Sachsen: Der Bahnhof am Ende der Welt

Über 100 Jahre alt ist die Dampflok, die den Zug mit historischen Wagen zum Bahnhof Oybin (Landkreis Görlitz) zieht.
Über 100 Jahre alt ist die Dampflok, die den Zug mit historischen Wagen zum Bahnhof Oybin (Landkreis Görlitz) zieht. Imago
  • Drucken

Die Dampfbahn von Zittau nach Oybin ist eine der wenigen Dampfeisenbahnen in Deutschland, die einen täglichen Verkehr aufrechterhalten.

Zwölf Kilometer lang ist die Distanz zwischen den Oberlausitzer Orten Zittau und Oybin im Südosten Ostdeutschlands – und die Bahn braucht genau 46 Minuten dafür. Kein Wunder, mehr als 25 km/h schafft der Zug nicht – und auf der Strecke liegen ganze acht Bahnhöfe. Für moderne Reisende eigentlich eine Zumutung, dank ICE ist man andere Geschwindigkeiten gewohnt. Doch die Dampfbahn, die nostalgisch die Hügel hinaufschnauft, erfreut sich bei vielen Passagieren großer Beliebtheit. Zumal es eine der wenigen Dampfeisenbahnen ist, die jeden Tag im Jahr planmäßig fahren; normalerweise sind es fünf Fahrten am Tag.

Die wohlhabende Stadt Zittau, die schon 1848 einen Bahnanschluss gehabt hat, hat 1889 mit dem Bau der Schmalspurbahn angefangen, die in den Kurort Oybin führt. Heute sind alle Waggons vorbildlich restauriert. Man kann im normalen geschlossenen Waggon fahren, bei gutem Wetter auch im offenen Cabriowaggon. Oder man sitzt am Tischchen im Speisewagen bei einer Tasse Kaffee und einem Stück „Schiene“, wie der längliche Kuchen hier heißt. Die Bedienung klagt ihr Leid: „Eigentlich brauchten wir noch eine zweite Kraft für den Speisewagen, aber hier unten findet sich ja niemand!“

Kofferlieferservice

Auf der gemächlichen Fahrt bleibt genug Zeit für Fotos, zum Beispiel von den malerischen Wäscheleinen neben dem altmodischen Bahnhofsgebäude, an denen Kleidung lustig im Wind flattert. Daneben harken Senioren mit Hingabe im Garten ihrer altmodischen Datscha, im Fenster vergilbte Spitzengardinen.

Unbedingt einen Stopp einlegen sollte man in Bertsdorf in der Mitte der Strecke, dem Museumsbahnhof. Hier wird der Lok aus dem Jahr 1924 Wasser nachgefüllt. Auf einem Abstellgleis stehen noch einige Wagen der Deutschen Reichsbahn, die auf ihre Restaurierung warten. Im Bahnhofsgebäude gibt es einen Schalter mit einem Regal voller Fahrkarten aus dicker Pappe, die für die Fahrt gestempelt werden mussten. Daneben die „Gepäckannahme“ – wer erinnert sich noch an Zeiten, in denen man seine Koffer vor der Fahrt „aufgeben“ konnte und sie am Zielort dann bequem ins Taxi geladen hat? Für rund 20 Euro bietet die Bahn übrigens auch heute noch eine Haus-zu-Haus-Beförderung der Koffer an. Auch ein Bahnhofshotel gibt es in dem winzigen Ort – allerdings ist es ein originalgetreuer Nachbau des alten Hauses. Zu DDR-Zeiten war es dermaßen heruntergewirtschaftet, dass ein Neubau günstiger als eine Renovierung war.

Farbfilme zu kaufen

Von Oybin sind es nur wenige Kilometer zur tschechischen Grenze. Den Ort mit 1500 Einwohnern ruhig zu nennen wäre fast schon eine Untertreibung. Neben dem Bahnhof liegt ein kleiner Park, weshalb Oybin offiziell Kurort genannt wird. Die Hauptstraße säumen einige altmodische Hotels, es gibt einen Tante-Emma-Laden und einen Souvenirshop, bei dem ein Schild darauf hinweist, dass es hier noch Farbfilme zu kaufen gibt.

Burgberg und Werksruine

Höhepunkt des beschaulichen Ortes ist die Burganlage auf dem Berg Oybin, dessen Felsen geriffelt ist wie ein Bienenkorb. Entlang der Bergkirche schafft man den Aufstieg in 15Minuten durch eine winzige Schlucht (Eintritt: sechs Euro). Die Burganlage mit einer Kirche, die in den Fels gehauen ist, hat riesenhafte Ausmaße. In einem altmodischen Schweizerhaus befindet sich ein Berggasthof, der Ritterkeller darunter ist schon lang geschlossen. Hier speisten früher Kaiser, Könige und Fürsten an einer langen Tafel. 1681 stürzten Felsen auf einige der Burghäuser, die Ruinen hielt unter anderem der Maler Caspar David Friedrich 1810 in einem Gemälde fest.

Mehr zu sehen gibt es in Zittau. Gleich in der Nähe des Bahnhofs liegen die Ruinen des ehemaligen Robur-Werkes, für das Zittau einst berühmt war. Es ging auf die Phänomen-Werke zurück, die 1905 ein motorisiertes Dreirad namens Phänomobil entwickelte. Zu DDR-Zeiten wurden in den Robur-Werken Lkw produziert. Aufgrund von Materialengpässen musste die Produktion allerdings in den 1980er-Jahren stark heruntergefahren werden. Nach dem Mauerfall wurde der Betrieb stillgelegt.

Nach Plänen von Schinkel

Erfreulicher sieht die Johanniskirche im Zentrum der Stadt aus, die nach Plänen Karl Friedrich Schinkels entstanden ist. Auch der Entwurf des Rathauses ganz in der Nähe, das einem italienischen Renaissancepalast ähnelt, stammt von Schinkel. Wer die Augen offen hält, kann in Zittau überall historische Kuriositäten entdecken. An einer verwitterten Hausfassade ist das Wort „Polizeiamt“ zu lesen. Darunter finden sich einige hölzerne Bögen mit Fenstern dahinter – hier boten im Mittelalter die Händler ihre Ware dar. Stimmungsvollstes Restaurant: im Arkadenhof des Dornspachhauses, hier werden typische Oberlausitzer Gerichte gekocht.

AUF SCHIENE

Übernachten. Stilvoll kann man in zwei umgebauten Waggons der Schmalspurbahn übernachten, die auf einem Abstellgleis im Bahnhof Oybin stehen. Jeder Waggon hat zwei Betten, eine Küche und ein Bad. Daneben ist die Übernachtung im ehemaligen Wasserhäuschen möglich, das direkt auf dem Bahnhofsgelände steht. Auch in Bertsdorf ist eine Übernachtung im Stellwärterhaus mitten auf dem Bahnhof möglich. www.zittauergebirge-ferien.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.