„Winterreise“: Tröstlicher Schubert

William Kentridge
William Kentridge(c) MarcShoul
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William Kentridge zeigt bei den Festwochen seine Version der „Winterreise“ und erzählt, wie ihn diese traurigen Lieder gefangen nahmen.

Assoziativ. Schubert lässt Kentridge an Caspar David Friedrich und südafrikanische Landschaften denken.
Assoziativ. Schubert lässt Kentridge an Caspar David Friedrich und südafrikanische Landschaften denken. (c) Tomorrowland

William Kentridge, 1955 in Johannesburg geboren, zeigt bei den Wiener Festwochen im Museumsquartier seine Performance zu Schuberts „Winterreise“. Der Gesamtkünstler spricht mit dem „Kulturmagazin“ über Popsongs wie den „Lindenbaum“, das Faszinierende an der Melancholie, den himmelweiten Unterschied zwischen deutscher und englischer Romantik und verschiedene Arten des Wanderns.

Wann haben Sie erstmals Schuberts „Winterreise“ gehört?
Mein Vater hörte die Aufnahmen mit Dietrich Fischer-Dieskau. Meine Mutter konnte Lieder nicht leiden. Als sie 50 Jahre alt war, beschloss sie dann, dass sie nun alt genug sei, niemals wieder Lieder hören zu müssen. Meine Erinnerung als Kind an „Die Winterreise“ ist, dass ich fasziniert war von dem Wechsel zwischen den lyrischen und den dramatischen Passagen, wenn der Sänger den Ton hochdrehte und zu schreien begann.

Der erste Eindruck von diesen Liedern ist doch meist: Oh Gott, das ist ja trist und deprimierend.
Die Lieder sind sowohl heiter als auch traurig. Es geht von der Musik ein Trost aus, aber sie bringt auch depressive Stimmungen. Insgesamt, finde ich, überwiegt das Tröstliche.

Ihre Illustrationen zur „Winterreise“, darf man die Animationen oder Cartoons nennen?
Meine Arbeiten sind eine Mischung aus Zooms und Filmmaterial, das ich aufgenommen habe. Ich hörte die Musik und sah die Zooms, die ich schon vor längerer Zeit gemacht hatte – und fand, dass sie einfach großartig zusammenpassen. Ich dachte allerdings: Es ist seltsam, was war denn da in mir, was mich „Die Winterreise“ zeichnen ließ, bevor das Projekt begann?

Vielleicht spricht die Musik das Unterbewusste an?
Vielleicht. Ich arbeite schon seit 20 Jahren an den Zeichnungen, aber ich habe dabei nicht immer an „Die Winterreise“ gedacht, sondern an die Gemälde des Malers Caspar David Friedrich, der zur gleichen Zeit wie Schubert lebte. Die Romantik, die aus Friedrichs Bildern spricht, ist dieselbe wie bei Schubert. Meine Zeichnungen beziehen sich auf die südafrikanische Landschaft, und ich finde, dass die Landschaft, die Wilhelm Müller (Textdichter der „Winterreise“), Schubert und Friedrich „malen“, der südafrikanischen ähnlich ist. Englische Romantik hingegen ist ganz anders.

Inwiefern?
Die englischen Landschaften der Romantik sind grün und warm. Bei Caspar David Friedrich ist alles desolat, grau, man sieht keine keine schönen, sondern tote Bäume. Auch die Landschaft außerhalb von Johannesburg wirkt trocken und verlassen. Ich weiß zwar nicht, warum das so ist, aber Friedrichs Landschaften sind mir näher als die üppigen englischen oder französischen.

Was denkt man in Südafrika über deutsche Romantik?
Allgemein ist das schwer zu beantworten. Schubert-Musik wird auf der ganzen Welt verstanden. Wahrscheinlich gibt es Leute, die die Musik kennen, obwohl sie nicht wissen, dass das Schubert ist.

Wie bei Popsongs.
„Der Lindenbaum“ ist, wie ich finde, absolut ein Popsong der Klassik. Es ist ein Glück, wenn man in einem Land wie Südafrika lebt, wo Schubert nicht so bekannt ist wie in Europa, wo man mit einer Fülle von Aufführungen, Traditionen, Interpretationen zu tun hat. Das Wichtigste ist, dass man eine Affinität zu dieser Musik findet und empfindet, dass sie mit etwas in einem selbst verbunden ist. Es gibt ja dieses Phänomen, dass man etwas hört oder sieht, was man nicht einmal ganz verstehen muss, was einem aber bekannt vorkommt. Ein Punkt, der mir auffällt, ist, dass „Die Winterreise“ mit dem Wandern zu tun hat, auch der Rhythmus. Wenn man die Lieder hört, antwortet der Körper darauf, du gehst auf eine Reise. In den 1820er-Jahren war das Gehen die wichtigste Form der Fortbewegung, für die Mehrheit der Menschen ist das heute noch so. „Die Winterreise“ ist also kein fernes Echo von dem, was Leute einst erlebten, sondern in gewisser Hinsicht sehr real.

Wandern Sie gern?
Ich wandere sehr viel und sehr gern in meinem Studio herum. Wandern als Sport kann ich dafür nicht so sehr leiden. Aber an den Zusammenhang von Wandern und Denken glaube ich.

Wie die griechischen Peripatetiker.
Ich kenne das Wort. Das Gehen ist jedenfalls ganz wichtig für mich. Aber es ist etwas anderes als Marschieren, manchmal mache ich so eine richtige lange Wanderung, aber die finde ich nicht so geeignet fürs Denken.

Sie kommen aus einer jüdischen Familie von Anwälten, die Schwarze in Apartheidprozessen verteidigten. Sie haben viele Projekte in Europa, waren auch öfter in Wien. 2010 hat Ihnen die Albertina eine Retrospektive gewidmet. Haben Sie keine negativen Gefühle gegenüber deutschsprachigen Ländern wegen des Krieges und der Zeit des Nationalsozialismus?
Ich habe Mozarts „Zauberflöte“ und „Woyzeck“ inszeniert. Ich arbeite an Alban Bergs „Lulu“ in Amsterdam. Ich habe eine enge und spannungsreiche Beziehung zur deutschsprachigen Kultur, die dadurch geschärft wird, dass ich Jude bin. Ich interessiere mich auch für andere Kulturen, italienische, französische, afrikanische. Aber wenn ich zurückschaue, ist es sicher so, dass ich einen starken Fokus, vielleicht sogar eine Fixierung auf deutsche Kultur habe. Das beschäftigt mich immer wieder, es hat wohl damit zu tun, dass viel deutsche Kultur jüdische Kultur gewesen ist.

Wie finden Sie Wien?
Eine wunderschöne Stadt! Ich liebe es, als Besucher herumzuspazieren. Was ich frappierend finde: Wien wurde als Hauptstadt eines gewaltigen Reichs errichtet, dann nahm jemand das Reich weg. Und jetzt sind alle Gebäude überdimensioniert. Die Architektur zeigt die Geschichte dieser Stadt.

Fühlen Sie sich als Gesamtkünstler? Wie Leonardo da Vinci?
Keiner kann sich mit Leonardo da Vinci vergleichen. Aber was die heutige Welt ausmacht, ist, dass man mit allen Medien arbeiten kann. Zeichnung kann auf einem Blatt Papier passieren oder auf einer Projektionsleinwand, auf einer Theaterbühne, per Computer. Aus der Zeichnung entsteht eine Welt. Das Medium der Zeichnung ist enorm expandiert.

Was machen Sie, wenn Sie nicht arbeiten?
Wenn ich nicht in meinem Studio bin, gehe ich an den Strand, schaue mir im Fernsehen Sport an oder lese. Wie Sie sehen, mache ich also nichts, was ungewöhnlich wäre.

Tipp

Franz Schubert, William Kentridge „Winterreise“ mit Bariton Matthias Goerne und Festwochen-Intendant Markus Hinterhäuser am Klavier 9./12./14. 6.; „In Praise of Shadows“ und „A Brief History of Colonial Revolts“, ­ (11. Juni) Salongespräch am 7. Juni, 11 Uhr
www.festwochen.at

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