St. Moritz: Mehr Stil als Attitüde. Mehr Sport als Müßiggang.
Tatsächlich, das ist sortenreiner Naturschnee unter den Füßen. Trocken, wie die prickelnde Engadiner Höhenluft. Hier oben am Corvatsch braucht’s kaum Beschneiung. Gestern hatten wir in einer kurzen montanen Yogastunde auf der Corviglia, dem Skigebiet auf der gegenüberliegenden Seite, gelernt, was bessere Körperwahrnehmung beim Skifahren bringen kann. Ohne jeden esoterischen Anhauch hat uns Sabrina Nussbaum von der Suvretta Snowsports School instruiert, die Ski zuerst einmal auf die Seite zu stellen. Warum sollten wir hetzen? „Versucht, ein paar Momente stillzustehen. Schließt die Augen und lenkt eure Aufmerksamkeit in die Füße. Fühlt, dass ihr auf einem Berg steht und ein Teil davon seid.“ Ja, das wird man, je tiefer man sich in dieses Panorama versenkt, eines der besonders beeindruckenden in den Alpen: eine Reihe Dreitausender, eingeschneite Seen, Gletscher, Engadiner Ortschaften. Die Talsituation mutet bei St. Moritz, Pontresina, Celerina weit an, offen in mehrere Richtungen. Da hat die Sonne viel Platz, um auf den Urlauber zu treffen (und ist auch das berühmte alte Logo von St. Moritz).
Im Vorjahr hat St. Moritz wieder einmal eine Skiweltmeisterschaft ausgetragen. Es war die fünfte in seiner langen Geschichte. Solche Ereignisse verweisen auf die sportliche DNA, die diesen weltberühmten Engadiner Skiort eigentlich ausmacht, wie Gerhard Walter, der neue, aus Tirol stammende Tourismusdirektor bestätigt.
Einiges hat diese sportliche Note überlagert, vor allem aber die Klischees. Freilich, sie werden mitunter auch bedient, man muss nur ein Auge für den Auftritt mancher Gäste haben. Doch die Grundstimmung ist hier Understatement. In einem Zentrum, in dem sich vor allem Luxusbrands angesiedelt haben, finden sich ebenso traditionelle Schweizer Betriebe, meist Experten für Kulinarisches: Die Metzgerei Hatecke zum Beispiel verkauft Bündnerfleisch in feinster Qualität, aus Rind-, aber auch aus Gamsfleisch, wie in einem modernen Designshop. Im traditionellen Rahmen wiederum, bei Hanselmann, bekommt man die Engadiner Nusstorte, einen Genuss, den nach Italien ausgewanderte Engadiner als Zuckerbäcker zurückimportiert hatten. Elegant, unaufdringlich und im Gegensatz zu manchem österreichischen Skiort gestalterisch verstörungsfrei zeigt sich das Stadtbild von St. Moritz. Neue und alte Architektur erzeugen hier im Miteinander wenig Wildwuchs, Engadiner Häuser mit Sgraffito-Dekor stehen Ecke an Ecke mit zeitgenössischen Bauten. Alles ein wenig größer, denn das prägende Format ist das des Grandhotels.
Engländer und Elektrizität. Der Wintertourismus in St. Moritz begann mit einer Wette, erzählt Heinz Hunkeler, Direktor des Grandhotel Kulm, der in dem Haus aufgewachsen und wieder dorthin zurückgekehrt ist. Mitte des 19. Jahrhunderts waren die englischen Gäste nur im Sommer gekommen, um Alpenluft zu tanken und aus der eisenhaltigen Heilquelle bei St. Moritz Bad zu trinken. Johannes Badrutt, einer der ersten Quartiergeber, versprach, sie einen ganzen Winter (1864/65) lang kostenlos zu beherbergen, wenn es ihnen hier gefiele. Das tat es dann auch. Sie kamen und blieben, verbrachten die Zeit nicht anders als viele Gäste heute – mit Eislaufen auf den Seen, Spaziergängen im Schnee und anderen sportlichen Einlagen, mit Gesellschaftsspielen, mit Muße. Gleich wuchs die Zahl der Zimmer, aus Bauernhäusern wurden größere Beherbergungsbetriebe, aus Badrutts Pionierhaus das älteste Grandhotel in St. Moritz, und das innovativste: „Das Kulm war das erste mit elektrischem Licht in der Schweiz“, erzählt Hunkeler. Anfang des 20. Jahrhunderts wuchs das als „Gault Millau Hotel 2018“ ausgezeichnete Haus noch einmal, heute ist es so groß, dass man mit dem Restaurieren an der einen Ecke wieder beginnt, wenn die andere fertig ist. Im Vorjahr wurde ein ganzer Trakt mit neuen Suiten ausgestattet – beauftragt wurde das renommierte Designbüro Pierre-Yves Rochon. Heute befindet sich das Kulm, anders als das Badrutt’s Palace, nicht mehr im Besitz der Gründerfamilie. Als ein französischer Ferienklub das Objekt übernehmen wollte, sprang die Familie Niarchos ein, erwarb und erhält es. Heute rechnet es sich dank der Residenzen, die vermietet werden, sonst wird laufend investiert. Wohnt man nicht im Kulm, ist das Restaurant des Berliner Sternekochs Tim Raue, „The K“, ein triftiger Grund, hier einen großartigen gastronomischen Abend zu buchen.
Trüffel bis Tapas. Zu den Pionieren in St. Moritz gehört auch die Familie Glattfelder. Als Kolonialwarenhändler hatten sie vor über 85 Jahren Tee, Kaffee und Kaviar nach St. Moritz gebracht. Enkelin Nina Glattfelder betreibt das kleine Geschäft und das quasi zu Après-Ski-Zeiten geöffnete Kaviarstübli. „Rund ums Millennium hatte Kaviar Probleme, er war sehr teuer, aber die Qualität sehr schlecht. Die Verschmutzung des Kaspischen Meeres hat man geschmeckt“, erklärt sie. Lange ist sie gereist, um die Qualität zu finden, mit der sie aufgewachsen war. Seit über zehn Jahren importiert sie nun Oscietre und Beluga aus China, wo Störe in einem trinkwasserklaren See gezüchtet werden.
Glattfelders Kaviar sieht man in St. Moritz öfters auf der Speisekarte. Ebenso wie Trüffel. Letztere gehörten zum Signature Dish in Reto Mathis einstigem Bergrestaurant auf der Corviglia, einer Legende. Seit dieser Saison ist Mathis neue Adresse etliche Höhenmeter tiefer angesiedelt, mit dem Auto erreichbar, das Konzept mit mehr Lifestyle, lockerer. Das Lokal nennt sich CheCha (von Chesa Chantarella), eine gemütliche Location mit ausgezeichneter Küche und clubartigem Setting, in der die Trüffelpizza noch immer Bestand hat. Am früheren Standort hat die Bergbahn nunmehr das White Marmot eingerichtet, ein stylishes Restaurant in schrägen Farbkombinationen, auch hier kocht man weiterhin ambitioniert. Wer allerdings keine Zeit in mehrere Gänge investieren möchte, kürzt das Mittagessen im dazugehörigen Edy’s ab. Man hat auf dem Berg oft die Wahl: Fine Dining oder die legere Version. Das ist auch im Bergrestaurant El paradiso auf der Corviglia der Fall. Auf der oberen Terrasse werden Tapas, Steaks und Burger auf langen Stehtischen gereicht, der satte Sound des anwesenden DJ schafft eine Atmosphäre, als wäre man hier einige Breitengrade weiter südlich. Die Einrichtung: eine originelle Mischung aus Pub und Skihütte. Eine Etage darunter befindet sich das ausgezeichnete Clubrestaurant, in dem man durchaus einen Tisch bekommt, wenn der Platz nicht komplett von Mitgliedern (in Summe 99) mit deren Gästen belegt ist. Auch hier ist die Atmosphäre entspannt, man sitzt auf langen Holzbänken vor feinst gewobener Graubündner Tischwäsche und trinkt die Consommé aus der Bügelflasche. Dass der Skifahrer gastronomisch in St. Moritz eine etwas höhere Erwartungshaltung hat, ist logisch: In vielen Hütten wird ihm gute Küche serviert. Und er kann sie unbehelligt von unsäglichen Skihüttenschlagern genießen.
Je nach Sonnenstand entscheidet man: die Corviglia oder der Corvatsch, die beiden Skigebiete bei St. Moritz. Zu einer der nächsten Herausforderungen, sagt Tourismuschef Walter, gehört, nebst der Erhöhung der einst verlorenen Bettenkapazität, die Infrastruktur. Schon lange wartet die Signalbahn auf Erneuerung, und St. Moritz auf eine direkte Verbindung in den Ort. Dass aber manches nicht ersetzt wird, hat seinen Charme – etwa der kleine Sessellift in Suvretta. Wie auf Gartenbänken schwebt man über den nobelsten Chalethügel von St. Moritz. Ganz gemächlich einem ganz entspannten Skitag entgegen.
Tipp
Skifahren. Corvatsch (mit Nachtskipiste) und Corviglia. Erfreulich die Skipasspreise: Ab einer Übernachtung zahlt man 39 Euro für die Tageskarte.
Übernachten. Das älteste Grandhotel ist das noble Kulm, „Gault Millau Hotel 2018“, www.kulm.com
Im Besitz der Familie Badrutt befindet sich noch das Badrutt‘s Palace, www.badrutts.palacecom
Modern ist das Giardino Mountain einige Kilometer außerhalb von St. Moritz, https://giardino-mountain.ch/
Essen. El paradiso am Berg, Tapas, DJs, Clubrestaurant, www.el-paradiso.ch
CheCha, das neue Clubrestaurant von Reto Mathis, www.chechaclub.com
White Marmot, Fine Dining in der Bergstation, www.mountains.ch
The K, Restaurant von Sternekoch Tim Raue im Kulm, www.kulm.com
La Coupole – Matsuhisa, Nobu-Ableger im Badrutt‘s.
Hinkommen. Mit den ÖBB im Nightjet oder mit Swiss nach Zürich und weiter mit der Rhätischen Bahn über Chur nach St. Moritz mit Swiss Travel Pass, www.swisstravelsystem.com, www.oebb.at, www.swiss.com, www.rhb.ch
Info und Beratung: Schweiz Tourismus: Tel. 00800 100 200 30, info@myswitzerland.com, MySwitzerland.com
St. Moritz: www.stmoritz.ch, www.engadin.stmoritz.ch
Compliance: Die Reise erfolgte auf Einladung durch Schweiz Tourismus.