Theater im Schaufenster: Die totale Ausleuchtung

(C) Pichler
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Veronika Glatzners Projekt „On Display“ thematisiert den Zwang und Drang, sich auszustellen.

Unscheinbar ist das Schaufenster, vor dem Veronika Glatzner steht. An der Scheibe prangt das Schild „zu verkaufen“, dahinter weisen Farbkübel und eine Leiter auf einen bevorstehenden Umbau hin. Noch sind Raum und Auslage leer und ein wenig heruntergekommen. Dass die Schauspielerin bei ihrem Interviewtermin mit dem „Schaufenster“ hierher geführt hat, hat freilich einen Grund: In dem ersten Theaterprojekt, das sie selbst konzipierte und bei dem sie die künstlerische Leitung inne hat, sollen diese und vier weitere Auslagen in Hernals bespielt werden. „On Display“ wird dort fünf Schauspieler im wörtlichen Sinn ausstellen, um mit Monologen von fünf Autoren auf das Thema Transparenzgesellschaft anzuspielen.

Transparenz beschäftigt sie schon länger, erzählt Glatzner. Kennt sie, die sich stets auf der Bühne zeigen muss, berufsbedingt den gesellschaftlichen Druck der Selbstdarstellung und Repräsentation nur zu gut. Doch zu hohl und allumfassend war ihr der Begriff, bis sie vor einem Jahr an einem kulturkritischen Essay Feuer fing: In „Transparenzgesellschaft“ schreibt der Philosoph Byung-Chul Han, dass, bei aller Forderung nach mehr politischer Transparenz, die Transparenz von Individuen negative Effekte bringe. Die totale Ausleuchtung beute das Selbst aus und führe zu zwanghafter Kontrolle und Selbstoptimierung, so die Kurzfassung. Für Glatzner war diese Lektüre der ausschlaggebende Anlass, intensiv über aktuelle Formen der Identitätskonstruktion nachzudenken: „Letztens hab ich mir gedacht, dass man es auf die Formel bringen könnte: Ich zeige mich, also bin ich. Nur wenn ich mich auf diversen Plattformen präsentiere, ein Selfie von mir und meiner Umgebung mache, bin ich existent.“ Gerade digitale Kommunikation in sozialen Netzwerken ist unweigerlich mit Transparenz verbunden. Wenn man aber alles bebildere und dabei nur schöne Oberflächen zeige, um möglichst viele „Likes“ und „Favorites“ zu erhalten, so Glatzner, „gibt es keinen Mut mehr zur Lücke, zu Zusammenhängen, die wir selbst herstellen müssen“. War vor einigen Jahren Überwachung noch ein Streitthema, werde heute freiwillig alles gezeigt. Dabei hätten gerade die Dinge, die versteckt bleiben, einen besonderen Wert, weil diese Lücke zum Nachdenken anregen und für Tiefe sorgen würde, sagt Glatzner und zitiert Peter Handke: „Von dem, was die anderen nicht von mir wissen, lebe ich.“

Doch kann man heute existieren, wenn man sich nicht zeigt? Ob die Schauspielerin dann beruflich überleben würde, weiß sie nicht so genau, sie ist auf Eigenwerbung angewiesen. Die Entwicklung hin zur Transparenz ist doppelbödig, bringt Gutes und Schlechtes. Für das Projekt hat sie verschiedene Künstler zur Zusammenarbeit bewegt und fünf Autoren frei über die Frage schreiben lassen, was die Transparenzgesellschaft mit uns macht.

Unterschiedlich sind die bezogenen Stellungen: Einen konsumkritischen, politischen, philosophischen, auch einen Monolog über psychische Folgen soll es geben. Glatzner wird den Monolog von Ferdinand Schmalz spielen, der von deutschsprachigen Theaterkritikern zum Nachwuchsautor dieses Jahres gewählt wurde. Darin mimt sie eine Schaufensterpuppe in dem Moment, als dieser bewusst wird, dass sie ausgestellt ist: „Sie will aus der Exponiertheit auszubrechen, weil sie den anonymen Blick von außen nicht mehr aushält.“ Weitere Texte stammen von David Frühauf, Gregor Guth, Dominic Oley und Gerhild Steinbuch.

Nicht nur im virtuellen Raum, ebenso im urbanen Leben beobachtet „On Display“ Veränderungen hin zur Transparenzgesellschaft: zunehmend verglaste Cafés, Büros oder Fitnesscenter leuchten das soziale Verhalten aus. Bevor Glatzner durch ein Studium am Konservatorium zum Schauspiel kam hatte sie Soziologie studiert. Aus dieser Zeit bleibt die Stadtsoziologie ein Thema, das sie noch beschäftigt. Sie sieht Veränderungen im städtischen Raum auch durch Globalisierung verursacht: Kleinbetriebe sperren zu, es entsteht Leerstand. Darum wird ein Ziel des Projekts in Hernals auch die kulturelle Belebung des Grätzels sein: „Mein Fußweg hat mich oft durch diesen Stadtteil geführt, und mir ist aufgefallen, dass dieser überhaupt nicht hippe Teil von Wien soziologisch sehr vielseitig ist. Was mich besonders interessiert hat: Hier gibt es viele Leerstände.“ Zumindest einer soll im Rahmen von „On Display“ bespielt werden.

Zuseher werden von einem Schaufenster zum nächsten wandern und die kurzen Stücke in beliebiger Reihenfolge ansehen können, denn die Schauspieler bringen ihre Monologe im oder nahe beim Schaufenster, mit der Straße als Bühnenbild, im Loop gleich fünfmal hintereinander. Diese Inszenierung kommt nicht von ungefähr. Es stört Glatzner sehr, wie wir unsere Warenförmigkeit verstärken müssen, um am Arbeitsmarkt zu bestehen: „Deshalb wollte ich, dass die Schauspieler sich wie Exponate präsentieren. Form und Inhalt des Projekts decken sich: die realen Schaufenster und die imaginären, die wir selbst von uns schaffen.“

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