„Haben“: Mörderische Frauen

(c) Christine Ebenthal
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„Haben“, ein Land-Krimi im Volkstheater: Regisseur Róbert Alföldi, Erni Mangold und Andrea Bröderbauer über ihre Erfahrungen auf dem Dorf.

Zehn Männer müssen dran glauben. Und: Der Julius Hay war Kommunist“. Nie um einen markigen Ausspruch verlegen: Erni Mangold spielt ab sofort im Volkstheater die mächtige Hebamme Frau Képes in Julius Hays „Haben“, einem brachial gesellschaftskritischen Dorf-Krimi aus den 1930er-Jahren, der mit heutigen augenzwinkernden TV-Satiren à la „Braunschlag“ oder „Vier Frauen und ein Todesfall“ wenig zu tun hat. In einem Dorf sterben Männer. Es geht um Zeitgeschichte, um Feudalismus und einen unbarmherzigen Überlebenskampf. Im Interview mit den Mitwirkenden der Aufführung im Volkstheater stellt sich heraus, dass sie alle unterschiedliche Erfahrungen mit und pointierte Ansichten zum Landleben haben.

Frau Mangold, Sie haben ein Haus im Waldviertel. Hat Ihr Dorf etwas gemeinsam mit jenem in Julius Hays „Haben“?
Erni Mangold: Nein. Mich erinnert das Stück an Karl Schönherr. Ich finde es sehr heutig. Es zeigt die Macht, die man über Menschen hat, wenn man ihnen zu Reichtum verhilft, wie die Hebamme, Frau Képes, die ich spiele. Die Frauen in „Haben“ haben gar nichts, und ihre jungen Freunde haben auch nichts. Frau Képes vermittelt den Mädchen alte Männer, die reich sind, und gibt ihnen Arsen. Das geben sie den Männern langsam, und irgendwann sterben sie. Wer will schon mit einem alten Kracher sein Leben verbringen? Mein Dorf im Waldviertel ist anders, ich mag die Menschen, sie lassen mich in Ruhe, und sie jammern nicht, obwohl die meisten zwei Berufe haben, weil ein Einkommen nicht reicht. Eine gewisse Hilfe ist die Biowelle, aber reich wird man davon auch nicht. Es gibt schon einen Abbau, die Tankstelle ist weg, das Lagerhaus. Die jungen Leute müssen in die Stadt ziehen, weil sie auf dem Land nichts verdienen. Ich habe noch eine kleine Wohnung in Wien, aber ich bleibe nur mehr selten hier, wenn ich lange Proben bis abends habe. Ich fahre eigentlich immer hinaus, die Stadt ist mir zu hektisch.

(c) Christine Ebenthal


Haben Sie markante Dorfgeschichten erlebt?
Mangold: Wir hatten früher ein Haus am Irrsee. Es gab da einen Bauern, der sehr reich war, er hat eine Kellnerin aus Bad Aussee geheiratet, eine entzückende Frau. Seine Mutter hat dem Bauern den Haushalt geführt, das war eine sehr böse Frau, sie hat das junge Mädchen nicht herangelassen. Die junge Frau hat versucht, sich im See zu ertränken, sie wurde gerettet, aber dauernd verspottet, unter anderem wegen ihres Huts. Der Bauer hat dann ein Hotel gebaut, und am Tag, als das Hotel eingesegnet werden sollte, hat sich die junge Frau im Dach aufgehängt. Sie hat drei kleine Kinder hinterlassen.

Als Nächstes spielen Sie den Puck im „Sommernachtstraum“ im Volkstheater. Ist das das erste Mal?
Mangold: Nein. Ich habe den Puck auf der Rosenburg gespielt. Ich habe eine besonders Beziehung zum „Sommernachtstraum“. Ich habe 20 Jahre am Reinhardt-Seminar unterrichtet, und da haben wir das Stück im Garten in Schönbrunn gemacht, und zwar nur mit den Liebespaaren. Puck ist ein Erdgeist, ein Zwerg, vielleicht ein Troll und nach Shakespeare angeblich 200 Jahre alt. Ich glaube, diese Geschichte vom „Sommernachtstraum“, die wiederholt sich immer und immer wieder und immer wieder entstehen neue Spiele.

Sie sind 88 Jahre alt und so fit. Wie geht das?
Mangold: Die Gene spielen eine Rolle, aber nicht die wichtigste. Ich mache Krafttraining, ich bin sehr beweglich. Ich sitze nie. Aber jetzt nach dem „Haben“ und dem Puck werde ich ein bisschen Ruhe geben, ich habe mir zu viel angetan, aber ich spiele so gern.


Herr Alföldi, das ungarische Dorf hat im Kontrast zu „Haben“ hierzulande eine Art Operetten-Image. Wie ist die Realität?
Róbert Alföldi: Ich bin in so einem Dorf, wie es in „Haben“ geschildert wird, aufgewachsen. Leider muss ich sagen, dass sich, seit Julius Hay das Stück geschrieben hat, also vor etwa 80 Jahren, kaum etwas geändert hat. Es gibt dieselben Wünsche, dieselbe Trostlosigkeit, dieselben sozialen Schichten. Was man im Dorf für Glück hält, wie es mit der Solidarität steht, wer wem hilft oder nicht, darin spiegelt sich das Bild der gesamten Gesellschaft wider, das Drama passt auch zu den Menschen in der Stadt.


Die ungarische Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán wird viel kritisiert wegen ihres autokratischen Stils. Was sagen Sie dazu?
Alföldi: Das Land geht, gelinde gesagt, einen falschen Weg. Es hat eine Regierung, in der nichts zählt, einzig und allein die Loyalität gegenüber der Regierung. Wer anders denkt, wird als Hochverräter beschimpft. Die Kluft zwischen Dorf und Großstadt ist größer geworden. Die Schönheit des Lebens auf dem Land ist entschwunden, die Menschen haben sich eingeschlossen in ihren Dörfern. Als ich ein Bub war, hatten wir Hühner und Gänse. Wir hatten nicht nur etwas zu essen, sondern wir mussten uns auch um die kleinen Tiere kümmern, die geboren wurden, sie füttern, versorgen. Das war ein Programm für die ganze Familie. Heute geht meine Mutter in den Supermarkt und kauft Hühnerteile. Lieber fährt man 15 Kilometer mit dem Auto, als die Tiere daheim aufzuziehen. Die Menschen sehen fern, sie treffen sich nicht mehr mit anderen, sie wissen schon alles, sie brauchen nicht mehr miteinander zu reden.

(c) Christine Ebenthal


Was müsste passieren, damit sich etwas ändert? Revolution?
Alföldi
: Nein. Die Regierung und die Gesellschaft müssten sich mit der jüngsten Vergangenheit auseinandersetzen, mit den vergangenen 60 bis 80 Jahren, Faschismus und Kommunismus. Weil das nicht passiert, schieben wir die Schuld immer anderen in die Schuhe. Die meisten Menschen haben Angst vor der Regierung Orbán, daher kommen viele Mechanismen der Sowjetzeit wieder, das waren immerhin 40 Jahre. Es wird nur besser werden, wenn alles zusammenstürzt, und dann müssen wir neu anfangen. Wirtschaftlich sind wir derzeit am Rand des Zusammenbruchs. Es gibt inzwischen drei bis dreieinhalb Millionen Menschen, darunter sehr viele Kinder, die hungern. Je schlechter es wird und je mehr Leuten es unter die eigene Haut geht, desto mehr Fragen stellen die Bürger. Eine neue, junge Generation muss kommen, die Zivilgesellschaft muss sich neu formieren. Man spürt bereits, wie sich diese Entwicklung, etwa über die NGOs, aufbaut. Wir brauchen denkende Menschen, damit meine ich jetzt nicht nur die Intellektuellen. In Ungarn geschehen schreckliche Dinge, man wundert sich jeden Tag, dass die Menschen einfach alles runterschlucken. Die Regierung hat die letzte Wahl zwar gewonnen, aber nur, weil wir keine Opposition haben und viele nicht wählen gegangen sind.


War der Eintritt Ungarns in die EU eine gute Idee oder nicht?
Alföldi: Was für eine Frage! Natürlich! Ich fände es erschreckend und fürchterlich, wenn wir nicht in der EU wären: Philosophisch, kulturell, wirtschaftlich. Alles, von dem die Regierung so stolz herumerzählt, wird mit EU-Geldern ermöglicht.


Freuen Sie sich, dass Sie in Wien arbeiten?
Alföldi: Es ist ein gutes Gefühl, wenn eine andere Kultur, noch dazu eine so große wie die deutschsprachige, auf einen neugierig ist. Man fragt sich natürlich immer, ob man interessant bleibt und ob die zwei Kulturen wirklich aufeinandertreffen.


Ungarn und Österreich haben eine lange gemeinsame Geschichte.
Alföldi: Es stimmt, wir haben einiges gemeinsam. Aber die Kultur ist nicht dieselbe und die heutige Situation schon gar nicht. Der Grundzustand der Menschen ist ein ganz anderer geworden.


Frau Bröderbauer, Sie stammen aus dem Mühlviertel. Wie haben Sie das Leben im Dorf erlebt?
Andrea Bröderbauer: Es war schlimm, ich hatte lange rote Haare und Sommersprossen und war schon im Kindergarten eine Außenseiterin. Ich habe nicht alles so gemacht wie anderen, ich habe versucht, Werte zu vertreten, dass man nicht lügt. Als ich ans Musikgymnasium nach Linz gegangen bin, habe ich festgestellt, es gibt Leute, die anders sind, die einen größeren Horizont haben als beim Spar zu arbeiten. Am Musikgymnasium Linz gab es eine Bühnenspiel-Gruppe, ich habe Akkordeon und Gitarre gelernt. Aber es zieht mich immer wieder zurück aufs Land, ich gehe ein wie ein Schwammerl, wenn ich keinen Wald habe. Wir haben Obstbäume. Und es gibt auch Sachen, die auf dem Land besser sind. Wenn’s in Wien schneit, ist Chaos. Bei uns fahren sofort alle Bauern mit ihren Baggern und alle helfen zusammen.


Was haben Ihre Eltern zu Ihren Plänen gesagt?
Bröderbauer: Mein Vater ist im Medienverleih der Erzdiözese Linz, meine Mutter war zu Hause, jetzt arbeitet sie in einem Geschenkartikel-Laden. Wir sind drei Kinder, ich bin die Älteste und habe zwei Brüder. Ich bin die Einzige, die studiert hat, Schauspiel in Graz. Meinen Eltern war es wichtig, dass ich das mache, was ich möchte, aber sie haben mir auch gesagt, wir können dir nicht helfen. Ich bin auch gewarnt worden: Du wirst keine Familie haben, keine Kinder, dauernd herumziehen. Es wird schwer sein, überhaupt eine Anstellung an einem Theater zu bekommen. Aber der Wunsch war so stark.

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Dann war es eher leicht, sie kamen ans Berliner Ensemble.
Bröderbauer: Ich wollte weder an ein großes Theater noch nach Berlin. Aber meine Mutter hat mich überredet. Ich habe am Berliner Ensemble vorgesprochen und Gretchen in George Taboris „Mein Kampf“ in der Regie von Hermann Beil gespielt. Da hatte ich schon die Zusage von Michael Schottenberg fürs Volkstheater.


Werden Sie bei Anna Badora, die im Herbst von Schottenberg das Volkstheater übernimmt, im Ensemble bleiben?
Bröderbauer: Nein. Ich gehe nach Oberösterreich und mache meine Shiatsu-Ausbildung fertig.


Wird Ihnen nicht leid sein um die Schauspielerei?
Bröderbauer: Ich habe immer schon gewusst, dass ich Leuten gern helfen würde, und ich habe ein Gespür für das, was Menschen guttut. Mein Freund lebt in Wels und arbeitet bei einer Firma, die Rohrleitungen in Tunneln oder Wasserkraftwerken baut. Er hat mir gesagt, ich kann jederzeit wieder spielen, ich soll meine Leidenschaft nicht aufgeben.


Sie hatten einen schweren Bühnenunfall.
Bröderbauer: Ich bin bei einer Vorstellung von Feydeaus „Floh im Ohr“ in einer Tapete hängen geblieben, die nicht ordnungsgemäß im Bühnenboden festgetackert war. Ich habe mich überschlagen, bin mit dem Kopf auf die Bühnenkante gekracht und drei Meter runter in den Orchestergraben geflogen. Ich hatte Hämatome am Schädel, eine Gehirnerschütterung, und mein Arm war gebrochen. Ich weiß nicht, wie viele Schutzengel ich hatte. Mittlerweile ist alles gut verheilt. Ich war mir immer meines Körpers vollkommen sicher. Angst war nie ein Thema, aber jetzt merke ich, sie geht immer mit.


In „Haben“ spielen Sie die Mari, die ein Kind von einem Soldaten erwartet und es dem reichen Bauern unterschiebt, den sie geheiratet hat, heiraten musste, weil der Soldat nichts hat.
Bröderbauer: Mari geht voller Hoffnung aus dem Dorf weg, sie glaubt, sie kann ausbrechen aus der engstirnigen Tristesse und in Wien bei einer Advokatenfamilie arbeiten. Aber es sind einfach zu viele Bewerberinnen. Sie muss ins Dorf zurück. Sie verliebt sich in den Soldaten Dani, aber der ist ein Waschlappen, und als sie schwanger wird, sagt er, er hat kein Geld und kann sie nicht heiraten, sie muss den reichsten Bauern im Dorf nehmen, den die Hebamme ihr empfiehlt. In der Hochzeitsnacht ist er betrunken, sie bleibt von ihm verschont, am nächsten Tag gibt sie ihm das weiße Pulver in den Kaffee. Er stirbt. Aber das Unglück nimmt trotzdem seinen Lauf.

Tipp

„Haben“ Julius Hay (1900–1975), mit E. Mangold, A. Bröderbauer, C. Sabitze u. v. a. Premiere: 27. Februar im Volkstheater

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