Nordirland: Murals, Sechsecke und Zauberwald

Nordirlands Vielfalt zeigt sich in Naturspektakeln wie dem Giant's Causeway an der Nordküste mit etwa 40.000 Basaltsäulen.
Nordirlands Vielfalt zeigt sich in Naturspektakeln wie dem Giant's Causeway an der Nordküste mit etwa 40.000 Basaltsäulen.Imago
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Dem kleinen schönen Land sitzt die Vergangenheit noch in den Knochen.

„Nordirische Fremdenführer sollten schon verständliches Englisch sprechen“, betont Wanderguide Eimear Flanagan, und ich nicke. Wie erschütternd, als Anglistin beim Erstkontakt mit Nordiren kaum ein Wort verstanden zu haben! So sehr in das Gespräch über Sprache vertieft, entgeht mir beinahe der Ausblick, der sich auf unserer Wanderung bietet – dieser atemberaubende Blick über und hinab die Klippen des Giant's Causeway an der nördlichen Küste Nordirlands.

Auch zum Hinterland offenbart sich eine herrlich grüne Idylle, die so typisch für die irische Insel ist: Gemütlich grasen Kühe neben Schafen und Pferden. Hat man den Fußweg gemeistert und verlässt die Einsamkeit hoch droben auf den Klippen, findet man sich unten bei den etwa 60 Millionen Jahre alten eckigen Basaltsäulen plötzlich einer Menschenmasse gegenüber, die einen zurück in die Stille flüchten lassen will.

Zwischenfrage: Sind Sie bereit für Saint Paddy's Day?

Weit weniger überlaufen zeigt sich hingegen Rathlin Island, die vom Ballycastle Harbour aus mit einer kleinen Fähre erreichbar ist. Guide Mark hält es ähnlich wie Eimar und bemüht sich um verständliches irisches Englisch. Schon auf der Fähre weist er auf den Weitblick bis nach Schottland hin. Wer absolute Ruhe sucht, dem ist dort, wo es ein Hotel, einen Shop und eine Kirche für alle Konfessionen gibt, ein längerer Aufenthalt empfohlen. Auf einem Spaziergang kann es einem indes leicht passieren, dass sich Seerobben beim Sonnenbad oder Puffins, die für die Gegend typischen Papageientaucher, zeigen – also „Universum“ live! Autofahrern offenbart sich zudem ein Paradies: Weder Nummerntafel noch „Pickerl“ sind hier nötig.

Frischluftaktivitäten

Kaum setzt man Fuß an Land in Ballycastle, steht eine kurze Fahrt bis knapp vor Ballintoy an, wo die Carrick-a-Rede Rope Bridge 30 Meter über dem Meer schwingt. Nach einem kurzen Fußweg erreicht man die Hängebrücke, die auf die klitzekleine unbewohnte Insel Carrick-a-Rede führt. Zugegeben bietet sich kein allzu außergewöhnlicher Blick von der Insel aufs Festland, aber einen Nervenkitzel ist es doch wert, den kurzen schaukelnden Weg zu wagen.

Ungemein mystisch wird es, besucht man eine von einem rund 300 Jahre alten Buchenbestand gesäumte Allee, genannt The Dark Hedges. Fans der TV-Serie „Game of Thrones“ ist dieses Naturdenkmal Nordirlands sicher bekannt, aber auch als Nichtfan sollte man sich Zeit nehmen, die Allee gemächlich zu durchschreiten und die geheimnisvolle Atmosphäre zu erleben. Dann wird es Zeit, in städtische Gefilde zu reisen. Einen Eindruck von echtem irischen Lebensgefühl erhält man in Belfast in einer viktorianischen Halle auf dem St. George's Market, auf dem man stöbern und alles Mögliche und Unmögliche erstehen kann: süße und pikante Köstlichkeiten, Tee und Bier, Kleidung und Schmuck, Kunst und Krempel; dazu gibt es Livemusik.

Titanic: Made in Belfast

Weiter geht es zum Titanic Belfast Museum. Nach einem allgemeinen Überblick über die Geschichte Belfasts mit Leinenfabriken und Schiffsbau liegt der Fokus natürlich auf dem einst gigantischsten und luxuriösesten Überseeschiff, das in Belfast gebaut wurde: Entstehung, Reise und Untergang der Titanic werden minutiös erläutert. Mittels visueller, auditiver und sogar haptischer Elemente wird dem Besucher die Geschichte des Schiffs nähergebracht. Allerdings wirken all diese Elemente fast etwas übertrieben, wogegen das Schicksal der rund 1500 Menschen, die im April 1912 im Atlantik starben, vernachlässigt erscheint. Spektakulär indes ist der Ausblick aus dem Gebäude aus bodentiefen Glasfenstern hinaus auf die Werft, in der einst die Titanic stand – so ist ihre Dimension vielleicht besser fassbar.

Wer eine andere Art von Vergangenheit erleben will, kann dem Crumlin Road Gaol (engl. „gaol“ für Gefängnis) einen Besuch abstatten. In der ehemaligen Haupthaftanstalt Belfasts aus dem 19. Jahrhundert wurden bis 1996 Gefangene untergebracht, zwischenzeitlich natürlich auch die während des Nordirlandkonflikts Inhaftierten, und sogar Todesurteile vollstreckt. Es ist doch gruselig, durch die Halle im Erdgeschoß mit den Gefängniszellen und den unterirdischen Gang zwischen dem ehemaligen Gerichtsgebäude und dem Gefängnis zu schreiten.

Troubles und Peace Walls

Die ereignisreiche Geschichte (Nord-)Irlands, die von Fremdherrschaft, Missernten, Hungersnöten und der Unterdrückung durch die Kirche geprägt ist, darf auf so einer Reise natürlich nicht vergessen werden. Die außerhalb des Zentrums gelegenen Arbeiterviertel in Belfast sind nach wie vor strikt nach probritischer protestantischer und proirischer katholischer Gesinnung aus der Zeit der „Troubles“, des Nordirlandkonflikts, getrennt. Auf den „Murals“, den flächendeckenden Gemälden auf den Trennmauern („Peace Walls“) zwischen den Vierteln, genauso wie den Einzelbildern in der Innenstadt sind politische und Protestbotschaften angebracht, die auch bildhaft einen Einblick ins Gestern und Heute erlauben. Jene Viertel hingegen, in denen gesellschaftlich etabliertere Menschen leben, sind inzwischen bereits gemischt, und das Zusammenleben erweise sich als mühelos, erzählt Tourguide Billy. Die Frage, wie diesem sozial so tief verwurzelten Problem endgültig beigekommen werden kann, bleibt allerdings weiterhin offen.

Nicht nur in Belfast, auch in Derry/Londonderry, der Stadt, die heute selbst(bewusst) beide Namen verwendet, ist die zeitliche Nähe zu den „Troubles“ noch zu spüren. Im Tower Museum wird die Landesgeschichte anschaulich von der „Ulster Plantation“ bis zum „Good Friday Agreement“ zu Ostern 1998 nachgezeichnet. Ausstellungsstücke wie Uniformen, Waffen und Flyer der über die Jahrzehnte stationierten britischen Armee, der probritischen paramilitärischen nordirischen Organisationen sowie der katholischen IRA lassen den Besucher nachdenklich und mit einem beklemmenden Gefühl zurück. Nach wie vor lebendig erscheint in der letzten rein protestantischen Siedlung in Derry dieser traurige Teil der nordirischen Geschichte: Wie in den protestantischen Siedlungen in Belfast sind die Gehsteige weiß-rot-blau bemalt, britische Fahnen flattern im Wind, und auf einem Schild steht zu lesen: „Still under Siege“ („Noch immer belagert“).

Trotz der aufwühlenden Ereignisse der Vergangenheit: Am Ende einer Reise zeigt sich, dass man nicht allzu weit in die Ferne schweifen muss – und dass das irische Englisch nur eine Frage der Gewohnheit ist.

NORDIRLAND KUNTERBUNT

Away a wee walk: Wanderführerin Eimear Flanagan bietet Wanderungen über denGiant's-Causeway-Klippenweg an: www.awayaweewalk.com/giants-causeway-cliff-path-walk-half-day-tour.

Dalriada Kingdom Tours von Mark Rodgers: Causeway Coast, Glens of Antrim, Rathlin Island: www.dalriadakingdomtours.co.uk.

St. George's Market, Belfast: Fr.: Variety Market, 6–15 Uhr, Sa.: City Food, Craft and Garden Market: 9–15 Uhr, So.: Food, Craft & Market, 10–16 Uhr.

Das 2016 neu konzipierte „Titanic Belfast“-Spektakel rühmt sich als „anziehendste Touristenattraktion“ der Welt, gelegen im Titanic Quarter. Vor Ort ist außerdem die SS Nomadic am Hamilton Dock zu besichtigen, mit der die Passagiere von Cherbourg zur Titanic gebracht wurden: www.titanicbelfast.com.

Abenteuer Übernachtung in winzigen Zimmern in Belfasts Cathedral Quarter: Bullitt Hotel, www.bullitthotel.com.

Lunch in Belfast auf dem Boot: Holohans at the Barge, 1 Lanyon Quay, www.holohansatthebarge.co.uk.

Gefängnistour in Belfast: Crumlin Road Gaol, www.crumlinroadgaol.com.

Speisen in Derry: Walled City Brewery, www.walledcitybrewery.com.

Nächtigen in Derry: Shipquay Hotel, www.shipquayhotel.com.

Tower Museum Derry, Union Hall Place, www.derrystrabane.com/towermuseum.

Bushmills Inn: kulinarisches Highlight nach dem Besuch des Giant's Causeway, nahe der Bushmills Whiskey Distillery, www.bushmillsin.com.

Auszeichnung: Belfast und die Causeway Coast wurden vom Lonely Planet Verlag für 2018 zur Nummer-eins-Reiseregion weltweit ernannt.

Prima Reisen: www.primareisen.com.

Northern Ireland Tourism: www.ireland.com,

www.discovernorthernireland.com.

Compliance: Diese Reise wurde von Prima Reisen unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2018)

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