuausstatten. Wie Schiffs-Verantwortliche Gabi Haupt erzählt, gingen eine Fülle von großen Umbauten und Neubauten vonstatten, Grundrisse und Wände wurden verlegt und versetzt, Bereiche zugunsten anderer ausgeweitet, andere aufgegeben.

Im Hafen. Frische Ware nachladen, Müll  entsorgen, Landgänge organisieren.
Im Hafen. Frische Ware nachladen, Müll entsorgen, Landgänge organisieren. (c) Madeleine Napetschnig

Bedeutet logistisch einen Grenzgang, geradeso als wollte man einen Neubau in zwei Wochen hinstellen: Das Zeitfenster in der Werft war gerade einmal 16 Tage groß. Als sich die Presse-Vertreter drei Stunden, bevor die Passagiere an Bord begrüßt werden, umschauen dürfen, wird noch an allen möglichen Stellen herumgeschraubt, geschnitten und geputzt. „Vor drei Tagen konnte sich noch kein Mensch vorstellen, wie es am Ende aussieht und dass es jemals fertig wird“, erzählt Haupt. Doch das wird es eben immer, weil alles gleichzeitig ineinander greifen muss, auch wenn 60 verschiedene Fremdfirmen am Werk sind und der eine oder andere schon einmal kurz die Nerven wegwirft. Aber auch das geht: Das Regal aufbauen und einräumen, wo die Wand gegenüber noch nicht einmal steht. Teppiche – und zwar im Ausmaß von 2900 Quadratmetern – verlegen, wenn gerade Leitungen eingezogen werden. „Nach einem Umbau fahren noch eine Zeitlang Handwerker mit, um die restlichen Arbeiten zu erledigen oder zu reparieren, falls etwas nicht funktioniert,“ so Haupt.

Rechnen mit Lasten. Locker darauflosplanen können die Bauingenieure und Architekten auf einem Schiff nicht. Ganz abgesehen von den hohen Auflagen hinsichtlich Material und Ausführung, müssen sie mit den Lasten kalkulieren. Da draußen am Wasser ist der Spielraum klein: Für jeden schweren Einbau und jede zusätzliche größere Last muss neu berechnet und an manch anderer Stelle Gewicht entfernt werden. Was so weit geht, schildert Haupt, die alten Waschtische durch leichtere Keramik zu ersetzen. Auch die Überlegung, noch weitere Server an Bord für einen besseren Internetempfang aufzubauen, ist davon abhängig. Und freilich auch vom Platz, denn so großzügig ein Schiff beziehungsweise eine große „Yacht“ wie die Europa angelegt ist – eben mit sehr viel Platz für wenige Passagiere (weniger als 400) und eine rund 280-köpfige Crew – so genau muss kalkuliert werden. Wenn Bereiche verlegt werden, hat das zudem Konsequenzen, denn es braucht nicht nur neue Wände, sondern auch neue Abwasserleitungen, neue Elektrik – in einem Rumpf aus Stahl. Kann dann bedeuten, U-Boot-Spezialisten zu beauftragen, um 80 Meter Kupferrohre zu tauschen.

Stylish statt auf Nummer sicher.  Im Vorjahr erhielt die Gatsby‘s Bar ein neues Design.
Stylish statt auf Nummer sicher. Im Vorjahr erhielt die Gatsby‘s Bar ein neues Design. (c) Hapag-Lloyd Cruises

Für die Stammgäste, und von denen hat die Europa einige, zeigt sie sich seit ihrer Abfahrt aus Hamburg am 13. Oktober an vielen Stellen frisch und chic, aber dezent und gediegen, sodass der Charakter des traditionsreichen Schiffes erhalten bleibt. Diese Kontinuität ist bei aller Modernisierung entscheidend, weil es eine bestimmte Atmosphäre ist, die Passagiere suchen. Die Europa, die Crew-Mitglieder je nach Alter und Laune „Lady“ oder „Muddi“ nennen, ist neben der jüngeren Europa 2 das einzige Fünfsterneplus-Schiff weltweit – vom Berlitz Cruise Guide geadelt. Gilt es den exklusiven Standard halten zu müssen, steht jede Umgestaltung noch mehr auf dem Prüfstand als vielleicht auf einem anderen Schiff.

Tapete, Teppich, Thalassowanne. Was konkret wurde in dem kurzen Zeitfenster von 16 Tagen verändert? In der Belvederelounge im Bug des Schiffs zog nebst neuen Möbeln ein neuer Farbcode ein: Graublau, Rot und etwas Messing. Anders die Havana Bar, die Raucher-Lounge: Hier matchen sich grüne Tapeten – ein Muster aus großen Tabakpflanzen – mit dunklen Clubchairs. Auch das Restaurant Dieter Müller erhielt ein neues Farbkonzept, das sich zwischen Sand, changierendem Grau und Petrol bewegt. Der größte Blickfang in dem exklusiven Restaurant ist allerdings das Wasserbild von Jochen Hein. Was der Gast nicht sieht, aber vielleicht bemerken könnte: In der Küche des Sternekochs stehen nunmehr vier neue Herde und eine Grillplatte. Manchmal erweist sich auch eine frühere Nutzung zu eingeschränkt, also werden Inhalt und/oder Layout verändert: Aus der Galerie, in der sich die Struktur des Schiffs am rohesten zeigt, wurde ein multifunktioneller Raum, der nunmehr „Atelier“ heißt und Platz für kleine Veranstaltungen bietet, sei es eine Yogasession, sei es eine Lecture zu einem aktuellen Thema. Der Friseur nimmt jetzt die Flächen des früheren Kidsclubs ein, der wiederum zu einem „Spielzimmer“ mutierte, das sich mithilfe einer mobilen Trennwand zum Kreativraum zu einer großen Fläche für Workshops machen lässt. Kleinere Arbeiten in den Suiten und am Pooldeck gehen ebenso automatisch mit wie der neue Boden in der Bibliothek.

Gabi Haupt und Mark Behrend  erklären das Routing ihres Schiffs.
Gabi Haupt und Mark Behrend erklären das Routing ihres Schiffs. (c) Madeleine Napetschnig

Einer der umfangreichsten Eingriffe auf der Europa betraf das „Ocean Spa“. Es wurde deutlich vergrößert, inhaltlich neu aufgestellt und wirkt modern in seinem weiß-korallenroten Interior Design. Es brauchte Platz für eine Thalassowanne und eine Schwebeliege, in diesem Jahr entschied sich die Leitung, auch Bewei-Treatments anzubieten. Partner in der Kosmetik ist die exklusive Brand Babor.

Ob das alles gut ankommt und praxistauglich ist, entscheidet sich im laufenden Betrieb, im Härtetest mit dem Gast und mit der Crew. Ob die technischen Neuerungen hundertprozentig funktionieren, zeigt sich, wenn man Glück hat, gleich auf den ersten Seemeilen. In diesem Fall absolvierte die Europa auf der Testfahrt von Hamburg tatsächlich einen Härtefall – Windstärke elf und riesenhafte Wellen. Bedingungen übrigens, mit denen sich die Schifffahrt immer öfter arrangieren muss: Die Zahl der Zyklone nimmt zu, Eisberge brechen ab und flottieren, der Meeresboden ändert sich mit seismischen, tektonischen Ereignissen, politische Entwicklungen können abrupte Striche durch die lange Planung machen. War etwa die Krim im Programm, ist sie später kein Thema, Fragezeichen sind oft der Persische Golf, die Häfen in Nordafrika, auch Abspaltungstendenzen wie in Katalonien können Auswirkung darauf haben, ob und wie ein Schiff einen Hafen ebendort ansteuert. Und wenn die Hafenarbeiter in Frankreich justament streiken – wie auf der ersten Etappe der Europa im Oktober in Nantes – braucht es stets einen Plan B.

„Die Entscheidungsmöglichkeit wird immer wichtiger“, erklärt Kapitän Behrend. Wegen Sturms und Streiks einen Hafen auszulassen, das Programm der Landgänge umzudrehen, andere Ziele anzubieten. Ein Schiff müsse immer seine Mobilität behalten. Was natürlich einfacher sei, wenn man so wie die Europa auf der ganzen Welt unterwegs ist. Sprich nach der ersten Etappe von Hamburg nach Bilbao und einem Schlenker durchs Mittelmeer dann hinaus auf die Ozeane steuert. Kaum ein Ziel, das diese laut Eigendefinition „schönste Yacht“ nicht ansteuern wird.

Im Proviantraum:  Hotel und Gastro liegen in österreichischen Händen.
Im Proviantraum: Hotel und Gastro liegen in österreichischen Händen.(c) Madeleine Napetschnig

1400 Flaschen Champagner. Wie funktioniert da die Versorgung, fragt sich vielleicht der Passagier, wenn es nach langen Tagen im Pazifik noch immer österreichischen Wein und frischen Salat auf der Karte gibt? Einer der logistisch komplizierten Posten ist die Versorgung von Passagieren und Crew. Die Schätze lagern ein Deck unter dem großen Europa-Restaurant in vielen Räumen und Kühlkammern. Fleisch, Wein, Mehl, Zucker, Früchte in unterschiedlichen Reifegraden – Ware aus dem deutschen Einkauf, wobei Frisches und Saisonales wie Gemüse, Obst oder Fisch örtlich zugekauft wird. „Die Verbräuche auf einer Zwölftagesreise liegen im Durchschnitt bei rund 3900 Kilo Fleisch, 1000 Kilo Fisch, 13.000 Flaschen Wasser, 1400 Flaschen Champagner, dasselbe an Weißwein und von Rotwein knapp 550 Flaschen,“ erklärt Johann Schrempf, Hotelmanager der Europa und der Europa 2. Allein 700 Eier braucht es pro Tag. Der Anteil von Convenience-Produkten ist auf einem Schiff, das ein High-End-Gastroprogramm fährt, naturgemäß verschwindend. „Bestellungen in Europa sind mittlerweile einfach, sie brauchen nicht mehr als zehn, zwölf Tage Vorlauf. In Übersee aber drei bis vier Monate. So sind für Australien dann drei Versorgungen unterwegs, während die vierte schon wieder vorbereitet wird“, erklärt der Steirer. Sprich: „Im August weiß der Koch bereits, was er für das Weihnachtsmenü braucht.“

Die Reise wurde unterstützt von Hapag-Lloyd Cruises.

Info

Das Schiff. Die Europa ist das Flaggschiff von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten aus Hamburg. Zum 18. Mal in Folge wurde das Schiff vom Berlitz Cruise Guide mit dem Prädikat Fünf-Sterne-Plus ausgezeichnet. Von der Dimension her nennt sich die Europa Yacht, mit einer Passagierzahl von maximal 400 sowie einer Crew von rund 280 Mitarbeitern.

An Bord. Auf dem Schiff befinden sich mehrere Restaurants (darunter jenes des Sternekochs Dieter Müller) und mehrere Bars (darunter ein Ableger der Sylter Sansibar) sowie Veranstaltungsräume, Bibliothek, Indoor-Golf, großer Spa- und Fitnessbereich. Auch eine Laufrunde geht sich am Deck aus. 152 Suiten mit Veranda, 4 Spa-Suiten mit Veranda und Spa-
Extras, 10 Penthouse Deluxe-Suiten mit Butlerservice, 2 Penthouse Grand-Suiten mit Butlerservice.

Auf See. Für die Seetage und die Zeit vor und nach Landgängen gibt es volles Programm – vom Konzert über Lectures und Diskussionsrunden bis zu Sportsprechstunden. Die Europa ist immer wieder Schauplatz von klassischen Musikfestivals wie etwa dem „Ocean Sun Festival“ und „Stella Maris International Vocal Competition“.

Auf Kurs. Die Europa ist weltweit unterwegs und steuert auch Häfen an, die sich für größere Schiffe nicht eignen. www.hl-cruises.com

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