Vom Es zum It und dem gewissen Etwas

Susanne Widl, Nicolaus Schafhausen und Hanna Putz (v. l.) ließen sich vom „Schaufenster“ zum Gespräch über das „It“ bitten.
Susanne Widl, Nicolaus Schafhausen und Hanna Putz (v. l.) ließen sich vom „Schaufenster“ zum Gespräch über das „It“ bitten.(c) Katharina Roßboth
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Was haben It-Girls mit It-Bags zu tun, und was bringt das „It-Sein“ in einer Ökonomie der Aufmerksamkeit? Ein „Schaufenster“-Salongespräch.

Die neue Saison beginnt, und bald werden wohl wieder diverse It-Bags die Luxusboutiquen besiedeln. Parallel dazu tummeln sich It-Girls auf den roten Teppichen von Ausstellungseröffnungen, Theater- oder Filmpremieren und anderen atemberaubend glamourösen Events: Die weiche Währung einer Ökonomie der Aufmerksamkeit rollt parallel zu jener, die in die Kassen der Luxusmarken fließt. Wofür steht aber der Adelspartikel des „It“, geht damit die Aufhebung der Person im Sinne einer Neutralisierung einher? Hanna Putz, Fotografin und ehemaliges Model, Susanne Widl, Besitzerin des Café Korb und seit Kurzem Ehrenzeichen-Besitzerin, und Nicolaus Schafhausen, Direktor der Kunsthalle Wien, folgten der Einladung zum „Schaufenster“-Salongespräch.

Frau Widl, Sie sind seit den Sechzigern in der Wiener Szene eine Ausnahmeerscheinung. Waren Sie aber je ein It-Girl?


Susanne Widl: Den Begriff hat es damals ja noch gar nicht gegeben. Ich habe Performances gemacht, Theater gespielt, war Model und bin mit 20 ausgewandert nach New York, weil ich Wien so trist fand und, wie übrigens alle Künstler, von hier wegwollte. Dann bin ich als Erste mit dem wirklich kurzen Minirock, wie man ihn in Amerika getragen hat, hier aufgetaucht, war als Erste in Wien mit einem Frack auf dem Opernball. Aber nein, ich war kein It-Girl, ich würde sagen, ich war einfach Teil der Avantgarde.


Wenn man heute erfolgreich als Model arbeitet, muss man sich mitunter dagegen wehren, zum It-Girl stilisiert und zum Aufputz glamouröser Veranstaltungen gemacht zu werden?


Hanna Putz: Das für mich Spannende an dem Thema ist ja, dass der Begriff als solcher, oder auch die Daseinsform, die viele damit vielleicht verbinden, extrem zwiespältig ist. Das reicht von einer positiv konnotierten Kultur des Einladens und Feierns und Menschen-Treffens bis hin zum sinnentleerten Aufputz. Für mich hat diese It-Girl-Kultur viel mit einer gewissen Leichtigkeit des Seins zu tun und eben damit, dass es da jemanden gibt, der weder etwas produzieren noch sonst etwas tun muss, sondern der einfach ist – und ein gewisses Charisma hat. In den letzten Tagen habe ich mit vielen Frauen in meinem Umfeld gesprochen und finde es erstaunlich, wie weit die Assoziationen auseinandergehen. Manche gerieten geradezu ins Schwärmen.


Widl: Ich finde da überhaupt nichts Positives dran, sondern ich sehe darin eine Ausgeburt der heutigen Zeit mit ihrer weitverbreiteten Castingshow-Mentalität. Von den Errungenschaften des Feminismus in den Siebzigerjahren ist da nicht mehr viel übrig, wenn Frauen als „It-Girls“ bezeichnet werden. Wenn das im ursprünglichen Sinn verstanden wird, und anscheinend geht der Begriff ja auf die Stummfilmzeit und damals die Schauspielerin Clara Bow zurück, ist das vielleicht etwas anderes. Aber es würde doch keinem in den Sinn kommen, zum Beispiel eine Meryl Streep als It-Girl zu bezeichnen. Umgekehrt ist wieder sogar Natascha Kampusch irgendwann einmal als It-Girl bezeichnet worden – was soll denn das heißen? Bei einem Schicksal wie dem ihren kann es ja nicht um Vorbildwirkung und etwas Nachahmenswertes gehen.


Wie ist das in der Kunstwelt, wo gibt es da die It-Girls? Eine erfolgreiche Künstlerin, die durch ihre Arbeit mit Inhalt aufgeladen ist, wird wohl eher nicht so tituliert werden?


Nicolaus Schafhausen: Ich möchte vorausschicken, dass für mich der Begriff nicht per se negativ besetzt ist. Was die Kunstszene betrifft, so gibt es ja überhaupt sehr wenige Frauen, die über lange Zeit erfolgreich und sichtbar sind. Auch Isa Genzken hat etwa ihre Karriere als Model begonnen, hat sich selbst natürlich nie als leere Hülle gesehen und wurde aber oft wegen dieser Model-Tätigkeit angefeindet. Und es gab ihre Lebensgefährten, die lange Zeit bekannter waren als sie und sie überschatteten. Ein It-Girl zu sein, das bedeutet immer auch eine Instrumentalisierung durch andere, nicht zuletzt die Medien oder eine Marketingmaschinerie. Ein It-Girl im negativen Sinn ist eine Frau, die völlig dekontextualisiert und sogar entsexualisiert wird und die dann unter Umständen Leute wie Herr Lugner für einen Opernballbesuch einkaufen.


Putz: Dieses „It“ hat für mich aber auch mit dem Moment zu tun; mit allem, das gerade passiert.
Widl: Natürlich mit dem Moment, und darum mit der Mode. Als ich jung war, hat mir eine Freundin gesagt: Pass auf, was du haben musst, ist eine Hermès-Tasche. Die hat damals schon ein paar tausend Schilling gekostet, aber das musste ihrer Meinung nach sein.


Da haben wir sie auch schon, die It-Bag . . . Davon spricht auch Georg Franck in seinem Buch „Ökonomie der Aufmerksamkeit“, wenn er sagt, dass durch den Neuigkeitswert der modischen Kleidung der persönliche Attraktivitätswert gesteigert werden soll. Macht mich die It-Bag zur It-Person?


Schafhausen: Natürlich funktioniert das so, da geht es um Zugehörigkeiten und Begehren.


Widl: Eine ähnliche Rolle spielt heutzutage auch die Kunst: Ich kaufe mir diesen oder jenen Künstler, also gehöre ich dazu.


Putz: Aufmerksamkeit erregen, das ist die eine Sache, aber sie dauerhaft aufrechterhalten, das ist etwas ganz anderes. Und wenn es eben gerade bei diesem „It“-Faktor meinetwegen auch um ein bestimmtes Alter geht, dann ist die Frage, was bringt so ein It-Girl mit, damit es, oder sie, das auch bleiben kann?


Widl: Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass das lebenslange Arbeit bedeutet. Ich spreche immer von meinem LAW, im Sinne von „Leben, Arbeit, Wissen“. Trotzdem bin ich kein It-Girl, und auch keine It-Woman, weil es das ja auch gar nicht gibt. Das ist ja ein Widerspruch in sich.


Schafhausen: Für mich das perfekte It-Girl, und ich konnte sie leider vor diesem Gespräch nicht mehr erreichen, um sie zu fragen, wie sie dazu steht, ist eine gute Freundin von mir, Helene Hegemann. Und sie wurde dazu gemacht, von einem chauvinistischen Medienbetrieb, völlig ausgehebelt. It-Girl hat zu tun mit Projektionsfläche, mit Imagination.


Wo sind denn die Menschen mit dem zu beneidenden Image heute am ehesten zu Hause – in der Kunstwelt?


Putz: Ich denke schon, dass den jungen Künstlerinnen und Künstlern heute sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, wobei im Normalfall dieser „It“-Zusatz da weggelassen wird, weil die Kunst ja sehr viele Inhalte produziert. Und das scheint bei den „It-People“ nicht mitzuschwingen. In meiner Generation beobachte ich stark den Wunsch, künstlerisch zu arbeiten, sich kreativ zu verwirklichen. In dem Sinne ist der Künstler heute definitiv „It“. Wobei, ehrlich gesagt, wenn man zu gut aussieht und auch noch jung ist, dann kann einem das schon auch im Weg stehen. Weil man Gefahr läuft, als „It-Girl“ wahrgenommen zu werden und eben nicht durch die Qualität der eigenen Arbeit.


Widl: Das Wesentliche ist doch, dass man sich gerade als Künstler laufend ändert, dass neue Gedanken, ein neues Weltbild einen bestimmen. Meine liebe Freundin, die junge Künstlerin Zenita Komad, habe ich kennengelernt, da war sie 17, heute ist sie 34. Von ihr wurde auch oft gesagt, sie sei ein „It-Girl“ der Kunstszene, dabei passt das überhaupt nicht zu ihr. Aber sie war eben jung.


Schafhausen: Das gute Aussehen ist definitiv einer der ausschlaggebenden Faktoren für das „It“-Sein, darum bin ich übrigens auch der Überzeugung, dass es genauso „It-Boys“ gibt, selbst wenn man das viel seltener hört. Ein intelligenter Mensch, vor allem in jungen Jahren, will in ein bestimmtes System hinein und nutzt alle Mittel aus, die ihm zur Verfügung stehen. Warum auch nicht? Und in dem Sinne finde ich die bewusste Selbstinszenierung als „It-Girl“ oder „It-Boy“ legitim und interessant, bloß die Instrumentalisierung durch andere ist natürlich problematisch. Nicht einmal Paris Hilton ist nur eine leere Hülle, weil sie sich perfekt vermarktet hat.


In der Kunsthalle hat es heuer eine Veranstaltungsreihe zur „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ gegeben. War da der Hintergedanke, zu thematisieren, dass es auch im Kunstbetrieb nicht ausreicht, die Qualität der Arbeit für sich sprechen zu lassen, sondern dass man eben um Aufmerksamkeit heischen muss?


Schafhausen: Eine Frage, der ich seit Jahren nachgehe, ist, wie Künstler mit Öffentlichkeit umgehen, was auch überhaupt keine Frage des Alters ist. Manche verfolgen die Strategie, sich komplett zu verschließen, und sind aber trotzdem oder eben gerade darum sehr interessant. Aber was heißt es überhaupt, Aufmerksamkeit zu schaffen? Wie schafft man es, in einer Hierarchie nach oben zu kommen? Die meisten werden in das, was sie tun, ja nicht hineingeboren.


Putz: Aber gibt es nicht eben auch Künstler, die sich ganz bewusst herausnehmen aus allem? Andere wieder haben einfach ein Problem damit, unter die Menschen zu gehen, und ziehen es vor, ausschließlich ihre Arbeit für sich sprechen zu lassen.


Widl: Traurig ist nur, dass es unzählige, unheimlich talentierte Künstler gibt, deren Arbeit keiner kennt, weil sie sich nicht zeigen wollen oder können. Denen kann man lange sagen: Du musst hinaus, du musst in die Welt gehen – oder dir heutzutage zumindest eine Facebook-Page zulegen, damit man auf dich aufmerksam wird. Da spreche ich auch für mich selbst, ich will ja Aufmerksamkeit erregen, für mich selbst, aber auch für mein Café und für die Veranstaltungen, die ich hier mache.


Putz: Sobald man in die Welt der sozialen Medien einsteigt, taucht quasi eine Internet-Persona auf, und das Leben beginnt sich im Internet zu verselbstständigen. Was die künstlerische Arbeit betrifft, ist bei den meisten jungen Künstlern sozusagen in Echtzeit der gesamte Body-of-Work sichtbar. Da gibt es also auch keine Werkphase, die man im Nachhinein so einfach wieder verschweigen kann. Dabei ist es nicht immer günstig, wenn man jeden künstlerischen Werdegang von der ersten Arbeit an verfolgen kann. In dem Sinne vermisse ich oft eine gewisse Vorsicht im Umgang mit verfügbarer Aufmerksamkeit.


Ist es aber nicht auch ein Lernprozess, eben dieses Verzichten auf potenzielle Aufmerksamkeit? Schließlich konstruieren ja manche auch eine eigene Kunstfigur, stilisieren ihr Leben im Internet zu etwas, das es gar nicht ist?


Widl: Ich finde es jedenfalls furchtbar, wenn jemand das noch so Belangloseste herzeigt, das er tut. Das nimmt ja zum Teil kein Ende, jedes Urlaubsfoto, jeder Teller voll mit Essen, der auf den Tisch kommt. Das will ich ja alles nur mehr wegklicken, weil es mir einfach zu viel wird.
Schafhausen: Aber das Spiel mit der Aufmerksamkeit ist schon etwas Spannendes. Natürlich betrifft das auch mich als Ausstellungsmacher. Und selbst wenn nie feststeht, wie erfolgreich eine Ausstellung konkret werden wird, jenseits des Medieninteresses, sondern eben bei den Besuchern, kann man gewisse Sachen erahnen – oder auch steuern. Wenn ich zum Beispiel ein It-Girl wie Paris Hilton einladen würde, damit sie bei einer Eröffnung spricht und sich dort zeigt, hätte ich sofort eine gewaltige Resonanz in den Medien, und zwar in ganz bestimmten Medien, die sich sonst nicht mit der Ausstellung auseinandersetzen würden. 


Putz: Aber wen holt man sich im Normalfall, wenn man so eine Aufmerksamkeitssteigerung will: den Promi oder das It-Girl? Und was erhofft man sich eben von dem einen oder der anderen?


Was macht das „It“ aber nun wirklich aus, was ist das bestimmte Etwas, um das es da geht – die Franzosen sprechen ja von einem „Je ne sais quoi“. Ist es das Undefinierbare, die Aura, das Mitgegebene, ein Naturtalent?


Putz: Es ist ja zum Beispiel belegt, dass es für Anerkennung und Aufmerksamkeit nicht in erster Linie darum geht, was jemand in einer Podiumsdiskussion sagt, sondern dass das Wie ausschlaggebend ist. Und dieses Wie ist eben das Charisma, von dem ich vorher gesprochen habe, und somit eigentlich etwas, das man hat und nicht erlernen muss. Nicht nur inhaltlich spannend zu sein, sondern Spannung und Aufmerksamkeit automatisch auf sich zu ziehen, darin liegt die Kunst.
Andererseits setzt auf die Erlernbarkeit des „It“ eine ganze Coachingindustrie, die es quasi mitliefern will.
Schafhausen: Ja, aber all das, oder auch Techniken wie das Neurolinguistische Programmieren, funktionieren nur bis zu einem bestimmten Punkt. Wenn jemand das gewisse Etwas eben nicht hat, dann wirkt das hölzern und bringt nichts. 


Und wie schaut es überhaupt in Wien aus: Gibt es ein It-Girl in der Stadt, oder einen It-Boy? Oder, anders gefragt, wer sind die A-List-Celebrities?


Schafhausen: Komisch ist ja, dass zeitgenössische Kunst in Österreich viel weniger Aufmerksamkeit bekommt als in den USA oder England oder auch Deutschland. Ich glaube, aus der Kunstwelt ist es niemand.


Widl: Das ist schwierig, vielleicht jemand aus dem Sport. Oder doch jemand wie Erwin Wurm, er hat es doch geschafft, zu einer der prominentesten Personen in der Stadt zu werden. Er zeigt sich ja auch sehr viel in der Öffentlichkeit, das gehört auch dazu. Aber für mich ist natürlich Hanna Putz ein It-Girl.


Putz: Das möchte ich bitte lieber nicht sein. Denn It-Girl-Sein heißt für viele in erster Linie, nichts zu tun und nichts zu produzieren, und dann treten unweigerlich sofort die Neider auf den Plan. Denn das ist doch auch etwas, nach dem sich die Menschen, noch dazu in unserer schnellen Zeit, einfach sehnen: Nichtstun, Faulheit, Muße.


Widl: Das Besondere an Wien ist auf jeden Fall, und das trifft auf It-Girls und Prominente genauso zu, dass man immer ein bisschen ins negative Eck gestellt wird. Die Melancholie, die Depression, der Zentralfriedhof, das verfolgt einen hier auf Schritt und Tritt.


In dem Sinn wäre Wien dann kein Handelszentrum in der Ökonomie der Aufmerksamkeit . . .


Widl: Das ist doch auch so. Vielleicht nicht mehr so arg wie früher, als ich hier aufgewachsen bin, aber gewisse Sachen bleiben hängen. Aber manchmal ist es sowieso am besten, die Aufmerksamkeitsmaschine abzustellen. Ich war zum Beispiel gerade drei Wochen auf einer Kur in Deutschland, die allein zum Abschalten da ist – zum Schlafen, zum Erholen, fast ohne Internet. Da kann man sich gar nicht vorstellen, wie erholsam das ist.


Gibt es das etwa im Kunstbetrieb heute noch, die Aufmerksamkeit auf das reine Schaffen, den kompletten Rückzug, das reine Künstlersein?


Schafhausen: Zum Produzieren von Kunst gehört auch die Produktion eines Bildes von Öffentlichkeit, seit der Moderne ist der versponnene Einzelgänger-Künstler Geschichte. Wichtig ist dabei auch die Nivellierung des Exzentrischen, das werden Sie auch wissen, Frau Widl. Auch Peter Weibel wäre nicht Peter Weibel, wäre er nicht Peter Weibel (Der Künstler ist der Lebensgefährte von Susanne Widl, Anm. d. Red.). Ähnlich verhält es sich mit einem It-Girl, die muss das auch sein wollen.
Widl: Bis zu einem bestimmten Alter wenigstens, dann ist man nämlich nicht mehr „It“, dann ist man „out“.


Schafhausen: Beziehungsweise „She“ oder „He“ – man wird sozusagen geschlechtlich.


Putz: So oder so ist wichtig, dass sich jemand nicht sein Leben lang ausschließlich damit auseinandersetzt, was „It“ ist. Sonst wird er nämlich wirklich noch zum „Es“.  s

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