Nile Rodgers: Disco als Therapie

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Er schrieb Discogeschichte, seine Gitarrenlicks würzten viele Welthits. Jetzt gastiert Nile Rodgers erstmals in Österreich.

Ein unwiderstehlich singender Basslauf, die berühmte Funky-Jazzgitarre und der für die coolste Discoband der Siebzigerjahre so typische Chorgesang prägen die neue
Single „I’ll Be There“ von Chic. Dazu kommt reichlich Percussion der als Gäste eingeladenen Martinez Brothers sowie eine scharfe Bläsersektion und allerlei Verfremdungseffekte. Kreativer Ausgangspunkt dieses fesselnden Songs war ein Outro eines niemals veröffentlichten Chic-Songs. Sein ehemaliges Studio schickte Nile Rodgers jüngst übrig gebliebene Bänder aus den Siebzigerjahren. „Beim Hören fühlte ich mich wie ein Außenseiter, der einen Einblick bekommt, ohne mitreden zu können. Auch unsere Gespräche zwischen den Aufnahmen waren da drauf. Also wollte ich meine Vergangenheit und die Gegenwart zusammenführen. Ich wollte unsere Stimmung von damals zu einem Teil meiner Gegenwart machen“, meinte Rodgers jüngst in London.

Sohn zweier Drogenabhängiger. Auf dem daraus entstandenen Stück sind viele Verstorbene zu hören. Der Basslauf stammt vom 1997 auf einer Japan-Tournee verstorbenen Bernard Edwards, der all die unsterblichen Chic-Hits von „Le Freak“ bis „Upside Down“ mitkomponiert hat. Auch der 2003 verstorbene Originalschlagzeuger Tony Thompson und der legendäre Sänger Luther Vandross, der Chic in der Frühzeit am Mikrofon aushalf, werden in „I‘ll Be There“ nochmals lebendig. Noch lebende Ex-Mitglieder von Chic wie die Sängerinnen Luci Martin und Alpha Anderson wurden zu den Aufnahmen eingeladen. Sie flöteten gemeinsam mit den neuen Mädchen in der Band. Rodgers: „Auf den meisten unserer Hits sangen so viele Sängerinnen wie möglich. Wir nannten das ,gang vocals‘.“
Die Veröffentlichung des dazugehörigen neuen Albums „It‘s About Time“ wurde zwar verschoben, dafür kommt Nile Rodgers mit seiner neuesten Ausgabe von Chic erstmals nach Österreich. Zu verdanken ist das dem Umstand, dass Nile Rodgers bei wesentlichen Aufnahmen des Jahres 2014 mitgewirkt hat: Etwa bei Daft Punks Welthits „Get Lucky“ und „Lose Yourself to Dance“, aber auch bei Stücken von Avicii, Chase & Status und Felix da Housecat. Unvergessen ist sein brillanter Auftritt bei den Grammys 2014, als er gemeinsam mit Daft Punk, Pharrell Williams und Stevie Wonder Millionen Fernsehzuschauer mit seinen scharfen Gitarrenlicks begeisterte.

Seine raffinierte Art zu spielen ist immer noch so infektiös wie 1976, als er in der Fairtree Lounge in der New Yorker Bronx erstmals mit dem Bassisten Bernard Edwards jammte. Einen ersten Vorgeschmack auf Erfolg erspielte er sich mit dem Song „I’m Doing Fine Now“, den er 1973 mit der Soulband New York City einspielte. Platz 17 der Billboard Charts glückte. Die Urzelle von Chic waren neben Rodgers und Edwards der Schlagzeuger Tony Thompson und die Sängerin Norma Jean Wright. Ihr erster gemeinsamer Song war schon der Imperativ der nächsten Jahre: „Everybody Dance“. Chic mischten Elemente des R&B, des Jazz und des Funk zu einer Form von Disco, die auch beim weißen Publikum extrem gut ankam. Heute schätzt man, dass Rodgers mit seinen Produktionen für Chic und für andere Künstler von Diana Ross über Sister Sledge bis hin zu David Bowie und Madonna der Musikindustrie nicht weniger als 3 Milliarden Dollar in die Taschen gespielt hat. Das ist ganz immens für jemanden, der 1952 als Sohn zweier Drogenabhängiger in der Bronx geboren wurde.

Große Inspiration für Chic waren kurioserweise die britischen Roxy Music, die Rodgers live im Londoner Roxy sah. Der sanfte Glamour und die Eleganz von deren Sänger Bryan Ferry faszinierten ihn nachhaltig. Auch die Covers mit den inszenierten Models schaute sich Rodgers bei den Engländern ab. Das 1977 edierte Debütalbum von Chic zierten zwei hübsche Damen mit entblößtem Oberkörper und Trillerpfeiferln im Mund.

1978 erklommen Chic mit „Le Freak“ erstmals den Spitzenplatz der amerikanischen Charts. Die Entstehungsgeschichte dieses Diskoklassikers ist kurios. Grace Jones lud Nile Rodgers und Bernard Edwards zu ihrer Silvesterfeier ins Studio 54 ein. Türsteher Marc Benecke suchte ihre Namen auf der Gästeliste. In der Zwischenzeit ließ er einen Mann mit Affen, einen Sanitäter mit Lachgas und andere exzentrische Figuren in den damals heiligsten Tempel des Hedonismus. Wütend gingen die Musiker wieder nach Hause. Aus dieser unliebsamen Erfahrung heraus komponierten sie den Song „Le Freak“, der zunächst „Fuck Off“ betitelt war. Nicht weniger als zwölf Millionen Einheiten verkauften Chic davon, schreibt Rodgers in seiner lesenswerten Autobiografie „Le Freak – An Upside Down Story Of Family, Disco and Destiny“.

Globale Hits. Vielleicht noch spektakulärer war „Good Times“, ihre Nummer-1-Single von 1979, die zu einem sensationell treibenden Bassmotiv bittere Wahrheiten zum Thema ökonomische Krise thematisierte. Die Instrumentalversion von „Good Times“ wurde praktisch eins zu eins in „Rapper‘s Delight“ von der Sugarhill Gang gekapert, einem der Schlüsseltracks des frühen Hip-Hop. Neben vielen anderen Bands bedienten sich auch Queen dieses fantastischen Basslaufs in ihrem Hit „Another One Bites The Dust“. Rodgers und Edwards schrieben in ihrem Stil auch zahlreiche Welthits für Kollegen von Sister Sledge („We Are Family“) über Diana Ross („Upside Down“, „I‘m Coming Out“, „My Old Piano“) bis hin zu Carly Simon („Why“).

Nach dem mutwillig herbeigeführten Niedergang von Disco modulierte Rodgers seinen Sound etwas und feierte weitere globale Hits. Er produzierte Bowies „Let’s Dance“-Album und Madonnas „Like A Virgin“-Longplayer. Zudem werkte er mit Duran Duran und Mick Jagger. Während Bernard Edwards ein braver Familienvater war, zog es Rodgers in seiner Euphorie an den drogeninduzierten Abgrund. Kurioserweise war es der wilde Rolling Stone Keith Richards, der Rodgers dazu bewog, auf Entzug zu gehen. Aber die wichtigste Therapie blieb für ihn die Musiktherapie. Die half ihm auch, als er 2010 die Diagnose Prostatakrebs erhielt. „Angesichts meiner Krankheit habe ich beschlossen, wieder mehr Musik zu machen. Nichts fühlt sich besser an.“

Tipp

Nova Jazz & Blues Night. U. a. mit Chic featuring Nile Rodgers, Roisin Murphy, Sinkane, Marla Glen, Count Basic. Am 11. Juli 2015 in Wiesen. www.njbn.at

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