Schweiz: Gletscher und Palmen schauen durchs Dach

Am höchsten Punkt am Bernina.
Am höchsten Punkt am Bernina.Rhaetische Bahn/Erik Suesskind
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Mit dem famosen Bernina Express fährt der Schweiz-Urlauber quasi oben offen. Von Graubünden ins Tessin.

Ein Bähnle rattert durch die Nacht. Irrtum, Bähnle und Rattern, das war gestern. Die Schweizerischen Bundesbahnen animieren Gäste, die Attraktionen der Schweiz gerade über den Weg der Schiene erkunden. Die Schweiz, die nicht nur als sicher und ordentlich gilt, sondern auch einen gewissen Ruf als Hochpreisland hat, lässt den europäischen Touristenboom nicht an sich vorbeiziehen. Seit manche Destinationen unter politischen Turbulenzen leiden, strömt das Publikum in ruhigere europäische Häfen, und erst die Chinesen!

Wir strömen einmal voran. Das Wichtigste zuerst. Der Schweizer und die Schweizerin sind freundliche Gastgeber. Es gibt sogar leistbare Hotels (zum Beispiel das Romantikhotel Stern in Chur, wo man köstlich kocht, oder das Sport-Hotel Laudinella in St. Moritz), allerdings ganz generell, billig ist in der Schweiz nichts. Mit 150 Euro pro Nacht muss man rechnen. St. Moritz ist kein besonders schöner Ort, aber für Wintersportfans ein Paradies. Es gibt bestens präparierte Pisten für Alpinski- und Schlittenfahrer, ferner Eisbahnen. Ein Beispiel: Man fährt über kilometerlange Langlaufloipen, und wenn man müde ist, kann man den Zug besteigen und wieder zurück in den Ort fahren, der eher ein Städtchen mit vielen luxuriösen Flagship-Stores ist.

Zum Fünf-Uhr-Tee mit dem Zug

Die Schweiz ist so generell nicht ideal für Flachländer, meistens geht's mehr oder minder steil bergauf. Steinböcke kann man von nah fotografieren. Und wer es nach einer Schneewanderung (wetterabhängig, immer den lokalen Führern glauben, sonst wird's gefährlich) ins Panoramarestaurant Muottas Muragl (modern) oder ins Fünf-Sterne-Superior-Grandhotel Kronenhof in Pontresina zum Fünf-Uhr-Tee geschafft hat, der kann ganz verschiedene Arten von Schweizer Gastronomie erkunden.

Der Kronenhof bietet auch vom Publikum her einen Ausflug ins 19. Jahrhundert. Die Schweizer Luxushotels haben es gar nicht so leicht, einige wurden in Luxusappartementanlagen umgewandelt, manche aber warten auf Entwicklung. Der Kronenhof, im Besitz einer griechischen Reederfamilie, wie auch das berühmte Kulm in St. Moritz, sind mehrfach renoviert und tipptopp in Schuss, Spa und Restaurant inklusive. Wer übermütig ist, kann sich hier für 500 bis 1000 Franken eine Nacht lang als Lottomillionär fühlen.

Weniger bekannt ist, dass St. Moritz ein Kurort ist. Paracelsus weilte hier im 16. Jahrhundert, die Bäderkultur reicht sogar bis 1400 vor Christus zurück. „Von den Gletschern zu den Palmen“ hieß diese Reise im heurigen Februar, Gletscher wurden gesichtet, aber auch auf den Palmen im Tessin lag reichlich Schnee. Und in den Bergen, man spürt die dünne Luft, fielen die Temperaturen bis auf minus 25 Grad. Nichts für Weicheier. Auch im Sommer wird es im Engadin selten heiß. Dichter und Denker hielten sich gern hier auf, zum Beispiel Thomas Bernhard oder Hermann Hesse. Im Juni gibt es in Sils Hesse-Tage. Wirklich zu Hause war Hesse aber nicht im Engadin, sondern im Tessin.

Autos waren zuerst verboten

Man fährt mit der Bahn über die Berge in den Süden. Die Schweizer verhielten sich lang misstrauisch gegen das Auto, die Graubündener verboten die stinkenden Ungetüme bis in die 1920er-Jahre.

Auch die Ölkrise in den 1970ern hat wohl dem Verkehrsmittel Gunst zugespielt, die Unzugänglichkeit und das schlechte Wetter in vielen Gegenden – auf jeden Fall lautet das Versprechen der Schweizer Bahn, den Kunden zu jeder Zeit an jeden Ort, sei er auch noch so entlegen, zu bringen, nur wenn keine Bahn geht, fährt ein Bus. Schon Thomas Manns „Zauberberg“ beginnt mit einer wildromantischen Zugfahrt (nach Davos), die Trassen sind an vielen Orten in Graubünden noch genauso idyllisch, zum Beispiel über die Berninalinie mit ihren spektakulären Kreisviadukten, Brücken und Tunneln.

Die Züge der Rhätischen Bahn, vor allem die Panoramazüge, begeistern Fans aus aller Welt. Sie fahren bei Mondschein zum Alp Grüm, einer Zwischenstation auf dem Weg von St. Moritz nach Tirano, wo in einem Steinhaus Käsefondue serviert wird. Wahrscheinlich ist es im Sommer besonders schön hier, aber nur im Winter kommt man auf dem Bernina in den Genuss des Schneepflugs, der, vor die Bahn montiert, den Schnee wegräumt.

Im Geiste Hesses durchs Tessin

Vom Tessin nach Zürich retour führt heute ein Basistunnel, die Bahn braucht nur etwa zwei Stunden – früher musste man über den Gotthard-Pass. Montagnola heißt der Ort oberhalb von Lugano im Tessin, wo Hesse von 1919 bis zu seinem Tod 1962 zu Hause war. Bis heute dienen seine Bücher („Siddhartha“, „Narziss und Goldmund“) als Trost den zarten Seelen in aller Welt. Die Casa Camuzzi, in der Hesse wohnte, ist heute in Privatbesitz, das Hesse-Museum daneben ist hübsch, Hesse hat aber hier nicht residiert, von der Casa Camuzzi zog er in die ebenfalls nicht öffentlich zugängliche Casa Rossa, die ihm ein Mäzen errichtet hatte. Obwohl dieser sie ihm schenken wollte und der Dichter Kinder hatte, nahm er das Anwesen nicht an, sondern bewohnte es nur auf Lebenszeit. Der Spross einer Missionarsfamilie, der als unbotmäßiges Kind gezüchtigt worden war und sich mit Polemiken voll Weltekel wie dem „Steppenwolf“ gegen eine rohe, laute Welt zur Wehr setzte – von der er als Genussmensch doch ein Teil war –, fand Frieden in asiatischen Philosophien, speziell im Buddhismus. Hesse malte auch und werkte in seinem Garten. Regina Bucher, Direktorin des Hesse-Museums, hat das Buch „Mit Hermann Hesse durchs Tessin“ geschrieben.

Grotti und moderne Kunst

Die einstige Bauernlandschaft um Lugano ist heute dichtest besiedelt, es gibt viele Immobilienprojekte weit den Hang hinauf. Aber an ein paar Orten kann man noch etwas vom rebellisch-gemütvollen Geist Hesses atmen (er gleicht darin durchaus Peter Handke, der oft mit ihm verglichen wird): etwa im Continental Park Hotel mit seiner Jugendstilbar und dem Palmengarten, das Teil eines größeren Anwesens mit weiteren Hotels ist; Prinzipal Edgar Fassbind hat dazu vieles zu erzählen.

Sozusagen ein Wirtshaus à la Hesse ist das Restaurant Grotto Circolo Sociale di Montagnola. Grotto ist der Name für Höhlen, die früher als Kühlhäuser gedient haben, heute sind es bodenständige italienische Gaststätten. Man sitzt quasi im Wald im Freien und schmaust Pasta, natürlich nur bei schönem Wetter. Lugano hat zudem ein neues Kulturzentrum direkt am See: L.A.C. steht für Lugano Arte e Cultura, es verfügt über einen Konzertsaal und ein Museum.

Resümee: Wenn die Schweiz es vermeiden kann, ihre Landschaft der Immobilien- und Bankbranche zu überantworten, ist sie ein lohnendes Reiseziel. Und vor allem das Bahnfahren ist ein echtes Erlebnis.

SCHWEIZ-SCHIENE

Route: Mit der Rhätischen Bahn mit dem Bernina Express (Panoramazüge) ab Chur via St. Moritz nach Lugano. Für Reisen in der Schweiz bietet das Swiss Travel System den Swiss Travel Pass, All-in-one-Ticket für Bahn, Bus, Schiff.

Hin und retour: Entweder mit den ÖBB, etwa im Nachtreisezug, oder mit Swiss, www.oebb.at, www.swiss.com.

Übernachten: in Chur im Romantik Hotel Stern, www.stern-chur.ch, in St. Moritz im Hotel Laudinella (3*), www.laudinella.ch, in Lugano im Continental Parkhotel***, www.continentalparkhotel.com

Beratung, Buchung: Schweiz Touris- mus, Tel.: 00800/100 200 30, info@myswitzerland.com, www.MySwitzerland.com.

Compliance: Die Reise wurde von Schweiz Tourismus unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2018)

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