Spanien

Sevilla: Der Wunschzettel am Pomeranzenbaum

Wird alles nicht so eng gesehen: Krippenszenerien mit weltlichen Accessoires.
Wird alles nicht so eng gesehen: Krippenszenerien mit weltlichen Accessoires. (c) imago/ZUMA Press (imago stock&people)
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Advent bedeutet in Sevilla nicht fieberhafte Suche nach Geschenken – oder zumindest nicht nur. Vor allem besteht die Vorweihnachtszeit hier aus einer langen Folge von Weihnachtsessen.

Es beginnt ganz harmlos mit Tapas: Käse aus der Mancha in Olivenöl, Kartoffelsalat mit Thunfisch, Tintenfisch mit Paprika. Dann folgt Arroz Caldoso, Reis mit Hummer. Spätestens zu diesem Zeitpunkt – der Fleischgang ist noch nicht serviert, das Dessert nur eine Ahnung – ist klar, dass der Advent in Sevilla nicht im Wortsinn als Fastenzeit interpretiert wird. Im Gegenteil, erklärt der Chef des alteingesessenen Robles Placentines, die Vorfreude auf das Fest entlade sich in einer raschen Folge von Weihnachtsessen mit Familie, Freunden, Kollegen.

Strömen die Menschen anderswo in die Innenstädte, um Geschenke zu beschaffen, drängen sie sich hier, weil alle auf dem Weg zum Essen sind. Nur die Kutscher bei der Kathedrale stauben ruhig ihre Pferde ab. Spanier sind im Dezember in Sachen Geschenke noch nicht nervös: Diese werden erst zu Dreikönig überreicht. Für Sevillaner ist es wichtiger, die Festgelage zu koordinieren. Jetzt suchen sie auf dem Markt bei der Kathedrale nach Ergänzungen für ihre Krippen. Hier gibt es Jesuskinder aller Haut- und Haarfarben. Accessoires für die Krippe gehören ebenso zum Angebot: ein Spanferkelröster oder Kartenspieler am Wirtshaustisch. Inspiration geben Krippenlandschaften in jeder größeren Kirche und im Rathaus.

Magnolien, Jasmin und Pfaue

Sogar in der Mittagspause stehen Angestellte an, um Krippen wie die der Kirche de la Paz an der Plaza del Salvador zu bestaunen. Und jetzt hängen die Kinder ihre Wunschzettel in die immergrünen Pomeranzenbäume im sieben Hektar großen Garten des Königspalasts Alcázar. Glyzinien, Jasmin, Palmen und Pfaue bilden hier die Kulisse. Die Wunschzettel hängen zwischen reifen Orangen, ihr Duft sei für sie der Duft der Weihnacht, erklärt Guide Mercedes Miguez in perfektem Deutsch. „Viele sind überrascht, wie grün Sevilla ist“, meint sie. Zehn Parks besitzt die Stadt. Dank des milden andalusischen Klimas gedeihen Exoten wie Palmen, Würgefeigen und Magnolien bestens. Miguez warnt davor, Pomeranzen vom Baum zu probieren: Es sind Bitterorangen, die vor allem nach England exportiert werden.

Im Advent ist der Alcázar, bis heute offizielle Residenz der spanischen Königsfamilie, nur wenig besucht, das Jahr über flanieren aber eine Million Menschen durch die Gemächer. Dafür ist der Palast, in dem Columbus ein Büro zur Planung seiner zweiten Amerika-Reise besessen hat, nun mit Weihnachtssternen geschmückt. Die unter christlicher Herrschaft erbaute, aber stark maurisch beeinflusste Palastanlage ist mit bunten Mosaiken, Bögen und Patios ein Musterbeispiel der Mudéjar-Architektur – und von nahezu unwirklicher Schönheit. Dass der katholische König Pedro I. sein Heim mit dem arabischen Schriftzug „Es gibt keinen Gott außer Allah“ dekorieren ließ, war der Mode geschuldet, erinnert aber auch daran, dass hier 200 Jahre lang Christen, Muslime und Juden friedlich zusammen gelebt haben. Auch diese Vorstellung passt nicht schlecht in die Jahreszeit. Wer sich hier stundenlang verloren hat, wird draußen von der Dunkelheit überrascht. Doch selbst dann pulsieren die Straßen vor Leben. Man nimmt Aperitifs im Freien, lässt sich treiben. Die festliche Hochphase beginnt am 8. Dezember, da verkaufen Nonnen im Kaufhaus Corte Ingles Süßigkeiten. In der Konditorei La Despensa de Palacio herrscht zwei Wochen lang Ausnahmezustand – wegen des typischen Gebäcks, das nah in Estepa gebacken wird. Antonio Rovero Fernández, dessen Ahnen schon lang auf Weihnachtsgebäck spezialisiert sind, hat das Geschäft in Sevilla eröffnet, weil die Kunden früher den Verkehr in Estepa zum Erliegen gebracht haben.

Nach Gebäck und Tapas mündet die entbehrungsfreie Adventzeit für die Sevillaner in weiteren Herausforderungen: Am Heiligen Abend werden nach den Tapas Schinken, Meeresfrüchte, Pute und Steaks aufgetischt. Am ersten Feiertag gibt es zu den Resten Sopa de Picadillo, Hühnersuppe. Der Serrano verleiht ihr Aroma, Brotstücke Substanz. Dieser Hauch von Schonkost tut gut. Denn die Feierei geht noch zwei Wochen weiter.

Advent, andalusisch

Hin: Ab Madrid mit Hochgeschwindigkeitszug AVE (2,5 h). www.raileurope.com
Dort: Fast so schön wie der Königspalast
ist das 1929 eröffnete Hotel Alfonso XIII. www.hotel-alfonsoxiii-sevilla.com
Weihnachtsgebäck: in der sehenswerten Konditorei Despensa de Palacio.
http://ladespen-sadepalacio.com
Krippenschmuck: bei Pichardo Belenes seit 1952, Calle Javier Lasso de la Vega 4 und auf dem Krippenmarkt.
Museum für Flamenco: authentische Shows. www.museoflamenco.com
Info: www.spain.info

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2017)

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