Barbara Frischmuth: „Der Garten erzieht den Menschen“

Von den Überraschungen, die ein Garten bereithält, und der Leere, die sich im Kopf einstellt – ein Gespräch mit Gartenliebhaberin Barbara Frischmuth.

Barbara Frischmuth, 73, ist nicht nur eine der wichtigsten Vertreterinnen der österreichischen Gegenwartsliteratur, sondern auch seit Jahren ein leidenschaftlicher Gartenmensch. Vor Kurzem erschien ihr Buch „Der unwiderstehliche Garten“, das zugleich eine Beziehungsgeschichte nacherzählen soll. Aus diesem Anlass philosophierte die Steirerin mit „Gartenkralle“-Autorin Ute Woltron über Pflanzen, über die Erziehung der Gärtner durch ihre Gärten – und den Nutzen des Im-Dreck-Wühlens.

Sie haben schon im Volksschulalter ein kleines Beet bewirtschaftet. Hat diese frühe gärtnerische Impfung Sie beeinflusst?
Auf jeden Fall, obwohl ich als Kind vor allem mit vielen Tieren aufgewachsen bin. Die Leidenschaft für Pflanzen kam nach und nach. Ich habe in meinen Wohnungen stets regelrechte Dschungel kultiviert. Doch erst, als ich nach Altaussee kam, konnte ich wirklich zu gärtnern beginnen.
Sie bewirtschaften ein Hanggrundstück mit Wiese und allem Drum und Dran. Machen Sie alles allein?
Beim Mähen der Wiese und beim Kompostumsetzen hole ich mir Hilfe, doch das Unkrautzupfen muss ich selbst machen.


Man kann den Garten zwar nicht wirklich erziehen, doch zumindest nach dem eigenen Willen strukturieren. Man ist sozusagen ein kleiner Herrscher im eigenen Reich.
Was allerdings nicht heißt, dass alle Untertanen auch folgsam sind. Sie folgen, oder sie folgen auch nicht. Der Garten erzieht den Menschen viel mehr, als der Mensch den Garten erzieht. Pflanzen und Menschen manipulieren sich gegenseitig, und oft delegieren Pflanzen an uns Dinge, die ­sie selber nicht können. Man weiß nie wirklich, ob man nicht schon im Dienste einer Pflanze steht.


So wie man angeflogene Sämlinge wachsen lässt und dann den gesamten Sommer damit verbringt, ihnen auszuweichen, weil man es nicht über das Herz bringt, sie auszurupfen.
Darum muss man das Jäten ja auch selbst erledigen, denn man kennt doch seine Pflanzen. Die haben zum Beispiel fast alle einen bestimmten Geruch, man riecht bereits, was man da auszupft.


Ich koste mitunter sogar.
Freilich! Ich auch. Wenn dann etwas dabei ist, das ich nicht orten kann, dann lasse ich es wachsen. Ich will ja sehen, was dabei rauskommt. Ich verstreue auch Samenmischungen in der Gegend – Blumenmischungen, Wiesenmischungen, und dabei kommen die erstaunlichsten Sachen zutage. Manches bleibt, anderes fühlt sich nicht wohl und vergeht.


Können Sie beim Unkrautzupfen nachdenken?
Das Hirn wird leer, vieles beim Zupfen geht automatisch, da denkt man nicht mehr. Aber manchmal steigt gerade aus dieser Leere eine tolle Idee herauf. Meine Erfahrung ist, dass ich eher gar nichts denke, aber aus eben dieser Leere entsteht oft etwas Kreatives, Neues.


Abgesehen von der körperlichen Forderung, die der Garten stellt, ist er auch ein Ort, an dem man seine Hände als Werkzeug verwenden kann.
Das halte ich für einen wichtigen Punkt. Alle wollen handwerkliche Arbeit delegieren. Die Abschaffung der Schreibschrift zum Beispiel halte ich für einen Wahnsinn. Dabei besteht eine extrem wichtige Verbindung zwischen den Händen und dem Gehirn. Ein Teil dieser Gartenliebe, die jetzt verstärkt wieder aufkommt, ist dem Gefühl der Menschen geschuldet, ihre Sinne nicht mehr zu nutzen. Beim Tastsinn ist es desaströs, auch bei Geruch und Geschmack. Wenn alles vereinheitlicht und weniger genützt wird, stehen wir eines Tages da wie die Maulwürfe, wobei die zumindest ein ausgezeichnetes Geruchsorgan haben. Doch sie sehen nichts mehr, weil sie das nicht brauchen. Wir werden irgendwann nur mehr Gallertklumpen sein, die nur noch einen Muskel ausgebildet haben, und zwar denjenigen für den Finger, der auf den Knopf drückt.


Sie haben die verstärkte Sehnsucht nach dem Garten angesprochen, gibt es dafür noch weitere Gründe?
Wir sind glücklich im Garten. Wir haben ein bisschen herumgefummelt, die Natur tut das Ihrige dazu, und auf einmal ist etwas entstanden. Das sind die größten Glücksmomente. Beim Gärtnern wird direkt erfahren, was man tut. Die Hand weiß, was sie macht, man sieht, was passiert, man lernt eine ganze Menge. Das ist in vielen anderen Lebensbereichen nicht mehr der Fall, wie etwa bei dem berühmten Beispiel von Kindern, die nicht mehr wissen, dass die Milch von der Kuh kommt.


Zurück zur Natur ist zwar ein strapazierter Slogan, hat aber seine Berechtigung und wird im Garten erfahren?
Der Mensch ist doch noch nicht so lange da, seine Entwicklung ist so schnell gegangen, und jetzt soll auf einmal das, womit er ewige Zeiten punkten konnte, nämlich genau hinzuschauen, etwas zu machen, Dinge herzustellen, zu experimentieren, alles nichts mehr wert sein? Das hinterlässt in den Menschen eine Leere. Man beschäftigt den Körper nicht mehr entsprechend, und das mag er nicht, und das ist ihm auch nicht zuträglich. Wir haben zudem zu wenig zusammenhängendes Wissen. Wir können zwar sagen, wie eine Pflanze heißt, doch die sinnliche Erfahrung mit ihr fehlt uns.


Man hat das Wissen im Hirn, aber nicht im Körper.
Völlig richtig, dieses Körperwissen ist elementar. So wie Schwimmen und Radfahren im Körper gespeichert sind und nicht mehr verlernt werden. Ich bin dankbar dafür, dass wir als Kinder in Horden tagelang durch die Natur zogen. Das einzig Wichtige war, schon mit vier Jahren schwimmen zu lernen. Sobald wir das konnten, waren wir ständig draußen. Heute bin ich so froh darüber und glaube auch, dass man dadurch doch irgendwie immunisiert wurde.


Kann man die Leidenschaft des Gärtnerns vermitteln?
Man kann die Begeisterung dafür vermitteln, den Leuten eine Brücke bauen und die eigene Leidenschaft veranschaulichen. Es lässt sich auch darstellen, wie komplex die Zusammenhänge im Garten tatsächlich sind und was einem entgeht, wenn man sich nicht dafür interessiert, wie blass die Welt wird und wie einseitig, wenn man sich nicht mit dem Leben befasst, das uns ständig umgibt. Zumindest 90 Prozent der Biomasse dieser Erde bilden Pflanzen. Wenn das nicht ein evolutionärer Erfolg der Botanik ist! Davor müsste man eigentlich Respekt haben.


Diesen Kotau vor der Natur haben die großen Denker vor­gezeigt. Die Gartenphilosophen, von Epikur bis Montaigne, haben den Rückzug in den Garten gepredigt, wenn die politische ­Situation nicht veränderbar war. Können Sie das nachempfinden?
Nicht ganz, denn wir sind heute völlig anders vernetzt. Die Frage müsste jedoch vielmehr lauten, ob man überhaupt in die Politik eingreifen kann. Das gilt auch für die Literatur. Das Einzige, was man damit versuchen kann, ist, das Bewusstsein Einzelner ein bisschen zu verschieben. Dieses Bewusstsein vielleicht ein wenig zu erweitern, das ist möglich.

(c) Beigestellt

Tipp


„Der unwiderstehliche Garten“. Das neue Buch von ­Barbara Frischmuth ist im Aufbau-Verlag erschienen. Lesungstermine aktuell auf www.barbarafrischmuth.at

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