Ringstraße: "Der Tellerrand von Wien"

(c) Christine Pichler
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Vor 150 Jahren wurde die Ringstraße eröffnet. Das „Schaufenster“ bat zu einem Salongespräch über Gründerstimmung einst und jetzt.

Bald fällt der Startschuss für die Feierlichkeiten anlässlich des 150. „Geburtstages“ der Wiener Ringstraße. Sogar eine offizielle Homepage zum Jubiläum gibt es (ringstraße2015.info), auf der das Wiener Tourismusbüro schwärmerisch der Eröffnung des „schönsten Boulevards der Welt“ am 1. Mai 1865 gedenkt. Das „Schaufenster“ lud mit etwas Vorlauf zu einem Salongespräch, in dem nicht nur der Frage nachgegangen wird, wie präsent diese Straße für Wiener Stadtnutzer in ihrem Alltagsverhalten heute ist, sondern auch, ob etwa gar Anzeichen für eine neue Gründerzeit in der Stadt bemerkbar sind. Schließlich entsteht auch in dem neuen Wiener Stadtteil Seestadt Aspern eine Ringstraße, die nicht von ungefähr an ihre Vorgängerin in der Innenstadt erinnert.

Das Ringstraßenjubiläum wird uns wohl heuer noch ausgiebig beschäftigen. Lassen Sie mich eingangs die Frage stellen, welche Rolle Ihrer Meinung nach diese Straße heute für Wiener Stadtnutzer spielt und ob sie vielleicht sogar der Ort ist, der Wien so sehr charakterisiert wie kein zweiter.

Agnes Husslein: Als Orientierung ist die Ringstraße natürlich schon deshalb wichtig, weil sie das Zentrum umschließt und schon deshalb jedem als Anhaltspunkt dient. Man schickt auch jeden Besucher einmal um die Ringstraße, damit er sich die Architektur der Gründerzeit anschauen kann. Zeitgenössisches findet man freilich dort nicht, außer man schaut auf dem Kai auf die andere Seite des Donaukanals hinüber. Aber als Ort, an dem man selbst spazieren geht, nutzt ein Wiener meiner Meinung nach die Ringstraße nicht, abgesehen von einzelnen Teilstücken.

Daniel Zimmermann: Ich würde da ein bisschen widersprechen, weil ich finde, dass der fußläufige Boulevard, der die Ringstraße ist, schon eine eigene Qualität hat, auch für Radfahrer oder Inline-Skater, und vielleicht auch für Autofahrer, die diese Straße bewusster als andere entlangfahren.

Husslein: Da bin ich total bei Ihnen, aber ich meinte das eigentliche Flanieren, und das findet meiner Meinung nach nicht mehr statt. Es gibt kaum mehr Geschäfte, wenige Cafés. Die neue Qualität, die die Straße etwa für Radfahrer bekommen hat, sehe ich natürlich auch. Wobei ich es selbst auch liebe, die Ringstraße entlangzufahren, gerade wenn es jetzt Frühling wird und die Bäume ergrünen.

Elisabeth Noever-Ginthör: Außergewöhnlich ist natürlich, wenn man in die Zeit des Entstehens zurückblickt, dass hier auch Grünerholungsräume mitgedacht wurden, der Burggarten etwa oder der Volksgarten. Diese Parks sind von unschätzbarem Wert, und dass diese großen Gesten des Einbeziehens der Stadtbewohner heute fortdauern, finde ich sehr wichtig. Parallel entstehen heute neue Orte, wo zeitgenössische Architektur diskutiert wird und sich darstellen kann, aber sie befinden sich in anderen Stadtteilen, in erster Linie dem zweiten Bezirk, beim WU-Campus und im Stuwerviertel.

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Ist die Ringstraße aus städteplanerischer Hinsicht aber „zu“, oder ist es doch noch denkbar, dass sich das Antlitz der Stadt auch da verändert?

Zimmermann: Man muss sich das denken wie ein Gebiss, bei dem einzelne Zahnlücken entstehen können. Einzelne Komponenten können vielleicht ausgetauscht werden, aber das große Ganze ist da, und die Ringstraße ist eigentlich die Fassung der Innenstadt. Die Stadt ist natürlich größer zu denken, aber wenn man sagt, „Ich gehe in die Stadt“, dann bezieht sich das durchaus auf den Ring. Doch selbst wenn heuer vom Ringstraßenjubiläum die Rede ist, darf man nicht vergessen, dass es sich um einen Prozess gehandelt hat, der sich über viele Jahre hinzog. Und wenn man heute neue Stadtteile plant, muss man das ebenso als Zeitdauer verstehen.

Noever-Ginthör: Ich denke, dass gerade auf dem Kai und zum zweiten Bezirk hin noch vieles möglich ist, und es haben auch immer wieder Architekten versucht, an die Ringstraße anzuschließen. Am nordwestlichen Rand wird sie außerdem vom Ringturm, den Boltenstern plante, begrenzt, und das ist ja eines der wenigen Beispiele für neuere Architektur entlang der Ringstraße. Ich glaube durchaus, dass man das Thema „Stadt am Fluss“ noch einmal neu denken kann und da noch einiges möglich ist.

Husslein: In den vergangenen Jahren ist ohnehin viel geschehen, und wenn wir vorher von Cafés und Geschäften geredet haben, die es für einen lebendigen Boulevard braucht, dann hat sich auch da einiges getan, etwa mit den neuen Hotels, die entlang der Ringstraße entstanden sind. Bei der Börse hat es etwa ein riesiges Momentum gegeben, auch wenn ich es persönlich unendlich schade finde, dass gleich gegenüber der Börse das Café Schottenring geschlossen hat. Denn ich finde auch, dass es immer ebenso wichtig ist, Bestehendes zu erhalten wie Neues zu schaffen. Was die Westseite betrifft, gilt: Wo Tauben sind, fliegen Tauben zu. 

Noever-Ginthör: Zunächst einmal ist die Ringstraße heute ein touristischer Knotenpunkt, und dennoch gibt es Orte entlang dieser Perlenkette, die für uns alle, die wir in Wien leben, relevant sind.

Husslein: Das sehe ich absolut auch so, während ich es zugleich schade finde, dass nur relativ wenige Menschen entlang der Ringstraße wohnen, wobei das wunderschöne Wohnungen sind. Wir haben zum Beispiel eine Wohnung am Stubenring. Das MAK ist gleich gegenüber, der Stadtpark ebenfalls, man ist gleich in der Stadt. Dort ist Leben, wirkliches Leben.

Die Dynamik der Gründerzeit rückblickend besehen, wie sie sich etwa auch aus dem Erfolgsroman „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ von Edmund de Waal erschließt, macht offenbar: Damals war alles neu, ein neues, vermögendes Großbürgertum baute Palais, der historistische Architekturstil wurde beherzt praktiziert, neue Prachtbauten für bestehende Institutionen entstanden.

Husslein: Das thematisieren wir natürlich auch stark mit der Ausstellung, die im Belvedere im Juli eröffnen wird, „Klimt und die Ringstraße“. Damals herrschte eine unglaubliche Aufbruchsstimmung, vieles passierte gleichzeitig, dadurch, dass Kaiser Franz Joseph zugelassen hat, dass auch die jüdischen Familien sich am Ring ansiedeln, die natürlich auch ihren Reichtum repräsentieren wollten. Das ist ein ganz wichtiger Teil der Geschichte unserer Stadt. Dass in diesen Palais heute oft Versicherungen oder Autohäuser untergebracht wird, finde ich zum Teil traurig.

Zimmermann: Wenn ich aus meiner Erfahrung in der Landschaftsplanung etwas einwerfen darf, dann verhält es sich so, dass wir nicht überall die gleiche Aufmerksamkeit, Orte mit der gleichen Dichte erzeugen können. Es wäre auch kontraproduktiv, wenn man das versuchen würde, insofern ergibt es sich ganz natürlich, dass es zwischendurch weniger präsente Abschnitte gibt.

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Wie wichtig ist es, die gesamte Ringstraße als großes Ganzes, als urbanistische Einheit erfahrbar zu machen? Wäre es zum Beispiel denkbar, einen einzelnen Abschnitt mit sehr auffälliger Stadtmöblierung komplett anders zu gestalten als den Rest?

Zimmermann: Ein Besucher wird die Ringstraße ohnehin immer als Einheit wahrnehmen, als etwas Zusammenhängendes. Kaum jemandem wird etwa auffallen – etwas, was ich sofort sehe –, dass an einem Abschnitt Platanen gepflanzt wurden, an einem anderen Linden, an einem dritten Ahorn. 

Husslein: Ich finde zum Beispiel das MAK toll, mit der Lichtinstallation von James Turrell an der Fassade, weil das eben genau Altes mit Neuem ist, das, wovon ich vorher geredet habe. Wenn also das früher vom Bundesamt für Verfassungsschutz genutzte Gebäude am Schubertring jahrelang leer steht, frage ich mich, warum man nicht die Fassade temporär in dieser Zeit bespielen kann.


Der historistische Stil, die Pracht der Ringstraße, das ist alles sehr beeindruckend. Dennoch gibt es Stimmen, die die historistische Ringstraße ein wenig despektierlich als einen Vorläufer der disneyisierten, der übermäßig herausgeputzten Stadt sehen. Otto Wagner kritisierte den historistischen Stil schon zur Gründerzeit.

Noever-Ginthör: Natürlich besteht gerade entlang der Ringstraße die Gefahr, dass die Stadt als ein Freilichtmuseum wahrgenommen wird.
Husslein: Das Wichtigste ist da aber doch, dass Menschen in der Innenstadt auch wirklich wohnen. Noch einmal, ich finde es schon sehr traurig, dass nur mehr so wenige Menschen in der Innenstadt wohnen. 

Zimmermann: Das ist heute aber schon wieder ein Thema für diejenigen, die sich das leisten können: bewusst wieder hineinzuziehen in die Stadt. Umgekehrt gab es ja früher die Wahrnehmung der Menschen in der Innenstadt, dass die Ringstraße der Tellerrand von Wien ist.

Husslein: Dafür braucht es aber ein kräftiges Momentum – viele Menschen müssen hinziehen, weil zum Beispiel Kreativwirtschaft entsteht. Eine Stadt lebt, Veränderungen finden statt, Viertel verändern sich.


Vergangenes Jahr hat Departure einen Ideenwettbewerb zum Thema „City Hype“ ausgelobt, war da auch die Ringstraße ein Thema?

Noever-Ginthör: Konkrete Einreichungen zur Ringstraße gab es nicht, aber zum Thema Verkehr und Mobilität in der Stadt gab es vieles, bis hin zur Seilbahn über der Stadt. Die Rückeroberung des Stadtraums hat viele beschäftigt, auch die Auseinandersetzung mit den Flächen, die durch parkende Autos verstellt werden.


In der Seestadt Aspern entsteht derzeit ein Stadtviertel fast auf dem Reißbrett, bezeichnenderweise ist auch dort eine Ringstraße Teil des stadtplanerischen Konzepts. Herr Zimmermann, Sie sind an der Umsetzung beteiligt, ich nehme an, die Sonnenallee in Aspern ist bewusst als Echo der innerstädtischen Ringstraße gedacht?

Zimmermann: Ja klar, Johannes Tovatt, der schwedische Architekt, der den Masterplan entwarf, hat sich das so überlegt. Im ersten Moment habe ich mir vielleicht sogar gedacht, ist das notwendig, eine zweite Ringstraße. Aber man kann es auch so sehen, es gibt einen Ring, es gibt einen Gürtel, und es gibt jetzt bald einen Ohrring. Das sind so spielerische Sichtweisen, die dieses Engagement der Stadt und der Republik begleiten, in der Seestadt Aspern ein neues Viertel mit Wohnraum für bis zu 25.000 Menschen zu schaffen, das um eine Ringstraße als zentrales Element angelegt wird.

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Husslein: Was in Aspern passiert, mag ja ganz gut sein. Umso bedenklicher finde ich es eigentlich, dass das sogenannte Quartier Belvedere in der Nähe des Hauptbahnhofs zur Gänze Investoren überlassen wird. Das ist nicht richtig, denn da handelt es sich auch um städtebauliche Verantwortung. Das Quartier ist gerade einmal 500 Meter Luftlinie vom Schwarzenbergplatz entfernt, und es könnte doch ein fantastischer Parcours dorthinführen: von der historistischen Ringstraße durch den Park eines barocken Schlosses zu einer Anlage des 20. Jahrhunderts mit dem 21er-Haus und daneben dem Hauptbahnhof als zeitgenössischer Architektur. Aber für dieses Viertel gibt es keinen Masterplan, und das unterscheidet es eben komplett sowohl von Aspern wie auch von der Ringstraße, für die es einen solchen Plan sehr wohl gab, und er hält im Grunde bis heute.

Noever-Ginthör: Wenn von Gründerzeit die Rede ist, von der Dynamik neuer Projekte, dann geht es doch um eine Aufbruchsstimmung, einen neuen Geist, Lust am Gestalten der Stadt. Und das sind Schwerpunkte, die wir seit ein paar Jahren stark spüren. Es gibt so viele Unternehmensgründungen, heute spricht man da von Start-ups, wie noch nie. Die migrantische Kraft im Unternehmertum ist enorm, das Innovationspotenzial der neuen Selbstständigen ist beeindruckend. Es haben sich neue Vorstellungen von nachhaltigem, sozialem Unternehmertum entwickelt: Es vollzieht sich vielleicht sogar ein Paradigmenwechsel, der durchaus eine neue Gründerzeit charakterisieren könnte. 


Es scheint fast, als gebe es ein doppeltes Stadt-Image – einmal das museale Bild, das Wien von einst, und parallel dazu die dynamische Stadt, das neue Wien, in dem sich etwas tut, in dem Neues entsteht, vielleicht eben gerade wie Sie, Frau Husslein, gesagt haben, aus Bestehendem, Altem.

Husslein: Man muss junge Menschen aber darauf hinführen, oft wird von ganz jungen Leuten das Historische, Alte, ob nun im Museum oder im öffentlichen Raum, als abschreckend empfunden, als wenig attraktiv. Aber das ist nun einmal unser Erbe, mit dem man sich auseinandersetzen muss, um zu ermöglichen, dass etwas Neues entsteht. Und das ist ganz konkret auch die Verantwortung von bestehenden Institutionen, sich da etwas einfallen zu lassen. Auch ich tue mein Möglichstes in dieser Hinsicht, wir unternehmen viel mit Kindern und Jugendlichen und jungen Erwachsenen, mit Schulen und Universitäten. Das gefällt natürlich nicht allen, und ich muss mich auch oft entschuldigen und rechtfertigen. Die Brücke in die Gegenwart ist wichtig, aber sie schlägt sich nicht von selbst.

Zimmermann: Impulse gehören gesetzt und ermöglicht, und das Erbe, das wir haben, ist wichtig, damit wir realisieren, was wir haben. Eine kleine Anekdote aus der Gründerzeit vielleicht: Damals wurden weite Strecken mit dem Götterbaum aus China bepflanzt, also einem hierzulande ursprünglich nicht ansässigen Neophyten, der von vielen gar nicht geschätzt wurde, und die erste Tranche, die vor 150 Jahren gepflanzt wurde, kam aus Triest, allerdings war das Wiener Klima für diese Bäume komplett ungeeignet. Später hat man solche Götterbäume aus Ungarn geholt, die das Klima eher gewöhnt waren, und mit der zweiten Tranche hat es besser geklappt. Der letzte Baum aus dieser ursprünglichen Bepflanzung ist erst vor zehn Jahren gefällt worden, bis dahin hatte er Bestand. Das ist eine schöne Geschichte, finde ich, zuerst dieses Trial-and-Error-Verfahren mit den Bäumen und der lange Bestand. Auch in Aspern versuchen wir jetzt, einen Raum zu schaffen, der unter Berücksichtigung standortökonomischer Fragen hundert Jahre und mehr Zeit haben soll, sich zu entwickeln. Und genau dafür würde ich mir auch ein bisschen mehr von dieser Trial-and-Error-Offenheit wünschen, wie es sie früher gegeben hat. 

Noever-Ginthör: Der Prozess, den die Ringstraße vor 150 Jahren ausgelöst hat, war mit Sicherheit auch schmerzhaft, weil so große Veränderungen immer auch schmerzhaft sind, und manchmal hat man fast den Eindruck, die Wiener sind ganz besonders veränderungsresistent. Dabei ist Veränderung nötig, um unsere Stadt in die Zukunft zu führen.

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