Tel Aviv

Purim: Karneval auf Israelisch

Rituelles Fest – Anlass zum Verkleiden.
Rituelles Fest – Anlass zum Verkleiden.(c) Tel Aviv Tourism
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Vom 28. Februar bis zum Abend des 1. März feiern Juden in aller Welt ausgelassene Partys. In Israel nimmt man es dann selbst in den Orthodoxenvierteln mit der Gottesfurcht nicht ganz so genau.

Ist das da Melania Trump auf dem Rothschild-Boulevard? Die Augen zu zwei dunklen Schlitzen geschminkt, die Haare nach hinten gesteckt, ein türkisfarbenes Kostüm. Zwischen all den Supermännern, Teufeln und beschwipsten Krankenschwestern wäre sie fast nicht aufgefallen. Mit ihren High Heels fällt es ihr sichtlich schwer, sich dem Elektro-Sound hinzugeben, der aus irgendeinem Lautsprecher dröhnt. Die Tel Aviver Melania ist in Wahrheit ein Mann und gleich wieder in der tanzenden Menge verschwunden.

Wenn Israel im Februar oder März Purim feiert, so etwas wie der jüdische Karneval, wetteifern die Tel Aviver um die schrillsten Kostüme. Eigentlich gedenkt das Fest des heroischen Einsatzes von Königin Esther, die mit einer mutigen Vorsprache beim Perserkönig Ahasveros einst ihr Volk vor einem Pogrom rettete. Deshalb verkleiden sich jüdische Mädchen traditionell als Prinzessinnen und die Buben als Esthers weiser Cousin und Adoptivvater Mordechai.

In Israel ist das Fest heutzutage vor allem willkommener Anlass für ausgelassene Kostümpartys und durchzechte Nächte. Dann ziehen in Tel Aviv Horden kunstbluttriefender Zombies durch die Straßen, falsche Orthodoxe zupfen an ihren Schläfenlocken, Sioux-Häuptlinge durchfeiern gemeinsam die Nacht. Mit Purim beginnt in Tel Aviv der Sommer. Dann trägt Israels Kulturmetropole und Ideenschmiede ihre Kreativität und Lebensfreude auf die Straße.

Farb- und Partyrausch

„In Tel Aviv kann sich jeder selbst erfinden“, sagt Lucas Chauvet in seinem Atelier nicht weit vom zentralen Geula-Strand, „die Stadt nimmt jeden, wie er ist. Und zu Purim wird das besonders deutlich.“ Von seiner Terrasse blickt er auf einen Streifen Mittelmeer, wo sich die Menschen drängen und die Feierfreudigen schon am Morgen Kostüme tragen. Mit seinen Collagen ist der 34-Jährige nur einer von vielen, die für die Experimentierfreude der jungen Kunstszene stehen. Chauvet wanderte vor zehn Jahren aus Argentinien nach Israel aus. „Ich wollte hier etwas Neues anfangen, ohne meine Wurzeln zu kappen.“ In der Objektkunst Chauvets prallt indigene Formensprache Südamerikas auf grelle Gegenwart des Nahen Ostens. Pachamama, die Mutter Erde der Andenvölker, steht Panzern der israelischen Armee gegenüber. In Farbschlachten verschwimmen lateinamerikanische Spontanität und orientalische Widersprüchlichkeit. Kein Wunder, dass Purim sein Lieblingsfest ist. „In Israel finden die religiösen Feste vor allem in der Familie und der Synagoge statt, aber zu Purim treffen sich alle auf der Straße und feiern gemeinsam.“

Längst hat sich nicht nur in der Partyszene von Berlin, Paris und New York herumgesprochen, dass Tel Aviv zu Purim locker so mancher Karnevalshochburg Konkurrenz machen kann. „Tel Aviv schleppt nicht Jahrtausende von Kriegen und religiösen Konflikten mit sich herum wie Jerusalem“, so Chauvet. „Die Menschen hier interessieren sich viel mehr für das Jetzt als für das Jenseits. Das prägt die Kultur und das Feiern.“

Doch nicht nur in Tel Aviv ist zu Purim Feierlaune angesagt. Auch in den Orthodoxenvierteln von Jerusalem, Bnei Brak und Bet Shemesh mischt sich unter das sonst vorherrschende Schwarz-Weiß der Mäntel und Hemden urplötzlich ein wenig Farbe. Dann haben die Kinder einmal im Jahr ihren Auftritt als Prinzessin oder Spiderman – wohl wissend dass der Wehrdienst in der israelischen Armee von vielen Ultraorthodoxen abgelehnt wird. Auch einige Erwachsene tauschen den schwarzen Filzhut oder die Schtreimel genannte Kopfbedeckung aus Pelz gegen bunte Kronen und Narrenkappen.

Mancher Gottesfürchtige lässt es dann krachen und betrinkt sich bis zum Morgengrauen. Rabbis schauen nicht nur zu, viele machen mit. Es heißt, man dürfe in dieser Nacht so viel trinken, bis man nicht mehr unterscheiden kann zwischen dem Ausspruch „Gesegnet sei Mordechai“ und „Verflucht sei Haman“. Der gerissene Regierungsbeamte Haman hat laut dem Buch Esther das Pogrom unter den Juden Persiens geplant. Einmal im Jahr, so scheint es, hat Gott Pause bei der Überwachung seiner Gläubigen. Die Religiösen haben sogar eine triftige Begründung dafür: Weil im Buch Esther der Name Gottes kein einziges Mal erwähnt wird, nimmt er es mit kleinen Sünden zu diesem Fest anscheinend auch nicht so genau.

In Tel Aviv ist es Nacht geworden, und in den großen Clubs tanzt die verkleidete Menschenmenge berauscht. In Jerusalem endet das Fest am frühen Morgen. In Tel Aviv mag es für viele jetzt erst so richtig beginnen. Und selbst wenn die Purim-Maske wieder im Schrank verschwindet, ist die Party noch nicht vorbei. Hier in Israels Feiermetropole drückt Gott anscheinend öfter ein Auge zu – vielleicht sogar bis zum nächsten Purim-Fest.

PARTY, PARTY

Anreise: Austrian fliegt Wien–Tel Aviv.

Feiern: Purim wird heuer vom Abend des 28. Februar bis zum Abend des 1. März gefeiert. In Israel finden in der gesamten Woche Partys und Straßenfeste statt.

Essen/Trinken: Hummus HaCarmel:

Typischer Hummusladen in ehemaliger Synagoge mitten im Carmel-Markt

Bucke: entspanntes Café unweit des Habima-Theaters, beliebter Treffpunkt junger Tel Aviver. Ahad Haam Street 91.

Übernachten: Hotel Cinema: Bauhaus-Gebäude, Zamenhof Street 1, www.atlas.co.il

Hotel Montefiore: Mitten im Zentrum, Boutique-Hotel, exzellentes Restaurant. www.hotelmontefiore.co.il

Infos: Staatliches Israelisches Verkehrsbüro, https://info.goisrael.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2018)

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